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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung? (3819 Aufrufe)
Thomas schrieb am 01.11.2010 um 15:04 Uhr (Zitieren)
Chairete,

ich versuche selber Texte aus dem Neuen Testament zu übersetzen. Mit einem Satz aus dem Matthäusevangelium Kapitel 6, Vers 13 komme ich nicht klar:
καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν, ἀλλὰ ῥῦσαι ἡμᾶς ἀπὸ τοῦ πονηροῦ.
Welche Form ist "εἰσενέγκῃς" ? Das ist doch ein Partizip Aorist Genitiv Singular, oder nicht? Und warum wird es hier als Imperativ übersetzt? Auch "ῥῦσαι" wird eigentlich imperativisch übersetzt, warum?! Wieso sind diese Formen nicht "normal" auf "ε" oder "ετε"???
Wie ist denn nun die richtige (wörtliche!) Übersetzung des Satzes?!

Ich wende mich nun mit noch einem kleinem Hoffnungsschimmer euch zu... könnt ihr mir helfen?
Wenn ja, vielen Dank! :]

LG.
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 01.11.2010 um 15:30 Uhr (Zitieren)
Hallo Thomas,
μὴ εἰσενέγκῃς ist ein Prohibitiv (Verbot) an die zweite Person Sg. εἰσενέγκῃς ist Konj. Aorist 2. Person Aktiv von εἰσφέρω. Der Prohibitiv bei einem konkreten Fall wird mit μὴ und Konj.Aorist ausgedrückt.
ῥῦσαι ist Aorist Imperativ 2. Person von ῥύομαι.

Die wörtliche Übersetzung ist:
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern bewahre uns vor dem Üblen/Schlimmen
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Thomas schrieb am 02.11.2010 um 14:18 Uhr (Zitieren)
Danke Βοηθὸς Ἑλληνικός :]

Ich bin leider beim Lernen der Grammatik des Griechischen noch nicht so weit gekommen, dass ich den Konjunktiv kenne. Aber ja, ich hätte beim lateinischen Text nachschauen können, da ist nämlich auch ein Prohibitiv.
Trotzdem vielen Dank!
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Peter Müller schrieb am 25.11.2014 um 01:11 Uhr (Zitieren)
μὴ εἰσενέγκῃς ist keine Bitte!!! Sondern eine konstatierende Aussage (Aorist Konjunktiv, 2. Person singular)! Übers.: "Und du führst uns nicht in Versuchung (konstatierend-komplexiver Aspekt)" oder "Und du fängst nicht an, uns in Versuchung zu führen (ingressiver Aspsekt)" oder " Und du schaffst es, uns nicht in Versuchung zu führen (effektiver Aspekt)". Teil 2 des Verses ist wiederum Aorist Imperativ: Vielmehr (bitten wir): Erlöse uns von dem Bösen!
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Peter Müller schrieb am 25.11.2014 um 01:11 Uhr (Zitieren)
μὴ εἰσενέγκῃς ist keine Bitte!!! Sondern eine konstatierende Aussage (Aorist Konjunktiv, 2. Person singular)! Übers.: "Und du führst uns nicht in Versuchung (konstatierend-komplexiver Aspekt)" oder "Und du fängst nicht an, uns in Versuchung zu führen (ingressiver Aspsekt)" oder " Und du schaffst es, uns nicht in Versuchung zu führen (effektiver Aspekt)". Teil 2 des Verses ist wiederum Aorist Imperativ: Vielmehr (bitten wir): Erlöse uns von dem Bösen!
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Peter Müller schrieb am 25.11.2014 um 01:13 Uhr (Zitieren)
μὴ εἰσενέγκῃς ist keine Bitte!!! Sondern eine konstatierende Aussage (Aorist Konjunktiv, 2. Person singular)! Übers.: "Und du führst uns nicht in Versuchung (konstatierend-komplexiver Aspekt)" oder "Und du fängst nicht an, uns in Versuchung zu führen (ingressiver Aspsekt)" oder " Und du schaffst es, uns nicht in Versuchung zu führen (effektiver Aspekt)". Teil 2 des Verses ist wiederum Aorist Imperativ: Vielmehr (bitten wir): Erlöse uns von dem Bösen!
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Hylebates schrieb am 25.11.2014 um 10:11 Uhr (Zitieren)
Aber, Peter Müller, der Aspekt des Aorist ist doch unabhängig vom Modus. Βοηθὸς Ἑλληνικός hat doch etwas über den Modus gesagt.
Oder erinnere ich mich da falsch, dass der Konjunktiv eben nicht konstatierend ist?

Die Stelle ist übrigens insofern interessant, als christliche Lehrmeinung ist, Gott führe überhaupt nicht in Versuchung. Da frage ich mich, ob Jesus das nicht wusste, dass Gott sowas sowieso nicht tut. Ich habe von Fundamentalisten gehört, dass sie den Vers einfach ändern ("und führe uns in der Versuchung"); eine Änderung ist natürlich für einen Fundamentalisten ebenso absurd wie der Gedanke, Jesus könnte eine solche Bitte verfassen, von Gott nicht in Versuchung geführt zu werden.
Ausweg ist, und heute morgen habe ich darüber nachgedacht, als ich über die Autobahn gedüst bin: εἰσφέρω soll das Passiv zu (jetzt habe ich keine Tastatur) ienai (gehen) sein.

