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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Eine Frage zu Plutarch (1037 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 16.09.2016 um 10:48 Uhr (Zitieren)
In seiner Titus-Biographie Kap. 13 berichtet Plutarch, wie Titus auf seinem Feldzug gegen Philipp von Makedonien die Griechen befreit hat und bei ihnen - jetzt kommt's - 1200 Römer vorfindet, die von Hannibal gefangengenommen und in die Sklaverei verkauft worden waren.
Titus verzichtet darauf, den Eigentümern diese Sklaven wegzunehmen; aber die dankbaren Griechen kauften sie von sich aus los.

Bei seinem anschließenden Triumph in Rom bilden diese heimgekehrten Gefangenen den Höhepunkt des Festzuges: "Das Haar kurz geschoren, das Haupt mit einem Hut bedeckt, wie es Sitte ist bei freigelassenen Sklaven."

Meine Frage lautet: Wurden diese ehemaligen römischen Bürger & Legionäre in Rom tatsächlich von rechts wegen als Freigelassene eingestuft? Ihnen wurden nicht die vollen Bürgerrechte wiedergegeben?
Re: Eine Frage zu Plutarch
Φιλομαθής schrieb am 16.09.2016 um 17:33 Uhr (Zitieren)
Schwierige Frage. Es wird sich bei der Kopfrasur für den Triumphzug wohl um einen symbolischen Akt gehandelt haben, der nicht eigens vermerkt worden wäre (auch bei Livius 34, 52), wenn er nicht so außergewöhnlich gewesen wäre. In späterer Zeit hätte das ius postliminii die Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtsstatus der Befreiten geregelt, nur ist unklar, ob damals bereits eine vergleichbare Rechtsnorm inkraft war.
Re: Eine Frage zu Plutarch
filix schrieb am 16.09.2016 um 21:35 Uhr (Zitieren)
Ich denke auch, dass es sich um die symbolische Darstellung der Freilassung und des Dankes handelt (die Übersetzung der Loeb-Ausgabe these men shaved their heads and wore felt caps legt die Betonung zudem auf die Selbstrasur).

Polybios überliefert ein Beispiel für einen solchen Akt, der durch seine Überdetermination die angestrebte Wirkung verfehlt. Prusias II. Kynegos, König von Bithynien, begibt sich nach Rom, um dort Senat und Volk Glückwünsche und Dank für den Sieg über Perseus und Genthios zu übermitteln:

"... als römische Gesandte zu ihm kamen, trat er ihnen entgegen mit geschorenem Kopf, mit Pileus (einer Filzkappe), Toga und römischen Schuhen angetan, überhaupt in der Tracht, die bei den Römern die soeben Freigelassenen, Liberti, wie sie sie nennen, tragen. Er grüßte die Gesandten und sagte: Ihr seht in mir euren Freigelassenen, der alles, was bei euch Sitte ist, nachahmen, der euch ganz zu Diensten sein will. Ein Ausspruch wie man sich ihn nicht würdeloser denken kann." (30.18 - Übersetzung: Hans Drexler)

Re: Eine Frage zu Plutarch
Γραικίσκος schrieb am 17.09.2016 um 13:35 Uhr (Zitieren)
Danke zunächst für die Parallelstelle bei Livius.

Von einer bürgerfreundlichen Interpretation der Szene hält mich auch die vorangehende Haltung des Titus ab, der sich weigert, die Sklaven ihren Besitzern - gegen Entschädigung oder ohne - abzunehmen, sodaß die Griechen selber dies erledigen.
Mein erster Eindruck war, daß dies eine Härte ist, die man mit Respekt vor dem Eigentumsrecht nur mühsam erklären kann.

Der Akt des Prusias ist eine freiwillige Demütigung, die zudem bei ihren Adressaten schlecht ankommt. Sollte man ein solches Verhalten von römischen Bürgern erwarten?

Es wird ja bei Plutarch gesagt, daß sich im Heer des Titus Verwandte dieser Sklaven befanden, die unter dieser Begegnung gelitten haben. Wie werden sie dann die Szene beim Triumphzug empfunden haben?
Das Ganze kommt mir inhuman vor - bei aller Vorsicht gegenüber der Tendenz, moderne Maßstäbe an antike Phänomene anzulegen.

In die Gefangenschaft des Gegners zu geraten, galt unter Römern und Griechen als nicht ehrenvoll, oder?
Re: Eine Frage zu Plutarch
Φιλομαθής schrieb am 17.09.2016 um 21:20 Uhr (Zitieren)
Zitat von Γραικίσκος am 17.9.16, 13:35In die Gefangenschaft des Gegners zu geraten, galt unter Römern und Griechen als nicht ehrenvoll, oder?

