Γραικίσκος schrieb am 24.04.2011 um 12:44 Uhr (Zitieren)
Seit Sigmund Freuds letzter Schrift "Der Mann Moses und die monotheistische Revolution" wird ja die Vermutung geäußert, die Juden hätten im Zuge ihrer ägyptischen Gefangenschaft den Monotheismus bei Echnaton kennengelernt und dann via Moses in ihre eigene Kultur transponiert.
Dann wäre Echnatons religiöse Revolution nicht folgenlos geblieben, sondern zur Quelle der drei monotheistischen Religionen geworden.
Dagegen spricht verschiedenes:
- Die Historizität von Moses und die der ägyptischen Gefangenschaft der Juden sind sehr zweifelhaft, soweit ich weiß. Gibt es ägyptische Quellen und archäologische Befunde dazu?
- Die Gottesvorstellung der Thora ist eigentlich/ursprünglich nicht monotheistisch, sondern monolatristisch, d.h. sie geht von der Existenz mehrerer Götter aus, wobei es dem jüdischen Volk aber nur erlaubt ist, einen einzigen zu verehren. Das klingt überhaupt nicht nach Echnaton als Vorbild. Erst der allerjüngste Teil der Thora, das Buch Genesis, geht wohl von einem monotheistischen Gottesbild aus, soweit ich sehe.
- Die Thora betont sehr stark den ethischen Charakter des Glaubens, d.h. die Ge- und Verbote. Auch dies ist dem Glauben Echnatons sehr fremd.
Als weitere Hypothese hat man eingeführt, daß der Verfasser des Psalms 104 Echnatons Aton-Hymnus zum Vorbilde genommen habe:
Vers 35 jedenfalls steht dem Glauben Echnatons wieder denkbar fern.
Re: Psalm 104
Πέγασος schrieb am 25.04.2011 um 07:42 Uhr (Zitieren)
Dem widerspricht aber nicht, dass doch bei Echnaton "Anleihen" gemacht wurden; die Parallelen sind schon verblüffend.
Die Schreiber des Alten Testaments waren doch bekannt dafür, dass sie auf bereits bestehende Texte zurückgriffen, ich denke da nur an die Geschichte der Sintflut und Noahs Arche.
Man nimmt, was in den Kram passt und modifiziert es bei Bedarf.
***
Habe Nachtdienst und werde in den nächsten Tagen kaum zum Schreiben kommen.
Re: Psalm 104
Γραικίσκος schrieb am 25.04.2011 um 19:46 Uhr (Zitieren)
Die Parallelen sind, abgesehen vom letzten Vers, naheliegend. Allerdings setzen wir dann voraus, daß der Aton-Hymnus eine Tradition hatte, d.h. nicht zugleich mit seinem Autoren der damnatio memoriae verfallen ist.
Re: Psalm 104
Πέγασος schrieb am 26.04.2011 um 07:49 Uhr (Zitieren)
Dass Echnatons Name ausgemeißelt und getilgt wurde ist klar, aber wie konnte dann sein Werk überleben?
Aha, bei Wikipedia steht, das es eine Abschrift von 1883 aus dem Grab des Eje gibt...
Demnach wurde der Aton-Hymnus erst in unserer Zeit wiederentdeckt, oder?
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2011 um 08:40 Uhr (Zitieren)
Ja, der Hymnus wurde erst vor ca. 130 Jahren wiederentdeckt. Die Austilger waren nicht perfekt gewesen.
Die Frage ist also, ob er zur Zeit der Entstehung des Psalms noch jemandem bekannt war.
Re: Psalm 104
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2011 um 08:55 Uhr (Zitieren)
Das Original ist schön anzuschauen - eine schöne Art zu schreiben, die schönste sogar, die ich kenne.
Re: Psalm 104
ανδρέας schrieb am 26.04.2011 um 16:08 Uhr (Zitieren)
Eine interessante Schrift zum israelitischen Monotheismus:
Der Monotheismus hat sich erst nach und nach entwickelt.
