Latein Wörterbuch - Forum
A * A * A * Ave, amice, abi — 15968 Aufrufe
Michael Hofbauer am 16.8.11 um 17:44 Uhr (Zitieren)
Ich versuche Aufschriften eines Gemäldes aus dem Jahr 1509 zu entschlüsseln. Darauf stehen neben einem Porträt eines Doktors der Rechte drei, durch Blumen getrennte „A“ nebeneinander.
Habe in „Sigla Latina in Libris Impressis Occurrentia“ von Marek Winiarczyk die dafür stehende Wortfolge Ave, amice, abi gefunden. Was bedeutet der Satz, bzw das Wort abi?
Vielen Dank für jede Hilfe!
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bibulus am 16.8.11 um 17:47 Uhr (Zitieren)
„abi“ -> Imperativ von „abire“ -> „weggehen“
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bibulus am 16.8.11 um 17:49 Uhr (Zitieren)
ach so:
„abi“ -> „Gehe weg!“
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bibulus am 16.8.11 um 17:59 Uhr (Zitieren)
Das Ganze ist aber schon seltsam:

„Sei gegrüßt, mein Freund, gehe weg!“

Was ist das denn für ein Gemälde, wen stellt es dar?

Ist es im Internet zu finden?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 16.8.11 um 19:21 Uhr (Zitieren)
Liebe Forumaner!
Ihr seid super! Es handelt sich um folgendes Porträt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Scheurl

Wens interessiert:
Luicas Cranach d. Ä.: Bildnis des Humanisten Dr. Christoph Scheurl. Der Dargestellte trägt einen in der Vergrößerung deutlich erkennbaren Wappenring mit den Initialien „CSD“ . Das Wappen findet sich auch auf dem Buchzeichen-Holzschnitt (Koepplin 1974 Nr. 135, Abb.97). Rechts unten zwischen „L“ und „C“ mit Schlange und stehenden Flügeln bezeichnet und datiert: 1509. Oben links steht: CHRISTOFERVS · SCHEVRLVS · I · V · D · | NATVS · ANNOS · 28 | SI · SCHEVRLVS · TIBI · NOTVS · E · VIATOR | QUIS · SCHEVRLVS · MAGIS · EST · AN | HIC · AN · ILLE · Oben rechts steht: FORTES · FORTVNA · FORMIDAT | A ❅ A ❅ A ❅.

Flechsig hat angemerkt, dass das ursprünglich aufgemalte Wort viator von Restauratorenhand sinnverfremdend in major verändert wurde.
Der lateinische Sinnspruch „Si Scheurlus tibi notus...“ bedeutet übersetzt: „Wenn Scheurl dir bekannt ist, Wanderer, wer ist mehr Scheurl, die hier gemalte oder die dir vertraute Person?“ Die Devise „Fortes fortuna formidat“ bedeutet übersetzt „Das Schicksal fürchtet die Starken“ (Übersetzungen nach Claus Grimm, 1994).
Die Initialien I.V.D. dürften für die lateinische Bezeichnung iuris utriusque doctor stehen, die Scheurl als Doctor juris (Dr. jur.) bzw. Doctor iuris (Dr. iur.), Doctor iurisprudentiae, ausweist (Vgl. Winiarczyk, Marek: Sigla latina in libris impressis occurrentia cum siglorum graecorum appendice. Editio altera aucta et emendatior. Wratislawiae 1995.

Der porträtierte Gelehrte Scheurl selbst hat sich die Bild-Aufschrift ausgedacht, um in humanistischer Manier eine intellektuelle Botschaft zu transportieren und damit die Bildaussage zu überhöhen. Dies wird aus einer interessanten Quelle deutlich, die auch die Umstände der Entstehung des Porträts nachvollziehbar macht. Im Anhang einer gedruckten Rede aus dem Jahr 1508, die Scheurl an der Universität Leucorea zu Wittenberg gehalten hat, befindet sich eine Epistel zu Ehren des Hofmalers Lucas Cranach.

Widmungsbrief Scheurls an Lucas Cranach aus dem Jahr 1509, als lateinischer Text einer Rede vom 16. November 1508 in der Stiftskirche vorangestellt[1]: Vor jener Rede, die ich im vorigen Jahr, als unsere vortrefflichsten Gönner ein öffentliches Schauspiel veranstalteten, im Beisein vieler Fürsten, Vornehmen und Gelehrten von nah und fern bei der Verleihung der Doktorwürde an unseren Kantor und unseren Scholastikus hielt, haben mich viele um Abschrift gebeten. Auch du, mein gefeierter Lucas, hast es auf Anregung anderer getan, weil aus unserem täglichen Umgang eine so große Vertraulichkeit, solches Wohlwollen und solche Freundschaft entstanden ist, dass ich dir nichts abschlagen könnte und, wenn ich es könnte, nicht möchte. Denn es liegt durchaus in meiner Natur, dass ich alle, die sich durch Geist und Herzensgüte auszeichnen, liebe, wertschätze, bewundere und verehre. Wer aber kennt nicht deine Tugenden? Wem wären die außerordentlichen Eigenschaften deines Herzens entgangen? ... Als unsere Fürsten dich vorigen Sommer nach den Niederlanden schickten, um mit deinem Talent zu prunken, bist du wie Antron angelangt und hast gleich beim Eintritt ins Gasthaus mit einer vom Kohlenbecken genommenen erloschenen Kohle das Bildnis Seiner Majestät des Kaisers Maximilian so auf die Wand gezeichnet, dass es von allen erkannt und bewundert wurde... Unseren vortrefflichen Fürsten Johannes hast du aber so getreu gemalt, dass nicht einmal, sondern wiederholt die Einwohner von Lochau, wenn sie zum Schloss kamen und durch das Fenster den oberen Teil des Bildes erblickten, mit entblößtem Haupt – wie es Sitte – betroffen die Knie beugten. Soviel ich sehe, bist du, ich will nicht sagen keinen Tag, sondern vielmehr nicht eine Stunde müßig; immer ist der Pinsel geschäftig. Sooft die Fürsten dich mit zur Jagd nehmen, führst du eine Tafel mit dir, auf der du inmitten der Jagd darstellst, wie Friedrich einen Hirsch aufspürt oder Johann einen Eber verfolgt, was bekanntlich den Fürsten kein geringeres Vergnügen gewährt als die Jagd selbst. Wie aber jene alten Maler eine gewisse Liebenswürdigkeit hatten, so bist auch du – was ich auch von unserm Albrecht Dürer gerühmt habe – freundlich, gesprächig, freigebig, leutselig und gefällig und deshalb unserm Kurfürsten Friedrich nicht weniger lieb, als es Apelles dem Alexander war, bist du dem Herzog Johannes nicht weniger angenehm, als es Protogenes dem Demetrius war. Wenn die Staatsgeschäfte und der Gottesdienst, denen die Fürsten einen großen Teil des Tages und der Nacht widmen, es ihnen gestatten, so kommen sie in deine Werkstatt, aber nicht wie Alexander zum Apelles, um viel Unnützes zu reden und sich von den Farbenreibern auslachen zu lassen, sondern um mit dem höchsten Staunen die Denkmäler deines Genies zu bewundern und mit dem größten Seelenvergnügen deine Meisterstücke zu loben, deren in der Tat so viele und so große sind, dass man zu dir kommt – und ich komme häufig – im Zweifel ist, was man hauptsächlich betrachten soll; täglich tritt Neues hervor, wohin man sich wendet (zitiert nach Jahn, S. 588-589).

