Hängengeblieben bin ich natürlich an Clauss' kühner Behauptung, es handle sich um ein altes Spiel aller Herrscher. Das reizt einerseits, möglichst viele Beispiele, seien sie legendenhaft oder nicht, durch die Zeiten zu finden, andererseits die Natur des Spiels näher zu ergründen und seine Nuancen:
Ob einer etwa nur verkleidet als Beobachter durch die Straßen zieht, um Stimmung und Verhalten der Beherrschten aufzunehmen wie der märchenhafte Kalif von Bagdad, Friedrich Wilhelm I. von Preußen oder der Graf von Falkenstein alias Joseph II. oder die riskante Berührung sucht wie der angeblich pöbelnde und betrunkene junge Nero, der sich inkognito durch Roms finstere Viertel treiben lässt.
Fallen Euch weitere Beispiele und Motive neben Kontrolle und Erkenntnis, Machtspiel und Provokation, der Sehnsucht nach dem Gewöhnlichen oder der Prüfung ein, die auch ein mythologisches Pendant im Inkognito der Götter kennt, die gelegentlich wie Zeus und Hermes als einfache Wandersleute umherziehen, um schließlich bei einem alten Ehepaar einzukehren?
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
Γραικύλος schrieb am 19.07.2025 um 00:10 Uhr (Zitieren)
Tritt nicht auch Jesus in manchen Legenden des Mittelalters inkognito auf? Der ist natürlich in einem anderen Sinne Herrscher. Er prüft, ob sich die Menschen auch an das Gebot der Nächstenliebe halten.
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
Γραικύλος schrieb am 19.07.2025 um 00:14 Uhr (Zitieren)
Zar Peter der Große
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
filix schrieb am 19.07.2025 um 00:39 Uhr (Zitieren)
An die Große Gesandtschaft dachte ich auch, aber ist die nicht weitgehend ein Fall von zeremoniellem Inkognito, bei dem die wahre Identität bekannt war, auch wenn manch gefährliche Missverständnisse entstanden (Spionageverdacht)? Sie hätte jedenfalls ein eigenes, bisher ungenanntes Motiv, von den Besten zu lernen. Andererseits scheint Plutarch am Ende in eine verwandte Richtung zu weisen, wenn er nahelegt, dass man wusste, wer die beiden waren, das Spiel als mitspielte. Das wird man nicht zeremoniell nennen wollen, aber die Suspendierung
Zu den Legenden um Jesus als verdeckter Prüfer der Nächstenliebe (Mt 25,40) kommt mir der Hl. Martin in den Sinn, dem im Traum Jesus mit dem geteilten Mantel erscheint, den er dem Bettler geschenkt hat. Steht das in der Legenda aurea? Die Emmaus-Geschichte besitzt auch ein Inkognito-Motiv.
Am anderen Ende der Parabel erzählt Karl Wilhelm Krause, Hitlers Kammerdiener in den 1930ern, in einem Interview, glaube ich, dieser sei am verschneiten Weihnachtsabend 1937(?) inkognito und in Zivil durch München spaziert. Ein Kodensationskeim für eine Alternativweltgeschichte.
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
filix schrieb am 19.07.2025 um 00:40 Uhr (Zitieren)
Das wird man nicht zeremoniell nennen wollen, aber die Suspendierung, das Als-ob lässt sich vergleichen.
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
filix schrieb am 19.07.2025 um 01:18 Uhr (Zitieren)
Hat die Gegenwart mit ihren ständig griffbereiten Kameras, ihrer Besessenheit, nahezu jedes Ereignis oder Erlebnis du medialisieren, ihrer Professionalisierung der Beobachtung der Beherrschten, um ihr Verhalten und ihre Gefühle durch verschiedene Instrumente zu registrieren, dieses alte Spiel motivisch ausgedünnt und zur Seltenheit werden lassen? Haben nicht die Stars es teilweise als Spiel mit der Berühmtheit übernommen (Coldplay-Frontmann Chris Martin trat inkognito in Karaokebar auf), vor allem aber die Beherrschten selbst, die sich scharenweise inkognito im Netz herumtreiben, unerkannt durch Social Media, Metaversen Gaming-Welten unter ihresgleichen flanieren?
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
βροχή schrieb am 19.07.2025 um 06:18 Uhr (Zitieren)
Es ist etwas mystisches dabei
Die Masken Venedigs
Die Tierverwandlungen der Schamanen
Jekyll und Hyde
das Fräulein von Scuderie
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
Patroklos schrieb am 19.07.2025 um 08:37 Uhr (Zitieren)
Wie ordnet man hierzu den Cameo ein? Schwierig.
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
βροχή schrieb am 19.07.2025 um 09:00 Uhr (Zitieren)
... das Gegenteil von schwieig, Leichtsinn.
Cameo ist spielerisch, halb understatment halb Duftmarke
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
Bukolos schrieb am 19.07.2025 um 10:17 Uhr (Zitieren)
Die Heimkehr des Odysseus in der durch Athene bewirkten Bettlergestalt hat etwas von diesem Motiv. Die Ambivalenz der Rolle, die einerseits mit der riskanten Restitution eigener Herrschaft begründet wird, ihn andererseits zum Spion unter den eigenen Untergebenen macht, wird schon vorgezeichnet durch die Erzählung der Helena vom Eindringen des als Bettler verkleideten Odysseus in Troja.
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
Andreas schrieb am 19.07.2025 um 11:32 Uhr (Zitieren)
AT, wo Gott in 3 Personen bei den Eichen von Mamre" erscheint.
Später wurde das als Hinweis auf die Trinität gedeutet.
Einer der hebräischen Begriffe ELOHIM ist ein
Pluralwort.
Es gibt eine sehr wichtige religionsgeschichtliche Theorie:
Stammesgottheiten-Hypothese:
1. Verschiedene Stammesgötter:
El (kanaanäisch) - Hauptgott des Pantheons
JHWH - ursprünglich Wüsten-/Kriegsgott der Midianiter/Keniter
Elyon ("der Höchste")
El Shaddai ("Gott der Berge/Steppen")
Baal-Kulte in verschiedenen Ausprägungen
2. Synkretistische Verschmelzung:
Wandernde Stämme bringen ihre Gottheiten mit
Elohim als Sammelbegriff für diese verschiedenen Götter
Allmähliche Identifizierung: "El = JHWH = Elyon" etc.
3. Textuelle Belege:
Psalm 82: "Gott (Elohim) steht in der Gottesversammlung"
Genesis: Wechsel zwischen Elohim/JHWH-Namen
"JHWH, Gott der Heerscharen" (Sabaoth)
4. Archäologische Evidenz:
Kuntillet Ajrud-Inschriften: "JHWH und seine Aschera"
Verschiedene Göttersymbole in Israel/Juda
Diese Theorie erklärt sowohl die Pluralform Elohim als auch die theologischen Spannungen in den biblischen Texten zwischen Mono- und Polytheismus.
Der Übergang vom Henothismus ("unser Gott ist der stärkste") zum Monotheismus ("es gibt nur einen Gott") wäre so ein historischer Prozess.
PS:
Mir fällt dazu noch Ovids "Philemon und Baucis" ein.
Re: Ein altes Spiel der Herrschenden
Patroklos schrieb am 19.07.2025 um 16:33 Uhr (Zitieren)
Eine raffinierte Variante ist und bleibt „Des Kaisers neue Kleider“. Nacktheit als Kleidung.