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lucidum - Hor. c. 2,12,14 — 1272 Aufrufe
st4445 am 19.8.16 um 11:49 Uhr (Zitieren)
Hallo! Es geht um folgende Stelle bei Horaz, Ode 2,12:
Musa ... / me voluit dicere lucidum / fulgentis oculos
Bernhard Kytzler übersetzt so: Von mir hat die Muse gewollt, dass ich besinge ihre lichtglänzenden Augen. Er nimmt also lucidum als Objekt zu fulgentis. Spricht etwas dagegen, lucidum prädikativ zu me aufzufassen (= ich besinge lichterfüllt ihre strahlenden Augen)?
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
st4445 am 19.8.16 um 13:49 Uhr (Zitieren)
Danke, erst einmal für deine Bemühungen, die zwar gut gemeint waren*, mich aber nicht wirklich weiterbringen. Meine Frage war nicht, wie man Kytzlers Übersetzung rechtfertigen kann, sondern, ob etwas dagegenspricht, lucidum prädikativ zu me aufzufassen.

* Google benutzen kann ich übrigens auch ;-)
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
Klaus am 19.8.16 um 14:22 Uhr (Zitieren)
Dagegen spricht, dass „lucidum fulgere“ als Ausdruck mehrfach belegt ist.
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
Gast1908 am 19.8.16 um 14:35 Uhr (Zitieren)
Schau dir die Bedeutungen von lucidus genau an:

http://www.zeno.org/Georges-1913/A/lucidus?hl=lucidus

Bei Personen kann man das Adjektiv nur in der übertragenen Bedeutung verwenden, soweit ich sehe.
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
st4445 am 19.8.16 um 14:50 Uhr (Zitieren)
@Klaus: Das geht wieder an der Frage vorbei. Du bringst kein Argument gegen „me lucidum“, sondern nur für „lucidum fulgere“. Trotzdem: Welche Stellen wären das?

@Gast1908: Na klar kann „lucidum“ hier nur in übertragener Bedeutung stehen. Lycimnia hat ja keine Scheinwerfer im Gesicht, mit denen sie ihn anstrahlt. Wenn wir die Bedeutung „deutlich“ übernehmen, die Quintilian für einen Redner verwendet, würde das hier heißen, dass das lyrische Ich durch ihre Augen zu deutlicher Rede/Gesang angeregt wird, was ihm, wie es eingangs sagt, bei historischen Themen nicht gelingt. Wäre doch nachvollziehbar, oder?
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
Gast1908 am 19.8.16 um 15:01 Uhr (Zitieren)
Das müssen dir unsere Experten filix oder Kuli beantworten.
Die Fachliteratur sieht es wohl definitiv anders und begründet es auch. Ich musste sofort an das analoge „dulce ridere“ bei Catull denken.
Hab also noch etwas Geduld. filix kann dir alles bis ins letzte Detail auseinandersetzen.
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
Klaus am 19.8.16 um 15:13 Uhr, überarbeitet am 19.8.16 um 15:14 Uhr (Zitieren)
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
st4445 am 19.8.16 um 15:17 Uhr (Zitieren)
OK, wenn man Neulateinisches dazunimmt, ist das natürlich was anderes.
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
filix am 19.8.16 um 17:35 Uhr, überarbeitet am 19.8.16 um 17:35 Uhr (Zitieren) I
Die älteste Deutung, die hier „lucidum“ als Akk. Neutrum, der das Adverb bei „fulgentis“ vertritt, auffasst, stammt aus dem 3. Jhdt. u. Z.: „lucidum fulgentis oculos: pro ‚lucide fulgentis‘, ut Vergilius ait ‚horrendum stridens‘ pro ‚horrende‘“ (Pomponius Porphyrio: Commentum in Horatii Carmina).

Dessen ungeachtet wird in deiner Erläuterung der prädikativen Auffassung für mich nicht klar, worin der sich auf „me“ erstreckende Sinn von „lucidum“ nun eigentlich bestehen soll, wenn es nicht bloß als Charakterisierung des verbalen Vorgangs, d.h. des Gesangs als klar und deutlich dient. Im Übrigen wäre „lucidum dicere“ für „lucide dicere“ leichter zu verteidigen, gäbe es nicht ein weiteres Objekt.
Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
st4445 am 20.8.16 um 10:15 Uhr (Zitieren)
Danke, filix. Schön, dass es hier jemanden gibt, mit dem man eine Textstelle diskutieren kann.
Der Pomponius Porphyrio ist aber auch wieder nur ein Argument, wenn auch ein gutes, für „lucidum fulgentis“ und nicht gegen „me lucidum“.
Dass die Auslegung in einen Kommentar geschrieben wurde, heißt aber auch, dass im 3.Jh. lucidum fulgere nicht ohne Weiteres verstanden wurde, nicht wahr? Soweit ich sehe, ist das hier die einzige Stelle, wo es vorkommt. Klaus hat auch keine mehr genannt (aus der Antike).
Ich hatte gestern lucidum wie ein Adverb übersetzt, weil in der poetischen Sprache das prädikative Adjektiv oft wie ein Adverb verwendet wird. Schwierig das prädikativ zu übersetzen. In meiner Überlegung geht es darum, dass Lycimnia das lyrische Ich mit ihren „fulgentis oculos“ bildlich zum Leuchten bringt, also inspiriert und er dadurch „er-hellt redet/singt“.
Deinen letzten Satz verstehe ich nicht. Ich habe lucidum ja nicht als Objekt genommen, sondern zum Subjektsakkusativ gestellt.

