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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Der elende Matho bei Flaubert (180 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 19.04.2024 um 00:07 Uhr (Zitieren)
Salammbô ist eine fiktive Figur: eine Tochter des Hamilkar Barkas, die mit Matho eine frühere Liebesbeziehung verbindet.
[...] Von der Stelle, an der er stand, gingen mehrere Straßen aus. Durch jede von ihnen spannte sich eine dreifache Reihe eherner Ketten, die am Nabel der Patäken befestigt waren, in gleicher Richtung von einem Ende bis zum andern. Die Menge stand gegen die Mauer gedrängt, und in der Mitte schritten die Diener der Alten (1) und schwangen Peitschen.

Einer von ihnen trieb ihn mit einem kräftigen Schlag an. Mâtho begann seinen Gang.
Sie reckten ihre Arme über die Ketten und schrien, man habe ihm den Weg allzu breit gelassen; und er schritt, von all diesen Fingern betastet, gestochen und zerrissen, immer weiter. War er am Ende eine Straße, so tat sich eine andere auf. Mehrmals sprang er zur Seite, um sie zu beißen; man wich schnell zurück, und die Menge brach in Gelächter aus.

Ein Kind zerriß ihm das Ohr. Ein junges Mädchen, das unter seinem Ärmel die Spitze seiner Spindel versteckt hielt, schlitzte ihm die Backe auf. Man riß ihm bündelweise Haare und Fetzen Fleisch aus. Andere beschmierten ihm das Gesicht mit Schwämmen, die in Unrat getaucht und auf Stöcke gesteckt waren. Aus der rechten Seite seines Halses schoß ein Blutstrom hervor. Da begann der Wahnsinn. Dieser letzte der Barbaren war für sie der Vertreter von allen, das ganze Heer. An ihm rächten sie all ihr Unglück, ihre Angst, ihre Schande. Die Wut des Volkes nahm mit ihrer Sättigung zu; die allzusehr gespannten Ketten bogen sich und drohten zu brechen. Sie fühlten die Schläge der Sklaven nicht mehr, die auf sie einhieben, um sie zurückzutreiben. Manche klammerten sich an die Vorsprünge der Häuser; alle Öffnungen in den Mauern waren mit Köpfen erfüllt, und das Böse, das sie ihm nicht antun konnten, brüllten sie ihm zu.

Es waren wilde, unflätige Schmähungen, mit höhnischen Aufmunterungen und Flüchen vermischt, und da sie an seiner gegenwärtigen Qual noch nicht genug hatten, kündigten sie ihm noch fürchterlichere für die Ewigkeit an.
Dieses ungeheure Geheul erfüllte Karthago mit stumpfsinniger Beharrlichkeit. Oft klang eine einzige Silbe, ein heiserer, tiefer, wütender Laut, mehrere Minuten lang durch das ganze Volk. Die Mauern erbebten von unten bis oben von diesem Geschrei, und es schien Mâtho, als ob die beiden Straßenwände auf ihn zukämen und ihn vom Boden aufhöben wie zwei ungeheure Arme, die ihn in der Luft erstickten.

Da entsann er sich, schon einmal etwas Ähnliches empfunden zu haben. Es war die gleiche Menge auf den Terrassen, die gleichen Blicke, der gleiche Zorn; nur war er damals frei, alle wichen ihm aus, ein Gott beschirmte ihn; und diese Erinnerung, die allmählich deutlicher wurde, erfüllte ihn mit niederschmetternder Traurigkeit. Schatten zogen vor seinen Augen hin, die Stadt wirbelte in seinem Kopf, das Blut strömte aus einer Wunde an seiner Hüfte, er fühlte den Tod nahen. Seine Knie wankten, und er sank langsam auf das Pflaster.

Jemand holte aus der Vorhalle des Melkarthtempels die auf Kohlen glühend gemachte Stange eines Dreifußes, schob sie unter der ersten Kette hindurch und hielt sie gegen seine Wunde. Man sah das Fleisch rauchen. Das Hohngeschrei der Menge erstickte seine Stimme. Er sprang auf.

Sechs Schritte weiter stürzte er von neuem, dann noch ein drittes, ein viertes Mal; immer brachte eine neue Marter ihn auf die Beine. Man bespritzte ihn durch Röhren mit siedendem Öl, streute Glasscherben unter seine Füße; er lief weiter. An der Ecke der Sathebstraße lehnte er sich unter dem Dache eines Ladens mit dem Rücken gegen die Mauer und kam nicht mehr vorwärts.