Der strenge Monotheismus setzte sich wohl eher im 6 Jhdt. Babylonische Gefangenschaft durch, als die Schriften des AT schriftl. weitgehend in ihre Fassung gebracht wurde, die man heute kennt. Neben den rituellen Abgrenzungen (Speisegebote etc.) dürfte da die Konzentration auf Jahwe (der ursprgl. nicht der einzige Gott war) der Assimilation der Israeliten in der „Gefangenschaft“ entgegengewirkt haben. Da der Tempel in Jerusalem zerstört war entstanden in dieser Zeit auch die ersten Synagogen und man richtete sich so ein, dass der Glaube im Exil erhalten blieb.
Es steht wohl außer Zweifel, dass andere Religionen Einfluss genommen haben.
In die Genesis gingen z. B. sumerisch-mesopotamische Vorstellungen ein (z.B. Gilgamesch-Epos: Sintflut –Arche- Garten Eden –Schlage; die Geschichte um Lilith, das Dämonen weib) … Vielleicht hat man da eben auch den Monotheismus Echnatons gebraucht, um das Volk der Israeliten auf die Priester als Mittler zwischen Gott und den Menschen zu fixieren. Dadurch war es leichter zu führen (weil kontrollierbarer) – und schlagkräftiger.
Gerne wird Psalm 104 unter dem Einfluss des Sonnenkults von Echnaton gesehen. Doch diese Behauptung ergibt nur an der Oberfläche Sinn. Darf ich Sie auf zwei Veröffentlichungen hinweisen, die eine Untersuchung des Sonnengesangs Echnatons im Vergleich mit Psalm 104 vorgenommen haben und aufzeigen, dass es KEINE Abhängigkeiten gibt. Prof. James Hoffmeier, Akhenaten and the Origins of Monotheism, Oxford University Presse 2015 und hier als Download die Studie von James Jack "Akhenaten's Monotheism and its Relationship with Ancient Hebrew Religion" [https://www.academia.edu/33957139/Akhenatens_Monotheism_and_its_Relationship_with_Ancient_Hebrew_Religion]
Im Sonnenhymnus wird die Sonne verehrt. Im Psalm 104 sind Sonne und Gestirn Schöpfungen Jahwehs. Die Verehrung gilt dem Schöpfer nicht dem Geschöpf. Leider sind die Übersetzungen des Sonnenhymnus im Englischen von der Sprache der King James Bibel beeinflusst gewesen (und damit auch die deutschen). Sprachuntersuchungen haben aufgezeigt alle postulierten Abhängigkeiten treffen linguistisch nicht zu. Zudem war Mose und der Exodus laut biblischen Angaben im 15. Jahrhundert also VOR der Zeit von Echnaton. Und selbst, wenn man einen späten Exodus im 13. Jahrhundert postuliert, wie soll ein Hymnus der in einem Grab in Mittelägypten an die Wand geschrieben wurde, die Israeliten im Siedlungsgebiet Gosen beeinflusst haben? Geographisch funktioniert das nicht. Nach wenigen Jahren war die Vorherrschaft der alleinigen Sonnenverehrung beendet und die Erinnerung an Echnaton und Nofretete wurden radikal ausgelöscht. Nichts wurde von ihnen überliefert! Sollte Mose - bei einem postulierten Exodus im 13. Jh. - bei einem Ausflug in Mittelägypten die dortigen Gräber dort besucht haben, wie wir es als Ägyptentouristen heute tun - und bei so einem Besuch den Sonnengesang von der Wand des Grabes abgeschrieben haben? Zu einer solchen Vorstellung gehört eine Menge Glauben! Der biblische Glaube ist es jedenfalls nicht und die These von Echnaton als Vorreiter von Mose ist historischen, linguistischen und sachlichen Gründen total abzulehnen.
Mit besten Grüßen
Alexander Schick www.bibelausstellung.de
Re: Psalm 104
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2019 um 19:04 Uhr (Zitieren)
Dabei ist noch die Frage, ob Moses und der Exodus überhaupt historisch sind, was ja eine Vorsussetzung für jede Abhängigkeit wäre.
Jedenfalls ist der Schluß des Psalms
den Gedanken Echnatons, die keinerlei moralische Vorschriften oder gar Verurteilungen beinhalten, diametral entgegengesetzt.
Daß die Sonne bei Echnaton die Erscheinung, nicht aber das Geschöpf Gottes ist, macht ebenfalls einen Unterschied aus.