Φιλομαθής schrieb am 25.11.2015 um 22:07 Uhr (Zitieren)
Während seiner letzten Wochen in Turin, in die die bekannte Episode der Umarmung eines Pferdes fällt, überzog Nietzsche halb Europa mit kruden Briefen, die er meist mit "Der Gekreuzigte" oder "Dionysos" unterzeichnete, den sogenannten "Wahnsinnszetteln". Natürlich antworte niemand auf diese Zumutungen. Seine Freunde im Norden gelangten jedoch zu dem Schluss, dass man den Delirierenden zurückholen und psychiatrischer Obhut unterstellen müsse.
Niemand antwortete? - Doch: einem der Adressaten gelang es, eine Erwiderung zu verfassen, die Nietzsches Schreiben in ihrer Verstiegenheit noch übertrumpfte. An den Eingang seines Briefes setzte er einen griechischen Vers. Welchen? Und wer war der Mann?
Re: Post aus Turin
filix schrieb am 26.11.2015 um 11:51 Uhr (Zitieren)
Der unterfertigende Gott hieß Strindberg und eröffnete die auf Lat. verfasste Antwort mit dem Vers θέλω, θέλω μανῆναι! - "Ich will, ich will rasen!" aus der Anakreonteia.
Re: Post aus Turin
filix schrieb am 26.11.2015 um 12:01 Uhr (Zitieren)
Schade eigentlich, dass sich diese folie à deux postale nicht fortgesetzt hat - Nietzsche wirkt in seiner stotternden Antwort ein wenig überrumpelt von so viel Anschlussfähigkeit: "Eheu ... nicht mehr divorçons?"
Re: Post aus Turin
Φιλομαθής schrieb am 26.11.2015 um 13:10 Uhr (Zitieren)
Gratulation! Wiederum alles richtig! Ich setze die drei Briefe, von denen die Rede ist, noch einmal her:
Nietzsche an Strindberg (ohne Datum):
Strindberg an Nietzsche, Holte am 31.12.1888:
Nietzsche an Strindberg (ohne Datum):
Ja, dieses "Divorçons ..." erweckt fast den Eindruck, als wäre Nietzsches Abschied in den Wahnsinn eine bewusste Entscheidung gewesen.
Die Carmina Anacreontea übrigens (der zitierte Vers steht im 9. und im 12. carmen) sind letztes Jahr in einer hübschen, zweisprachigen (gemessen am Umfang allerdings nicht ganz preiswerten) Ausgabe mit ordentlichem Kommentar bei Reclam (Hg. Silvio Bär et al.) erschienen.