Φιλομαθής schrieb am 06.11.2014 um 15:43 Uhr (Zitieren)
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 07.11.2014 um 23:06 Uhr (Zitieren)
Eine sehr gute Analyse, Φιλομαθής. Ich denke nur, dass das jetzt etwas zu philologisch war für einige andere....;-)
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 07.11.2014 um 23:08 Uhr (Zitieren)
Im Übrigen möchte ich dir danken für den Aufwand, den du für diesen Artikel betrieben hast.
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Φιλομαθής schrieb am 08.11.2014 um 13:58 Uhr (Zitieren)
Mein Anliegen war, vom Darüberreden wieder zu inhaltsorientierten Beiträgen zurückzukehren. Auf weitergehende Projektierung kann, wie ich meine, verzichtet werden (schließlich geht es nicht darum, zu einer Südpolarexpedition aufzubrechen). Form und inhaltlicher Schwerpunkt des Dialogs (sofern einer entsteht) werden sich dem Geschmack der Teilnehmer im Verlauf anpassen.
Das muss ich zurücknehmen. Die Anrede des Charon mit ὦ πορθμεῦ ist hier wohl nicht aus der Situation geboren, sie zieht sich im Wechsel mit ὦ Χάρων durch den ganzen Dialog.
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Hylebates schrieb am 08.11.2014 um 21:44 Uhr (Zitieren)
Das ist ganz phantastisches Griechisch! Sozusagen ein Partizip, das die Umstände angibt, das Prädikat, das daraus resultiert, aber die Hauptaussage trägt, ein Partizip, das die Umstände der Beobachtung nennt. Das ist vielleicht von mir umständlich ausgedrückt, aber die semantische Dichte, die Lukian hier bringt, ist atemberaubend. Und das alles in einem indirekten Fragesatz - unmöglich im Deutschen!
Wie geht Ihr eigentlich bei der Übersetzung von Partizipien vor? Ich übersetze sie erst wörtlich und finde mich dann zurecht:
"Welcher Dinge beraubt sie klagen herunterkommend"
Quasi: "Warum sie klagen, wenn sie herunterkommen", oder "durch welchen Verlust sie klagen", wobei στερούμενοι kausal sein muss.
αἰτησάμενος muss wohl "sich erbitten", "für sich fordern" heißen, oder? Das, was man den Schülern als indirekt reflexive Verwendung des Mediums beibringt!
Wie ich diese Wörter liebe! "Medium"!, "indirekt reflexiv"!
λιπόνεως: "Deserteur vom Schiff oder Seedienst": Charon spricht hier wahnsinnig ironisch. Lukians Leser werden gelacht, oder noch besser geschmunzelt haben. Charon der Deserteur von seinem eigenen Kahn!
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Hylebates schrieb am 08.11.2014 um 22:10 Uhr (Zitieren)
Aber eigentlich sollte zuerst kommen:
Auch ich danke Dir, Φιλομαθής, für Deine Gedanken. Interessant und lehrreich.
[quote]ξεναγήσεις γὰρ εὖ οἶδ᾽ ὅτι με συμπερινοστῶν καὶ δείξεις ἕκαστα ὡς ἂν εἰδὼς ἅπαντα.[/quoteInteressant ist die "Bewegung": Nach einer Beobachtung an seinen Passagieren beginnt Charon aus "mitleidiger Neugier" den Weg ans Licht. Dort will er alles wissen. Ich hatte kurz überlegt, ob das ein philosophischer Weg ist, der der Menschlichkeit entspringt; denn wir haben hier: Neugier, Licht, Wissen - quasi der Wunsch nach Erleuchtung, nach Aufklärung.
Beim Wort συμπερινοστῶν musste ich an Odysseus denken (ist aber assoziativ). Er hat einen ähnlichen Drang, Dinge zu "erfahren", indem er sie ausprobiert.
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Φιλομαθής schrieb am 09.11.2014 um 23:33 Uhr (Zitieren)
Bei dieser verknoteten Konstruktion, bei der das Fragewort Objekt eines p. c. ist, kann man kaum anders vorgehen, wenn man eine Übersetzung herstellen will, die sich Wort für Wort rechtfertigt. Da sich das p. c. unmöglich zugleich als Frage- und Kausalsatz übersetzen lässt, kann man sich damit behelfen, dass man die Verhältnisse umkehrt und das Prädikat als Konsekutivsatz übersetzt: "welcher Dinge sie beraubt worden sind, dass sie alle weinen, wenn sie herunterkommen".