Die Sklaven des Rats schlugen ihn mit ihren Peitschen aus Flußpferdhaut so wütend und so lange, daß die Fransen ihrer Tuniken von Schweiß troffen. Mâtho schien fühllos. Plötzlich nahm er einen Anlauf und begann draufloszurennen, während seine Lippen bebten, als ob er vor Frost schlotterte. Er stürzte durch die Budesstraße, die Söpostraße, über den Gemüsemarkt und langte auf dem Khamonplatz an.

Jetzt gehörte er den Priestern. Die Sklaven hatten die Menge zurückgedrängt. Es gab mehr Raum. Mâtho schaute sich um, und seine Blicke trafen Salammbô.

Beim ersten Schritt, den er getan hatte, war sie aufgestanden, dann unwillkürlich, je näher er kam, allmählich bis an den Rand der Terrasse vorgetreten; und bald war die Außenwelt für sie verschwunden. Sie sah nur noch Mâtho. In ihrer Seele war es still geworden; einer jener Abgründe hatte sich aufgetan, in dem die ganze Welt versinkt unter der Wucht eines einzigen Gedankens, einer Erinnerung, eines Blickes. Dieser Mann, der auf sie zukam, zog sie magisch an.

Er hatte, die Augen ausgenommen, nichts Menschenähnliches mehr. Er war eine lange, über und über rote Masse. Die zerrissenen Fesseln hingen an seinen Schenkeln hinab, aber sie waren nicht mehr von den Sehnen seiner völlig entfleischten Fäuste zu unterscheiden. Sein Mund stand weit offen. Aus seinen Augenhöhlen sprühten zwei Flammen, die bis zu seinen Haaren emporzusteigen schienen. Und der Unglückliche schritt immer noch weiter!

Er kam bis an den Fuß der Terrasse. Salammbô hatte sich über die Brüstung geneigt. Diese fürchterlichen Augen blickten sie an, und ihr kam plötzlich alles ins Gedächtnis, was er für sie gelitten hatte. Obwohl er im Sterben lag, sah sie ihn in seinem Zelte auf den Knien liegen, ihre Hüften mit den Armen umschlingen und holde Worte stammeln. Es dürstete sie danach, sie noch einmal zu vernehmen. Er sollte nicht sterben! In diesem Augenblick ergriff Mâtho ein heftiges Zittern. Sie wollte rufen. Er stürzte rücklings zu Boden und rührte sich nicht mehr.
Fast ohnmächtig wurde Salammbô von den Priestern, die sich um sie bemühten, auf ihren Thron zurückgetragen. Sie beglückwünschten sie. Das war ihr Werk. Alle klatschten in die Hände und stampften mit den Füßen, ihren Namen heulend.

Ein Mann stürzte sich auf den Leichnam. Obwohl er bartlos war, trug er doch den Mantel der Moloch-Priester um die Schultern und am Gürtel eine Art von Messer, das zum Zerlegen des Opferfleisches diente und am Ende des Heftes in einen goldenen Spatel auslief. Mit einem einzigen Streich spaltete er Mâthos Brust, riß das Herz heraus und legte es auf den Löffel. Dann erhob Schahabarim den Arm und bot es der Sonne dar.

Die Sonne versank in den Fluten. Ihre Strahlen trafen wie lange Pfeile das blutrote Herz. Je tiefer das Gestirn sich ins Meer senkte, desto schwächer wurden seine Schläge; mit dem letzten Zucken verschwand es.
[...]

(Gustave Flaubert: Salammbô. Zürich 1979, S. 348-351)

(1) konservative Partei der Händler in Karthago
Re: Der elende Matho bei Flaubert
filix schrieb am 19.04.2024 um 03:21 Uhr (Zitieren)
Was ist denn das für eine Übersetzung?
Re: Der elende Matho bei Flaubert
Γραικύλος schrieb am 19.04.2024 um 23:02 Uhr (Zitieren)
Schlecht? - Ich kenne das Original nicht, wohl jedoch eine andere Übersetzung, die ich nicht als wesentlich anders empfinde.
Re: Der elende Matho bei Flaubert
filix schrieb am 20.04.2024 um 16:03 Uhr (Zitieren)
Wesentlich anders vielleicht nicht, aber doch explizit gravitätisch oder phrasenhaft, wo es Flaubert nicht ist - Matho beginnt nicht seinen Gang, sondern schlicht se mit à marcher, bei Cet homme qui marchait vers elle l’attirait ist ein hinzugesetztes magisch der Magie abträglich.

Ungenauigkeiten finden sich auch: une longue forme complètement rouge ist keine lange, rote Masse, sondern eine längliche, vollkommen rote Gestalt, poignets sind Handgelenke, nicht Fäuste, die von den Fesseln ja nicht so in Mitleidenschaft gezogen werden wie erstere.

