Thukydides VI 89-92:

Nach seiner Abberufung vom Sizilischen Feldzug, um sich in Athen vor Gericht zu verantworten, floh Alkibiades 415 v.u.Z. nach Sparta und brachte sich dort als Verbündeter ins Gespräch.

89. Notwendig muß ich zuerst von meinem üblen Namen vor euch reden, damit ihr nicht aus Argwohn gegen mich mißwillig anhört, was uns alle angeht. Nachdem meine Vorfahren die Gastfreundschaft [προξενία] mit eurer Stadt wegen irgendwelcher Mißhelligkeiten gekündigt hatten, habe ich selbst sie wieder aufgenommen und euch viele gute Dienste erwiesen, zumal in eurem Unglück bei Pylos (1).

Und während mein guter Wille nicht erlahmte, habt ihr die Friedensverhandlungen mit Athen durch meine Gegner geführt und dadurch sie zu Einfluß und mich in Unehre gebracht. Daraufhin wandte ich mich nach Mantineia und Argos, hab‘ euch wohl auch sonst entgegengewirkt – wenn euch das geschadet hat, so war es verdient, und wenn einer damals, als es euch traf, einen unbilligen Zorn auf mich warf, mag er jetzt die Wahrheit prüfen und umlernen.

Und wer darum von mir gering dachte, weil ich mich mehr ans Volk hielt, soll auch diesen Groll als unberechtigt erkennen. Von je sind wir Gegner der Tyrannis (alles aber, was dem die Macht Ausübenden gegenübersteht, nennt man Volk) (2), und seit jener Zeit war es in einer vom Volk beherrschten Stadt oft nötig, sich nach den Umständen zu richten.

Gegen die herrschende Zuchtlosigkeit (3) versuchten wir aber, den Staat besonnener zu lenken; es waren andere, in den früheren Zeiten und jetzt, die den Haufen [τὸν ὄχλον] zu Unmaß und Schlechtigkeit verleiteten – die haben auch mich vertrieben. Aber wir waren Führer des Gesamtvolks und bestrebt, das Maß an Größe und an Freiheit, das die Stadt jeweils erreicht hatte, wie es jeder übernommen, so bewahren zu helfen – denn die Herrschaft des Volkes durchschauten wir alle, wer etwas Einsicht hatte, und ich selbst so gut wie einer, da ich ja auch mehr Anlaß habe, sie zu schelten. Aber über einen so unbestrittenen Unsinn läßt sich nicht wohl etwas Neues sagen; und sie zu stürzen schien uns nicht ungefährlich, solang ihr als Feinde vor unsern Toren saßet.

90. So also ward ich so übel beleumdet. Nun aber hört, worüber ihr zu beraten und ich, wenn ich etwas mehr weiß, Mitteilung zu machen habe. Wir fuhren nach Sizilien, um erst, wenn wir könnten, die Sizilier zu unterwerfen, nach ihnen dann auch die italischen Städte, später es auch mit dem karthagischen Reich und Karthago selbst zu versuchen. Wenn dies gelänge, alles oder auch nur das meiste, hatten wir vor, dann den Peloponnes anzugreifen mit der ganzen uns dort zugewachsenen Hellenenmacht, mit angeworbenen Barbaren, Iberern und andern, die drüben als die streitbarsten anerkannt sind, und mit vielen Triëren, die wir zu den unsern noch dazubauen wollten mit dem Holz, an dem Italien unermeßlich reich ist; wenn wir mit diesen den Peloponnes rings umschlossen hielten und mit dem Fußvolk zugleich vom Land her einbrechend die einen Städte im Sturm nähmen, andre einmauerten, so hofften wir leicht euch niederzukämpfen und nachher das ganze Hellenenvolk zu beherrschen. Geld und Korn, damit kein Mangel den Fortgang hindere, sollten eben die dort gewonnenen Gebiete zur Genüge aufbringen, selbst ohne die hiesigen Einkünfte.

(1) 425 v.u.Z. war es den Athenern nach einer Belagerung der Stadt gelungen, auf einer nahegelegenen Insel 120 Spartiaten gefangenzunehmen – eine empfindliche Schwächung der spartanischen Wehrkraft. Sparta bat daraufhin Athen um Frieden, was jedoch abgelehnt wurde.
(2) Alkibiades übergeht hier geschickt die spartanische Neigung zur Oligarchie.
(3) Das war der Einwand der Aristokraten gegen die Demokratie.