Von dieser Überlegung ausgehend, könnte man den Aufstieg des Charon ἐς τὸ φῶς vielleicht als Parodie auf Aristoteles' Höhlengleichnis lesen.
Von dieser Überlegung ausgehend, könnte man den Aufstieg des Charon ἐς τὸ φῶς vielleicht als Parodie auf Aristoteles' Höhlengleichnis lesen.
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Hylebates schrieb am 10.11.2014 um 19:37 Uhr (Zitieren)
Ich wollte nicht so weit gehen, Platons Höhlengleichnis (Aristoteles' kannte ich noch gar nicht) anzuführen. Mir kam es bisher zu assoziativ vor. Den Gedanken der Parodie finde ich aber interessant. Darf ich sammeln?
* Charon "entwischt" (mit Erlaubnis)
* er trifft oben einen (unwilligen) Gott
* er ist nicht gerade überwältigt von den Dingen der Menschen
* die Unteren haben nichts, wünschen sich das Obere zurück
Im anderen Thread hatte ich ja nach dem Motiv des auf der Erde wandelnden (Toten)Gottes gefragt, von dem ich vor ca. 15 Jahren begeistert war. Kennt Ihr weitere Beispiele?
Hylebates schrieb am 10.11.2014 um 21:06 Uhr (Zitieren)
Das ist gut!
In diesen Komplex gehören dann ja auch Philemon und Baucis und dieses Brecht-Stück, Der gute Mensch von Sezuan.
Charon, Death (von Gaiman) und Joe Black wollen sehen, wie es auf der Erde ist;
Jesus, Mahadöh (so heißt er doch?), die Götter im guten Menschen wollen den Menschen beurteilen;
Jesus will den Menschen erlösen.
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Φιλομαθής schrieb am 10.11.2014 um 21:12 Uhr (Zitieren)
Es war schon Aristoteles gemeint*. Mit Platons Höhlengleichnis lässt sich wegen der sehr speziellen Versuchsanordnung (Fesselung der Probanden etc.) nur schwer eine Analogie zum Lukiantext herstellen. Das aristotelische Höhlengleichnis bietet hier mehr Parallelen. Gleichwohl hat Aristoteles sein Höhlengleichnis als Antwort auf Platon verfasst.
Platon behauptet mit seinem Höhlengleichnis, dass wir über die Welt der Erscheinungen aufgrund der Selbstverständlichkeit, mit der wir sie wahrnehmen, falsch urteilen. Weil wir nicht die wahre Ursache der Erscheinungen erkennen, bewerten wir sie zu hoch. Aristoteles hält dagegen: Mag sein, dass wir die Welt der Erscheinungen aus Gewohnheit falsch beurteilen. Aber dann wäre es auch möglich, dass wir sie nicht über-, sondern unterbewerten.
In der Gegenüberstellung der Höhlengleichnisse wird das Verhältnis beider Philosophen zur wahrnehmbaren Welt in ähnlich kondensierter Form anschaulich wie in dem durch Handzeichen geführten Dialog auf Raffaels "Schule von Athen".
Nicht anders als die Bewohner von Aristoteles' Höhle kann Charon bei Lukian ex illis abditis sedibus evadere in haec loca, quae nos incolimus, atque exire. Als Peripatetiker avant la lettre treibt ihn sein Interesse an τὰ ἐν τῷ βίῳ an die Erdoberfläche.
__________ *) Das aristotelische Höhlengleichnis ist überliefert bei Cicero (nat. 2, 95).
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Hylebates schrieb am 10.11.2014 um 21:17 Uhr (Zitieren)
Ich weiß, dass Du Aristoteles' meintest, ich hatte aber in meiner Unwissenheit nur wegen des Aufstiegs an Platons gedacht.
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2014 um 17:55 Uhr (Zitieren)
Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, auf welches Werk des Aristoteles Cicero sich bezieht?
Der Kommentarf erwähnt dies nur als Aristoteles-Fragment.
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 11.11.2014 um 19:55 Uhr (Zitieren)
In der Reclamausgabe De natura deorum steht unter Anmerkung 351 in Bezug zu der Stelle:
Vgl. De philosophia, Fragment 12 (Rose).
Re: Zu Lukians Charon, Kap. 1
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2014 um 23:20 Uhr (Zitieren)