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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Eine Verfluchung der Frauen (234 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 10.01.2025 um 00:05 Uhr (Zitieren)
Die folgende Textpassage ist die frauenfeindlichste, die ich aus der Antike kenne. Sie vor allem hat wohl den Ruf des Euripides begründet, ein Frauenfeind zu sein - obwohl man selbstverständlich einem Autor nicht ohne weiteres die Meinung einer seiner Figuren unterstellen darf.

Euripides, Hippolytos V. 616-668:

Hippolytos ist von seiner Stiefmutter Phaidra fälschlich der sexuellen Belästigung bezichtigt worden, was sein Vater Theseus ihm sehr übel nimmt.
An die an dem Komplott beteiligte Amme gerichtet sagt er:
Warum hast du der Weiber falsch Geschlecht,
O Zeus, in dieses Sonnenlicht gepflanzt?
[ὦ Ζεῦ, τί δὴ κίβδηλον ἀνθρώποις κακὸν
γυναῖκας ἐς φῶς ἡλίου κατῴκισας;]
War es dein Plan, daß Menschenart sich mehrt,
Ganz ohne Frauen sollte dies geschehn.
In deinen Tempeln müßte man um Geld,
Mit Gold, mit Eisen oder Erzgewicht,
Der Kinder Samen kaufen, jeder, je nachdem
Er eingeschätzt ist, und die Menschen sollten
In freien Häusern leben ohne Frau.
Wie groß dies Übel, zeigt der Vater schon,
Der Mädchen zeugt, sie aufzieht und dann doch
Mit Mitgift losschlägt, ihrer sich befreit.
Wer in sein Haus die Unglückspflanze setzt,
Putzt selber noch das üble Bild heraus,
Hängt Schmuck ihm, hängt ihm schöne Kleider um,
Dem Ärmsten schmilzt sein Wohlstand schnell dahin.
Glücklich, wem eine Null [τὸ μηδέν], ein unscheinbar
Einfältig Weib ins Haus gezogen ist.
Nur keine kluge, allzu schlaue Frau!
Den schlechten Sinn pflanzt Kypris eher in
Die klugen Seelen, und die ungeschickte Frau
Bleibt durch die Einfalt von dem Laster fern.
Und keine Magd umgebe je die Frau,
Nur Tiergezücht, das keine Sprache kennt,
So daß kein Wort sie jemals tauschen kann.
Jetzt spinnen üble Frauen üble Pläne nur
Im Haus, und Mägde tragen sie hinaus
Wie du, die in des Vaters reinem Bett
Mir Wirrung stiften wollte, übles Weib.
Mit frischem Wasser spül ich solche Reden mir
Aus meinem Ohr. Mich hieltst du für verrucht!
Mich hat das bloße Hören schon beschmutzt!
Dich rettet einzig meine Frömmigkeit.
Den Ahnungslosen fingst du mit dem Schwur,
Sonst wäre rasch der Vater eingeweiht.
Nun weilt er fern. Ich meide dieses Haus,
Bis Theseus kommt. Das Schweigen brech ich nicht,
Doch will ich mit ihm kommen, das Gesicht
Zu sehn, mit dem ihn Frau und Magd begrüßt.
Zwar deiner Frechheit bin ich schon gewiß.
O seid verflucht! Und werd ich zum Gespött,
Nie wird mein Herz des Weiberhasses satt.
[μισῶν δ‘ οὕποτ‘ ἐμπλησθήσομαι
γυναῖκας, οὐδ‘ εἴ φησί τίς μ‘ ἀεὶ λέγειν.]
Sie sind und bleiben eine schlimme Brut.
So lang man sie zum Guten nicht bekehrt,
Sei meine Feindschaft ihr gewisses Teil.

(Euripides: Dramen und Fragmente in 6 Bänden. Hrsg. v. Gustav Adolf Seeck und Ernst Buschor. München 1972; Bd. 1, S. 224-227)

Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 10:21 Uhr (Zitieren)
das liest sich ganz aktuell, ein Weltbild wie es in frauenhasser Kreisen gepflegt wird.
Gibt es eine Kontinuität Antike -> Mittelalter -> Jetztzeit? Allerdings findet man das auch in anderen, unwestlichen Kulturen.

Ein armer Teufel, der die Frauen verteufelt und auf diese Weise eine der schönsten Seiten des Lebens, die wechselseitig vertrauensvolle Partnerschaft, verpasst.

