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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Der Priester und der Wolf (211 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 27.09.2024 um 00:08 Uhr (Zitieren)
Romulus Anglicus [11./12.Jhdt.] 124:
Presbiter quidam docuit Lupum litteras. Presbiter dixit A et Lupus similiter. Presbiter ait B et Lupus similiter. C, dixit Presbiter, et Lupus dixit similiter. Modo congrega, ait Presbiter, et sillabica. Et respondit Lupus: Sillabicare nondum scio. Cui Presbiter: Ut tibi mellius videtur, sic dicito. Et ait Lupus: Michi optime videtur quod hoc sonat Agnus. Tunc Presbiter ait: Quod in corde, hoc in ore.
Moralitas. Lingua clamat quod cor amat. Hinc sepe datur intelligi quod verum sit in corde teneri.

Ein Priester brachte einem Wolf das Alphabet bei. Der Priester sagte A, ebenso der Wolf; der Priester sagte B, ebenso der Wolf; C, sagte der Priester, und der Wolf tat dasselbe. „Jetzt füge sie zusammen“, sagte der Priester, „und forme Silben.“ Der Wolf sagte: „Ich kann noch nicht Silben bilden.“ Da sprach der Priester: „Sprich es dann so aus, wie es dich gut dünkt.“ Der Wolf sprach: „Mir gefällt es am besten, wenn es wie ‚agnus‘, Lamm, klingt.“ Da sprach der Priester: „Wie im Sinne, so im Mund.“
Moral: Die Zunge sagt, was dem Sinne behagt. Das gibt uns oft zu verstehen, daß man die Wahrheit im Inneren hält.

(Lateinische Fabeln des Mittelalters. Hrsg. v. Harry C. Schnur. München 1979, S. 186 f.)
Re: Der Priester und der Wolf
filix schrieb am 28.09.2024 um 14:51 Uhr (Zitieren)
Der pädagogische Hintergrund der Fabel ist gar nicht mehr so leicht zu verstehen, es handelt sich m.E. um die lange eingesetzte, im deutschen Sprachraum im späten 19. Jahrhundert aus der Mode gekommene Buchstabiermethode beim Schriftspracherwerb.

Der Wolf soll also zunächst nicht einfach irgendwelche Buchstaben zu Silben kombinieren, sondern die silbischen Buchstabennamen (A, Be, Ce, De …) erlernen, um später auf diese Weise Silben und Wörter zu buchstabieren (De O Em I En U Es).

Die von seinem wässrigen Maul geleitete Antwort Isegrims ist in gewisser Weise ihrer Zeit voraus, sie nennt wie die aus militärisch-telekommunikativen Zusammenhängen hervorgegangenen Buchstabieralphabete (A wie Anton, B wie Berta, C wie Cäsar …) ein unverwechselbares mit dem jeweiligen Buchstaben anlautendes Wort, um ihn zu identifizieren.
Re: Der Priester und der Wolf
Andreas schrieb am 28.09.2024 um 15:54 Uhr (Zitieren)
Zwei KI-Interpretationen zum Vergleich:

Ein Priester brachte einem Wolf das Alphabet bei. Der Priester sagte A, ebenso der Wolf; der Priester sagte B, ebenso der Wolf; C, sagte der Priester, und der Wolf tat dasselbe. „Jetzt füge sie zusammen“, sagte der Priester, „und forme Silben.“ Der Wolf sagte: „Ich kann noch nicht Silben bilden.“ Da sprach der Priester: „Sprich es dann so aus, wie es dich gut dünkt.“ Der Wolf sprach: „Mir gefällt es am besten, wenn es wie ‚agnus‘, Lamm, klingt.“ Da sprach der Priester: „Wie im Sinne, so im Mund.“
Moral: Die Zunge sagt, was dem Sinne behagt. Das gibt uns oft zu verstehen, daß man die Wahrheit im Inneren hält.

Diese Fabel enthält eine tiefgründige Lektion über die menschliche Natur und Kommunikation. Lassen Sie uns die verschiedenen Aspekte der Geschichte analysieren:

Symbolik:
Der Priester repräsentiert Bildung, Zivilisation und moralische Führung.
Der Wolf symbolisiert die wilde, ungezähmte Natur und potenzielle Gefahr.
Das Alphabet steht für Wissen und Kommunikationsfähigkeit.
Das Lamm ("agnus") symbolisiert Unschuld und potenzielle Beute.

Der Lernprozess:
Der Wolf lernt das Alphabet, was zeigt, dass selbst wilde Naturen grundlegendes Wissen erwerben können. Jedoch reicht dieses oberflächliche Wissen nicht aus, um das Wesen des Wolfs zu ändern.
Die Enthüllung der wahren Natur:
Als der Wolf aufgefordert wird, frei zu sprechen, offenbart er seine wahren Absichten und Gedanken. Trotz des erlernten Alphabets denkt er sofort an seine Beute, das Lamm.
Die Moral:
"Die Zunge sagt, was dem Sinne behagt" bedeutet, dass unsere Worte oft unsere wahren Gedanken und Absichten verraten, selbst wenn wir versuchen, sie zu verbergen.
Tiefere Bedeutung:

Bildung allein reicht nicht aus, um jemandes grundlegende Natur oder Absichten zu ändern.
Wahre Gedanken und Absichten kommen oft zum Vorschein, wenn man frei spricht.
Man sollte vorsichtig sein, oberflächliche Veränderungen als tiefgreifende Transformation zu interpretieren.