Der berühmte Humanist Scheurl hatte Cranach jene gedruckte Lobrede zu liefern, die diesen als Nummer eins unter den Malern darstellen sollte, und der berühmte Hofmaler der sächsischen Kurfürsten fertigte im Gegenzug ein repräsentatives Bildnis nach Scheurls Wünschen. Mit geschickten Worten stellt Scheurl Cranach gleich eingangs dieser Rede mit seinem eigenen Landsmann Albrecht Dürer auf eine Stufe. Er leitet in rhetorischer Wendung sogar Cranachs „ersten Vorzug“ von Dürers „außerordentlichem Genie“ ab und stellt Cranach schmeichelnd als den ersten Meister dar, nachdem er geschickt Dürer aus der Betrachtungsweise ausgeklammert hatte. Nach einer kurzen Einleitung und Andeutung des Anlasses für Scheurls Lobrede auf Cranach („Auch du, mein theuerster Lucas, hegtest denselben Wunsch auf Ansuchen Anderer [eine Abschrift zu besitzen]...“) kommt das Geschäft der beiden zur Sprache („unsere beiderseitigen Geschäfte“). Scheurl scheint bereits das Gemälde von Cranach erhalten zu haben (“...so gut, wie ich jenes Gemälde, welches du von mir so fleißig gefertigt hast...“), für das er als Gegenleistung ebenfalls ein höchst tugendhaftes „Bild“ in bester humanistischer Manier von Cranach malt, ohne dabei zu versäumen, sich selbst mit Willibald Pirckheimer und Cranach mit Apelles zu vergleichen („... [dieser] schrieb: Apelles faciebat, welches W. Pirckheimer...unserem Dürer, und ich dir nachzuahmen befohlen habe; so habe auch ich diese Rede gehalten...“). Das Geschäft ist also klar: Scheurl entwirft im Auftrag Cranachs ein (über Dürer) erhöhendes literarisches Gemälde und erhält dafür im Gegenzug ein (Tafel-) Gemälde. Er weist Cranach an, dieses Bild mit einer Aufschrift nach seinen Wünschen zu versehen (“...und unter welches ich nicht unbillig zu schreiben befahl...“) und Cranach erhält das Recht auf eine Lobrede, die keine Wünsche offen lässt.

Nicht nur in den zitierten Passagen taucht Dürer als einzig relevante Bezugsgröße für die Meisterschaft Cranachs auf. Auch die rhetorischen Winkelzüge Scheurls zum „Ruhmerhalt“ seines Landsmannes Dürer sind nur dadurch zu erklären, dass klarer Auftrag der Rede die Gegenüberstellung Cranachs mit Dürer war. Hier sollte bewusst manifestiert werden, dass Cranach mit Dürer auf einer Stufe steht. Den Auftrag für das Manifest erteilte Cranach (wirklich über andere, wie Scheurl ausführt?) selbst. Über die Ausführung des Gemäldes hatte Scheurl dem Anschein nach keinen Grund zur Klage und doch kokettierte er mittels der von ihm befohlenen Aufschrift. Die rechte Zeile „Das Schicksal fürchtet die Starken“ lässt sich einigermaßen unmissverständlich als Scheurls Lebensmotto – Nimm dein Schicksal selbst in die Hand! – interpretieren. Die links stehende Aufschrift lautet: „Wenn Scheurl dir bekannt ist, Wanderer (Besucher), wer ist mehr Scheurl, die hier gemalte oder die dir vertraute Person?“. Will er damit ausdrücken, dass sein gemaltes Abbild nicht seinen Ruhm wiederzugeben vermag, oder will Scheurl in Selbstironie sein lebendes „Ich“ und dessen Abbild dem Betrachter zur Diskussion stellen? Beim zufälligen Zusammentreffen stellt Scheurl dem vorüber ziehenden Wanderer (Betrachter) dann die Frage nach der Übereinstimmung von Vorstellung und Wirklichkeit. Bin ich so, wie du dir meine Person vorgestellt hast? Kann ich dieser Vorstellung genügen? Ist es überhaupt möglich, mich in einem Bildnis zusammenzufassen? Bleibt nicht die Momentaufnahme trotz ihrer Ähnlichkeit stets hinter der fortschreitenden Entwicklung von Körper und Geist zurück? Und nicht zuletzt die Frage an den kritisch vergleichenden Betrachter: Hat mich Cranach gut getroffen? Wahrscheinlich lässt Scheurl die Frage in der bereits in seiner Lobrede zum Einsatz gebrachten mehrdeutigen Ironie bewusst offen.