Bei Ils la félicitaient; c’était son œuvre - über die Bedeutung des Semikolons für Flaubert gibt es Anekdoten und Aufsätze - finde ich in der Übersetzung Sie beglückwünschten sie. Das war ihr Werk den auktorialen Unterton des Indikativs zu dominant, das sich anbietende Matrixverb und der Kontext favorisieren meines Erachtens die indirekte Rede.

Hinzu kommen Unebenheiten selbst für den Sprachgebrauch um 1900, man spricht von der Raserei eher als dem Wahnsinn der Menge, man stillt seine Wut gewöhnlich, statt sie zu sättigen, man brüllt einen Namen statt ihn zu heulen.
Re: Der elende Matho bei Flaubert
Γραικύλος schrieb am 20.04.2024 um 17:10 Uhr (Zitieren)
Danke für die detaillierten Bemerkungen.

Die von mir benutzte Übersetzung stammt von Friedrich von Oppeln-Bronikowski aus der ersten deutschen Gesamtausgabe der Werke Flauberts (1907-1909) und wurde für die 1979 im Diogenes-Verlag erschienene Neuedition revidiert von Franz Cavigelli.

Ich habe noch die Übersetzung von Georg Goyert, 1959 bei Goldmann erschienen.
Einige der von Dir inkriminierten Stellen habe ich verglichen, und anscheinend macht Goyert das besser. Die Fäuste sind Handgelenke, und der Matho ist keine lange, über und über rote Masse, sondern ein rotes Ungefähr. Das Flaubert-Semikolon fehlt allerdings auch bei ihm.
Re: Der elende Matho bei Flaubert
filix schrieb am 20.04.2024 um 20:29 Uhr (Zitieren)
Ich finde die vergleichsweise schlanke, vor 25 Jahren erschienene Übersetzung von Petra-Susanne Räbel recht gelungen. Wo wir schon bei süßen Schrecken sind, hier noch eine Übertragung:

Er gehörte jetzt den Priestern; die Sklaven hatten gerade die Menge auseinandergetrieben, es gab mehr Platz. Mâtho sah sich um, und seine Augen trafen Salammbô.

Von seinem ersten Schritt an hatte sie sich erhoben; dann war sie unwillkürlich, je näher er kam, nach und nach bis zum Rand der Terrasse vorgerückt; und bald, als alle äußeren Dinge zurücktraten, hatte sie nur noch Mâtho erblickt. In ihrer Seele war es still geworden, einer jener Abgründe, in denen die ganze Welt unter dem Druck eines einzigen Gedankens, einer Erinnerung oder eines Blicks verschwindet. Der Mann, der auf sie zuging, zog sie an.

Er hatte außer den Augen kein menschliches Aussehen mehr; er war eine lange, völlig rote Gestalt; seine zerrissenen Fesseln hingen an seinen Schenkeln herab, aber man konnte sie nicht von den Sehnen seiner ganz entblößten Handgelenke unterscheiden; sein Mund stand weit offen; aus seinen Augenhöhlen loderten zwei Flammen, die bis zu seinem Haar zu steigen schienen; und der elende Mann ging immer noch.

Er erreichte gerade den Fuß der Terrasse. Salammbô stand über die Balustrade gebeugt; diese schrecklichen Augen blickten sie an, und ihr wurde bewusst, wie viel er für sie gelitten hatte. Obwohl er im Sterben lag, sah sie ihn in seinem Zelt auf den Knien, er schlang seine Arme um ihre Taille und stammelte süße Worte; sie sehnte sich danach, sie noch einmal zu spüren, sie zu hören; sie wollte schreien. Sie wollte nicht, dass er stirbt. In diesem Moment zuckte Matho zusammen. Er fiel rücklings auf den Boden und rührte sich nicht mehr.

Die fast ohnmächtige Salammbô wurde von den um sie herum eilenden Priestern auf ihren Thron zurückgebracht. Sie beglückwünschten sie zu ihrem Werk. Alle klatschten in die Hände, stampften auf und schrien ihren Namen.

Ein Mann stürzte sich auf die Leiche. Obwohl er keinen Bart hatte, trug er den Mantel der Priester Molochs über der Schulter und ein Messer zum Zerlegen des heiligen Fleisches mit einem goldenen Spatel am Ende des Griffs am Gürtel. Mit einem einzigen Schlag spaltete er Mâthos Brust, dann riss er das Herz heraus, legte es auf den Löffel und Schahabarim hob seinen Arm und brachte es der Sonne dar.

Die Sonne senkte sich hinter den Wellen; ihre Strahlen trafen wie lange Pfeile auf das rote Herz. Das Gestirn versank im Meer, als der Herzschlag immer schwächer wurde; beim letzten Herzschlag verschwand es.


(DeepL, 2024 - trainiert wohl auch an den genannten Übersetzungen)
 
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