Latein Wörterbuch - Forum
Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI — 2411 Aufrufe
Sebastian am 16.11.17 um 13:59 Uhr (Zitieren)
Guten Tag zusammen,

ich stehe vor folgendem Problem.

Gegeben sei ein lat. Satz mit Infinitiv Präsens und Prädikat im Perfekt. Es liegt ein AcI vor.

Bsp: Te venire putavi.

Strenges Befolgen der Regeln zum Zeitverhältnis müsste mir in der dt. Übersetzung (im Präteritum) etwa Folgendes ergeben:

Bsp: Ich glaubte, dass du kamst.

Gebräuchlicher, wenn nicht sogar alleinig richtig erscheint mir aber:

Bsp: Ich glaubte, dass du kommst.

Ich kann mir leider nicht herleiten, auf welchen (falschen) Annahmen mein Problem beruht und welche Regeln des Lateinischen oder auch des Deutschen hier missachtet werden.
Wie ist es richtig? Wo kann ich es in einer anerkannten Grammatik nachlesen.
Im neuen Menge finde ich dazu keine hilfreichen Angaben.

Besten Dank im Voraus
Sebastian
Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
viator am 16.11.17 um 14:14 Uhr (Zitieren)
Auf den Indikativ Präteritum ‚glaubten‘ muss im Nebensatz der Konjunktiv II folgen:
„Lange glaubten viele, dass asiatische Autos weniger gut wären als europäische.“

https://www.korrekturen.de/forum.pl/md/read/id/21597/sbj/auf-das-verb-glauben-muss-der-konjunktiv-i-folgen/
Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
filix am 16.11.17 um 14:16 Uhr (Zitieren) IV
Nein, muss nicht.
Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
rex am 16.11.17 um 18:39 Uhr, überarbeitet am 16.11.17 um 18:47 Uhr (Zitieren) VI
Zitat von viator am 16.11.17, 14:14Auf den Indikativ Präteritum ‚glaubten‘ muss im Nebensatz der Konjunktiv II folgen:
„Lange glaubten viele, dass asiatische Autos weniger gut wären als europäische.“
Da ist viator wieder einmal auf einen ziemlich „unsicheren Kantonisten“ hereingefallen.
Also: „Griff ins Klo“!

Und was meinen einige unserer deutschen Klassiker dazu:
Manche glaubten sogar, dass Gott diese allgemeine Seele sei...
(Leibniz: Die Theodicee)
... je sicherer sie zu wissen glaubten, dass dieselben tief unglücklich, wohl gar verloren seien.
(Keller: Die Leute von Seldwyla)
Endlich ging ein wahrhaft höllischer Lärm los, so dass wir glaubten, das Verdeck mit allen Segeln komme zu uns herab...
(Hauff: Märchen-Almanach auf das Jahr 1826)
u. a.
Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
viator am 16.11.17 um 18:48 Uhr (Zitieren)
Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
rex am 16.11.17 um 18:59 Uhr (Zitieren)
Zitat von viator am 16.11.17, 14:14Auf den Indikativ Präteritum ‚glaubten‘ muss im Nebensatz der Konjunktiv II folgen:
„Lange glaubten viele, dass asiatische Autos weniger gut wären als europäische.“
Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
rex am 16.11.17 um 18:59 Uhr (Zitieren)
Zitat von viator am 16.11.17, 14:14Auf den Indikativ Präteritum ‚glaubten‘ muss im Nebensatz der Konjunktiv II folgen:
„Lange glaubten viele, dass asiatische Autos weniger gut wären als europäische.“
Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
Sebastian am 16.11.17 um 19:11 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank für die Auskünfte,

sie helfen mir schon weiter. Ist es möglich das Phänomen von putare loszulösen und allgemeiner zu betrachten?
Wie würde es sich hier verhalten:

Bsp: Te venire vidi. (Als aci aufgelöst natürlich)

Ich sah, dass du kamst.

Oder:

Ich sah, dass du kommst.

(Kämest wird in diesem Beispiel bestimmt von niemandem gesetzt werden.)

Falls nun die erste Variante zählt, dann interessiert mich, wie die entsprechende Regel lautet, die mir ermöglicht, klar zu unterscheiden, wann ich in den Konjunktiv zu wechseln habe und wann das Präteritum zu stehen hat.

Mir fehlt die letzte Klarheit, mit der ich das Phänomen Schülern vermitteln kann.

Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
viator am 16.11.17 um 19:45 Uhr (Zitieren)
@rex:
Du solltest den kompletten Link lesen d.h. auch die anschließende Diskussion.

Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
filix am 16.11.17 um 22:01 Uhr, überarbeitet am 19.11.17 um 13:41 Uhr (Zitieren) V
Zunächst ist die Annahme, in der Übersetzung komme es um jeden Preis darauf an, die Regeln der Quellsprache in der Zielsprache zu imitieren, schlicht falsch und führt einen in die Irre. (Man könnte einmal der Frage in kulturpsychologischer Perspektive nachgehen, ob diese Idee Deutschsprechern nicht vorwiegend bei Übersetzungen aus dem Lat. und Altgr. kommt - wem fiele derlei bei einer aus dem Engl. oder Finnischen ein?). Es gelten vielmehr die grammatischen Regeln der Zielsprache, in ihrem Rahmen ist die Übersetzung des in der Quellsprache Ausgedrückten zu leisten - bei entsprechenden Unsicherheiten ist folglich nicht bei Menge & Co nachzuschlagen, sondern in einer dt. Grammatik.