Frauenhass ist wahrscheinlich eher eine Sache der verkorxten Psyche als der Kultur. Die kulturelle Frage ist, inwieweit sowas als normal deklariert und akzeptiert wird.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 10.01.2025 um 10:49 Uhr (Zitieren)
Die Gegenrede, eine illusionslose Schilderung der Lebenssituation freigeborener Frauen im Athen des 5. Jhs., legt Euripides seiner Medea in den Mund:
Von allem, was beseelt ist und Verstand besitzt,
sind doch wir Frauen das erbärmlichste Geschöpf
Erst müssen durch ein Übermaß an Geld den Mann
wir kaufen - und den Herrn gewinnen über Leben
und Leib. Dies Übel ist noch schmerzlicher als jenes.
Der Kernpunkt dann: Ist schlecht, ist gut, den wir bekommen?
Sich scheiden lassen bringt ja einer Frau nur Schande,
und einen Gatten abzulehnen ist nicht möglich.
In eine neue Lebensführung tritt die Frau
und muss, von Haus aus unbelehrt, Prophetin sein,
mit wem als Gatten sie am besten fahren wird.
Gelingt uns das und lebt der Mann mit uns zusammen
und trägt das Ehejoch geduldig, spricht man von
beneidenswertem Leben. Sonst - bleibt uns der Tod!
Und fällt dem Manne lästig der Familienkreis,
geht er hinaus und macht sein Herz vom Kummer frei,
sucht einen Kameraden, Jugendfreunde auf
Wir aber dürfen nur auf eine Seele schauen.
Sie sagen, ein gefahrlos Leben führten wir
im Hause, sie dagegen kämpften mit der Waffe -
die Toren: Dreimal möchte ich mich lieber stellen
in Reih und Glied als einmal nur ein Kind gebären!
(Med. 230-251, Übers. Ebener)
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 11:03 Uhr (Zitieren)
Dreimal möchte ich mich lieber stellen
in Reih und Glied als einmal nur ein Kind gebären!


das kann ein Mann (Euripides) naturgemäß nicht beurteilen. Der kann die Erfahrung nicht machen und folglich nicht vergleichen.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Γραικύλος schrieb am 10.01.2025 um 13:38 Uhr (Zitieren)
Ich danke für den Hinweis auf die Gegenposition der euripideischen Medea, von der hier schon einmal kurz die Rede war:
https://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=8127

Das zeigt, daß Euripides so einseitig frauenverachtend nicht dachte.

Ich glaube, βροχή, so fernab ist das, was Frauen beim Gebären erleben, nicht allen Männern, daß sie dies nicht zu würdigen verstünden. Manche Väter sind ja auch bei der Geburt ihrer Kinder dabei und nehmen zumindest wahr, was stundenlange Wehen bedeuten.

Der Hippolytos begeht einen Fehler, dem nach meinem Eindruck viele Menschen (nicht nur Männer) erliegen: Sie verallgemeinern persönliche Erfahrungen. Ihm ist von einer Frau übel mitgespielt worden ... und auf dieser Grundlage urteilt er über die Frauen.

Für das Frauenbild besonders ruinös ist es oft, wenn diese eine Frau die eigene Mutter ist - was jedoch hier nicht der Fall ist, weshalb man Hippolytios sagen könnte, daß er mit seinen Aussagen unweigerlich auch über seine Mutter urteilt.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Andreas schrieb am 10.01.2025 um 14:33 Uhr (Zitieren)
Dazu fällt mir ein:
Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen.
Soll von Kierkegaard sein (Entweder-Oder)

Oder in dieser Variante von Sokrates:
Heirate auf jeden Fall. Bekommst du eine gute Frau, wirst du glücklich.
Bekommst du eine schlechte, wirst du ein Philosoph.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Patroklos schrieb am 10.01.2025 um 16:05 Uhr (Zitieren)
Merkwürdig und rätselhaft erscheint die Über-Eck-Bestrafung (bzw. Rache) der Aphrodite. So wird Phaidra zu ihrem Werkzeug.
Potifars Frau ist kein Werkzeug, sie ist bösartig aus eigenem Willen.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 16:23 Uhr (Zitieren)

so fernab ist das, was Frauen beim Gebären erleben, nicht allen Männern

Die Idee, dass eine Frau nach einer Geburt mit einem Mann tauschen möchte, ist etwas unrealistisch. Geburt hat ja noch die 2. Seite, das Glücksgefühl an der Entstehung eines neuen Lebens direkt beteiligt zu sein, die wenigsten Frauen die es erlebten, wollen das freiwillig missen.





Sie verallgemeinern persönliche Erfahrungen. Ihm ist von einer Frau übel mitgespielt worden ... und auf dieser Grundlage urteilt er über die Frauen.


