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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Caesarenwahn? (655 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 29.04.2013 um 18:59 Uhr (Zitieren)
In den letzten Tagen vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bemühte sich ein schwedischer Geschäftsmann namens Birger Dahlerus, durch eine Pendeldiplomatie zwischen London und Berlin zu vermit-teln. Bei dieser Aufgabe begegnete er zweimal Hitler selbst, worüber er nach dem Krieg berichtet hat. Der folgende Textauszug ist von einem Historiker geschrieben, der sich auf die Dahlerus-Darstellung stützt und auch aus dem Originalbericht zitiert.

[...] In der Reichskanzlei war alles dunkel, Hitler war schon zu Bett gegangen. Aber Göring bestand darauf, daß er geweckt wurde. Bis zu diesem Augenblick war Dahlerus, wie so viele andere Menschen auch, der Meinung gewesen, Hitler sei ein vernünftiger Mann und werde vielleicht [...] eine friedliche Lösung akzeptieren. Jetzt sollte der Schwede zum erstenmal die sonderbaren Phantasien und die furchtbare Reizbarkeit des begnadeten Diktators kennenlernen. Es war für ihn erschütternd.
Von Halifax’ Brief, der Göring so wichtig erschienen war, daß er den Führer mitten in der Nacht wecken ließ, nahm Hitler keine Notiz. Statt dessen hielt er dem Schweden einen zwanzig Minuten langen Vortrag über seine Kampfjahre, seine großen Leistungen und alle seine Bemühungen um eine Verständigung mit England. Als dann Dahlerus einwarf, er habe früher einmal in England als Arbeiter gelebt, fragte ihn Hitler über die seltsamen Insel und ihr seltsames Volk aus, das zu verstehen er sich vergeblich bemüht hatte. Anschließend erging er sich in langen, etwas theoretischen Ausführungen über Deutschlands Militärmacht. Inzwischen war sich Dahlerus, wie er sagt, darüber klar geworden, daß bei seinem Besuch „nichts herauskommen würde“. Doch gegen Ende fand der Schwede Gelegenheit, etwas von den Engländern zu erzählen, so wie er sie kennengelernt hatte.

Hitler hörte zu, ohne zu unterbrechen ... dann aber sprang er plötzlich auf. Er wurde sehr aufgeregt und nervös, schritt auf und ab und sagte, als spreche er mit sich selbst, Deutschland sei nicht zu schlagen ... Plötzlich hielt er mitten im Zimmer inne, blieb stehen und starrte in die Luft. Seine Stimme war verschleiert, und er benahm sich wie ein völlig anomaler Mensch. Er sprach in abgehackten Sätzen: „Falls ein Krieg kommen sollte, dann werde ich U-Boote bauen, U-Boote bauen, U-Boote, U-Boote.“ Seine Stimme wurde immer undeutlicher, und zum Schluß konnte man ihm überhaupt nicht mehr folgen. Dann riß er sich zusammen, erhob seine Stimme, als wenn er vor einem großen Publikum spreche, und schrie und schrie: „Ich werde Flugzeuge bauen, Flugzeuge bauen, Flugzeuge, Flug-zeuge, und ich werde meine Feinde vernichten.“ Er erschien mir in diesem Augenblick eher wie ein Phantom aus einer Erzählung als ein wirklicher Mensch. Vor Überraschung habe ich ihn angestarrt und drehte mich dann um, um zu sehen, wie Göring darauf reagierte; aber es machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn.

Schließlich blieb der aufgeregte Kanzler vor seinem Gast stehen und fragte: „Herr Dahlerus, sie kennen doch England gut, können Sie mir den Grund sagen, warum ich niemals zu einer Verständigung mit ihm kommen konnte?“ Dahlerus gesteht, daß er mit der Antwort „zunächst zögerte“; doch dann erwiderte er, nach seiner Auffassung mangele es den Engländern an Vertrauen zu ihm und seiner Regierung.
„Idioten!“ brüllte Hitler, warf seinen rechten Arm hoch und schlug sich mit der Linken auf die Brust: „Habe ich jemals in meinem Leben gelogen?“ [...]

Über eine zweite Begegnung, am Tage des deutschen Einmarsches in Polen (1.9.1939), heißt es:

[...] Die relative Mäßigung, die Hitler sich im Reichstag auferlegt hatte, wich, sobald er in die Reichskanzlei zurückgekehrt war, einer böseren Stimmung. Dahlerus, der von Göring dorthin gerufen worden war, traf Hitler „nervös und erregt“ an.