Auf den Indikativ Präteritum ‚glaubten‘ muss im Nebensatz der Konjunktiv II folgen:
„Lange glaubten viele, dass asiatische Autos weniger gut wären als europäische.“



Nun ja, die Tempus-Modus-Kombination Indikativ Präteritum von „glauben“ erfordert als solche gewiss nicht unweigerlich einen Konj. II im untergeordneten „dass“-Satz.

Der Unterschied in der Wahl zwischen Konj. I und Konj. II hat dabei auch nichts mit einem angeblich im mitgeteilten Glaubensinhalt auftretenden Irrealis zu tun. Ein direkt ausgedrückter Glaubensinhalt „Asiatische Autos wären weniger gut als europäische“ ist kaum akzeptabel (vom Fall „Ich glaube, asiatische Autos wären weniger gut ... kaufen wir also lieber ein paar Fiats“ sehe ich mal ab), der lautete viel eher z.B. „Asiatische Autos wären weniger gut als europäische, wenn nicht südamerikanische Konstrukteure sie entwürfen“ oder dgl., um einen durch die Funktion des Irrealis motivierten Konj. II zu rechtfertigen.

Der Konj. II lässt sich ebenso wenig aus der konsequenten Anwendung der Regeln für das Referat („indirekte Rede“ im weitesten Sinne) begründen, da hier der Konjunktiv der Wahl, der Konjunktiv I („seien“), nicht mit dem Indikativ („sind“) identisch ist. Er muss also eine andere Erklärung finden (z.B. als Signal, durch welches der Referierende die referierte Annahme als irrig kennzeichnen möchte - ein weites Diskussionsfeld).

Kurzum: Zwingend ist dieser Konj. II nicht, auch hat in dieser Hinsicht kein Wandel stattgefunden. Rexens Ausbeute aus dem Schatzkästlein deutscher Dichtkunst demonstriert nur die korrekte Anwendung einer bis heute gültigen Regel.

Eine befriedigende Beantwortung der Ausgangsfrage ist nicht einfach, da man standardsprachlich gleichermaßen den Indikativ bei „glauben“ als zulässig erachtet - mit Folgen für die Tempuswahl. Überformt wird diese Problematik zudem von anderen Aspekten wie der Tempusverschiebung in präteritalen Erzählkontexten (die am isolierten Satz zweifelhaft erscheint) oder dem ausgerechnet im diskutierten Beispiel vorliegenden Sonderfall der ersten Person (im Matrixsatz) beim Referat, der hier nur durch das Tempus suspendiert wird, um nur ein paar Punkte zu nennen.

Mit anderen Worten:

„Ich glaubte, dass du kommst“ ist ebenso korrekt wie die Variante mit Konjunktiv, wobei man vermutlich den Konj. I durch den Konj. II ersetzen wird, da die Form als solche als antiquiert empfunden wird, obwohl sie sich eigentlich vom Indikativ unterscheidet (d.h. „kämst“ statt „kommest“), oder weil man die Irrigkeit des Glaubens betonen möchte. „Ich glaubte, (dass) du kämst - aber das war nur ein Hirngespinst“. „Ich glaubte, du wärst anders als die anderen. Was für ein Fehler!“ & c.

„Ich glaubte, (dass) du kamst“ könnte m.E. in einem präteritalen Erzähltext akzeptabel sein. Vgl. dazu

„Sie hatte sich wieder ins Bett gelegt und dachte weiterzuschlafen, sie war ein dummes fröhliches Geschöpf vom Lande; glaubte, daß das, was hier geschah, eben die Revolution war; die Soldaten auf der Straße hatten ihr schon so viel schon und so Wunderbares davon erzählt, und da war es nun auch zu ihr gekommen.“ (Alfred Döblin).

Da dein Beispiel durch die erste Person im Matrixsatz in die Nähe alltäglicher Kommunikation gerückt wird (man stellt sich sofort ein lebendiges Gespräch vor, in dem der Satz fällt), ist sehr wahrscheinlich mit einigem Vorbehalt gegen den Einsatz sowohl des Präteritums als auch gegen den nicht speziell motivierten Konjunktiv zu rechnen, weil kaum jemand sich mündlich so ausdrückt (Siegeszug des Perfekts als Erzähltempus, oberdt. Präteritumschwund, Abbau des Konjunktivs beim Referat).


Re: Wiedergabe des Zeitverhältnisses im AcI
Sebastian am 17.11.17 um 6:52 Uhr (Zitieren)
Klasse! Die Antwort bringt mich weiter, durchleuchtet sie doch das Problem von vielen Seiten.
Die Zielsprachenorientierung war in meiner notdürftig zusammengeschusterten Erklärung der letzten Lateinstunde auch der Kern, an dem die SuS sich festhalten sollen. Ich werde die Antwort entsprechend reduzieren und dann vorstellen mit lobenden Worten zu diesem Forum und dem hier möglichen und ertragreichen Austausch.

Vielen Dank allen Diskussionsteilnehmern, besonderen Dank an den letzten Schreiber! Ich merke, dass da einiges an Zeit investiert wurde. Das freut mich sehr!
 
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