Das meinte ich mit verkorxter Psyche, irgendwie hat der einen Knacks abbekommen.
Zum gesellschaftl. Problem wird das, wenn andere, die frei von seiner Negativerfahrung sind, seine Meinung trotzdem übernehmen.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Γραικύλος schrieb am 10.01.2025 um 17:07 Uhr (Zitieren)
Heirate oder heirate nicht, du wirst beides bereuen.
Soll von Kierkegaard sein (Entweder-Oder)

Von Sokrates: Diogenes Laertios II 33.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 10.01.2025 um 18:06 Uhr (Zitieren)
... man weiss es nicht vorher, das ist die crux.

Und dann gibt es noch die notorischen Heirater, die bereuen es 4,5,7 mal, sie können gar nicht genug bekommen
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 12.01.2025 um 21:36 Uhr (Zitieren)
Zitat von βροχή am 10.1.25, 11:03das kann ein Mann (Euripides) naturgemäß nicht beurteilen. Der kann die Erfahrung nicht machen und folglich nicht vergleichen.

Sich darüber zu äußern, was eine werdende Mutter empfindet, wäre der Autor sicher alles andere als kompetent. Die Abwegigkeit würde noch dadurch gesteigert, dass die Figur der Medea bei der Aufführung durch einen Mann repräsentiert wurde. Aber nehmen wir einmal an, Medea redet hier nicht über emotionale Erfahrungen: Angesichts der mutmaßlich hohen Sterblichkeit junger Mütter bei der Geburt in einer Gesellschaft, in der weder medizinische Versorgung noch Hygiene den Standards moderner Industriegesellschaften entsprach, in der zudem das geringe Alter, in dem Frauen heirateten (meist 15 Jahre, oft jünger) zusätzliche Risiken für Komplikationen bei der Geburt barg,* erscheint der Vergleich von Gebären und Krieg vielleicht gar nicht so abwegig.

* Hierzu: Nancy H. Demand, Birth, Death, and Motherhood in Classical Greece, Baltimore 1994, S. 206, Fn. 4.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 13.01.2025 um 07:34 Uhr (Zitieren)
erscheint der Vergleich von Gebären und Krieg vielleicht gar nicht so abwegig.


Vergleichen kann man immer, verschiedene Facetten beleuchten und nebeneinander stellen. Soweit d accord.
Seltsam wird es erst bei der Wertung, wenn Euripides meint er wüsste, was eine Frau bevorzugt.
Naja, er lässt ja auch nur 1 fiktive Figur diese Wertung machen, als individuelle Sicht auch ok, man soll es nicht verallgemeinern.



Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 13.01.2025 um 09:57 Uhr (Zitieren)
Ich hätte vermutet, dass es sich beim θέλοιμ᾽ ἂν μᾶλλον ... eher um eine rhetorische Formel handelt (in einer mehr technischen Ausdrucksweise hätte die Sprecherin für den zum Ausdruck gebrachten Sachverhalt auch formulieren können: "Die Mortalitätsrate unter Gebärenden ist dreimal so hoch wie die von Teilnehmern an militärischen Operationen") als um den Ausdruck eines Wunsches, schließlich ist Medea zum Zeitpunkt der Rede ja bereits zweifache Mutter.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 13.01.2025 um 10:29 Uhr (Zitieren)
... eine rhetorische Formel ...

Hatte Euripides Statistiken im Sinn? Kannte er diese Statistiken?
Warum sollte Medea, welche 2 Geburten überlebte, im Nachhinein diese nicht wollen?
Medea war eben keine typische Mutter, sie hatte ihren Beschützerinstinkt verloren. Viell. hatte sie ein Geburtstrauma erlitten?
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Bukolos schrieb am 13.01.2025 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Zitat von βροχή am 13.1.25, 10:29Hatte Euripides Statistiken im Sinn? Kannte er diese Statistiken?

Diese Fragen hätten zur Vermutung führen können, dass das Wording hier nicht im völligen Bierernst gewählt wurde.
Re: Eine Verfluchung der Frauen
βροχή schrieb am 13.01.2025 um 12:56 Uhr (Zitieren)
. .. achso *gg
Re: Eine Verfluchung der Frauen
Patroklos schrieb am 13.01.2025 um 14:16 Uhr (Zitieren)
Das Einwohnermeldeamt von Athen genoss bereits in der Mitte des 5. Jahrhunderts einen hervorragenden Ruf. Es hieß, wie heute noch, δημοτολόγιο. Den Nutzen dieser Einrichtung hat bekanntlich Plato im „Staat“ nachdrücklich dargelegt. Werner Jaeger hat dieser Einrichtung im ersten Band seiner „Paideia“ einen erhellenden Abschnitt gewidmet. Spätere Einschätzungen finden sich im Werk von Gunnar Heinsohn.
 
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