Wichtig ist die Fragestellung nach dem Sinn der Inschrift deshalb, weil sie möglicherweise nicht zu Cranachs künstlerischem Konzept gehörte. Wie Scheurl schreibt, war er selbst es, der den Spruch auf das Bildnis zu schreiben „befahl“. Vielleicht wollte Cranach auch auf diesem Porträt den Schwerpunkt deutlicher auf die Bild-Betrachter-Kommunikation legen als auf eine rhetorische Aufschrift. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, dass eine gewisse Unausgewogenheit der Flächenverhältnisse bei der Textanordnung links und rechts des Kopfes herrscht. So fügt sich die links aufgemalte Inschrift, die sein Abbild betrifft, nicht homogen in die Bildgestaltung ein und wirkt in einer Weise gedrungen, als ob sie erst nachträglich angefügt worden wäre. Insbesondere die Wörter direkt neben der Kontur des Hinterkopfes wirken, als ob sie während des Aufmalens aus Platzmangel gestaucht werden mussten. Die oberen Zeilen, die Namen, Alter und Lebensmotto des dargestellten Scheurl enthalten, wirken hingegen ausgeglichen und stimmig, wie dies auch bei der Venus mit Amor aus dem selben Entstehungsjahr der Fall ist. Auffällig ist auch ein Farbunterschied zwischen den aufgemalten Texten, dem Schlangensignet und der darunter platzierten Jahreszahl 1509, die offensichtlich nicht im selben Arbeitsgang aufgetragen wurden.

Aus dem Selbstzeugnis sowie der gestalterischen Unstimmigkeit kann geschlossen werden, dass Scheurl möglicherweise mit der Ausführung nicht zufrieden war und deshalb die rhetorische Ergänzung anbringen ließ. Die Informationen, die sich aus der Art der Darstellung und deren Entstehungskontext generieren lassen, scheinen sich bestens in das Bild zu fügen, das Georg Sibutus Darapinus von der Persönlichkeit Christoph Scheurls übermittelt: „Und wie Scheurl sieht, dass aller Augen auf ihn gerichtet sind, legt er sich gewaltig ins Zeug und presst in großer Anstrengung sein rotes Gesicht in Erwartung, dass ihn alle loben, was denn auch prompt geschieht.“ Dass diese Charakterisierung nicht allzu übertrieben sein dürfte, zeigt die selbsterhöhende Äußerung Scheurls aus seiner Rede vom 16. November 1508, in der er behauptet, alle Fürsten seien in Bezug auf ihre Erziehung von Gelehrten abhängig. Nur um der Historiker willen würden ihre Namen bewahrt.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 16.8.11 um 19:36 Uhr (Zitieren)
Könnte man den Spruch auch mit „Sei gegrüßt mein Freund zum Abschied“ übersetzen?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bibulus am 16.8.11 um 20:30 Uhr (Zitieren)
„iuris utriusque doctor“ -> „Doktor beider Rechte“
(des weltlichen und kirchlichen Rechtes)
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bibulus am 16.8.11 um 20:32 Uhr (Zitieren)
Michael Hofbauer schrieb am 16.08.2011 um 19:36 Uhr:
Könnte man den Spruch auch mit „Sei gegrüßt mein Freund zum Abschied“ übersetzen?

Eigentlich nicht...
„abi“ ist eindeutig Imperativ,
aber es kann ja auch etwas anderes bedeuten
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 17.8.11 um 17:52 Uhr (Zitieren)
Wenn auf der linken Seite der „viator“ direkt angesprochen wird, könnte er ja zur rechten verabschiedet werden - wobei man „Ave, amice abi“
mit „Leb wohl, scheide als Freund/freundlich/-schaftlich/geneigt“ übersetzen könnte.
„Ave“ ist ja nicht nur Begrüßungs - sondern auch Verabschiedungsformel, „amice“ kann Adverb sein, nicht nur Vokativ von „amicus“. Ganz überzeugt mich diese Auslegung der Abbreviatur allerdings nicht.
Die "Ad Lucam Chronum Ducalem
Saxoniae pictorem ingeniosum celerem absolutumque
Doctoris Schewrli Epistola" ist übrigens als Digitalisat verfügbar: http://tinyurl.com/3fx2gk5
Angeschlossen an die im Text folgende Universitätsrede sind außerdem noch Lobgedichte/Epigramme auf Scheurl und Cranach.
Vielleicht findet sich dort eine weiterführende Spur.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 22.8.11 um 19:42 Uhr (Zitieren)
Die auflösung ave amice abi ergibt (auch wenn ave Abschiedsformel an Tote ist) überhaupt keinen Sinn. Die Lösung ligt im vorausgehenden Motto: Fortes fortuna formidat - FFF, entsprechend ist AAA aufzulösen. Ratet mal!
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 22.8.11 um 19:59 Uhr (Zitieren) I
Sollten die Sternchen als Trennzeichen den entscheidenden Hinweis geben?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Dr.med. Lu. am 22.8.11 um 20:18 Uhr (Zitieren)
Geht es in Richtung: „PER ASPERA AD ASTRA “?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 22.8.11 um 22:13 Uhr (Zitieren)
1. Sternchen: gewiss Abbraviaturzeichen
2. PER ASPERA AD ASTRA: nicht schlecht, daran habe ich nicht gedacht. Ich denke aber, genau das ist die richtige Richtung - eine sinnvolle Fortführung von FFF, die ein literarisch Gebildeter ohne Mühe ergänzen konnte.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 22.8.11 um 22:21 Uhr (Zitieren)
Natürlich zielte die Erwähnung der Sternchen auf die „astra“ - gibt’s nun auch einen Lösungsvorschlag oder dominiert das Bedürfnis, den Entertainer zu geben?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Graeculus am 22.8.11 um 22:27 Uhr (Zitieren)
A A A kann auch „arma armis arcenda“ abkürzen, was freilich bei einem Doktor der Rechte nicht paßt.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Graeculus am 22.8.11 um 22:34 Uhr (Zitieren)
Wenn’s nicht anders dabei stünde, hätte ich diesen Doktor der Rechte ja glatt für eine Frau gehalten.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Dr.med. Lu. am 23.8.11 um 8:08 Uhr (Zitieren)
@Bruno Häuptli:

‚Sinnvolle Fortführung von FFF‘: Fraglich!

