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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Raptam pater vinculis tenens (133 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 01.10.2025 um 23:53 Uhr (Zitieren)
Calpurnius Flaccus, Deklamationen 34:
Raptam pater vinculis tenens / Der Vater, der seine vergewaltigte Tochter in Fesseln hält

Rapta raptoris mortem aut indotas nuptias petat. Raptam pater vinculis continent, raptor duci ad magistratus desiderat.

Eine vergewaltigte Frau soll den Tod des Vergewaltigers oder ihre mitgiftlose Hochzeit mit ihm fordern können. Ein Vater hält seine Tochter nach ihrer Vergewaltigung in Fesseln zurück, der Vergewaltiger verlangt, dass sie vor die Obrigkeit geführt werde.

[Für den Vergewaltiger]
1. Die Gesetze beabsichtigen in der Tat keine größere Gnade, als dass aufgrund des Gesetzes über vergewaltigte Frauen niemand anderes urteilen darf; kein Vermittler steht zwischen ihnen [medius his nemo est]. (1)

2. Ich bin der Angeklagte, aber schaffe mir meinen Richter herbei [Sum reus, sed exhibe iudicem meum]! (2)

3. Bei allem, was Göttern und Menschen heilig ist [Pro deum atque hominum fidem]! In einer Stadt, in der ein Vergewaltiger frei herumläuft, in der wird eine Vergewaltigte in Fesseln gelegt.

(Calpurnius Flaccus: Deklamationen. Hrsg. v. Stefan Knoch. Berlin/Boston 2024, S. 114 f.)

(1) zwischen dem Vergewaltiger und seinem Opfer
(2) also die Tochter, die mittels ihrer Wahlmöglichkeit wie ein Richter fungiert



Re: Raptam pater vinculis tenens
νυξ schrieb am 02.10.2025 um 04:52 Uhr (Zitieren)
Vergewaltigung in der Antike:

Griechische Welt
In den griechischen Stadtstaaten (Athen u. a.) unterschied man zwischen βία (bia, Gewalt*) und ἁρπαγή (harpagē, Raub/Entführung*).
„Vergewaltigung“ im heutigen Sinn wurde nicht als eigenständiges Delikt gegen die sexuelle Selbstbestimmung verstanden, sondern als Gewalt gegen den Oikos (Hausverband).

Das eigentliche Unrecht war:
Entzug der „Ehre“ und „Reinheit“ der Frau, die die Heiratsfähigkeit minderte.
Schädigung des Ehemanns oder Vaters (dessen Besitzrecht oder Vormundschaft verletzt wurde).
Juristisch konnte es mit einer Geldstrafe oder Schadensersatz an den Vater/Ehemann geahndet werden.
Bei Entführung (ἁρπαγή) war die Strafe härter, oft sogar Todesstrafe.

2. Römische Welt
Das lateinische Wort stuprum bezeichnete im engeren Sinn „unerlaubten Geschlechtsverkehr“ (z. B. Ehebruch, Sex mit Unverheirateten oder Witwen aus guter Familie).
Für Zwangshandlungen gebrauchte man vis (Gewalt). So konnte „stuprum per vim“ (= „Unzucht mit Gewalt“) das benennen, was wir heute Vergewaltigung nennen.
In der römischen Rechtsauffassung war das Delikt nicht in erster Linie ein Angriff auf die Frau selbst, sondern auf:
pudicitia (Keuschheit, Ehre der Frau),
und damit die Ehre der Familie oder des Vaters/Ehemannes.
Das berühmte Beispiel ist die Vergewaltigung der Lucretia durch Sextus Tarquinius (ca. 510 v. Chr.), die nach der römischen Tradition zum Sturz der Könige führte.

Im klassischen Recht (spätrepublikanisch/frühkaiserzeitlich) konnte „stuprum per vim“ hart bestraft werden, bis hin zur Todesstrafe.

3. Unterschied zum modernen Verständnis
Heute: Vergewaltigung = Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung der betroffenen Person.
Antike: Vergewaltigung = Angriff auf die Familien- und Besitzrechte über die Frau, weniger auf ihre Person als Individuum.
 
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