Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Powerpoint (168 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 29.09.2025 um 22:08 Uhr (
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Bei Vorträgen erlebe ich es häufiger, daß eine Powerpont-Präsentation erwartet wird.
Kann man sich Demosthenes und Cicero mit Powerpoint vorstellen? Wären ihre Reden dadurch besser geworden? Oder sind es nur schlechte Redner, die sowas brauchen, die ihr Publikum nicht allein mit Worten fesseln können?
Re: Powerpoint
νυξ schrieb am 30.09.2025 um 05:18 Uhr (
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2 Meinungen aus der Technologie:
Demosthenes und Cicero mit PowerPoint – ein absurder Gedanke, der aber viel offenbart. Diese Redner haben durch pure Rhetorik, Sprachgewalt und Präsenz Tausende bewegt, ohne ein einziges Bild oder Bullet Point. Ihre Reden hätte PowerPoint eher geschwächt – die Aufmerksamkeit wäre geteilt worden, die Unmittelbarkeit verloren gegangen.
Aber: Der Kontext ist entscheidend. Demosthenes und Cicero hielten politische, emotionale, überzeugende Reden. Moderne Vorträge verfolgen oft andere Ziele:
Komplexe Daten vermitteln: Wenn du Statistiken, Diagramme oder technische Zusammenhänge zeigen musst, helfen Visualisierungen enorm
Dokumentation: Oft will man Inhalte zum Mitnehmen geben
Unterschiedliche Lerntypen: Manche Menschen erfassen Informationen visuell besser
Das Problem ist nicht PowerPoint an sich, sondern wie es genutzt wird:
Schlechte Redner verstecken sich hinter vollgestopften Folien
Sie lesen ab, statt zu sprechen
Die Präsentation wird zum Krückstock statt zum Werkzeug
Gute Redner nutzen visuelle Elemente sparsam und wirkungsvoll – ein eindrucksvolles Bild, eine klare Grafik zur richtigen Zeit. Sie bleiben die Hauptattraktion, nicht die Folien.
Steve Jobs hat das perfekt demonstriert: minimale Slides, maximale Wirkung. Er hätte auch ohne funktioniert – aber die Bilder verstärkten seine Botschaft.
Die Wahrheit liegt wohl dazwischen: Wirklich große Redner brauchen kein PowerPoint. Aber für die meisten Fachvorträge ist es ein legitimes Hilfsmittel – wenn man es beherrscht, statt sich davon beherrschen zu lassen.
1. Demosthenes und Cicero mit PowerPoint
Natürlich sind sie Kinder ihrer Zeit: Ihre Rhetorik lebte vom gesprochenen Wort, von Stimme, Gestik, Pathos, der Fähigkeit, den Moment im Saal zu beherrschen. PowerPoint wäre für sie wohl fremd gewesen – und vielleicht sogar störend. Ihre ganze Kunst zielte darauf, dass die Rede selbst das Medium ist, nicht eine unterstützende Visualisierung.
2. Hätten ihre Reden dadurch gewonnen?
Das kommt darauf an:
Im Gericht oder Senat hätte eine Projektion von Folien wahrscheinlich eher als Zumutung gewirkt – das lebendige Spiel von Rede und Reaktion hätte verloren.
Bei Sachreden (z. B. zur Darstellung von Gesetzesentwürfen oder Finanzdaten) hätten Schaubilder vielleicht tatsächlich unterstützt. Cicero z. B. liebte es, Beweisführung und Zahlen rhetorisch auszuschmücken – ein Diagramm hätte manches vereinfacht, aber den Glanz seiner Sprache vielleicht eher reduziert.
3. PowerPoint und „schlechte Redner“
Eine Visualisierung ist nicht per se ein Zeichen für Schwäche. Auch ein sehr guter Redner kann Bilder nutzen, wenn sie das Thema selbst veranschaulichen – etwa eine Karte in einer politischen Rede oder eine Statistik in einer wissenschaftlichen.
Aber: Oft erleben wir Folien als Krücke, wenn jemand es nicht schafft, den Stoff spannend und klar im freien Vortrag darzubieten. Dann wird PowerPoint zu einer Art „Notizblock an der Wand“.