Versuch: „Ars Autem Aeterna“.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Dr.med. Lu. am 23.8.11 um 9:48 Uhr (Zitieren)
Versuch 2: „Ad Agendum Aptus“.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Dr.med. Lu. am 23.8.11 um 11:43 Uhr (Zitieren)
Versuch 3: „Auro Argento Aere“.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Dr.med. Lu. am 23.8.11 um 11:45 Uhr (Zitieren) I
Erklärung folgt !
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 23.8.11 um 13:08 Uhr (Zitieren)
1. Sternchen: in Wirklichkeit Blümchen.
2. Fortsetzung von FFF: ergibt sich aus der Anordnung im Bild, was bisher nicht erwogen wurde. D.h. die Fortsetzung wäre dann ebenfalls eine Sentenz (die wie FFF im Spätmittelalter herumgeistert).
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 23.8.11 um 16:35 Uhr (Zitieren)
„dominiert das Bedürfnis“ - methodisch vorzugehen statt ins Blaue zu raten. Wer spricht diesen Text? Das Bildnis (so ist „Viator...“ unter Anspielung auf das berühmte Denkmal gemeint) oder der Dargestellte? Andere Lösungen als die Fortsetzung von FFF sind ja denkbar, zB. Ave ave ave - immer noch besser als das unsinnige ave amice abi.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Graeculus am 23.8.11 um 17:20 Uhr (Zitieren)
Nun laß doch endlich die Katze aus dem Sack,
oder dominiert das Bedürfnis, den Entertainer zu geben?,
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
arbiter am 23.8.11 um 18:42 Uhr (Zitieren)
...audaces autem amat
könnte eine Fortführung sein, die es jedenfalls als dt. Sprcihwort gab
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Dr.med. Lu. am 23.8.11 um 18:51 Uhr (Zitieren)

„Alter Alterius Auxilio (eget)“

(--> Scheurl bedarf Cranachs Hilfe, um so dargestellt zu werden)
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 24.8.11 um 10:26 Uhr (Zitieren)
Zuerst noch eine Bemerkung zum Viator-Text: es handelt sich um einen Doppelvers in klassischen sapphischen Hendekasyllaben, deren Autor sicher Scheurl war. Von den zahlreichen einfallsreichen Vorschlägen, die inzwischen zur Auflösung von AAA eingetroffen sind, würde ich doch einen bevorzugen, der das Motto FORTES FORTUNA FORMIDAT fortführt und da verbreitet leicht zu ergänzen war: AUDACES AUTEM ADIUVAT (besser als amat). Die Gegenüberstellung von fortis und audax ist anderweitig belegt, vgl. Thesaurus proverbiorum medii aevi, Bd.12, S, 320, s.v. wagen: „das glück wil den kecken wol, es förcht die starcken.“
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 24.8.11 um 14:12 Uhr (Zitieren)
NOTUS E VIATOR: NOTUS E(st) VIATOR
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 24.8.11 um 16:33 Uhr (Zitieren)
Alle Achtung! So stelle ich mir einen wissenschaftlichen Diskurs vor!
Die Auflösung von Bruno Häuptli in AUDACES AUTEM ADIUVAT hat was, lässt für mich aber Fragen offen:
1. Weshalb sollte (gerade in der direkten Ableitung von Scheurls Motto FORTES FORTUNA FORMIDAT) dasselbe nochmals als Suspension Verwendung finden?
Ein Rätselspiel wie hier im Forum durchgespielt, nur mit demselben Inhalt wie der Sinnspruch? Für meinen Geschmack im Ergebnis etwas langweilig...
2. Geht es bei der Abhängigkeit vom Sinnspruch FORTES FORTUNA FORMIDAT nicht eher um ein weiteres Tautogramm als literarische Spielform an sich? In diesem Zusammenhang würde sich mit einem möglichen Abschied (Scheurl wurde 1508 zum Assessor in Leipzig und Altenburg ernannt und verließ 1512 Wittenberg nachweislich) mindestens ebenso gut argumentieren lassen. Die insbesondere deshalb, da Schlangensignatur und Jahreszahl farblich voneinander abweichen, wobei Signatur und Aufschrift farblich übereinstimmen. So wäre denkbar, dass Aufschrift und Signatur erst wenig später (zum Abschied) aufgebracht wurden.

Auch das persönliche Verhältnis und der rhetorische Lobgesang auf Cranach, der Inhalt und Anlass des Gedichtes war, könnte seine Erfüllung in der Alliteration auf A finden. Die angedachte Variante
„Alter Alterius Auxilio (eget)“
(--> Scheurl bedarf Cranachs Hilfe, um so dargestellt zu werden) ist damit ebenfalls nicht von der Hand zu weisen!

Ich werde deshalb etwas nachdenklich, wenn Meinungen anderer als „unsinnig“ bezeichnet werden.

Wenn die Forums- Teilnehmer einverstanden sind, würde ich gerne die gesamte Diskussion in mein Archiv als Zitat übernehmen.

