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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Eine Geschichte von Religion und Krieg #3 (65 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 07.01.2025 um 23:14 Uhr (Zitieren)
Noch weniger verbreitet ist der Glaube an Götter. Diese sind den Geistern analoge Wesen, nur mit größerem Kompetenzspielraum und mehr Macht. Zudem sind sie für bestimmte Bereiche zuständig und weisen Hierarchien auf. Alles Aspekte, die nicht zu egalitären Jäger und Sammler-Gesellschaften passen. Wenn Götter von ihnen verehrt werden, dann handelt es sich in der Regel um Beeinflussungen durch Nachbargesellschaften oder Missionare. Das gilt erst recht für die Vorstellungen moralisch eingreifender Götter, wie sie typisch für die späten monotheistischen Religionen sein werden.

Der Anthropologe Stewart Guthrie (3) spricht von „Anthropomorphisierung“: Mächtige Götter, die sich wie Herrscher gebärden, können sich Menschen erst dann vorstellen, wenn sie mächtige Individuen kennen, die sich zu Herrschern aufgeschwungen haben. Götter tauchen also frühestens im Neolithikum im Kontext hierarchischer Gesellschaften auf. Sie sind als Widerspiegelung irdischer Realitäten eine späte Erscheinung.

Ein weiterer Karrierefaktor, der aus Geistern Götter werden ließ: Die neue landwirtschaftliche Welt wurde von Epidemien, Dürren und Überflutungen heimgesucht. Konflikte und andere Katastrophen nahmen zu. In Ermangelung des Wissens um die tatsächlichen Gründe schrieb die animistische Seite der menschlichen Psychologie dies unsichtbaren Akteuren zu. Das aus der neuen Lebensweise resultierende Unheil bescherte den mutmaßlichen Verursachern einen immensen Schub: Eine Seuche, die eine Siedlung dahinraffte, eine Hitzewelle, die eine Hungersnot verursachte – das bedurfte Verursacher entsprechender Statur. Die Götter werden also just in jenem Zeitfenster groß, als auch der Krieg groß wurde.

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Einmal mehr erweist sich der Blick in die Ethnografie als erhellend. Bei der Diskussion der ebenso sesshaften wie kriegerischen Jäger und Sammler Australiens haben wir eine zentrale Frage ausgeklammert: Worauf gründete die Macht der alten Männer, die das Sagen hatten und mehrere Frauen besaßen? Denn auch in diesen „polygynen Gerontokratien“ stellt sich das grundlegende Problem von Herrschaft. Jürg Helbling formuliert es so: „Die alten Männer können ihre Macht nur so lange ausüben, wie die kulturellen Normen und Werte, Weltanschauungen und Rituale und die damit zusammenhängende Statushierarchie von den mindermächtigen Gruppenmitgliedern akzeptiert werden.“

Wie ihnen das gelingt? Die alten Männer kontrollieren den Zugang zum religiös-spirituellen Wissen. Darauf baut sich ihre Autorität auf. „Junge Männer ‚zahlen‘ für ihre religiöse Unterweisung mit Nahrungsmittelabgaben und ermöglichen den Alten mit ihrer Jagdtätigkeit – zusammen mit dem Sammeln der Frauen – ein weitgehend arbeitsfreies Leben und eine intensive Beschäftigung mit Religion, Kunst und Ritualen“, schreibt Helbling. Die jungen Männer sind ihrerseits auf die Monopolisten des religiösen Wissens angewiesen: „Der Zugang zu esoterischem Wissen gilt als Voraussetzung, um Erwachsenenstatus zu erlangen und ein Mann zu werden.“ Die Alten können die Jungen von Ritualen und Initiation ausschließen – und damit deren Heirat verhindern. Die Kontrolle über das religiöse Wissen ist also die Quelle der Macht. Als Vertraute der lebensbestimmenden Mächte und Wächter geheimer Kenntnisse legitimieren die alten Männer ihre Herrschaft.

(Harald Meller / Kai Michel / Carel van Schaik: Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte. München 2024, S. 296-311)

(3) Guthrie, S.: Faces in the Clouds. A New Theory of Religion. New York 1993
 
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