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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Attis und Kybele #2 (551 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 03.05.2020 um 00:01 Uhr (Zitieren)
Mit Sprachgewalt und einigem Witz schildert Catull den Mythos - ersichtlich wenig begeistert von der Idee der Selbstkastration:
1. C. Valerius Catullus (87 – 57 v.u.Z.): Carmina

Attis

Über hohe See fuhr Attis mit des Kieles windschnellem Lauf,
zu dem Phrygerhaine strebend, geht er hin mit eiligem Schritt
und betritt der Göttin Stätte in dem dunklen Waldesgeheg.
Von der rasenden Wut getrieben, vom verstörten Sinne gespornt,
trennt er ab mit scharfem Kiesel von der Weiche nun seine Scham.
Wie er fühlt, daß aus den Gliedern alle Manneskraft sich verlor
und daß er den Waldesboden mit dem frischen Blute befleckt,
fassen seine weißen Hände nach der leichten Trommel sogleich:
deinem Tamburin, Kybebe , das zum Dienst der Mutter ihn weiht;
mit den zarten Fingern schlägt er die gespannte Haut eines Stiers,
und verzückt hebt er an zu singen, den Gefährten gilt dieser Sang:
„Auf, ihr Gallen [Gallae], eilet alle zu Kybeles Waldgebirg hin,
alle auf, der Herrin Dindymene wild hinschweifende Herde ihr,
die ihr fremde Länder suchend gleich Verbannten euch aufgemacht,
mir zu folgen, mir dem Führer als Gefährten und als Geleit!
Ihr ertrugt der Wogen Sturmbraus, der empörten See wilden Trotz,
ihr entmanntet eure Leiber, da ihr Venus grimmig haßt
[et corpus evirastis veneris nimio odio];
nun erheitert die Große Herrin [era] durch den rasend tollenden Lauf,
laßt das träge Zaudern fahren: alle auf! und folget mir nach
zu dem Phrygersitz Kybebes, zu der Göttin phrygischem Hain,
wo die Cymbeln gellend erschallen, wo das Tamburin hell erklingt,
wo dem krummen Rohr ein Phryger tiefer Flöten Töne entlockt,
wo Mänaden wild aufwerfen ihre Häupter, efeubekränzt,
wo sie heiliger Feiern pflegen unter schriller Schreie Geheul,
wo der Göttin schweifend Gefolge sich im Schwarm zu tummeln gewohnt,
dahin müssen wir nun eilen in des Dreischritts tanzendem Sprung!“
Den Gefährten sang dies Attis, der als Halbweib vor ihnen stand,
und im Nu heult auf der Tanzchor, schrill erklingt das wirre Geschrei,
und die Tamburine schallen, und die Cymbeln klingen darein,
zu dem grünen Ida eilt hin mit den schnellen Schritten der Chor.
Voraus als Führer Attis, der wie rasend taumelt und keucht
und schwer atmend das Tamburin schlägt auf dem Weg im Dunkel des Walds,
gleich der ungezähmten Färse, die der Last des Joches entflieht
[veluti iuvenca vitans onus indomita iugi],
und mit raschen Füßen folgen alle Gallen dem Führer nach.
Als sie nun den Sitz Kybebes schon ermattend, müde erreicht,
da umfängt sie nach der Mühsal – ohne Ceres‘ Gaben – der Schlaf.
Die Ermattung weicht dem Schlummer, der schon träg die Augen bedeckt,
und der Rasewahn des Geistes wird gestillt in lindernder Ruh.
Doch sobald die Strahlenaugen des goldenen Helios nun
auf den weißen Äther trafen, auf das wilde Meer, auf das Land,
als der Feuerrosse Hufschlag schon vertrieb die Schatten der Nacht,
verließ Hypnos den wachen Attis, und in Eile ging er hinweg
zu Pasithea, der Göttin, die ihn bebend schloß in den Arm.
Nun erquickt von weicher Ruhe, von des Rasens Wüten befreit,
überdenkt im Geiste Attis des Geschehens ganzen Verlauf.
Und mit klarem Sinn erkennt er, wo er ist – und was ihm jetzt fehlt
[liquida mente vidit, sine quis ubique foret]!
In dem Aufruhr seiner Seele lenkt den Schritt er wieder zum Strand,
er schaut über die Meereswüste, und die Tränen trüben den Blick,