Vielleicht gehts ja noch weiter...
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 24.8.11 um 17:04 Uhr (Zitieren)
Das Problem bei Re: A * A * A * Ave, amice, abi ist die Nachweisbarkeit (ein Listeneintrag hat keinen Quellenwert). Für die Brgündung meines Vorschlags müsste ich weiter ausholen. Hier ein paar Andeutungen: Fortis fortuna adiuvat ist eine sehr geläufige Formulierung, die aus einer oft gelesenen Textstelle stammt (Plinius). formidat ist sehr ungewöhnlich, scheint aber spätmittelalterlich gut belegt (Thesaurus a.a.O). audaces adiuvat erscheint auch gelegentlich. Nimmt man die Stellen zusammen, ergibt sich ein feiner Unterschied, der für den Humanisten nicht zu übersehen war: fortis ist eine der vier aristotelischen Kardinaltugenden, während audax negativ besetzt ist als Tollkühnheit etc. Ein weitrer Vorteil wäre die gleiche *moderne* Rhythmisierung der beiden Zeilen. -
Anders herum gedacht: Ist AAA selbständig, kann man an eine Abschiedsformel denken, wie sie auf Grabschriften geläufig war: Ave amice amantissime („Leb wohl, geliebtester Freund“), aber wer wäre dann der Sprecher? Die Formulierung Alter alterius auxilio ist übrigens auch ohne Verb verständlich, ist aber wohl etwas weit hergeholt.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 24.8.11 um 19:00 Uhr (Zitieren)
Ich will die These Häuptlis nicht in Abrede stellen, sondern die Ungültigkeit der anderen Thesen bewiesen sehen, wenn diese unsinnig sein sollen. Dies scheint mir bislang nicht der Fall! Da braucht es nötigenfalls ein „Ausholen“... Was war der Anlass für die „Redundanz“ der Suspensionen?
Fakt ist, die Scheurl-Rede steht in direktem Zusammenhang mit der Anfertigung des Porträts (siehe oben). Ein Cranach-Bezug im Bild ist damit mehr als naheliegend!
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 25.8.11 um 10:38 Uhr (Zitieren)
Ohne das zunächst unmittelbar als Beweis für die Ausgangsdeutung einbringen zu wollen, eine Belegstelle für „Ave amice Abi“, die als Abschiedsformel einer „Ansprache“ an einen „viator“ auf einem (Grab)denkmal zu finden war oder noch ist . Wiedergegeben ist diese in dem 1678 verfassten Werk „De Poesi Hodiernorum Politicorum sive de argutis inscriptionibius...“ Christian Weises. Im Wortlaut (http://tinyurl.com/3bjldhf):
„Siste viator gradum, Pii Manes te rogitant. Monumentum quod cernis HUGOLDO PFLUG est conditum. Ast ipse longe aliud, quod nullis unquam consenescet saeculis, sibi liberalitate ac virtute insigni vivens posuit. Vivit annos XLVI. Mortuus // Miserere mei Deus// XXV. SEPTEMBRIS. ANNO IX. Haec de (recte wohl: te) scire volui. Ave amice Abi.“ („Halte ein, Wanderer, die seligen Geister der Verstorbenen bitten dich darum. Das Denkmal, das du gewahrst, ist für Haubold Pflug erbaut worden. Doch ein ganz anderes (Denkmal), das zu keiner Zeit je alt und grau werden wird, errichtete dieser sich zu Lebzeiten durch Güte/edle Gesinnung und hervorstechende Tugendhaftigkeit. Er lebte 46 Jahre. Gestorben am 25. Sept. Gott, erbarme dich meiner. Im Jahre IX (Indiktionsjahr?). Ich wollte, dass du diese Dinge weißt. Leb wohl, (Freund) scheide (als Freund)“ Der Verstorbene war vermutlich Caesar Pflug(k)s, Landes- und Appellationsrat und Kanzler Sachsens, Bruder, gestorben 1506.
Weitere Belege habe ich bisher nicht entdecken können, es ist also m.E. offen, ob „ave amice abi“ vorzugsweise auf (Grab)denkmälern in Verbindung
mit der Adressierung an einen „viator“ vorkommt, jedenfalls handelt es sich wohl doch nicht um eine vollkommen sinnlose Erfindung. Weiters stellt sich
natürlich die Frage, warum auf einem Porträt zu Lebzeiten so ein Adressierungsschema zum Einsatz kommen sollte (eigenartiger Weise wurde, wie ich einem Text - http://tinyurl.com/3eh69vj auf S.86 - entnommen habe, ausgerechnet das „viator
nachträglich beinahe getilgt und zu dem tatsächlich in diesem Kontext bedeutungslosen „maior“ entstellt) und auch die Argumentation zur Fortführung des Mottos ist damit keinesfalls erledigt.
Zwei Dinge noch:
Dass „fortis fortuna adiuvat“ weitaus älter ist als Plinius, schon Terenz gebraucht es, kann man leicht nachlesen. Interessanter ist hier wohl die Abweichung zu „formidat“.
Wie steht es eigentlich um die Deutung des zweiten Buchstabentripels „MMM“, das sich auf der Goldborte des Hemds befindet?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 25.8.11 um 11:14 Uhr (Zitieren)
Ich dachte mir, die Initialien MMM könnten für „Magnus magister“ mit dem Zusatz „magnificus“ stehen, doch Prof. Dr. Koepplin, Basel (einer der besten Cranch-Kenner) schrieb mir: „das MMM kann unmöglich das Selbstlob beinhalten, das Sie dam Mann anhängen wollen.“ Er verweist auf Margit Kern: Tugend versus Gnade, Prtestantische Bildprogramme in Nürnberg, Pirna, Regensburg und Ulm. Berlin 2002, S. 309 (Diss.Berlin 1998)
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 25.8.11 um 13:02 Uhr (Zitieren)
Würde man eine Ergänzung/Kontrastierung des Mottos, wenn sie denn von Scheurl stammt, nicht auch in den Drucken zu Lebzeiten erwarten? In den zugänglichen Digitalisaten (cf. http://tinyurl.com/3rxwqhq oder http://tinyurl.com/3lpdp75) taucht zwar „fortes fortuna formidat“ mehrfach auf, jedoch - soweit ich sehe - ohne Zusatz.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 25.8.11 um 15:28 Uhr (Zitieren)
Die Recherchen von filix beeindrucken mich sehr, sowohl das aufspüren einer Quelle von Ave amice abi, wie die Entdeckung von FFF in der Oratio Scheurls von 1509 (dem Entstehungsjahr des Porträts). Die erste Seite ist da aufschlussreich und könnte weiterhelfen. Vor dem Einleitungsgedicht steht nämlich folgendes:
M.
Fortes fortuna formidat
C.S.D.
(was natürlich Abkürzung von Chr. Sch.Doctor bedeutet).
