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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Hybris (322 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 19.01.2022 um 14:37 Uhr (Zitieren)
Gründlich räumen Johannes Krause (Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig) und Thomas Trappe (Wissenschaftsjournalist) mit dem Mythos von dem im Einklang mit der Natur lebenden Urmenschen auf:
Das Tempo, in dem Homo sapiens sich über die Welt ausbreitete, ist atemberaubend, denn er setzte die Beschränkun-gen, die die Biologie allen anderen Tieren auferlegte, außer Kraft. Dank der gerade entwickelten Jagd- und Tötungstechniken war der moderne Mensch nicht mehr ein Lebewesen unter vielen, sondern der effizienteste Killer aller Zeiten. Mit Klingen, Lanzen, Speeren und Fallen stellte er allem nach, was ihm schmackhaft erschien, und sein Augenmerk richtete sich immer zuerst auf die saftigsten Steaks – also auf die Großfauna. Die Neuankömmlinge unterschieden sich in dieser Vorliebe kein bisschen von den Neandertalern und sicher auch nicht von den Denisovanern. Wohl aber gingen sie dabei sehr viel effizienter und raffinierter vor, wenn man es so nennen will: Denn egal, wo sie auftauchten, dauerte es nicht lange, bis sämtliche Großfauna verschwunden war.

Das unterschied unsere Vorfahren elementar von anderen Menschenformen, bei denen es eine solche Überjagung der Tierwelt nie gab. Die Mammuts blieben auch nach Hunderttausenden von Jahren Koexistenz mit den Neandertalern die weit beständigere Population von beiden, und mit Blick auf die Hyänen waren die Urmenschen nicht einmal davor gefeit, in der Nahrungskette abzusteigen. Zur Ausrottung waren die Neandertaler offenbar gar nicht in der Lage: Sie legten damit, ohne es zu wollen, auch den Grundstein für eine nachhaltige Lebensweise. Ihr Lebensentwurf allerdings hatte dann aber auch keine Chance gegen die Gier derer, die da kamen.

Kurz nach der Ankunft unserer Vorfahren und dem Verschwinden der Neandertaler waren auch die europäischen Mammuts ausgestorben – an die frei werdende Stelle traten ein-wandernde asiatische Mammuts, die dann aber ebenfalls nicht mehr das Ende der Eiszeit erlebten. Auch kleineren Tieren der eurasischen Steppe, etwa Wollnashörnern, Riesenhirschen, den Urpferden, Bisons, Höhlenbären, Höhlenlöwen und Höhlenhyänen, ging es an den Kragen, bis auch diese Tiere schließlich als Nahrungsquelle – oder Konkurrenz – wegfielen. Lukrativen Fleischlieferanten folgten die Neuen unerbittlich, im Zweifel bis ans Ende der Welt.

Schon kurz nach ihrem Aufbruch kamen die Menschen vor rund 45000 Jahren, laut manchen Datierungen sogar schon etwas früher, in Australien an, dort wiederholte sich das be-kannte Spiel. Teils mehrere Tonnen schwere Beuteltiere, riesige Kängurus und Wombats, meterlange Warane und viele Zentner wiegende Vogelarten – an allen fanden die Neuankömmlinge zu viel Geschmack. Die Überjagung der ihnen zur Verfügung stehenden Großfauna blieb den Menschen inhärent, fast so, als kämen sie gegen den selbstzerstörerischen Drang nicht an. Auch als vor fast 800 Jahren die Vorfahren der Maori als erste Menschen Neuseeland besiedelten, sollte es kaum 100 Jahre dauern, bis die dort zu Zehntausenden lebenden, sehr fleischhaltigen und bis zu drei Meter großen Moas ausgerottet waren.

Die einzigen Weltregionen, in denen es heute noch Großfauna gibt, sind Afrika und das südliche Asien – mithin also genau jene Gegenden, in denen die Besiedlungsgeschichte des Menschen teils bis zum Homo erectus zurückreicht und wo vor Hundertausenden Jahren schon einmal moderne Menschen lebten. Was wie ein handfester Widerspruch zur These aussieht, der moderne Mensch sei unfähig zur nachhaltigen Nutzung von Großfauna, ist keiner: Eben weil Nashörner, Giraffen, Nilpferde und Elefanten in Afrika und Asien mit den Menschen „koevolvierten“, blieb ihnen Zeit, sich an die tödliche Gefahr anzupassen, die von diesen ursprünglich ja einmal sehr harmlosen Affen ausging. Die Angst vor den Menschen wurde der Großfauna Afrikas von Generation zu Generation weitergegeben, in die DNA gebrannt. Man kann das regelrecht erleben, vergleicht man die wenig scheue Tierwelt Neuseelands oder auch Nordamerikas mit jener der afrikanischen Steppe. In der könnten Löwen oder Elefanten uns nach wie vor zerfleischen oder -trampeln, wüssten sie nicht, dass von uns jederzeit ein tödlicher Speerwurf oder eben Schuss ausgehen könnte – sie nehmen deshalb sofort Reißaus, wenn sie einen dieser blutrünstigen Homo-sapiens-Vertreter erblicken.
[...]

(Johannes Krause / Thomas Trappe: Hybris. Die Reise der Menschheit zwischen Aufbruch und Scheitern. Berlin 42021, S. 129-131)
 
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