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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Hesiod in der DDR (686 Aufrufe)
filix schrieb am 10.11.2018 um 22:54 Uhr (Zitieren)
In Krieg ohne Schlacht erzählt Heiner Müller u.a. von den Irrwitzigkeiten der literarischen Zensur in der DDR.
Konflikte mit staatlichen Stellen drehten sich dabei nicht nur um Sprachregelungen (wer etwa Oktoberumwälzung statt Oktoberrevolution schrieb, war schon verdächtig), sie betrafen auch „verderbliche“ Einflüsse antiker Textstellen, selbst wenn diese der, folgt man der Darstellung des Dramatikers, von den Führungseliten sehr zwiespältig gesehene Brecht und seine Entourage beackert hatten. Zahlreiche seiner Texte erschienen daher zunächst bei Suhrkamp, ehe sie in der zensierten Version des Aufbau-Verlags auf die Bürger des Arbeiter-und-Bauern-Staates losgelassen wurden:

Oder der Hofmeister-Band1. In der Aufbau-Ausgabe fehlen vier oder fünf Zeilen. Zu den »Übungsstücken« gehört ein Text von Hesiod in der Übersetzung von Schadewaldt2. Bei den im Hesiod-Text fehlenden vier oder fünf Zeilen ist von Nacktheit die Rede: »Nackt folge der Jüngling dem Pfluge, nackt sei der Säer zumal«3. Das durfte nicht gedruckt werden. Das Argument des Amts für Literatur war, das könnte bei den gerade neu gegründeten LPGs Furore machen. Dann fangen die alle an, nackt auf dem Feld herumzulaufen. Der eigentliche Grund war aber wahrscheinlich der Kampf Bechers um die Moral, das heißt um die Macht, in Ahrenshoop. Becher hatte gehört, in Ahrenshoop laufen nackte Menschen über die Straße, es wird nicht mehr nur nackt gebadet.
Becher hatte sich sofort, als er das gehört hatte, in seinen Dienstwagen geworfen und ließ sich nach Ahrenshoop fahren, um gegen diesen Sittenverfall einzuschreiten. Auf der Dorfstraße kam ihm ein Trupp Nackter entgegen, an der Spitze seine Kreatur Alexander Abusch. Das war der Hintergrund. Becher war eine kranke Figur. Vielleicht auch eine tragische, aber irgendwo hört die Tragödie auf und wird Komödie.

H. Müller: Krieg ohne Schlacht, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994, S. 105f.

1 Gemeint ist Brechts Bearbeitung der Tragikomödie Der Hofmeister von J.M.R. Lenz.
2 Es handelt sich m.E. tatsächlich um das Übungsstück Der Wettlauf des Homer und Hesiod (selbst ein Art Übungsstück), das sich auf Wolfgang Schadewaldts Übertragung der altrömischen Homerlegende, des sogenannten Certamen Homeri et Hesiodi, stützt.
3 Hesiod: Werke und Tage, V. 390f.



Ob es bei dieser Anleitung Hesiods um ideale klimatische Bedingungen für die beschriebenen Tätigkeiten geht oder um Fruchtbarkeitsmythen, ist anscheinend bis heute umstritten.
Re: Hesiod in der DDR
filix schrieb am 10.11.2018 um 22:58 Uhr (Zitieren)
Korr.: ... des sogenannten Certamen Homeri et Hesiodi (selbst ein Art Übungsstück) ...
Re: Hesiod in der DDR
Φιλομαθής schrieb am 11.11.2018 um 21:06 Uhr (Zitieren)
Etwas unfair, dass Müller den blinden Homer gegen Hesiod ausgerechnet in einem Wettlauf antreten lässt.
Re: Hesiod in der DDR
filix schrieb am 11.11.2018 um 21:31 Uhr (Zitieren)
:D Allerdings. Den Titel des Brechtschen Übungsstückes hat jedoch nicht H. Müller zu verantworten, den fand ich in einer Ausgabe von Sinn und Form aus 1957. Womöglich spielte da der Wettlauf von Odysseus und Ajax hinein, in der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe, von der ich nur wenige Bände habe, heißt es natürlich korrekt Wettkampf ....
Re: Hesiod in der DDR
Γραικίσκος schrieb am 12.11.2018 um 14:27 Uhr (Zitieren)
In der Bundesrepublik, etwa bei den populären Ausgaben antiker Klassiker im Wilhelm Goldmann Verlag, behalf man sich bei sittlich kritischen Stellen damit, sie unübersetzt zu lassen.
An dergleichen erinnere ich mich etwa bei Juvenals Satiren.
Re: Hesiod in der DDR
Φιλομαθής schrieb am 13.11.2018 um 13:49 Uhr (Zitieren)
Becher war eine kranke Figur. Vielleicht auch eine tragische, aber irgendwo hört die Tragödie auf und wird Komödie.

Tragisch kann man es auch nennen, dass der dichtende Funktionär Becher den expressionistischen Dichter weitgehend aus der allgemeinen Wahrnehmung verdrängt hat, zumindest wenn man einem brieflich mitgeteilten Urteil Gottfried Benns von 1952 trauen darf: "Johannes R. Becher war in seinen jungen Jahren einer der begabtesten Lyriker meiner Generation. Sein Buch Triumph und Verfall war großartig, es hatte geniale Züge."
Re: Hesiod in der DDR
filix schrieb am 13.11.2018 um 13:58 Uhr (Zitieren)
Diese einstige Bedeutung spiegelt sich auch in dem spöttischen Vers "Der Becher geht so lange zum Bronnen bis er Brecht."
Re: Hesiod in der DDR
Φιλομαθής schrieb am 13.11.2018 um 14:19 Uhr (Zitieren)
Das ist hübsch. Wobei es am Ende Bronnen war, der mindestens einmal zu oft das Regime, dem er sich andiente, gewechselt hatte.
Re: Hesiod in der DDR
Οὔτις schrieb am 13.11.2018 um 15:22 Uhr (Zitieren)
Vorsicht vor Anstiftern zum Doppelselbstmord, die dann auch noch überleben!
 
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