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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die Abenteuer einer Seefahrt #1 (279 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 06.04.2021 um 16:10 Uhr (Zitieren)
Eine literarische Perle hat uns Synesios von Kyrene in einem Brief an seinen Bruder (ep. 4) hinterlassen:
Wir fuhren vor Tagesanbruch vom Bendideion (1) aus, erreichten aber erst nach der Mittagszeit die Höhe des pharischen Myrmex (2), da das Schiff zwei- oder dreimal auf den Grund des Hafens aufsetzte. Die Sache erschien alsbald als schlechtes Vorzeichen, und es wäre klug gewesen, das Schiff zu verlassen, das schon beim Start kein Glück hatte. Aber wir schämten uns, durch solche Flucht bei euch den Vorwurf der Feigheit zu erhalten, und deshalb „galt es nicht mehr zu fliehen und zu verschwinden“ (3). Wenn also ein Unheil geschieht, gehen wir euretwegen zugrunde. Und doch, was wäre denn schlimm gewesen, wenn ihr lachtet und wir außer Gefahr wären? Aber von Epimetheus heißt es, „Vorsorge lag ihm nicht sehr, Nachsorge um so mehr“, und so auch uns. Denn damals stand es frei, in Sicherheit zu bleiben. Jetzt jammern wir als Trauergemeinde an ödem Gestade, schauen auf die Stadt Alexandria zurück, so gut es geht, und auf die Heimat Kyrene: jene haben wir willentlich verlassen, und diese können wir nicht finden. Wir mußten sehen und erleiden, was wir nicht einmal im Traum für möglich gehalten hatten.

Höre also, damit auch du nicht ganz in Freude aufgehst, zuerst, wie es bei uns mit der Besatzung stand. Der Steuermann sehnte den Tod herbei, so tief steckte er in Schulden. Matrosen gab es zwölf im ganzen, der dreizehnte war der Steuermann. Über die Hälfte der Mannschaft und der Steuermann waren Juden – ein unzuverlässiges Volk, tief überzeugt, ein gutes Werk zu tun, wenn sie möglichst viele Hellenen in den Tod schicken könnten. Die übrigen waren gewöhnliche Leute, Bauern, die im Jahr zuvor noch kein Ruder in der Hand gehabt hatten.
Diese und jene waren gleichermaßen an irgendeinem Körperteil verstümmelt. Und so machten sie, solange wir nicht in Gefahr waren, ihre Scherze, riefen sich nicht mit dem Namen an, sondern mit den Defekten: der Lahme, der mit dem Kropf, der Linkshänder, der Schieler; jeder hatte sein Kennzeichen. Für uns war die Sache recht ergötzlich. In der Not aber gab es kein Lachen mehr, vielmehr haben wir gerade über diese Schäden zu klagen.

Wir sind mehr als 50 Passagiere, etwa ein Drittel Frauen, zumeist jung und gut anzusehen. Aber sei nicht neidisch! Denn ein Vorhang trennte uns ab, und zwar ein sehr fester, ein Stück von einem nicht lange zuvor zerrissenen Segel: für besonnene Menschen geradezu die Mauer der Semiramis. Vielleicht wäre auch Priapos besonnen gewesen, wenn er auf dem Schiff des Amarantos gefahren wäre. Dieser ließ uns keinen Augenblick ausruhen von der Angst um Lebensgefahr.

Kaum waren wir an eurem Tempel des Poseidon vorbeigekommen, da steuerte er mit vollen Segeln gerade auf Taphosiris (4) los und machte sich an die Skylla heran, die wir in Schulübungen als Unheil verabscheuen. Wir merkten es und schrien auf, allerdings erst, als wir dicht in Gefahr waren.

(Joseph Vogt: Begegnung mit Synesios, dem Philosophen, Priester und Feldherrn. Gesammelte Beiträge. Darmstadt 1985, S. 34-43)

(1) Heiligtum der Göttin Bendis (thrakisch für Artemis) am Hafen von Alexandria
(2) Felsenklippe in der Nähe der Pharosinsel vor Alexandria
(3) Ilias VII 217
(4) Ort an der felsigen Landenge westlich von Alexandria, berühmt durch ein Heiligtum des Osiris
Re: Die Abenteuer einer Seefahrt #1
Γραικύλος schrieb am 06.04.2021 um 18:22 Uhr (Zitieren)
Wei man im weiteren Verlauf noch sehen wird, zeigt sich Synesios - zumindest in diesem Brief - als ein Mark Twain der Antike.
 
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