Es lässt sich hier kaum ein einheitliches Bild zeichnen. Einerseits zeigt ja der Umstand, dass ein Instrument wie das postliminium existierte, dass nichts Ehrenrühriges darin lag, in Gefangenschaft geraten zu sein. Auch lesen wir bei Livius (22, 59), dass der Freikauf von Kriegsgefangenen durch die Römer immer wieder vorkam: es wird mitgeteilt, dass die Gefangenen aus der Schlacht an der Allia den Galliern und die aus der Schlacht von Herakleia dem Pyrrhus abgekauft worden waren.

Andererseits wurden die Gefangenen aus der Schlacht von Cannae, die Hannibal den Römern zum Verkauf anbot, (offenbar vor allem auf Initiative des T. Manlius Torquatus) nicht ausgelöst (Liv. 22, 58-61), und schon die Worte, mit denen Livius den Redner der abgesandten Kriegsgefangenen seinen Vortrag beginnen lässt, kennzeichnen die Härte, die der römische Staat Kriegsgefangenen aus den eigenen Reihen gegenüber zeigte: Nemo nostrum ignorat nulli umquam civitati viliores fuisse captivos quam nostrae.

Jedenfalls aber hätte Flamininus wohl zunächst der Zustimmung des Senats bedurft, wenn er die Sklaven hätte freikaufen wollen.

Zitat von Γραικίσκος am 17.9.16, 13:35Sollte man ein solches Verhalten von römischen Bürgern erwarten?

Zumindest Plutarch scheint das nicht für abwegig gehalten zu haben. Im Text steht ταῦτα δράσαντες - nachdem sie dies getan hatten, wobei sich ταῦτα auf ξύρεσθαί τε τὰς κεφαλὰς καὶ πιλία φορεῖν bezieht. Ξύρεσθαί muss hier also medial aufgefasst werden: sie schoren sich selbst.

Zitat von Γραικίσκος am 17.9.16, 13:35Verwandte dieser Sklaven ... Wie werden sie dann die Szene beim Triumphzug empfunden haben?

Bei Plutarch heißt es, dass die Befreiten den Triumphator unmittelbar begleiteten (παρείποντο), Livius schreibt, dass sie dem Triumphzug Glanz verliehen (praebuerunt speciem triumpho). Ich glaube, beides spricht gegen eine demütigende Inszenierung der Befreiten.
Re: Eine Frage zu Plutarch
Φιλομαθής schrieb am 17.09.2016 um 21:22 Uhr (Zitieren)
die Hannibal den Römern zum Verkauf Kauf anbot
Re: Eine Frage zu Plutarch
filix schrieb am 17.09.2016 um 23:24 Uhr (Zitieren)
Livius schreibt, dass sie dem Triumphzug Glanz verliehen ...


Drückt "praebuerunt speciem triumpho" nicht eher aus, dass sie "einen (erstaunlichen) Anblick boten beim Triumph"? Dessen ungeachtet macht auch Livius durch ihre Position im Triumphzug klar, dass sie sich an der Seite der Sieger befinden.

Sollte man ein solches Verhalten von römischen Bürgern erwarten?


Warum nicht? Die Anekdote aus Polybios demonstriert ja nicht die Untauglichkeit per se dieser der manumissio entnommenen Freiheitssymbolik in anderen Kontexten zu funktionieren. Man denke auch an den Pileus, der als Symbol der Freiheit zwischen zwei Dolchen auf einer Münze abgebildet ist, die Brutus prägen ließ.

Welche Alternativen hätte es im Übrigen gegeben, in einem so eminent theatralischen Unternehmen wie dem Triumph die Befreiung aus der Sklaverei für den Betrachter unmittelbar verständlich darzustellen?

Nebenbei - wie soll man eigentlich die Kopfrasur, die für uns ja eher ein Ausdruck der Demütigung bzw. des gesellschaftlichen Ausstoßes ist, im ursprünglichen Zusammenhang der Freilassung als positives Symbol deuten?
Re: Eine Frage zu Plutarch
Γραικίσκος schrieb am 18.09.2016 um 00:24 Uhr (Zitieren)
Welche Alternativen hätte es im Übrigen gegeben, in einem so eminent theatralischen Unternehmen wie dem Triumph die Befreiung aus der Sklaverei für den Betrachter unmittelbar verständlich darzustellen?


Das leuchtet mir ein.

Nebenbei - wie soll man eigentlich die Kopfrasur, die für uns ja eher ein Ausdruck der Demütigung bzw. des gesellschaftlichen Ausstoßes ist, im ursprünglichen Zusammenhang der Freilassung als positives Symbol deuten?