Ich muss vielleicht erklären, warum ich auf der Unterscheidung zwischen Argumenten für „lucidum fulgentis“ und gegen „me lucidum“ bestehe. Es geht mir nicht darum, zu behaupten, dass „lucidum fulgentis“ eine falsche Interpretation ist, sondern zu prüfen, ob Horaz sich hier absichtlich mehrdeutig ausdrückt.
Er hätte auch „lucide“ schreiben können. Dann wäre es eindeutig. Das Metrum lässt das zu. Im Gegensatz zu dulce ridere statt dulciter ridere.
Schaut man sich die ganze Strophe an, gibt es noch mehr Mehrdeutigkeiten.
Me dulcis dominae Musa Licymniae
cantus, me voluit dicere lucidum
fulgentis oculos et bene mutuis 15
fidum pectus amoribus;


„dulcis“ kann sich beziehen auf dominae, Musa und cantus.
„dominae Lycimniae“ kann Gen. subj. oder obj. oder Dativ sein, je nachdem ob cantus ihren oder seinen Gesang/Musik bezeichnet.

Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
Gast2008 am 20.8.16 um 11:17 Uhr (Zitieren)
Weitere, kompetente Diskussionspartner findest du auch hier, falls es dringend ist.
filix hat sicher noch anderes zu tun.

http://e-latein.at/phpBB/index.php?sid=1f779677dc1aff6e1a7799661e6e249a

Hier gibt es mindestens 3 Poesieexperten, denen vllt. das eine oder andere noch dazu einfällt. Sie antworten meist sehr schnell und sind hochkompetent.


Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
filix am 22.8.16 um 13:23 Uhr (Zitieren)
Dass schon im 3. Jhdt. der Ausdruck eines Kommentars zu bedürfen scheint, funktioniert als Argument in beide Richtungen - es bedeutet doch auch, dass die Auffassung als prädikatives Adjektiv dem antiken Leser ebenso wenig unmittelbar einleuchtete.

Dass es sonst keine Stellen für „lucidum fulgere“ gibt, besagt m.E. wenig - einige dieser Kombinationen in der Dichtung sind Hapax legomena - cf. https://archive.org/stream/ausfhrlichegram09khgoog#page/n226 (Kühner-Stegmann begreifen den Akk. Neutr. hier als Vertretung eines Substantivs)

Zwingende grammatische bzw. aus der Wortstellung kommende Hindernisse sehe ich indes nicht, die metaphorische Verwendung bzw. Diathesenindifferenz von „lucidus“, wenn es sich auf Belebtes bezieht, sollte man sich aber wohl noch einmal genauer ansehen.

Re: lucidum - Hor. c. 2,12,14
st4445 am 22.8.16 um 18:31 Uhr (Zitieren)
OK, danke!
Dein letzter Absatz ist so gemeint, dass man meine Vermutung akzeptieren könnte, dass Horaz sich hier absichtlich mehrdeutig und missverständlich ausdrückt, nicht wahr?
Ich könnte mir denken, dass er so gleich zeigen will, dass er nicht der Richtige ist für ein Geschichtswerk, wo man ja eine klare Darstellung braucht.
Auf der Gegenseite kann man vielleicht auch noch mit lautmalerischen Gründen argumentieren.
Wenn man nämlich die Us, die Vs und die Ys in jeder Strophe zusammenzählt, fällt auf, dass man in der 2., 4. und 6. Strophe auf 14-16 kommt, in der 1., 3. und 5. Strophe nur auf 5-9.
D. h., weil Horaz immer abwechselnd viele oder wenige U-Laute in den Strophen unterbringen wollte, hat er lucidum gegenüber lucide vorgezogen, weil es ein U mehr enthält.
Oder geht das zu sehr in Richtung Buchstabenmystik?
 
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