Fortsetzung Tacitus:

40. Erst am sechsten Tag wurde der Feuersbrunst am Fuß des Esquilin dadurch ein Ende gesetzt, daß man auf weite Strecken die Gebäude niedergerissen hatte, damit der unaufhaltsamen Gewalt des Feuers der freie Raum und gewissermaßen der leere Himmel entgegenwirke.

Aber noch hatte sich die Angst nicht gelegt oder war im Volk Hoffnung wiedergekehrt: da griff erneut das Feuer um sich, und zwar in den freier gelegenen Stadteilen; um so geringer waren die Verluste an Menschen: Tempel der Götter und dem Vergnügen gewidmete Säulenhallen waren es, die in größerem Ausmaß zusammenstürzten.
Noch schändlicheres Gerede brachte dieser Brand mit sich, weil er in den aemilianischen Grundstücken des Tigellinus ausgebrochen war (1) und es aussah, als wolle Nero mit der Gründung einer neuen Stadt, die nach seinem Namen zu benennen sei, Ruhm erwerben [videbaturque Nero condendae urbis novae et cognomento suo appellandae gloriam quaerere].
Denn in vierzehn Bezirke ist Rom eingeteilt, von denen vier unversehrt blieben, drei bis auf den Grund zerstört wurden, während in den sieben übrigen nur wenige Häuserreste stehen blieben, mit Rissen und halb verbrannt.

41. Die Zahl der Paläste, Mietshäuser [insulae] und Tempel, die verlorengingen, festzustellen dürfte nicht leicht sein; jedenfalls wurden von den ältesten Kultstätten der Tempel, den Servius Tullius der Luna (2), und der große Altar und das Heiligtum, das der Arkader Euandros dem Hercules bei seiner Anwesenheit (3) geweiht hatte, weiter der Tempel des Iuppiter Stator, gestiftet von Romulus, die Königsburg Numas und das Heiligtum der Vesta mit den Penaten des römischen Volkes ein Raub der Flammen; ferner Kostbarkeiten, in so vielen Siegen gewonnen, und Meisterwerke griechischer Kunst, dazu alte und unverfälschte Denkmäler großer Geister, so daß sich bei aller Schönheit der aus der Asche auferstehenden Stadt die Älteren an vieles erinnerten, was nicht wiederhergestellt werden konnte.
Es gab Leute, die bemerkten, daß am 19. Juli dieser Brand ausbrach, an dem auch die Senonen die eroberte Stadt in Flammen aufgehen ließen (4). Andere gingen so weit in ihrem forschenden Bemühen, daß sie gleich viele Jahre, Monate und Tage zwischen beiden Bränden zählen (5).

42. Im übrigen machte sich Nero die Zerstörung seiner Vaterstadt zunutze und ließ sich eine Palastanlage erbauen (6) [...].

(P. Cornelius Tacitus: Annalen. Hrsg. v. Erich Heller. Darmstadt 1982, S. 742-747)

(1) Ofonius Tigellinus war Prätorianerpräfekt; man hielt es für möglich, daß er, um dem Kaiser einen Wunsch zu erfüllen, das Feuer gelegt habe.
(2) Die angebliche Gründung des Tempels durch Servius Tullius, den 6. römischen König, ist sonst nirgends belegt; er wird erstmals 182 v.u.Z. erwähnt.
(3) Der Sage nach kam Herakles auf der Rückkehr aus Spanien mit den Rindern des Geryoneus durch Rom.
(4) Gallier, 386 v.u.Z.
(5) Bei der erwähnten Zahlenspielerei kommt man mit je 418 Jahren, Monaten und Tagen etwa auf den erforderlichen Abstand von 454 Jahren.
(6) die Domus Aurea