FFF und AAA gehören also wohl in irgendeiner Weise zusammen, aber wie (ich zweifle jetzt an meinem eigenen Vorschlag, aber [noch] nicht an der Zusammengehörigkeit). Und was bedeutet das einzelne vorausgehende M.?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 26.8.11 um 0:12 Uhr (Zitieren)
Zurück ad fontes und damit nochmals zurück zur anfänglichen Frage, ob ein Zusammenhang zwischen FFF und AAA besteht. Von grösster Wichtigkeit ist Scheurls Selbstzeugnis in seiner Predigt, bzw. die Einleitung dazu (die ich bereits erwähnt habe) und der Widmungsbrief (den frühere Kunsthistoriker noch kannten, vgl. Koepplin 1975, sogar [der rassistisch argumentierende] Flechsig in den Cranachstudien, Leipzig 1900). Daraus geht hervor, dass Scheurl als Devise FFF vorstellt und nichts weiter. Die identische Kombination zeigt Scheurls Libellus De Laudibus Germanie:
M., darunter FFF, darunter CSD. Eine Fortsetzung oder gar eine zweite Devise lässt sich damit ausschliessen. AAA ist offenbar als separates Element zu verstehen - wir können weiterspekulieren.
Zu MMM: ist auf der Bordüre zu sehen, als Bordürenmuster ab eigentlich endlos, womit sich die drei M auf ein einziges reduzieren. Nimmt man sich die Mühe, die in der Allerheiligenkirche am 16. Nov. 1508 gehaltene Predigt (besser als „Universitätsrede“) zu lesen, stellt man mit Erstaunen fest, dass sie zu Ehren der „Himmelskönigin Maria“ gehalten wurde! Das wäre ein Erklärungsversuch für die Bordüre, ist aber nicht zu verwechseln mit dem M der Einleitung vor der FFF-Devise (Memento?).
Zu VIATOR: ein Topos der Grabepigramme (Thermopylendenkmal!), mit dem hier gespielt wird. Der ganze Text steht im übrigen im auf 1. Oktober 1509 datierten Widmungsbrief an Cranach, ist also keinesfalls nachträglich zugefügt, wie M.H. vermutet hat. Die Viator-Frage hat aber nichts mit dem AAA-Problem zu tun, auf das eher die sehr persönlichen Äusserungen Scheurls gegenüber Cranach ein Licht werfen könnten.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
arbiter am 26.8.11 um 1:20 Uhr (Zitieren)
ich bin nichts weniger als ein Experte, aber : warum zum Teufel sollte eine Fortführung von fff in dieser Form erfolgen, vor allem, da ja noch genug Platz da war?
Und zweitens: was für einen Sinn/Witz würde hier eine Abkürzung machen, besonders wenn die Abwandlung des Spruches wohl doch nicht so geläufig war?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 26.8.11 um 10:39 Uhr (Zitieren)
@arbiter: die Frage ist vom Tisch, s.o., und damit auch die Möglichkeit einer zweiten Devise.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 26.8.11 um 15:18 Uhr (Zitieren)
Zunächst zu Bruno Häuptli: Wenn das „triple A“ (heute im Rating als höchste Bonitätsstufe verwendet...) als separates Element zu verstehen ist, so deutet dies offensichtlich doch auf einen direkten Zusammenhang mit einer chiffrierten Botschaft Cranachs für seinen „Freund“ Scheurl hin. Ob sich darunter nun eine wie auch immer auszulegende Abschiedsformel oder ein „Selbstlob“ Cranachs = „Alter Alterius Auxilio“ oder sonstwas verbirgt, muss eventuell unbeantwortet bleiben. Vielleicht war es (in humanistischer Tradition) beides...
Im Zusammenhang mit der Abschiedsformel scheint mir ein kategorischer Ausschluss einer nachträglichen Aufschrift nicht gerechtfertigt (gemeint als: nachträglich von Cranach aufgemalt, in einem Zeitraum von wenigen Monaten)! Existenz und Inhalt der Scheurlschen Epistel sind auch heutigen Kunsthysterikern gelegentlich noch bekannt und die Existenz des dort (1509) komplett abgedruckten Textes schließt ein nachträgliches Aufbringen eines daraus zitierten Mottos meines Erachtens nicht aus.
Kann es nicht so gewesen sein: Cranach malt 1509 ein Porträt für Scheurl und erhält dafür seinen „Werbebrief“. Wahrscheinlich wurde das Werk vom vielbeschäftigten Cranach nicht vor 1510 (oder später) fertiggestellt. So könnte (wiederum naheliegender Weise) „zum Abschied“ von Wittenberg nachträglich Cranach das Bild mit einer Aufschrift versehen haben. Betrachtet man sich die Aufschrift links oben, so fällt auf, dass sie Richtung Kopf zunehmend gedrängt ist. Dies könnte man nicht nur als künstlerisches Mittel (aus unserer heutigen Sicht) der Erzeugung von Räumlichkeit hinter dem Kopf verstehen, sondern auch als den schlicht etwas missglückten Versuch, einen Bestandstext auf einer vorgegebenen Fläche unterzubringen. Wenn ich ein Porträt mit Text plante, so würde ich die Textaufteilung ausgeglichener gestalten!
Kommt diese Möglichkeit nicht auch der Frage von arbiter entgegen? Also: die linke Seite Scheurl, die rechte Cranach (mit persönlichem Sinnspruch, Signatur und Datierung)?
Nun zum M: Dass es sich um ein einzelnes M handeln könnte, halte ich für eine nachvollziehbare Variante, besonders durch das vorherige Auftauchen im Zusammenhang mit FFF in Scheuerls Libellus De Laudibus Germanie. Auch hier halte ich wie bei AAA eine Doppeldeutigkeit für möglich. Aus M wird (auch optisch) ein Spiel mit Alliterationen (FFF-AAA-MMM). Aus M wird MMM (Denn trotz unendlichem Muster sind gerade drei M zu sehen)! Da sich, ausgehend von anderen Porträts mit Bordüren-Versalien (Beispiele spare ich mir), diese direkt auf die abgebildete Person beziehen dürften, lasse ich mir den Hinweis auf den „selbstverliebten Magister“ noch nicht ganz streitig machen. (vgl. letzter Absatz meiner Ausführungen vom 16.08.2011 um 19:21 Uhr)
Dieter Koepplin schrieb mir: "Wie würden Sie (oder M. Winiarczyk) auflösen, was N.Manuel (Anm. Manuel Deutsch) u. Urs Graf auf Zeichnungen angebracht haben: NKAW?
Ich verrate es Ihnen: Niemand kann alles wissen."
(Anm. Dies war das Motto Deutschs.- Vgl. Leo Koerner: The moment of self-portraiture in German Renaissance art, Chicago 1997, p. 418)

