Ist folgende Übersetzung korrekt?:
„Geschweige denn, dass sie, wenn sie mit unbedeutenden Schönheiten verglichen worden wäre, als gemäß einem strengen Richter Unterlegene schändlich (davon?)ginge.“
Schwierigkeiten bereitet mir vor allem der Zusammenhang zwischen „inferior“ und „turpis eat“.
Ich denke, beide Adjektive sind prädikativ aufzufassen:
als Unterlegene und Schändliche/in Schande/schmachvoll...
Vgl: http://gutenberg.spiegel.de/buch/1324/4
ET passt metrisch nicht rein. Ferner wird durch die Stellung vermieden, dass 2 Adjektive unverbunden nebeneinanderstehen.
Re: Elegie Properz I,4
Kuli am 22.4.14 um 18:54 Uhr, überarbeitet am 22.4.14 um 21:43 Uhr (Zitieren)
Ich würde inferior in die Protasis ziehen und temporal übersetzen (in Opposition zu den Schönen aus mythischer Vorzeit, v. 5/6). Ansonsten würde inferior einen stilistisch schwächeren Pleonasmus neben turpis bilden.
Geschweige denn, dass (nedum) sie, wenn sie als später geborene (inferior) neben die unbedeutenden Schönheiten <ihrer Zeit> gestellt würde (si levibus fuerit collata figuris), vor einem unbeugsamen Richter (abl. abs.) in Schande (turpis) abzöge (eat, poet.: Simplex statt abeat).
Re: Elegie Properz I,4
filix am 22.4.14 um 22:02 Uhr, überarbeitet am 22.4.14 um 22:05 Uhr (Zitieren) I
Wieso sollte hier ein „et“ unbedingt erforderlich sein? Marie übersetzt „inferior“ (substantiviert) als prädikative Konjunktionalphrase, die im Satz mit einem prädikativ gebrauchten Adjektiv („turpis“) auftritt; dieser Funktionsunterschied - vgl. „Er ging traurig als Verlierer vom Platz“ vs. "Er verließ das Krankenhaus traurig und hoffnungslos - wird im Lat. durch zwei asyndetische Adj. realisiert.
Die Lesart von Kuli überzeugt mich nicht ganz.
Welche Funktion hat im Vergleich mit den girls next door die Erwähnung, dass C. eine „später geborene“ ist? Ein Pleonasmus ist es außerdem nicht wirklich, denn durch das Unterliegen ist per se noch nicht gesagt, wie man als Unterlegene abzieht, außerdem bringt „turpis“ die Doppeldeutigkeit von „in Schande“ und „hässlich“, letzteres wesentlicher Inhalt des vernichtenden Urteils, ins Spiel.
Re: Elegie Properz I,4
Kuli am 23.4.14 um 7:57 Uhr, überarbeitet am 23.4.14 um 7:58 Uhr (Zitieren)
Meiner Meinung nach beinhaltet inferior, verstanden als „geringwertiger, unterlegen“, keine Information, die nicht bereits in turpis enthalten wäre. Denn worin sonst sollte die Schmach bei einer Misswahl bestehen, als dass man von der Jury auf die hinteren Plätze verwiesen wird?
(Turpis als „hässlich“ zu verstehen, verbietet sich nach Vers 5-8.)
Stattdessen lese ich inferior mit Bezug auf das danebenstehende collata im Sinne eines quae inferior vivat quam „formosi corporis aetas“: Da Cynthia nicht dem mythischen Zeitalter einer Hermione und Antiope angehört, kann man sie höchstens neben die leves figurae ihrer Zeitgenossinen stellen.
Ich denke, dass der vorgestellte Richter durch durus nicht als jemand gekennzeichnet wird, der ein „vernichtendes“, sondern als jemand, der ein gerechtes Urteil fällt. Durus bildet hier m. E. eine poet. Umformung des an sich zwar bereits bildlichen, aber prosaischen, richterlichen Idealcharakteristikums incorruptus: jemand, der sich nicht brechen und verbiegen lässt, muss aus hartem Holz geschnitzt sein.
Aufgrund dessen halte ich duro iudice für einen absoluten* und nicht für einen von turpis (bzw. inferior) abhängigen, irgendwie kausalen Ablativ: denn ein gerechter Richter findet die Ursache für sein Urteil ja gerade nicht bei sich.
*) Ein sehr ähnlicher aus Adj. + Nomen agentis gebildeter Abl. abs. findet sich bei Seneca (Troades, Vers 906: iudice infesto) und wohl auch bei Cicero (Acad. 2, 31: bono gubernatore).
Beide Vergleiche werden über einen Potentialis eingeführt, der zweite wird doch nicht als höchstens zulässiger gekennzeichnet, sondern mit „nedum“ eindeutig zurückgesetzt. Schon für den ersten wird behauptet: „Cynthia non illas nomen habere sinat“, geschweige denn ...