und er spricht mit weher Stimme zu der fernen Heimat gewandt:
„O du Heimat, die mich geboren, o du Heimat, die mich erzeugt,
die ich Armer konnt verlassen, wie dem Herrn ein flüchtender Knecht
wohl entläuft, daß ich zum Ida, in die Wälder lenke den Schritt,
im verschneiten Hain zu hausen bei dem frostgen Lager des Wilds
und hinrasend aufzusuchen seine Höhlen und sein Versteck.
Wo denn magst, nach welcher Richtung du nur liegen, heimatlich Land?
Meiner Augen Stern begehrt selbst zu dir hinzulenken den Blick,
wenn der wilde Wahn ein Weilchen sich gelegt und frei ist mein Geist
[rabie fera carens dum breve tempus animus est].
Soll ich irren durch die Wälder, meinem Haus entfremdet und fern?
Von der Heimat, Gütern, Freunden, von den Eltern weit, weit entfernt?
Und entfernt von Forum, Palästra, von Gymnasien, Stadion auch?
O du Armer, Armer, endlos mußt du klagen, trauern, mein Herz!
Gibt es irgendeine Gestalt denn, die ich noch nicht gehabt hätte?
Ich war Weib, ich war einst Jüngling, war Ephebe, war ein Kind,
ich war Blüte des Gymnasions, war der Ringbahn Zierde und Stolz
[ego mulier, ego adolescens, ego ephebus, ego puer,
Ego gymnasi fui flos, ego eram decus olei]!
Meine Tür war viel umlagert, meine Schwelle wärmten sie oft,
meine Fenster trugen Kränze, und viel Blumen waren gestreut,
wenn ich bei der Sonne Aufgang meine Lagerstätte verließ.
Ich soll Priesterin der Götter jetzt sein, der Kybele Magd
[ego nunc deum ministra et Cybeles famula ferar]?
Ich Mänade, ich ein Teil nur meiner selbst, Kastrat soll ich sein
[ego Maenas, ego mei pars, ego vir sterilis ero]?
Ich soll Idas Waldeshöhen jetzt bewohnen, hier in dem Schnee?
Ich soll unter den hohen Gipfeln mit den Phrygern leben fortan,
mit der waldbewohnenden Hirschkuh, mit der forstdurchschweifenden Sau?
Schon, schon, ach! schmerzt die Tat mich, schon, schon, ach! reut sie mich
[iam iam dolet quod egi, iam iamque paenitet]!“
Als dem rosigen Mund entströmt war dieser Klagerede Klang,
drang das Wort zum Ohr der Götter und gab schnell das Neue bekannt.
Und Kybele löst vom Joch gleich ihrer Löwen Doppelgespann,
und den linken Herdenwürger spornt sie an mit diesem Befehl:
„Auf, du wilder, auf und eile, mach, daß wieder Wut [furor] ihn erfaßt,
mach, daß er von Wut gestachelt in die Wälder kehre zurück,
der allzu frei begehrte, meiner Herrschaft sich zu entziehn!
Mit dem Schweif den Rücken schlage, deine Schläge, dulde sie nur,
daß vom Wutgebrüll erdröhnen all Gebirg und Wald ringsum
und des kraftgeladnen Nackens rote Mähne, schüttle sie wild!“
Also sprach Kybebe drohend und nimmt weg das Joch mit der Hand.
Und der Wilde mahnt sich selbst noch, spornt sich an zu wilder Wut,
schreitet aus, brüllt auf, stampft nieder die Gesträuche, die er durchstürmt.
Als er bei dem feuchten Ufer sich dem weißen Strande genaht
und den zarten Attis stehn sah bei dem hell erschimmernden Meer,
springt er los. Doch sinnverwirrt flieht in die Wildnis Attis
zurück.
Und er blieb sein Leben lang dort, als der Göttin dienende Magd. –
Große Göttin, Göttin Kybebe, Dindymene, Gottkönigin:
Fern von meinem Haus bleibe, o du Herrin, all dein Wahn,
treibe andre in den Irrsinn, hetze andre in Raserei
[Dea magna, dea Cybebe, dea domina Dindymi,
procul a mea tuos sit furor omnis, era, domo:
alios age incitatos, alios age rabidos]!

(Carmen 63)

Was die Schreibweise angeht, so wechselt Catull zwischen "Cybebe" und "Cybele"; es handelt sich also nicht um einen Schreibfehler meinerseits.
 
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