Γραικύλος schrieb am 10.01.2025 um 00:05 Uhr (Zitieren)
Die folgende Textpassage ist die frauenfeindlichste, die ich aus der Antike kenne. Sie vor allem hat wohl den Ruf des Euripides begründet, ein Frauenfeind zu sein - obwohl man selbstverständlich einem Autor nicht ohne weiteres die Meinung einer seiner Figuren unterstellen darf.
Euripides, Hippolytos V. 616-668:
Hippolytos ist von seiner Stiefmutter Phaidra fälschlich der sexuellen Belästigung bezichtigt worden, was sein Vater Theseus ihm sehr übel nimmt.
An die an dem Komplott beteiligte Amme gerichtet sagt er:
(Euripides: Dramen und Fragmente in 6 Bänden. Hrsg. v. Gustav Adolf Seeck und Ernst Buschor. München 1972; Bd. 1, S. 224-227)
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 10:21 Uhr (Zitieren)
das liest sich ganz aktuell, ein Weltbild wie es in frauenhasser Kreisen gepflegt wird.
Gibt es eine Kontinuität Antike -> Mittelalter -> Jetztzeit? Allerdings findet man das auch in anderen, unwestlichen Kulturen.
Ein armer Teufel, der die Frauen verteufelt und auf diese Weise eine der schönsten Seiten des Lebens, die wechselseitig vertrauensvolle Partnerschaft, verpasst.
Frauenhass ist wahrscheinlich eher eine Sache der verkorxten Psyche als der Kultur. Die kulturelle Frage ist, inwieweit sowas als normal deklariert und akzeptiert wird.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 10.01.2025 um 10:49 Uhr (Zitieren)
Die Gegenrede, eine illusionslose Schilderung der Lebenssituation freigeborener Frauen im Athen des 5. Jhs., legt Euripides seiner Medea in den Mund:
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 11:03 Uhr (Zitieren)
das kann ein Mann (Euripides) naturgemäß nicht beurteilen. Der kann die Erfahrung nicht machen und folglich nicht vergleichen.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Γραικύλος schrieb am 10.01.2025 um 13:38 Uhr (Zitieren)
Das zeigt, daß Euripides so einseitig frauenverachtend nicht dachte.
Ich glaube, βροχή, so fernab ist das, was Frauen beim Gebären erleben, nicht allen Männern, daß sie dies nicht zu würdigen verstünden. Manche Väter sind ja auch bei der Geburt ihrer Kinder dabei und nehmen zumindest wahr, was stundenlange Wehen bedeuten.
Der Hippolytos begeht einen Fehler, dem nach meinem Eindruck viele Menschen (nicht nur Männer) erliegen: Sie verallgemeinern persönliche Erfahrungen. Ihm ist von einer Frau übel mitgespielt worden ... und auf dieser Grundlage urteilt er über die Frauen.
Für das Frauenbild besonders ruinös ist es oft, wenn diese eine Frau die eigene Mutter ist - was jedoch hier nicht der Fall ist, weshalb man Hippolytios sagen könnte, daß er mit seinen Aussagen unweigerlich auch über seine Mutter urteilt.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Andreas schrieb am 10.01.2025 um 14:33 Uhr (Zitieren)
Dazu fällt mir ein:
Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen.
Soll von Kierkegaard sein (Entweder-Oder)
Oder in dieser Variante von Sokrates:
Heirate auf jeden Fall. Bekommst du eine gute Frau, wirst du glücklich.
Bekommst du eine schlechte, wirst du ein Philosoph.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Patroklos schrieb am 10.01.2025 um 16:05 Uhr (Zitieren)
Merkwürdig und rätselhaft erscheint die Über-Eck-Bestrafung (bzw. Rache) der Aphrodite. So wird Phaidra zu ihrem Werkzeug.
Potifars Frau ist kein Werkzeug, sie ist bösartig aus eigenem Willen.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 16:23 Uhr (Zitieren)
Die Idee, dass eine Frau nach einer Geburt mit einem Mann tauschen möchte, ist etwas unrealistisch. Geburt hat ja noch die 2. Seite, das Glücksgefühl an der Entstehung eines neuen Lebens direkt beteiligt zu sein, die wenigsten Frauen die es erlebten, wollen das freiwillig missen.