Anwendung auf die menschliche Gesellschaft:
Diese Fabel kann als Warnung verstanden werden, vorsichtig zu sein, wenn man Menschen oder Situationen bewertet. Äußere Zeichen von Bildung oder Kultiviertheit garantieren nicht notwendigerweise innere Veränderung oder gute Absichten.

Zusammenfassend lehrt uns diese Fabel, aufmerksam auf die Handlungen und wahren Absichten von Menschen zu achten, anstatt uns von oberflächlichen Erscheinungen täuschen zu lassen. Sie erinnert uns auch daran, dass unsere eigenen Worte und Handlungen oft mehr über uns preisgeben, als wir beabsichtigen.
Re: Der Priester und der Wolf
Patroklos schrieb am 28.09.2024 um 15:56 Uhr (Zitieren)
Freunde des letzten Buchstaben im englischen Alphabet erfreuen sich an „ampersand“, dem &, dem Kaufmanns-und. Eine hübsche Korruption von „and per se and“. Kam das ampersand mit den Normannen nach England? Französisch heißt es esperluette, unkorrumpiert „C‘est pour le‘et‘“. Der große Liebhaber des &, Arno Schmidt, kann leider nicht mehr helfen.
Re: Der Priester und der Wolf
filix schrieb am 28.09.2024 um 21:21 Uhr (Zitieren)
Das Motiv der Fabel ist deutlich älter, man findet den buchstabierenden Wolf in der Schule, der sein Herz auf der Zunge trägt, schon in der Spruch- und Fabelsammlung der Erzählung um Achiqar (mindestens 500 v., in verschiedenen Sprachen überliefert - https://en.wikipedia.org/wiki/Story_of_Ahikar)

A very strong confirmation of this theory of a lost Hebrew original lies in the supposition that Ahikar’s teaching of his son was in the old-fashioned Hebrew style which is based upon the successive letters of the alphabet.

If this supposition can be verified the demonstration will be complete. And there is something to be said for it.

The author of the legends makes in his parables a lesson for a wolf: they bid the wolf say, according to the Armenian version, ayp, ben, gim (ie. the first three letters of the Armenian alphabet), and the wolf said Ayts, bouts, garhn (i.e.goat, kid, lamb).

Clearly the Armenian is preserving a trait from the original, in which the wolf, learning his alphabet, names animals which he has eaten, according to the method of a child’s picture-blocks (only that the material of the illustration has to be gastronomic).

The point of the parable is lost in the Arabic, which makes the wolf say for his A and B, ‘lamb and goat in my belly’: but the words in Arabic do not respond to the suggested alphabet.

That feature has disappeared. In the old French the wolf, in despair at the length of the lesson, proceeds to say it his own way, ‘Aignel, Aignel,’ and here the first letter is preserved, though the translation appears to have broken down on the second letter of the alphabet. For he gives nothing more than lamb to his wolf.

The Syriac rendering is as follows: ‘the teacher said to him, “(Say) Aleph Beth”; but the wolf said “ Kid, Sheep ”’: on which Dr Dillon appropriately suggests that ‘the wolf pronounced the words beginning with the first two letters of the alphabet which best expressed the thoughts of his mind.’
(The story of Aḥiḳar from the Aramaic, Syriac, Arabic, Armenian, Ethiopic, Old Turkish, Greek and Slavonic versions, by F.C.Conybeare, J.Rendel Harris, and Agnes Smith Lewis. 2d ed. enlarged and corrected. Cambridge, University Press, 1913)

Wie in der altfranzösisch Variante ist in der hier vorgestellten die Antwort Isegrims folglich so zu deuten, dass ihm alle Buchstaben agnus zu schreien scheinen, nicht bloß das A.


Re: Der Priester und der Wolf
Γραικύλος schrieb am 28.09.2024 um 23:54 Uhr (Zitieren)
So schön Dein erster Einfall auch war ... da in diesem Falle der Wolf sich für sein NATO-Alphabet zu jedem Buchstaben ein Beutetier hätte ausdenken müssen, wird wohl die zweite Deutung die bessere sein.
Re: Der Priester und der Wolf
filix schrieb am 29.09.2024 um 11:32 Uhr (Zitieren)
Tja, nichts mit Agnus, Bos, Cervus, Delta … als Alphabetum Lupi, obwohl die Antwort des kinderfressenden Urahns der Fabel dem ähnelt.


Kam das ampersand mit den Normannen nach England?

Das war offenbar schon vor William the Conqueror da:

The ampersand often appeared as a character at the end of the Latin alphabet, as for example in Byrhtferð's list of letters from 1011.
 
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