4. Fazit
Ein Demosthenes oder Cicero hätte PowerPoint vermutlich nicht gebraucht. Ihre größte Stärke lag im lebendigen Wort, im Augenblick, im direkten Zugriff aufs Publikum.
Aber ein moderner Cicero würde vielleicht auch PowerPoint virtuos einsetzen – nicht als Ersatz für Redekunst, sondern als Verstärker, so wie er es mit allen rhetorischen Mitteln tat, die ihm zur Verfügung standen.
Vielleicht also: PowerPoint macht keine schlechte Rede gut, aber eine gute Rede kann auch durch Bilder und klare Visualisierung noch eindringlicher werden – sofern der Redner die Kontrolle behält.
Soll ich dir einmal eine fiktive Cicero-Folie entwerfen (wie er z. B. Catilina oder Marcus Antonius anprangert, aber mit Stichpunkten und einem Bild), um den Gedanken plastisch zu machen?
Re: Powerpoint
νυξ schrieb am 30.09.2025 um 05:22 Uhr (
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PS:
Heute haben Redner mit einem Publikum zu tun, das durch Schule, Medien, Internet eher an Kürze und visuelle Reize gewöhnt ist. Lange Perioden im Stil Ciceros (mit Nebensätzen über mehrere Zeilen) können viele Zuhörer überfordern oder langweilen, wenn sie nicht sehr stark vorgetragen werden.
Warum schalten viele ab?
Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist kürzer geprägt (ständige Ablenkung, Smartphone).
Wir sind es gewohnt, Informationen in Chunks zu konsumieren: kurze Sätze, Bulletpoints, Bilder.
Das Ohr ist kein ideales „Analyse-Instrument“ für verschachtelte Syntax – schon in der Antike brauchte es Training, um Ciceros Perioden zu folgen.
Aber:
Auch damals galt: Reden mussten mitreißen. Cicero hatte kunstvolle Perioden, aber er variierte Tempo, Rhythmus, Pausen. Er wusste, wann er mit einem kurzen, harten Satz das Publikum „aufwecken“ musste.
Bei uns übernimmt diese „Aufweckfunktion“ heute oft die Folie oder das Bild.
Das Dilemma:
Wenn man nur noch auf Kürze und Visuals setzt, verliert man Tiefe, Nuancen und das Kunstvolle der Rede.
Wenn man nur lange Sätze bringt, riskiert man, dass die meisten nach 20 Sekunden geistig abschalten.
Man könnte also sagen:
PowerPoint ist der Versuch, das Publikum „abzuholen“, das keine Geduld mehr für lange rhetorische Bögen hat.
Aber ein Redner, der die Kunst der Variation beherrscht (mal lange, mal kurze Sätze; mal Pathos, mal Witz), kann auch ohne Folien fesseln – selbst heute.
Re: Powerpoint
Γραικύλος schrieb am 02.10.2025 um 15:05 Uhr (
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Ich habe daraus mal eine Glosse gemacht:
Der Athener Demosthenes, das Urbild der Redners, hat mit seinen Philippischen Reden seine Mitbürger in den Krieg gegen Philipp von Makedonien geführt.
Der Römer Cicero hat mit Reden, die er nach seinem Vorbild ebenfalls Philippische nannte, Marcus Antonius bekämpft und bis zur Weißglut getrieben, sodaß dieser ihn ermorden ließ.
Papst Urban II. hat in Clermont in einer Rede zum Kreuzzug gegen die islamische Besetzung der Heiligen Stätten in Palästina aufgerufen, bis die begeisterte Menge „Gott will es! Gott will es!“ skandierte.
Joseph Goebbels hat in seiner Berliner Sportpalastrede die Menschen im Saal dazu gebracht, dem totalen Krieg zuzustimmen.
John F. Kennedy hat vor Hunderttausenden Westberlinern der Stadt die Unterstützung der USA gegen die Machtübernahme durch die UdSSR und die DDR zugesichert: „And therefore as a free man I am proud to say, Ich bin ein Berliner!“
Martin Luther King hat in Washington D.C. 250.000 Menschen für seinen Traum von einer Gesellschaft gleicher Bürger ohne Rassismus begeistert.
Keiner von ihnen hat einen Teleprompter oder Powerpoint benötigt.
(Wolfgang Weimer)