Das meinte ich mit verkorxter Psyche, irgendwie hat der einen Knacks abbekommen.
Zum gesellschaftl. Problem wird das, wenn andere, die frei von seiner Negativerfahrung sind, seine Meinung trotzdem übernehmen.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Γραικύλος schrieb am 10.01.2025 um 17:07 Uhr (Zitieren)
Von Sokrates: Diogenes Laertios II 33.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 18:06 Uhr (Zitieren)
... man weiss es nicht vorher, das ist die crux.
Und dann gibt es noch die notorischen Heirater, die bereuen es 4,5,7 mal, sie können gar nicht genug bekommen
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 12.01.2025 um 21:36 Uhr (Zitieren)
Sich darüber zu äußern, was eine werdende Mutter empfindet, wäre der Autor sicher alles andere als kompetent. Die Abwegigkeit würde noch dadurch gesteigert, dass die Figur der Medea bei der Aufführung durch einen Mann repräsentiert wurde. Aber nehmen wir einmal an, Medea redet hier nicht über emotionale Erfahrungen: Angesichts der mutmaßlich hohen Sterblichkeit junger Mütter bei der Geburt in einer Gesellschaft, in der weder medizinische Versorgung noch Hygiene den Standards moderner Industriegesellschaften entsprach, in der zudem das geringe Alter, in dem Frauen heirateten (meist 15 Jahre, oft jünger) zusätzliche Risiken für Komplikationen bei der Geburt barg,* erscheint der Vergleich von Gebären und Krieg vielleicht gar nicht so abwegig.
* Hierzu: Nancy H. Demand, Birth, Death, and Motherhood in Classical Greece, Baltimore 1994, S. 206, Fn. 4.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 13.01.2025 um 07:34 Uhr (Zitieren)
Vergleichen kann man immer, verschiedene Facetten beleuchten und nebeneinander stellen. Soweit d accord.
Seltsam wird es erst bei der Wertung, wenn Euripides meint er wüsste, was eine Frau bevorzugt.
Naja, er lässt ja auch nur 1 fiktive Figur diese Wertung machen, als individuelle Sicht auch ok, man soll es nicht verallgemeinern.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 13.01.2025 um 09:57 Uhr (Zitieren)
Ich hätte vermutet, dass es sich beim θέλοιμ᾽ ἂν μᾶλλον ... eher um eine rhetorische Formel handelt (in einer mehr technischen Ausdrucksweise hätte die Sprecherin für den zum Ausdruck gebrachten Sachverhalt auch formulieren können: "Die Mortalitätsrate unter Gebärenden ist dreimal so hoch wie die von Teilnehmern an militärischen Operationen") als um den Ausdruck eines Wunsches, schließlich ist Medea zum Zeitpunkt der Rede ja bereits zweifache Mutter.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 13.01.2025 um 10:29 Uhr (Zitieren)
... eine rhetorische Formel ...
Hatte Euripides Statistiken im Sinn? Kannte er diese Statistiken?
Warum sollte Medea, welche 2 Geburten überlebte, im Nachhinein diese nicht wollen?
Medea war eben keine typische Mutter, sie hatte ihren Beschützerinstinkt verloren. Viell. hatte sie ein Geburtstrauma erlitten?
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 13.01.2025 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Diese Fragen hätten zur Vermutung führen können, dass das Wording hier nicht im völligen Bierernst gewählt wurde.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 13.01.2025 um 12:56 Uhr (Zitieren)
. .. achso *gg
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Patroklos schrieb am 13.01.2025 um 14:16 Uhr (Zitieren)
Das Einwohnermeldeamt von Athen genoss bereits in der Mitte des 5. Jahrhunderts einen hervorragenden Ruf. Es hieß, wie heute noch, δημοτολόγιο. Den Nutzen dieser Einrichtung hat bekanntlich Plato im „Staat“ nachdrücklich dargelegt. Werner Jaeger hat dieser Einrichtung im ersten Band seiner „Paideia“ einen erhellenden Abschnitt gewidmet. Spätere Einschätzungen finden sich im Werk von Gunnar Heinsohn.