Γραικύλος schrieb am 11.01.2025 um 00:10 Uhr (Zitieren)
Euripides, Hippolytos Verse 916-920:
(Euripides: Dramen und Fragmente in 6 Bänden. Hrsg. v. Gustav Adolf Seeck und Ernst Buschor. München 1972; Bd. 1, S. 244 f.)
Re: Theseus über die condicio humana
Aurora schrieb am 11.01.2025 um 07:24 Uhr (Zitieren)
KI sagt mir dazu:
Euripides' Verständnis von Vernunft (φρονεῖν/νοῦς) ist vielschichtig und lässt sich aus seinen Werken wie folgt analysieren:
Praktische Vernunft (φρονεῖν):
Fähigkeit zur Selbstreflexion und Mäßigung
Praktische Urteilskraft im Alltag
Vermeidung von Hybris (Übermut)
Erkennen der eigenen Grenzen
Intellektuelle Vernunft (νοῦς):
Rationales Denkvermögen
Fähigkeit zur Erkenntnis
Verständnis für Zusammenhänge
Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Schlecht
Besonders interessant ist, dass Euripides in diesem Fragment zwei verschiedene Begriffe verwendet:
φρονεῖν (phronein): eher praktische Klugheit/Vernunft
νοῦς (nous): eher intellektuelle Vernunft/Verstand
Die Ironie des Fragments liegt darin, dass Menschen zwar technische Fähigkeiten (τέχναι) entwickeln können, aber nicht in der Lage sind, grundlegende Vernunft zu vermitteln. Dies spiegelt ein wiederkehrendes Thema bei Euripides wider: Die Spannung zwischen technischem Fortschritt und ethischer/praktischer Weisheit.
In seinen Tragödien zeigt sich oft, dass:
Vernunft eng mit Selbsterkenntnis verbunden ist
Emotionen die Vernunft überwältigen können (besonders in "Medea")
Vernünftiges Handeln oft an menschlichen Leidenschaften scheitert
Wahre Vernunft auch die Anerkennung der eigenen Grenzen bedeutet
Dies steht im Kontext der sophistischen Bewegung seiner Zeit, die stark auf Lehrbarkeit von Tugend und Weisheit setzte - eine Position, der Euripides offenbar skeptisch gegenüberstand.
Ist dem zuzustimmen oder gibt es wieder Grund zur Kritik?
Re: Theseus über die condicio humana
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 11.01.2025 um 18:23 Uhr (Zitieren)
Ist ja nett, was der Blechtrottel (wunderbare, österreichische Münze aus Hans Weigels 'Die Leiden der jungen Wörter') so alles aus den Datenbanken zu ziehen vermag ...
Ich behaupte aber, daß - stützt man sich auf den Wortlaut des Originals *) und wendet dann das an, was man in philogischen Übungen gelernt hat - sich zeigt, ob man selbst zu einem verständigen Umgang mit dem Text und seiner Aussage in der Lage ist, oder ob es wirklich erst einer Maschine bedarf, eine Sentenz wie "Die Ironie des Fragments liegt darin, dass Menschen zwar technische Fähigkeiten (τέχναι) entwickeln können, aber nicht in der Lage sind, grundlegende Vernunft zu vermitteln" aus dem Text zu gewinnen. (Das soll beileibe keine Spitze in Deine Richtung sein, Aurora!)
*) Die gegebene Übersetzung halte ich für flüssig und einigermaßen adäquat, sie gibt aber - ich vermute, um die metrische Bindung herzustellen - die eindringliche, (an)klagende Frage zugunsten eines schulmeisterlich daherkommenden Lehrsatzes auf, beraubt den Text so seiner Unmittelbarkeit, seiner zupackenden Direktheit.
Um dies besser herauszustellen, erlaube ich mir, einen Versuch vorzustellen, der sich con alcune licenze enger am Text hält:
O ihr Menschen, die ihr vielfach fehlt, und ohne Nutzen!
Was lernt Ihr denn zwar tausend Künste
Baut alles mit Kunstfertigkeit, Erfindungsgeist,
Wenn ihr doch Eines nicht versteht, und nicht ihm nachjagt: wie
Zu lehren sei vernünftig denken die, in welchen kein Verstand?
Re: Theseus über die condicio humana
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 11.01.2025 um 18:30 Uhr (Zitieren)
... und ich spendiere noch ein Komma nach "tausend Künste"
Re: Theseus über die condicio humana
Patroklos schrieb am 11.01.2025 um 19:24 Uhr (Zitieren)
Ob KI auch intelligente FRAGEN stellen kann? Das wäre dort zu schön. Dann stünde das Kürzel KI für Kant, Immanuel.
Re: Theseus über die condicio humana
Patroklos schrieb am 11.01.2025 um 19:25 Uhr (Zitieren)
Natürlich: doch.
Re: Theseus über die condicio humana
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 12.01.2025 um 10:27 Uhr (Zitieren)
Vollkommen Deiner Meinung, Patrokle.
Die Fragen bringen uns weiter, die Antworten erst in zweiter Linie.
Re: Theseus über die condicio humana
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 12.01.2025 um 10:37 Uhr (Zitieren)
In Verfolg dessen wird mir auch klarer, worin der Vorzug des Ausrufs des Hippolytos im Original liegt: er spornt zum Nachdenken darüber und über die Gründe an, bei der bloß konstatierenden Übersetzung könnte die Reaktion auf simple Zustimmung (oder Ablehnung) beschränkt sein.
Re: Theseus über die condicio humana
Patroklos schrieb am 12.01.2025 um 12:03 Uhr (Zitieren)
Ich hatte bereits rumgerätselt. Hat jemand eine Idee?
Merkwürdig und rätselhaft erscheint die Über-Eck-Bestrafung (bzw. Rache) der Aphrodite. So wird Phaidra zu ihrem Werkzeug.
Potifars Frau ist kein Werkzeug, sie ist bösartig aus eigenem Willen.