Hypothese: So wie man dem Triumphator einen Sklaven an die Seite stellte, der ihm (immer wieder?) sagen mußte: "Bedenke, daß du sterblich bist!", so könnte der Brauch der Kopfrasur dem Rasierten signalisieren: "Bedenke, daß du (nur) ein Freigelassener bist!" D.h. es stellt dem an sich positiven Akt eine Einschränkung an die Seite - zumal der Freigelassene ja zur Klientel des Freilassers gehörte und diesem gegenüber verpflichtet blieb.

Daß im hier diskutierten Falle die Betroffenen sich selber den Kopf rasiert haben, akzeptiere ich als Hinweis. Aber sie griffen damit auf einen bestehenden Brauch zurück.
Re: Eine Frage zu Plutarch
Φιλομαθής schrieb am 18.09.2016 um 00:36 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 17.9.16, 23:24Nebenbei - wie soll man eigentlich die Kopfrasur, die für uns ja eher ein Ausdruck der Demütigung bzw. des gesellschaftlichen Ausstoßes ist, im ursprünglichen Zusammenhang der Freilassung als positives Symbol deuten?

Weitere Hypothese: Den jungen Römern wurden ja, wenn sie die toga virilis anlegten, also die Mündigkeit erlangten, ebenfalls die Haare abgeschnitten. Vielleicht handelt es sich also bei der Rasur des Freigelassenen um einen analogen Initiationsritus.

Zitat von filix am 17.9.16, 23:24Drückt "praebuerunt speciem triumpho" nicht eher aus, dass sie "einen (erstaunlichen) Anblick boten beim Triumph"?

Das wäre sicher auch möglich. Ich hatte mich an der ähnlichen Stelle 9, 40, 15 f. orientiert: Dictator ex senatus consulto triumphavit, cuius triumpho longe maximam speciem captiva arma praebuere. tantum magnificentiae visum in iis, ut aurata scuta dominis argentariarum ad forum ornandum dividerentur.
Re: Eine Frage zu Plutarch
Φιλομαθής schrieb am 18.09.2016 um 22:05 Uhr (Zitieren)
Bei Livius findet man weitere Stellen, die zeigen, dass es offenbar nicht unüblich war, dass aus der Kriegsgefangenschaft befreite Soldaten an Triumphzügen in der Aufmachung von Freigelassenen teilnahmen. So folgten dem Scipio Africanus während seines Triumphes der den pilleus tragende Senator Q. Terentius Culleo (Liv. 30, 45, 5: secutus Scipionem triumphantem est pilleo capiti imposito Q. Terentius Culleo, omnique deinde vita, ut dignum erat, libertatis auctorem coluit; vgl. auch Liv. 38, 55) und dem Triumphwagen des Gaius Cornelius Cethegus befreite Kolonisten aus Cremona und Placentia (Liv. 33, 23, 6: ceterum magis in se convertit oculos Cremonensium Placentinorumque colonorum turba, pilleatorum currum sequentium).

Die Frage, inwiefern das Abschneiden der Haare als positives Symbol gewertet werden konnte, kann man evtl. auch damit in Verbindung bringen, dass im Gegensatz hierzu das Wachsenlassen der Haare ein Ausdruck der Trauer war, wie das Beispiel des exilierten Cicero demonstriert.

Ernst Samter stellt eine Parallele zwischen Freilassungs- und Hochzeitszeremonien her und vermutet, dass es sich beim Abschneiden der Haare um ein Haaropfer handelte, das in Verbindung mit der Bedeckung des Kopfes durch den pilleus einen Aufnahme- oder Einweihungsritus bildete. - Familienfeste der Griechen und Römer, Berlin 1901, S. 44-46 u. 59.
https://archive.org/details/familienfesteder00samt

In einer Fußnote wird hier Nonius Marcellus zitiert, der in der Rasur der Freigelassenen dasselbe Haaropfer zu erkennen meinte, das von denen, die einem Schiffbruch entronnen waren, vollzogen wurde (vgl. Juvenal, sat. 12, 81): qui liberi fiebant, ea causa calvi erant, quod tempestatem servitutis videbantur effugere, ut naufragio liberati solent.
Re: Eine Frage zu Plutarch
filix schrieb am 18.09.2016 um 23:29 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank für die Anregungen bzw. Recherche. Das Haaropfer scheint mir ein interessanter Erklärungsversuch - das, wie Samter es nennt, Substitutionsopfer bedeutete demnach auch den symbolischen Tod des Menschen, wenn gilt, was Mischa Meier mit Blick auf Euripides, Vergil und Statius schreibt: "Nach in der Antike verbreiteter Anschauung bedeutete es den Tod eines Menschen, wenn ihm sein Haar genommen wurde." So erfüllte die Handlung als Übergangsritus abgesehen von der primär religiösen auch die Funktion der Darstellung des Untergangs des bisherigen Lebens als Sklave.
 
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