Er erklärte mir, ihm sei schon immer klar gewesen, daß England den Krieg wolle. Ferner sagte er, er werde Polen zerschlagen und das ganze Land annektieren.
Er wurde immer erregter, begann die Arme zu bewegen und schrie, während er direkt neben mir stand: „Wenn England ein Jahr kämpfen will, so werde ich ein Jahr kämpfen; wenn England zwei Jahre kämpfen will, so werde ich zwei Jahre kämpfen ...“ Hier machte er eine Pause und schrie dann mit noch gellenderer Stimme und wilderen Gesten: „Wenn England drei Jahre kämpfen will, werde ich drei Jahre kämpfen ...“
Nun folgten den Armbewegungen Körperbewegungen, und als er am Schluß laut schrie: „Und wenn es erforderlich ist, will ich zehn Jahre kämpfen“, schwenkte er seine geballte Faust und beugte sich so weit vor, daß diese fast den Boden berührte.


[Quelle: William L. Shirer, Aufstieg und Fall des 3. Reiches. Frankfurt/Main – Wien – Zürich 1962, S. 526 f. und 549; die Darstellung fußt auf Birger Dahlerus’ Buch The Last Attempt - London 1948 -, sowie auf seiner Zeugenaussage vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg.]


War Hitler geisteskrank?
Re: Caesarenwahn?
Φιλομαθής schrieb am 29.04.2013 um 19:32 Uhr (Zitieren)
Gegenfrage: Ist es möglich, dass ein ganzes Volk die Pläne und Entscheidungen eines Geisteskranken nicht nur für vernünftig hält, sondern für unanzweifelbar?
Re: Caesarenwahn?
Γραικίσκος schrieb am 29.04.2013 um 19:40 Uhr (Zitieren)
Ja. Stalin hat einem ganzen (großen) Volk seine Paranoia aufgestülpt.
Chruschtschow berichtet in seinen Erinnerungen, er habe Stalin einmal (1952) sagen gehört: "Ich bin am Ende. Ich traue niemandem mehr, nichteinmal mir selber."
Re: Caesarenwahn?
Γραικίσκος schrieb am 29.04.2013 um 19:42 Uhr (Zitieren)
Geisteskranke können sehr suggestiv sein. Und wenn ihnen dann noch Medien und Geheimpolizei zur Verfügung stehen, wenn sie die Informationen kontrollieren und Abweichler vernichten ...
Re: Caesarenwahn?
Γραικίσκος schrieb am 29.04.2013 um 19:45 Uhr (Zitieren)
Was mich erstaunt, ist, daß ein 'Geisteskranker' (nicht so sehr mit seinem ihm unterworfenen Volk, sondern) mit der unabhängigen Realität soweit fertig wird, daß er halb Europa unterwerfen kann.
Re: Caesarenwahn?
Φιλομαθής schrieb am 29.04.2013 um 20:19 Uhr (Zitieren)
Eben. Wie wahnsinnig ist jemand, der genug Verstand besitzt, um seinen Wahnsinn so weit zu verbergen, dass er in seiner Umgebung nicht auffällig wird?

Eine Person, die sich heutzutage wie Hitler gebärdete, würde fraglos für therapiebedürftig angesehen werden. Dies im Rahmen dessen, was wir für normale Umgangsformen halten.

Vor 90 Jahren muss eine solche Erscheinung auf einen großen Teil der deutschen Bevölkerung vertrauenerweckend gewirkt, d. h. nicht die Deutschen kollektiv manipuliert und auf sich ausgerichtet, sondern sich selbst einer kollektiven Projektion nachgebildet und untergeordnet haben.
Re: Caesarenwahn?
Γραικίσκος schrieb am 29.04.2013 um 20:26 Uhr (Zitieren)
Vor 90 Jahren muss eine solche Erscheinung auf einen großen Teil der deutschen Bevölkerung vertrauenerweckend gewirkt, d. h. nicht die Deutschen kollektiv manipuliert und auf sich ausgerichtet, sondern sich selbst einer kollektiven Projektion nachgebildet und untergeordnet haben.


Paßt das zu dem, was Birger Dahlerus berichtet?
Waren die Deutschen damals dermaßen ... verrückt, daß Hitler ihren Geisteszustand gewissermaßen abbildete?
Bedenke, daß Hitler in freien Wahlen nie mehr als 37 % der Stimmen erhalten hat.
Re: Caesarenwahn?
Φιλομαθής schrieb am 29.04.2013 um 20:41 Uhr (Zitieren)
'Die Deutschen' hab ich ja auch nicht geschrieben, nur einen großen Teil (was 37 % sind).