Für mich weiterhin denkbar: Cranach hat mit AAA hier ebenfalls seinen Senf dazu gegeben...
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 26.8.11 um 15:25 Uhr (Zitieren)
@Häuptli: „die Frage ist vom Tisch, s.o., und damit auch die Möglichkeit einer zweiten Devise.“
Akzeptieren Sie, wenn schon keine zweite Devise (Scheurls) dann eher eine einmalige Devise Cranachs (keiner kanns so gut wie ich...) oder eben doch die Abschieds-Grußformel?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 26.8.11 um 15:54 Uhr (Zitieren)
NAV (Nicht alles verwechseln).
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 28.8.11 um 21:15 Uhr (Zitieren)
Zur Klärung einiger strittiger Fragen hier die vorläufigen Resultate, die sich aus den überprüften Originalquellen ergeben (dank den links von filix leicht zugänglich): Die Klarheit und Vielfalt der Quellenlage ist überraschend.

Schriftquellen:
Scheurls Devise, *improvisiertes“ Einleitungsgedicht des Richard Sbrulius, Brief an Cranach (datiert 1. Oktober 1509), Promotionsrede: Scheurl, Christoph: Oratio doctoris Scheurli attingens litterarum prestantiam, nec non laudem ecclesiae collegiatae Vittenburgensis, Leipzig, Drucker Martin von Würzburg (Herbipolensis), Dezember 1509: (Digitalisat BSB tinyurl.com/3rxwqhq oder tinyurl.com/3fx2gk5): Devise vor dem Einleitungsgedicht (M / Fortes Fortuna Formidat / C S D).
Scheurl, Christoph: (Oratio seu) Libellus De Laudibus Germanie & ducum Saxonie editus a Christophoro Scheurlo Nurembergensi Iurisutriusque doctore [mit angeblich improvisierten, teils in Hendekasyllaben verfassten Gedichten des Richard Sbrulius u.a.], Drucker Martin Lantzperg, Leipzig, Juni 1508 (Digitakisat BSB: tinyurl.com/3lpdp75), bes. p. 1r und p. 59v. Devise dem Libellus vorangestellt (Fortes Fortuna Formidat) und als Explicit angehängt (M / Fortes Fortuna Formidat / C S D).
Wichtige Quellenpublikation (Hinweis von Dieter Koepplin): Übersetzung des Briefs an Cranach in: Lucas Cranach der Ältere im Spiegel seiner Zeit: aus Urkunden, Chroniken, Briefen, Reden und Gedichten, im Auftrag der Deutschen Akademie der Künste hrsg. und erl. von Heinz Lüdecke, Berlin 1953.

Scheurl teilt wichtige Fakten selbst in seinem öffentlichen (d.h. publizierten) Brief an Cranach mit, der auf den 1.10.1509 datiert ist und im Dezember 1509 in Leipzig im Druck erscheint. …“tabulam illam, que [recte qua] me diligentissime expressisti, cui haud iniuria subscribi mandavi. Si Schewrlus tibi notus est, viator. Quis Schewrlus magis est: an hic an ille.“
„… das Tafelbild, auf dem du mich sorgfältigst dargestellt hast, auf das ich nicht zu Unrecht hinzuschreiben veranlasst habe: Si Schewrlus tibi notus est, viator: Quis Schewrlus magis est an hic an ille.
Wenig später folgt die Datierung.
Also:
1. Die Datierung des Porträts ist durch Scheurl selbst vor den 1.10.1509 bezeugt.
2. Scheurl war der Autor der beiden hendekasyllabischen Verse „Si…“, wie er selbst bezeugt (orthographische Abweichung: Schewrlus gegenüber SCHEVRLVS im Gemälde).
3. Scheurl veranlasste die Anbringung der Verse, wie er selbst bezeugt.
4. Die beiden Verse wurden vor dem 1.10.1509 angebracht, als lobender Kommentar durch den porträtierten Auftraggeber, mit Anspielung auf die seit der Antike geführte Diskussion über das Verhältnis von Natur und Kunst, von Vorbild und Abbild (insofern eine fiktive Reaktion auf das wirkliche Bild). Die jahrhundertlange Diskussion war Scheurl bekannt, wie aus dem Cranach-Brief hervorgeht
Dass die Verse später hinzugewurstelt erscheinen, heisst höchstens, dass das Porträt im ganzen schon fertig war, als Scheurl die Verse hinzuzusetzen vorschlug. Die Inschrift war aber aufgrund des Selbstzeugnisses mit Sicherheit [das darf man ausnahmsweise einmal sagen!] vor dem 1.10.1509 aufgemalt.
5. Scheurl war sehr zufrieden mit dem Resultat (s. aber Nr. 4 – ein Topos der Kunstgeschichte).

