Quem perdere vult Deus, prius dementat (374 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 28.07.2024 um 00:19 Uhr (Zitieren)
Lykurgos von Athen, Gegen Leokrates 92:
(1) Der Dichter der folgenden Verse ist nicht bekannt.
Die berühmte Version "Quem perdere vult ..." geht auf Laktanz zurück.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Aurora schrieb am 28.07.2024 um 07:59 Uhr (Zitieren)
Et cum perfecta haec fuerant cum interitu provinciarum, "non recte facta sunt", aiebat, "alio modo fiant." Rursus dirui ac mutari necesse erat iterum fortasse casura. Ita semper dementabat Nicomediam studens urbi Romae coaequare.
de mort. pers. 7, 10
Moderne Deutung:
Kognitive Verzerrungen: Menschen, die kurz vor einem Scheitern oder einer Katastrophe stehen, neigen oft dazu, irrationale Entscheidungen zu treffen. Dies kann auf kognitive Verzerrungen wie Bestätigungsfehler oder Selbstüberschätzung zurückzuführen sein.
Stress und Entscheidungsfindung: Unter extremem Stress oder Druck kann das rationale Denken beeinträchtigt werden, was zu schlechten Entscheidungen führt.
Selbstzerstörerisches Verhalten: In schwierigen Situationen können Menschen unbewusst selbstzerstörerische Verhaltensweisen an den Tag legen, die ihre Lage noch verschlimmern.
Realitätsverlust: Wenn Menschen mit dem drohenden Untergang konfrontiert sind, können sie die Realität verleugnen oder sich in Fantasiewelten flüchten.
Gruppendynamik: In Gruppen oder Organisationen kann sich irrationales Verhalten durch Gruppendruck oder Konformität verstärken.
Narzissmus und Hybris: Übermäßiger Stolz oder Selbstüberschätzung kann zu riskanten und irrationalen Handlungen führen.
Kognitive Dissonanz: Um widersprüchliche Überzeugungen oder Handlungen zu rechtfertigen, können Menschen zu immer extremeren Positionen getrieben werden.
Verlust der Impulskontrolle: Unter extremem Stress kann die Fähigkeit zur Selbstregulation und Impulskontrolle abnehmen.
Diese psychologischen Mechanismen können erklären, warum Menschen in Krisensituationen oft Verhaltensweisen zeigen, die von außen betrachtet irrational oder selbstzerstörerisch erscheinen, als ob sie "wahnsinnig" geworden wären.
Es ist wichtig zu beachten, dass dieser Ausspruch eine vereinfachte und deterministische Sichtweise darstellt. In der modernen Psychologie würde man eher von komplexen Wechselwirkungen zwischen individuellen, situativen und systemischen Faktoren ausgehen, die zu solchem Verhalten führen können.
(KI - Antwort)
Was doch alles so in knappen Formuierungen steckt!
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Γραικύλος schrieb am 28.07.2024 um 13:56 Uhr (Zitieren)
Modern, ganz ohne zornige Götter.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Andreas schrieb am 28.07.2024 um 17:16 Uhr (Zitieren)
Die nie gab und nur als verzweifelte Erklärungmodelle und Warnhinweise
herhalten mussten in der Gesamttragödie, die menschliches Leben heißt.
Der strafende Rachgott war auch lange ein beliebtes Einschüchterungsmittel
im Christentum und ist es noch im unaufgeklärten Islam.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Γραικύλος schrieb am 28.07.2024 um 17:41 Uhr (Zitieren)
Ich meine ja, daß die Götter polytheistischer Religionen Personifizierungen von etwas sind. Das hat dann zwar einen mythischen Charakter, aber immerhin die Wahrheit eines Mythos. Wenn z.B. Dionysos für das Irrationale steht, dann ist der Versuch des Pentheus, dem Dionysos eine Zwangsjacke anzulegen, ein mythischer Ausdruck für das Bestreben, das Irrationale zu domestizieren ... und für das Scheitern dieses Versuchs.
Man könnte es vielleicht so sagen: Götter sind der Ausdruck der Einsicht, daß es Mächte gibt, die uns überlegen sind und die wir nicht kontrollieren können.
Durch was sollte in einem "modernen" Weltbild diese Einsicht ersetzt werden? Durch die Annahme, daß wir alles beherrschen, alles kontrollieren können?
Das wäre m.E. nicht mehr als ein moderner Glaube, eine gleichsam säkulare Religion.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Andreas schrieb am 28.07.2024 um 18:52 Uhr (Zitieren)
Ein ewiger Irrglaube und gefährliches Wunschdenken.
Wir werden uns die Natur nie ganz unterwerfen und dort, wo wir es mit aller Macht versuchen,
scheitern wir an Irrationalitäten und am Einzel-und Gruppenegoismus und der nicht ausrottbaren Profitgier, die Mensch und Natur großen Schaden zugefügt hat und weiter zufügen wird, wenn sich weiter ungebremst austoben könnend. Und die Natur hat längst angefangen zurückzuschlagen.