Ich meinte auch nicht, dass die Unterstützer und Wähler Hitlers verrückt waren, sondern dass uns möglicherweise verrückt erscheint, wenn wir einzelne Denk- und Verhaltensweisen aus dem Rahmen lösen, der damals die 'normale' Realität war.
Re: Caesarenwahn?
Φιλομαθής schrieb am 29.04.2013 um 20:44 Uhr (Zitieren)
... sondern dass uns möglicherweise verrückt erscheint, wenn wir einzelne Denk- und Verhaltensweisen aus dem Rahmen lösen, der damals die 'normale' Realität war.

... sondern dass uns einzelne Denk- und Verhaltensweisen möglicherweise verrückt erscheinen, wenn wir sie aus dem Rahmen lösen, der damals die 'normale' Realität war.
Re: Caesarenwahn?
Hylebates schrieb am 30.04.2013 um 10:37 Uhr (Zitieren)
Ich habe einmal einen Artikel gelesen, in dem es um die Frage ging, wer wem folgt. Es gibt wohl diese Schwarmfische, die ... naja, im Schwarm schwimmen. Da nimmt wohl jeder die Bewegung des Schwarms auf und folgt ihr. Die Bewegung des Schwarms sind aber die der einzelnen Fische. Forscher, wer auch immer das sein soll, haben beobachtet, dass desorientierte Fische, also in diesem Fall solche, die die Richtung nicht halten konnten, den Schwarm so beeinflusst haben, dass er ihren ziellosen, ja irren Bewegungen gefolgt ist.
Eine ähnliche Beobachtung hat man wohl bei Affen gemacht, die Einzelheiten kenne ich aber nicht mehr. Die Schlussfolgerung war, dass Herden dem Individuum eher folgen, dass einen Plan zu haben scheint, d.h. das zielstrebig ein Ziel zu verfolgen scheint. Vielleicht ist es bei Soziopathen auch so: Der Demokrat, der Verhandler etc. folgt seinem Kurs nicht so zielstrebig wie der Wahnwitzige, der autistisch Veranlagte, der Manische.
Vielleicht ist die breite Masse der Menschheit eher darauf angelegt, dem starken Mann zu folgen als demokratisch eine Entscheidung zu finden, die eine Weile erörtert werden muss.
Re: Caesarenwahn?
ανδρέας schrieb am 30.04.2013 um 18:28 Uhr (Zitieren)
Heute stand in der SZ ein Artikel über den Hitler-Biografen Ian Kershaw (er wird 70):
So hat er den schwelenden Kampf zwischen den "Intentionalisten" und den "Funktionalisten" auf fast schon diplomatische Weise beigelegt. Die ersten sahen in der Person Hitlers den Ursprung der NS-Verbrechen, während die "Funktionalisten" - angeführt von Hans Mommsen - der NS-Verbrechens-Maschinerie eine eigene Dynamik zuschrieben. Kershaws salomonisches Ergebnis: Beide Seiten haben ein bisschen Recht.

[quote]Adolf Hitler betrachtet er als Ausnahmeerscheinung. "Ohne Hitler": kein SS-Staat, kein großer Krieg in Europa, kein Angriff auf die Sowjetunion. Und "ohne Hitler" auch keine Shoah. Aber seine Macht habe Hitler nicht allein erworben, sie sei ihm von den Deutschen zugeschrieben worden. Hitler hatte Charisma nur insofern, als die Gesellschaft ihre Vorstellung von einem starken Führer auf ihn projizierte.

http://www.sueddeutsche.de/kultur/ian-kershaw-zum-geburtstag-fleissiger-ritter-1.1661154

Ein ganzes Volk kann kaum verrückt werden - nur verführt. Wenn die Umstände passen, lässt es sich leicher verführen. Hitler wusste, was er tat. Insofern ist er schuldfähig.Schlimm, wenn er verrückt und es anders wäre.
Re: Caesarenwahn?
Γραικίσκος schrieb am 01.05.2013 um 08:55 Uhr (Zitieren)
Mir fällt auf, daß niemand auf die Szenen eingeht, die Dahlerus beschreibt und denen sich andere Beschreibungen anderer Augenzeugen an die Seite stellen lassen.
Was macht Hitler da? Was passiert da mit ihm?
Ist das nicht geisteskrank?
 
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