Calpurnius Flaccus, Deklamationen 27:

Fortis inimicum divitem servans / Der Kriegsheld, der seinen reichen Feind rettet

Viro forti praemium. Desertor capite puniatur Pauper et dives inimici. Belli tempore dives se promisit fortiter facturum, si sibi mors pauperis decerneretur. Decreta est. Ambo processerunt in proelium: pauper fortiter fecit, dives deseruit. Petit pauper praemio divitis incolumitatem. Dives contradicit.

Einem Kriegshelden soll eine Belohnung zustehen. Ein Deserteur soll mit dem Tod bestraft werden. Ein Armer und ein Reicher waren verfeindet. Während eines Krieges versprach der Reiche, tapfer kämpfen zu wollen, wenn ihm der Tod des Armen bewilligt werde. Er wurde bewilligt. Beide marschieren ins Gefecht: Der Arme kämpfte tapfer, der Reiche desertier-te. Der Arme erbittet als Belohnung die Unversehrtheit des Reichen. Der Reiche widerspricht.

[Für den Armen]
1. Zu spät begann dieser Soldat hier, ihr Richter, den Tod geringzuschätzen.

2. Ich habe geschwiegen, als man mein Leben forderte, ihm hier befiehlt man zu leben, und er beklagt sich.

3. Ich habe lange von dem Reichen erhofft, dass er vielmehr erfüllt, was er versprochen hat.

4. Gerade auch bei dem Reichen muss ich größte Gnade finden: Was er schuldete, habe ich eingelöst.

5. Bei der Belohnung tue ich dasselbe wie im Gefecht: Ich rette meinen Mitbürger, ich schütze meinen Kameraden [servo civem, commilitonem meum protego].

6. Du wirst für alle Zeit derselbe sein, der du bis jetzt schon immer gewesen bist. (1)

(Calpurnius Flaccus: Deklamationen. Hrsg. v. Stefan Knoch. Berlin/Boston 2024, S. 100 f.)

(1) Der Reiche soll die Rettung seines Lebens durch den Armen nicht als Schmach verstehen, denn seine gesellschaftliche Stellung erfahre dadurch keinerlei Schmälerung.