Ist diese Theorie wohl haltbar? Was meint Ihr dazu?
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 25.11.2014 um 14:48 Uhr (Zitieren)
Ja, Peter Müller, da mußt du genauer nachschauen. Prohibitiv ist ja keine Bitte, sondern ein Verbot, das ausgedrückt wird. μὴ + Konj.Aorist findest du in jeder gr. Grammatik.
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Φιλομαθής schrieb am 25.11.2014 um 15:26 Uhr (Zitieren)
In konstatierenden Aussagen wird zudem die Negation οὐ verwendet. Das mit der "Bitte" hat Peter Müller wohl auf den üblichen Sprachgebrauch bezogen, nach dem man das Vaterunser in sieben Bitten gliedert.

Zitat von Hylebates am 25.11.14, 10:11Ist diese Theorie wohl haltbar? Was meint Ihr dazu?

Ich verstehe das möglicherweise falsch. Du meinst, wie Minus mal Minus Plus ergibt, so könne ein Passivaorist intransitiver Bedeutung kombiniert mit einem kausativen Medium durch eine aktive Form wiedergegeben werden? Da bin ich skeptisch.

Der Jesus des Matthäusevangeliums formuliert sein Gebet mit Blick auf eigene Erfahrung. Gott macht sich zwar nicht selbst die Hände schmutzig - er versucht niemanden (wie es im Jakobusbrief 1, 13 heißt), aber er lässt versuchen: Nach Mt. 4, 1 wird Jesus vom Heiligen Geist in die Wüste geführt, damit er vom Teufel versucht werde. Man kann auch an die Wette um Hiob denken.
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Hylebates schrieb am 25.11.2014 um 21:09 Uhr (Zitieren)
Wette und Teufel sind schon im Gedanken drin, auch der Pharao. Das ist für den Fundamentalisten aber ein wichtiger Unterschied, dass es nicht Gott ist, der versucht.

Es ging mir bei dem Gedanken nicht um Aorist oder Medium, sondern um eine Parallele zu Beispielen wie die Tatsache, dass als Passiv zu ἐκβάλλειν ἐκπίπτειν genommen werden kann, das Passiv von εὗ ποιεῖν durch εὗ πάσχειν ersetzt werden kann(Bornemann-Risch §205). ἁποκτείνειν ἁποθνῇσκειν (da fehlt ein Eta subscriptum mit Akut in der virtuellen Tastatur!) usw.
Meint Ihr, ἅγω könnte also auch "gehen lassen" bedeuten?
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Φιλομαθής schrieb am 25.11.2014 um 22:02 Uhr (Zitieren)
Aber ein solcher Ausdruck des Veranlassens wird doch im Griechischen durch kausatives Medium ausgedrückt (BR § 204, 6), nicht wahr?

Und die in BR § 205, 2 dem Passiv des jeweils anderen Verbs entsprechenden Aktiva sind ja intransitiv. Also lässt sich ἅγω nicht in dieser Funktion gebrauchen, ebensowenig εἰσφέρω.
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Hylebates schrieb am 25.11.2014 um 22:39 Uhr (Zitieren)
Ach ja, intransitive Verben. Das hatte ich nicht mehr auf dem Schirm. Danke.

Meinst Du, dass man auch ein kausatives Medium verwenden könnte? (Man könnte ja auch ein "kausatives Aktiv" verwenden, oder?)
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Φιλομαθής schrieb am 26.11.2014 um 15:19 Uhr (Zitieren)
Stimmt! Die Möglichkeit, eine Verbform kausativ zu übersetzen, besteht unabhängig von der Diathese.

Wenn wir nun aber ein griechisches (oder lateinisches) Aktiv durch eine kausative Phrase (also lassen + Inf.) übersetzen, erweitern wir unsere Übersetzung um eine Information, die im originalen Ausdruck nicht enthalten ist. Dieser erwähnt nur den Veranlasser einer Handlung, nicht aber, ob er sie auch selbst ausgeführt hat.

Die Tatsache, dass wir im Deutschen heute gemeinhin den Unterschied kenntlich machen zwischen einer Handlung, die veranlasst, und einer Handlung, die ausgeführt wird, kann man als Folge einer veränderten gesellschaftlichen Wirklichkeit deuten, da ja noch bei Brecht der lesende Arbeiter fragte: "Wer baute das siebentorige Theben? / In den Büchern stehen die Namen von Königen. / Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?"

Aber, wenn es, wie du sagst, Christen gibt, denen die Unterscheidung zwischen Veranlasser und Vollstrecker wichtig ist, können sie die fraglichen Worte wohl auch mit "lass uns nicht in Versuchung führen" übersetzen. (Moderne Rechtsauffassung allerdings entlässt den Schreibtischtäter nicht aus seiner Verantwortung.)
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Γραικίσκος schrieb am 26.11.2014 um 15:50 Uhr (Zitieren)
Ist nicht Genesis 2, 16 f. eine von Gott geschaffene Versuchung?
Es ist doch psychologisch klar, daß ein Verbot 1. auf die verbotene Sache aufmerksam und sie 2. interessant, reizvoll macht.
Die Schlange (3, 1 ff.) dient hier m.E. nur dazu, Gott von der Verantwortung zu entlasten.

