Cicero ist wohl einer der an altsprachlichen Gymnasien meistgelesenen Autoren - aber diese grauenhaften Details seines Endes werden den Eleven und Elevinnen wohl nur selten oder nie mitgeteilt. Hat der Humanismus ein zu edles und flaches Menschenbild vermittelt? Ich bringe damit in Zusammenhang, dass die humanistisch gebildeten deutschen Studienräte in der Hitlerzeit wie die Schafe in den NSLB getrottelt sind, einige sogar mit Begeisterung, und die sind es dann, die den Holocaust später nicht wahrhaben wollten. Warum hat nicht einer von ihnen Hitler mal zugerufen in der Zeit, als er pausenlos gegen Weimar stänkerte: "Quo usque tandem, Adolfus, abutere patientia nostra?"
Re: Die Schändung des toten Cicero
Ailourohophilos schrieb am 25.04.2021 um 13:14 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 25.04.2021 um 13:55 Uhr (Zitieren)
Das erste Problem ist, daß Cicero natürlich im Lateinunterricht behandelt wird, die beiden Quellen, welche von seinem Ende berichten, aber auf Griechisch verfaßt sind - sieht man von der knappen, nicht originalen Livius-Stelle ab.
Das zweite und viel größere Problem ist aber, daß die humanistische Bildung tatsächlich nicht gegen die nationalsozialistische Ideologie imprägniert hat. Hätte man das Gegenteil erwarten sollen?
Man sollte die Antike nicht idealisieren. Die Athener haben nicht nur den Sophokles hervorgebracht, sondern auch den bei Thukydides überlieferten, schrecklichen Melier-Dialog.
Auch in metaphorischer Hinsicht waren die antiken Statuen nicht weiß, sondern vielfarbig.
Vielen Dank für den Link auf Josef Hader, Knoblauchfreund (eigene Übersetzung). Ja, Humanismus ist vielfach zu billigem Bildungtinnef heruntergekommen - eigentlich sehr traurig.
@Graeculus: Ein Humanist, dem ich die obige Frage mal stellte, anwortete entwaffnend: "Was hat das eine (Catilina) denn mit dem anderen (Hitler) zu tun?" Er hat teilweise Recht - aber nur teilweise!
Re: Die Schändung des toten Cicero
Γραικύλος schrieb am 27.04.2021 um 13:15 Uhr (Zitieren)
Den Hader habe ich mir jetzt mal angeschaut. Witzig.
Sagt er tatsächlich am Ende, Heinrich Himmlers Vater sei "Mittelschullehrer für Altgriechisch" gewesen? Er war (sogar) Oberstudiendirektor eines humanistischen Gymnasiums in München.
Ab jetzt, so habe ich mir vorgenommen, spreche ich Kellner mit "O Ober" an. Mal sehen, wohin das führt - sobald der dienstliche Umgang mit Kellnern wieder erlaubt sein wird.