Latein Wörterbuch - Forum
Kreditvertrag Norditalien 12. Jhdt. — 842 Aufrufe
wolfswald am 9.7.09 um 13:38 Uhr (Zitieren)
Hallo,

ich hab hier eine harte Nuss:
Et convenerunt inter se suprascripti debitores cum suprascripto Lafranco creditore, quod illi de Clavenna debent consules de Clavenna et credentiam facere aliud breve huius debiti in laude judicis ipsius Lafranci et eos obligare.

Und die oben genannten Schuldner sind untereinander und mit dem oben genannten Gläubiger Lafranco übereingekommen, dass die von Chiavenna und die Konsuln von Chiavenna ...

Soweit klar, aber dann?? Auch eine gedruckte Edition des Textes setzt hinter „debent“ ein Fragezeichen. Das Original ist an dieser Stelle eigentlich ziemlich klar lesbar, aber der Satzbau macht keinen Sinn. Vermutlich ist gemeint „quod illi de Clavenna et consules de Clavenna debent ...“.

Aber dann bleiben immer noch Fragen über, vor allem: was bedeutet „credentiam facere“?

Offenbar soll unter bestimmten Umständen eine neue Urkunde über einen gerichtlichen Beschluss ausgestellt werden, dem dann auch Folge geleistet werden soll. Im Internet fand sich für „credentia“ auch Glaubwürdigkeit. Demnach sollen die von Chiavenna einer etwaigen neuen Urkunde ebenfalls Glauben schenken?

TIA
Sabine
Re: Kreditvertrag Norditalien 12. Jhdt.
Elisabeth am 9.7.09 um 14:58 Uhr (Zitieren)
Eine harte Nuss!


quod illi de Clavenna debent consules de Clavenna
-> Dazwischen scheint man tatsächlich ein „et“ ergänzen zu müssen.

et credentiam facere
-> Im Mittellateinischen Glossar von Habel/Gröbel steht bei credentia (neben „Speisetischchen“) „Vertrauen“. Aber wenn schon von Schuldnern die Rede war, könnte es vielleicht doch ein Kredit sein, oder?

aliud breve huius debiti
-> Das finde ich nun GANZ schwierig. Wozu gehört das Neutrum aliud breve? Ein anderes kurzes (Urteil, Übereinkommen) hinsichtlich dieses Kredites?

in laude judicis ipsius Lafranci
-> zum Lobe eben dieses Richters Lafranco

et eos obligare.
-> und sie zu verpflichten.


Ich fürchte, das hat jetzt nicht allzuviel gebracht ...
Re: Kreditvertrag Norditalien 12. Jhdt.
wolfswald am 9.7.09 um 15:16 Uhr (Zitieren)
Hallo Elisabeth,

vielen herzlichen Dank für die Mühe!

Es ist ein Kreditvertrag, aber das mit der credentia ist nicht Teil der zentralen Regelung, sondern kommt erst als eine Art Nachsatz nach der Erwähnung von Zinsen, Rückzahlungsmodalitäten und Art des Rückzahlungsbeweises.

Ich denke, „credentiam facere“ und „obligare“ ist gleichgeordnet und gehört beides zu „debent“. Sie müssen also einerseits credentiam facere, andererseits obligare.

Breve ist Urkunde, gemeint ist also, dass in irgendeinem Zusammenhang in dieser Sache noch eine Urkunde ausgestellt werden kann - und ich würde annehmen, dass dieser Urkunde dann „geglaubt“ werden soll. Was allerdings voraussetzen würde, dass „credentiam facere“ mit Akkusativ steht (oder der Schreiber dieses sich seiner Grammatik nicht sicher war, was ja auch dauernd vorkommt).

Habel/Gröbel nennt für „laus“ auch „gerichtlicher Spruch“, was hier besser passt als Lob ... denn warum sollte eine Urkunde unseren Lanfranco dafür loben, dass er als Kreditgeber auftritt?

Es wurde wohl ungefähr in dieser Zeit eine extra Urkunde eingeführt, die die Rückzahlung einer Schuld bestätigt. Vorher gab es das nur in Form von Einschnitten im ursprünglichen Exemplar. Aber ich glaube nicht, dass es sich bei dem Verweis auf das „aliud breve“ um ein solches Beweisbreve handelt, denn bei dem müsste man ja nicht extra betonen, dass dem Folge geleistet werden soll.

Ich weiß es auch nicht ... schätze, das Ganze bleibt einfach lückenhaft. Aus derselben Serie hab ich auch noch eine, dreißig Jahre später, die kann ich nicht mal vernünftig transkribieren - und das unter Zuhilfenahme unter anderem der Fachleute von der Archivschule Marburg ...

Vielen lieben Dank!
Sabine
Re: Kreditvertrag Norditalien 12. Jhdt.
Elisabeth am 9.7.09 um 15:45 Uhr (Zitieren)
Ich denke, „credentiam facere“ und „obligare“ ist gleichgeordnet und gehört beides zu „debent“. Sie müssen also einerseits credentiam facere, andererseits obligare.

Das ganz sicher. Nur steht bei obligare noch ein eos. Wer das sein soll, erschließt sich mir nicht.

Breve ist Urkunde

Und wieder was gelernt!


credentiam facere aliud breve

Außer falsch verwendeten Kasus fällt mir noch das Prädikativum ein:

... als Vertrauen (=vertrauensbildende Maßnahme) eine andere Urkunde über diesen Kredit auszufertigen
Re: Kreditvertrag Norditalien 12. Jhdt.
Bibulus am 9.7.09 um 15:51 Uhr (Zitieren) I
vielleicht soll der Richter,
als gelernter Jurist,
als „Notar“ den Kreditvertrag beglaubigen?
(mit einem „Breve“?)
Re: Kreditvertrag Norditalien 12. Jhdt.
Graeculus am 9.7.09 um 15:52 Uhr (Zitieren)
Ein Breve ist 1. eine frühma. Zeugenurkunde („notitia“), 2. eine im Vergleich zur Bulle kürzere, weniger feierliche Form päpstlicher Urkunden.
Re: Kreditvertrag Norditalien 12. Jhdt.
wolfswald am 9.7.09 um 19:55 Uhr (Zitieren)
Hallöle,

das eos bei obligare: weiß ich auch nicht, muss aber sinngemäß die Leute von Chiavenna meinen, weil Lanfranco nur im Singular auftritt.

„als Vertrauen (=vertrauensbildende Maßnahme) eine andere Urkunde über diesen Kredit auszufertigen“ ... interessante Idee. Wäre auch denkbar (obwohl ich mir nicht richtig vorstellen kann, warum man das gleich sofort in die erste Ausfertigung reinschreiben sollte, aber wer weiß ...).

Der Richter als Notar: nein, dafür sind die Formeln anders. Genaugenommen steht der Notar untendrunter, ganz am Ende der Urkunde.

Ich bin in Diplomatik nicht wirklich firm, aber die vorliegende Urkunde ist mit Sicherheit keine Beweisurkunde, denn es wird darin versprochen, das geliehene Geld bis zu einem bestimmten Termin zurückzuzahlen. Im Text selbst taucht allerdings zweimal der Begriff „breve“ auf und kann dabei schon als Beweisurkunde gesehen werden - einmal, weil es heißt, als Beweis der Rückzahlung der Schuld gelte nur das breve incisum (in der Tat ist die Urkunde eingeschnitten, die Schuld wurde also zurückgezahlt), und beim zweiten Mal eben siehe oben.

Alln’s nich so einfach ...

Danke fürs Mitdenken!
Sabine
 
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