Dies war - etwa zeitgleich - dem Dschuang Dse schon klar, daß Verbote Verbrecher schaffen.
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
efo schrieb am 26.11.2014 um 18:34 Uhr (Zitieren)
Gibt es sprachliche Hinweise, die auf eine kausative Bedeutung schließen lassen oder hilft nur der Kontext?


Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Φιλομαθής schrieb am 27.11.2014 um 13:57 Uhr (Zitieren)
Zum Dschuang Dse fällt mir noch eine ähnliche Äußerung von Lao Tse ein: "Je mehr Gesetze und Verordnungen kundgemacht werden, desto mehr Diebe und Räuber gibt es." (Tao tê king, 57)

Ich denke, dass auch der Jesus, wie ihn Matthäus darstellt, sich der leitenden Rolle Gottes im Versuch(ung)slabor Menschheit bewusst war.

Jedenfalls ist in der sechsten Bitte des Vaterunsers von keiner Beteiligung Dritter an der Versuchung die Rede, auch nicht von einer Beteiligung der im Gebet Eingeschlossenen, die ja hier als Objekt (ἡμᾶς) nur das Ziel der Handlung bilden.

Allerdings ist εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν nicht gleichbedeutend mit πειράζειν, sondern es ist zunächst nur das Hineinbringen in die Prüfungssituation wie es Jesus in Mt. 4, 1 erlebt hat, als ihn der Heilige Geist in die Wüste vor den πειράζων geführt hatte.

Vor dem Hintergrund der taoistischen Gedanken stellt sich neben dem theodizeischen Problem des Gottes als Schöpfer der Sünde und Anreger der Versuchuung noch die Frage, wie ein Mensch aus freiem Willen tugendhaft handeln kann, wenn sein Handeln doch gewissermaßen in ein Korsett von Ge- und Verboten und die Furcht vor (jenseitiger) Bestrafung gebunden ist.

Aristoteles stellt fest, dass eine tugendhafte Handlung nur dann lobenswert ist, wenn sie freiwillig geschieht (Nik. 3, 1 ff.). Den Zwang, den die Gesetze auf das Handeln ausüben, hat er hierbei (glaube ich) nicht im Blick. Anders die Taoisten: Nicht allein der Reiz des Verbotenen macht die ihrer Ansicht nach fatale Wirkung der Gesetze aus, sondern auch die Tatsache, dass unter erzwungener Tugendhaftigkeit die dem freien Willen entspringende Tugend keine Chance hat, sich zu entwickeln. Folge: Eine Gesellschaft, die keine Tugend, sondern nur noch Gesetze kennt.
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Hylebates schrieb am 27.11.2014 um 20:21 Uhr (Zitieren)
Zitat von Φιλομαθής am 27.11.14, 13:57Allerdings ist εἰσφέρειν εἰς πειρασμόν nicht gleichbedeutend mit πειράζειν, sondern es ist zunächst nur das Hineinbringen in die Prüfungssituation wie es Jesus in Mt. 4, 1 erlebt hat, als ihn der Heilige Geist in die Wüste vor den πειράζων geführt hatte.

Das wäre ein Gedanke für die Fundamentalisten!

Bei Euren daoistischen Gedanken habe ich schon immer etwas Unbehagen empfunden, vor allem jetzt als Vater zweier Kinder:
In wie vielen Fällen ist es denn wirklich nur der Reiz des Verbotenen, der zur Übertretung von Verboten führt? Ehrlicherweise kann ich mich nicht erinnern, dass ich etwas getan hätte, weil es verboten ist - ohne dass ich einen anderen Grund gehabt hätte, es zu tun. Ich habe also, soweit ich mich erinnere, nie etwas wegen, sondern höchstens mal trotz eines Verbots getan. Ich weiß, dass es andere gibt, aber wieviele Verbrechen werden denn wohl heute, und vor allem wurden zu Dschuang Dses Zeiten aus Jux und Dollerei verübt?
Sollte ich meinen Kindern nie etwas verbieten, weil sie sonst Dummheiten machen? Wenn ich ihnen nichts verbiete, stellen sie nichts an?

Das ist mein Unbehagen.
Re: Neues Testament Mt 6,13, falsche Übersetzung?
Hylebates schrieb am 04.01.2015 um 19:10 Uhr (Zitieren)
Der Gedanke wurde geäußert, dass es unter Gesetzen kein tugendhaft Handeln geben könne, weil eine gute Handlung dem eigenen Willen, nicht der Furcht vor Strafe entspringen müsse. Mir fiel gerade der römische Begriff Pius ein, der das Befolgen von Geboten eher bezeichnet als heutige Frömmigkeit. Vielleicht ist es allgemein antik, auch jüdisch!
 
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