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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Eine befremdliche Metapher (677 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 20.11.2018 um 22:42 Uhr (Zitieren)
Dort kommt der Späher, wie mir scheint, vom Heer und bringt
Bericht uns, liebe Schwestern, neue Kunde her,
σπουδῇ διώκων πομπίμους χνόας ποδῶν.

(Aischylos: Sieben gegen Theben V. 369-371)

Sowas kennt man erst wieder aus den Comics des 20. Jahrhunderts, nämlich wenn etwa Donald Duck ganz eilig läuft, bilden seine Füße eine sich drehende Nabe.
Re: Eine befremdliche Metapher
Φιλομαθής schrieb am 21.11.2018 um 19:21 Uhr (Zitieren)
Bei Kindern des 20. und 21. Jahrhunderts, die wir sind, ist es freilich meistens der Fall, dass die Rezeption von Comic und Cartoon zeitlich vor der ersten Begegnung mit der attischen Tragödie liegt. Jene haben in unserem ästhetischen Koordinatensystem bereits einen Referenzpunkt gesetzt, zu dem die "ernste Literatur" später in Relation treten muss. Das aus Comic-Heft und Zeichentrick gespeiste Bildarchiv wird aufgerufen, wenn wir einer visuellen Metapher begegnen, selbst in einem antiken Text.

Die Neuerung der frühen Comics und Trickfilme gegenüber den Bilderbogen und Bildgeschichten des 19. Jahrhunderts wird man darin sehen dürfen, dass ursprüngliche Sprach-Bilder in wirkliche Bilder übersetzt werden*: Der pfeilschnelle Roadrunner verwandelt sich zeitweise tatsächlich in einen Pfeil, dem vor Wut kochenden Koyoten schießt Dampf aus den Ohren. Personifikationen sind allgegenwärtig: die Sonne lacht mit grinsendem Gesicht, wenn der Wind bläst, macht er dabei dicke Backen.

Erstaunlich kommt es mir mit Blick hierauf vor, dass es einem Comicleser im Allgemeinen mühelos gelingt, das oftmals surreal anmutende Gemisch aus eigentlichen und uneigentlichen Bildinformationen aufzulösen und die zeitweilig zu Rädern mutierten Füße eines Donald Duck als rhetorische Figur zu identifizieren.

Ältere Aischylos-Übersetzer, die eine solche Prägung nicht mitbringen, empfinden, wenn man das dem Schweigen ihres Kommentars zur Stelle entnehmen darf, kein vergleichbares Befremden, angesichts unserer Metapher**. Ludwig Wolde spricht lediglich von einem "barocken Bild".

Für erklärungsbedürftig galt dieses allerdings schon früher. Hesych zufolge ist das Tertium comparationis nicht im optischen Eindruck, sondern im Geräusch (ψόφος) zu suchen. Er meint wohl ein ratterndes Getrappel der Sohlen. Nach dem, was man den vv. 151—153 des Stücks entnehmen kann, muss der von antiken Radnaben verursachte Lärm (ἔλακον) tatsächlich beträchtlich gewesen sein (vgl. auch v. 205). Eines der Scholien zur Stelle deckt sich aber auch mit unserem Verständnis (τὸ συνεχὲς κίνημα τῶν ποδῶν παραβόλως χνόας εἶπεν — "Die ununterbrochene Bewegung der Füße bezeichnete er in übertragenem Sinn als Naben.").

__________

* Man könnte einwenden, dass Metaphern und Allegorien auch zuvor schon visualisiert wurden, und auf das Sprichwörter-Gemälde des Bauernbruegel, die barocke Emblematik, das Frontispiz des Leviathan usw. usf. verweisen, aber bei diesen sind Metapher und Allegorie selbst das Sujet, nicht Ornament einer Bildergeschichte.

** Nachgeschaut habe ich bei J. Minckwitz (Stuttgart 1845), J. J. C. Donner (Stuttgart 1864), Ludwig Wolde (Bremen 1960), Oskar Werner (München ³1980). Droysens Übersetzung (Berlin ²1842) verzichtet überhaupt auf einen Kommentar, ebenso die Bearbeitung durch W. Nestle (Stuttgart 1962).
Re: Eine befremdliche Metapher
filix schrieb am 22.11.2018 um 12:00 Uhr (Zitieren)
Der Späher kam hier vor sechs Jahren schon einmal durch: https://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=2968[/sub]

Vielleicht zählt zu den antiken Quellen der visuellen Trope, die wir heute als wheel o' feet lesen, die temporeiche Darstellungen von Pferdewagen auf gr. Vasen, wo der Lenker bisweilen so im offenen Fahrzeug steht, dass die Räder gleichsam zu seinen Füßen werden. Dazu gesellt sich auch eine andere, uns aus dem Comic vertraute Strategie, schnelle Bewegungen abzubilden: die stroboskopisch wirkende Vervielfältigung der Pferdebeine, die die Zahl der sichtbaren Köpfe übersteigt: https://www.stmuhistorymedia.org/wp-content/uploads/2017/09/1991.08.0376.jpg
Re: Eine befremdliche Metapher
filix schrieb am 22.11.2018 um 12:04 Uhr (Zitieren)
Darstellung ...
Re: Eine befremdliche Metapher
Οὔτις schrieb am 22.11.2018 um 12:38 Uhr (Zitieren)
Weniger bildhaft als vielmehr begrifflich gibt sich der „rasende Stillstand“, ein weites, kritisches Feld unserer Zeit.

Übrigens, Wilhelm Busch zeichnet überaus virtuos schnelle Körperbewegungen.
Re: Eine befremdliche Metapher
Γραικίσκος schrieb am 22.11.2018 um 15:14 Uhr (Zitieren)
Oh, filix, beinahe habe ich geahnt, daß ich dieses Thema schon einmal angeschnitten habe.
Und dennoch kommen hier neue Gedanken hinzu.
 
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