Natürlich ist die Vergötterung der Naturkräfte der naive Versuch, sich diese gefügig zu machen
u.a. auf Geschäftsbasis (Do, ut des.)
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Γραικύλος schrieb am 01.08.2024 um 10:00 Uhr (Zitieren)
Was freilich nicht bedeutet, daß sie gefügig sind bzw. so gedacht werden.
Athene liebt ihren Odysseus, und wenn die Trojaner ihr opfern, ist das zwecklos. Dionysos ist eh unberechenbar.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Andreas schrieb am 01.08.2024 um 16:15 Uhr (Zitieren)
Statt gefügig besser: gnädig
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Bukolos schrieb am 02.08.2024 um 07:32 Uhr (Zitieren)
Diese Zuschreibung geistert zwar durch diverse Sentenzensammlungen seit der 2. Hälfte des 19. Jhs., die Phrase ist aber, soweit ich sehe, bei Laktanz nicht nachweisbar.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Γραικύλος schrieb am 02.08.2024 um 10:09 Uhr (Zitieren)
Ich habe das dem Faselius (1859) entnommen; der gibt in der Tat keine genaue Stelle an.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Bukolos schrieb am 02.08.2024 um 15:08 Uhr (Zitieren)
Auf August Faselius (auf den sich wiederum Wilhelm Binder in seinem Novus thesaurus adagiorum Latinorum, Stuttgart 1861, beruft) könnte die Fehlzuschreibung tatsächlich zurückgehen. Wie er dazu kommt, darüber kann man nur spekulieren.
Im englischen Journal Notes and Queries 191 (vom 25. 06. 1853)* wird mit Bezug auf Boswells Life of Johnson der Ursprung der Sentenz diskutiert. In diesem Zusammenhang wird auch Laktanz genannt als ein Beleg für den bereits antiken Gebrauch von dementare. Möglich, dass Faselius (oder seine Quelle) hier etwas missverstanden und aus dem Hinweis, dementare finde sich bei Laktanz,** geschlossen hat, dass dies ebenso für die lateinische Version des Spruchs zutreffe.
Lese ich richtig? Geht es in der angegebene Stelle in N & Q (S. 618) nicht um Euripides, der NICHT die Quelle von Quem perdere sei?
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Bukolos schrieb am 02.08.2024 um 21:19 Uhr (Zitieren)
Beides. Der Artikel reagiert ja auf die im Kommentar Malones (in der dritten Augabe des Life of Johnson, London 1799*) zitierte Äußerung John Pitts', in der dieser einerseits behauptet, Quos Deus vult perdere, prius dementat sei die Übersetzung eines Euripides-Fragments, andererseits, das Lexem demento sei "of no authority, either as a verb active or neuter." Letzteres zu widerlegen führt der Artikel nun Laktanz an.
Γραικύλος schrieb am 02.08.2024 um 21:29 Uhr (Zitieren)
Der Tosi gibt zwei lateinische Quellen an:
1. Velleius Paterculus II 118,4: "quippe ita se res habet, ut plerumque cuius fortunam mutaturus deus, consilia corrumpat [...]."
2. Publilius Syrus S 30: "Stultum facit fortuna, quem vult perdere."
Keinen Laktanz.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Bukolos schrieb am 02.08.2024 um 22:42 Uhr (Zitieren)
Wobei beide Zitate ja nur eine inhaltliche Entsprechung liefern. Fred Householder (The Classical Weekly 29, 1936*) nimmt als tpq eben Publilius, als taq James Duports Homeri Gnomologia (Cambridge 1660) für die Prägung an. Tatsächlich wird Perdere quos vult Iupiter, hos dementat bereits 1609 von James I. von England in seiner Apologie for the Oath of Allegiance verwendet.
filix schrieb am 03.08.2024 um 02:06 Uhr (Zitieren)
θεοβλάβεια (wie bei Ajax oder Herakles) scheint mir keine genuine Strategie des christlichen Gottes, seine Feinde zu vernichten, auch wenn später versucht wurde, verblendetes Verhalten im Ungehorsam gegen ihn so zu deuten. In diese Richtung geht m.E. auch Householders Schlussbemerkung "Since it conveys a non-Christian sentiment, a clerical, and hence a medieval origin is doubtful." Das macht die Zuschreibung an Laktanz umso merkwürdiger, würde andererseits erklären, warum sich die Variante mit Jupiter so lange hält und selbst bei der mit Deus als Subjekt betont wird, es handle sich um eine heidnische Weisheit, a heathen saying usf.
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Γραικύλος schrieb am 03.08.2024 um 10:18 Uhr (Zitieren)
Übernimmt in der christlichen Religion diese Rolle der Diabolos?
Re: Quem perdere vult Deus, prius dementat
Bukolos schrieb am 03.08.2024 um 11:24 Uhr (Zitieren)
Dabei darf man es wohl unter britischen Humor verbuchen, wenn King James dem Vorwurf von päpstlicher Seite (Bellarmin), einen neuen Julian zu verkörpern, mit der Warnung vor der Strafe Jupiters begegnet.