Wie man als Zweite vom Platz geht, ob „turpis“ oder beispielsweise erhobenen Hauptes, ist für mich nicht durch „inferior“ gesagt - es ist jedenfalls kein Pleonasmus à la „victa (et) inferior“.
Vernichtend war in Bezug auf die sich in „turpis“ spiegelnde Aufnahme des Urteils durch die Beurteilte gemeint, „durus“ meint gewiss hart, unbestechlich, vielleicht auch roh und ungebildet - nach dem Motto: selbst einem Blinden muss auffallen, wie schön sie ist.
Warum verbietet sich in „turpis“ (im Verhältnis) „hässlich“ anklingen (mit „hässlich“ würde ich es auch nicht übersetzen) zu hören? Weil bei der imaginären Misswahl überhaupt nur Schöne, seien sie dem mythischen Zeitalter entsprungen, seien sie Zeitgenossinnen, antreten dürfen?
Gut, meine Formulierung lässt sich missverstehen. Gemeint war: ... kann man sie, wenn man überhaupt einen Vergleich anstellen will, höchstens (faktisch nur noch) neben die leves figurae ihrer Zeitgenossinen stellen. Der Vergleich mit den mythischen Schönheiten lässt sich ja nicht durch leibhaftige Gegenüberstellung, sondern nur anhand der Elogen der angesprochenen Dichter anstellen.
Weil der erste Vergleich Cynthias Schönheit bereits „erwiesen“ hat. Ein Schiedsrichter, vorausgesetzt er wäre nicht unparteiisch, könnte der Cynthia durch sein Urteil zwar eine Schmach zufügen, aber er könnte ihr die Schönheit nicht nehmen.
Re: Elegie Properz I,4
filix am 23.4.14 um 21:06 Uhr, überarbeitet am 23.4.14 um 21:09 Uhr (Zitieren)
Im ersten Vergleich urteilt der Dichter selbst über seine Cynthia in Zurückweisung des ihn mit der Anführung mythischer Schönheiten provozierenden Bassus.
Im zweiten Schritt, den er mit „nedum“ einleitet, behauptet er, dass sie im Auge eines (im Unterschiede zu ihm selbst wohl) unparteilichen, harten, unge- und dadurch unverbildeten Richters, der sich in seinem Urteil auf den Vergleich mit zeitgenössischen Schönheiten beschränkt, nicht als „inferior“ bezeichnet würde und folglich nicht „turpis (ab)eat“. „Erwiesen“ ist die Schönheit im ersten Vergleich nur für den Dichter, der zweite, fingierte, durch „nedum“ zurückgesetzte, schaltet vorgreifend einen möglichen Einwand aus - ich verstehe immer noch nicht, warum in diesem für den Dichter ausgeschlossenen Urteil eines Dritten diese Zweideutigkeit zwischen „in Schande“ und „(vergleichsweise) hässlich“ keinen Platz haben dürfte.
Im nächsten Vers spielt er übrigens die so „bewiesene“ Schönheit als „mei pars extrema furoris“ herunter.
Diese Worte kann man gewiss als Selbstironie auffassen, auch wenn die jüngeren Augusteer gern den Topos des enthusiasmierten Dichters bemühten. Aber der Vers ist mit Bezug auf den darauffolgenden zu lesen und extrema pars kann neben sunt maiora nur „der geringste Teil“ heißen. Hier wird Cynthias äußere Gestalt als Begeisterungsgrund also nicht heruntergespielt, sondern ein weiterer Entusiasmussschub vorbereitet.
Gut, das mag man so lesen. Ich kann aus dem Text keine weiteren Einwände beibringen. Ein wenig stört mich hierbei noch, dass turpis als prädikatives Adjektiv steht, was in Prosa ja vorwiegend zur Kennzeichnung von Gemütszuständen und Gebrechen (wozu Hässlichkeit wohl nicht zählt) bzw. deren Fehlen dient. Aber wir befinden uns in der Sprache der Poesie ...
Re: Elegie Properz I,4
filix am 24.4.14 um 12:00 Uhr, überarbeitet am 24.4.14 um 12:02 Uhr (Zitieren)
Ja, ich meinte auch „... spielt er die Bedeutung der so “bewiesenen„ Schönheit für seine Liebe herunter ...“, um dann zu den bedeutenderen Vorzügen vorzustoßen.
Die Doppeldeutigkeit von „turpis“ kann man im Dt. schwer nachahmen, wenn man sich aber für einen Ausdruck der Auswirkung auf das Gemüt der als „inferior“ beurteilten Cynthia entscheidet, könnte man mit Blick auf die etymologische Herleitung im Georges - turpis,-e (altindisch trápatē, schämt sich [= wendet sich ab]) - es mit einer gewissen Freiheit als „beschämt“ übersetzen.