Das Viator-Motiv hat einen eigenen Kontext (Grabepigramme, Thermopylendenkmal) und sollte nicht mit dem AAA in Verbindung gebracht werden.
Zu AAA: Wir können nur raten, es aber kaum erraten. Zu denken ist an eine persönliche Absprache oder „Geheimsprache“ unter Freunden (nicht eine Devise), die nur LC und CS kannten. Das kann scherzhaft gemeint gewesen sein, dann erraten wir es erst recht nicht. Die Auflösung Ave amice abi halte ich für wenig wahrscheinlich.
M vor dem Motto: wohl als Memorandum zu verstehen, jedenfalls in der Bedeutung von „Motto“. Mit dem M der Goldbordüre kann das kaum etwas zu tun haben.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bibulus am 29.8.11 um 2:03 Uhr (Zitieren)
wahnsinn...
(positiv gemeint)
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 4.9.11 um 20:33 Uhr (Zitieren)
Die Behauptung, dass Scheurl der eigentliche Autor von „SI · SCHEVRLVS · TIBI · NOTVS...“ auf seinem von Cranach gemalten Porträt ist, muss relativiert werden - und zwar aus folgendem Grund:
In seiner der erstmals 1502 erschienen Ausgabe der Werke Bologneser Humanisten Antonius Urceus (1446-1500), genannt Codrus, vorangestellten Widmungsepistel schreibt der Herausgeber Philippus Beroaldus Iunior an Antonius Galeatius Bentivolus (1472 - 1525), Mitglied der bedeutenden Bologneser Adelsfamilie Bentivoglio, seines Zeichens apostolischer Protonotar:
"Philippus Beroaldus Iunior Antonio Galeacio Bentivolo Protonotario Apostolico Suo Salutem:
Habes tandem sermones Codri, Antistes optime,sermones illos inquam doctos, elegantes, facetos ut nihil supra[...]Quantopere autem Codrum amaveris cum semper patuit, tum praecipue cum eius imaginem intra cubiculum tuum habere voluisti depictam in coetu sapientium, ab aurifice nobillissimo Francia cive nostro: Quam imaginem cum Codrus inspexisset hoc Distichon effudit: Si Codrus tibi notus est viator, quis Codrus magis est an hic an ille?"
„Philippus Beroaldus Iunior (entbietet) dem Antonius Galeacius Bentivolus, Apost. Protonotator seinen Gruß: Du hast, bester Meister/Oberpriester, nun endlich jene Reden des Codrus, von denen es heißt, dass sie gelehrt, gewählt im Ausdruck und wohlgestaltet wie sonst nichts seien.[...]Wenn auch immer offensichtlich war, wie sehr du aber den Codrus geliebt hast, dann (zeigte es sich) in besonderer Weise dadurch, dass du in deinem Schlafgemach dessen von dem sehr berühmten Goldschmied Francia, unserem Mitbürger (gemaltes) Bild, das ihn in einer Versammlung Gelehrter/Philosophen darstellt, haben wolltest: Nachdem Codrus dieses Porträt betrachtet hatte, ließ er dieses Distichon vernehmen: Wenn dir Codrus bekannt ist, Wanderer, wer ist mehr Codrus: dieser oder jener?“ (1)
Bei Francia handelt es sich um Francesco Francia (1450-1518), einen Maler der Bologneser Schule, das Bild „in coetu sapientium“ könnte ein in Vasaris „Vite“(2) erwähntes, schon im 16.Jhdt zerstörtes Gemälde mit dem Titel „disputa dei filosofi“ gewesen sein. Somit entpuppen sich die dem von Cranach gemalten Portät hinzugefügten Verse Scheurls, der sich von 1498 bis 1506 in Bologna aufhielt, studierte, schließlich dort seinen Doktor machte (3) und in den Zirkeln der humanistischen Intellektuellen verkehrte, auch mit Urceus/Codrus bekannt war oder ihn sogar hörte, als schlichtes Plagiat, bei welchem er gerade einmal „Codrus“ durch „Scheurlus“ ersetzte. Das eigene Bildnis hat Codrus selbst mehrfach literarisch verarbeitet - von dem zitierten Distichon abgesehen u.a. mit einem Lobgedicht auf seinen Auftraggeber:
"Ad Galeatium Bentivolum, de imagine Codri.
Ditibus in thalamis quos tu clarissime princeps,
Ornasti vivis nuper imaginibus,
Me quoque iussisti sapientum vivere coetu,
Et meditabundo dicta notare statu.
Me noscunt, plauduntque mihi quicunque tuentur,
Inventumque probant, vir memorande, tuum.
Ast ego quid contra faciam?quae dona rependam?
Quod dignum tanto munere munus erit? [...]" -
"An Galeatus Bentivolus, über das Bildnis des Codrus:
In prächtigen Schlafgemächern, welche du, erlauchtester Fürst/Gebieter,
neulich mit lebendigen Bildern geschmückt hast,
ließest du auch mich in einer Schar Gelehrter leben(lebendig werden/einen Platz einnehmen),
und im Zustand unablässigen Nachsinnens die Äußerungen merken/aufnehmen (aufschreiben),
Sie erkennen mich (wieder) und klatschen mir Beifall und alle die (es) betrachten,
heißen deinen Einfall gut, bemerkenswerter Mann.
Was aber soll ich im Gegenzug tun? Mit welchen Gaben soll ich vergelten?
Welches Geschenk wird eines so großartigen Geschenkes würdig sein?[...]" (4)
Auch in seinem dichterischen Umfeld bot das Gemälde Anlass für „spontane“ Verse (5).
Urceus/Codrus wird in dem Widmungsbrief an Cranach zwar von Scheurl als Urheber besagten Zweizeilers nicht direkt genannt, weiter vorne schreibt er jedoch, an den Maler sich wendend, darauf indirekt (der Randvermerk nennt Beroaldus senior als Quelle) anspielend: „Celebrat praeceptor meus coterraneum suum Franciam Bononiensem: Sed non vidit opera tua.“ -
„Mein Lehrer feiert seinen Bologneser Landsmann Francia: aber er hat deine Werke nicht gesehen.“(6).
Dass Scheurl die Ausgabe der Werke Urceus/Codrus gekannt haben muss, geht auch aus einem längeren Zitat hervor, das
er dem „sermo quartus“ für dem Widmungsbrief folgende „Oratio doctoris Scheurli attingens...“ entnommen und als solches ausgewiesen hat, hervor -
ein Exemplar befindet möglicherweise in der bis auf den heutigen Tag aufbewahrten Scheurlschen Bibliothek.(7)
Verfolgt man diese Spur weiter, stellt sich schnell heraus, dass nicht nur das Distichon, sondern auch
der Apelles-Vergleich, der in der Widmungsepistel zelebriert wird, und die in trompe-l'œil-Anekdoten entwickelte Bestimmung des Verhältnisses von Bild und Wirklichkeit, Natur und Kunst die Ideensphäre der Bologneser Intellektuellen des ausgehenden 15.Jhdts. natürlich nicht als Ursprungsort überhaupt , aber sozusagen als prominenten „Ansteckungsort“ für den dt. Humanismus haben.(8)
Die Frage, warum Scheurl sich hier entgegen der vorherrschenden „Zitierwut“, die sonst mit Referenzen nicht geizt, mit fremdem Federn schmückt,
ob die mehrfache Erwähnung des Schlafzimmers als Bestimmungsort des das ursprüngliche Distichon veranlassenden Porträts eines Mannes, von dem schon anscheinend in seiner Epoche hieß, er sei einer, „der seinen Haushalt selbst führe, den Homer beim Kochen auf den Knien “(9), gepaart mit der ausdrücklichen Erwähnung desselben als Gewährsmann für derb-misogyne Verslein nur wenige Seiten später , dabei eine Rolle spielt, bietet sicher genug Anlass für Spekulation. Hinsichtlich der Aneignungsgeschichte des italienischen Renaissance-Humanismus für deutsche Verhältnisse bzw. der nationalen Rivalität auf dem Feld der Künste, hält die nunmehr
entdeckte Tatsache, dass der rühmende Zweizeiler für Cranach, den in Scheurls Augen, von Dürer abgesehen, ersten unter den deutschen Maler („ceteri Germani cedunt, Itali (aloquin laudis avidi) manus dant“ - „die übrigen Deutschen weichen, die Italiener (sonst so ruhmsüchtig) erklären sich für überwunden“)(10) selbst noch eine Entlehnung aus südlichen Gefilde ist, eine gewisse Pointe bereit. Ob die ursprünglich gesuchte
Entschlüsselung eventuell etwa mit „Apelles“ „Ars“ und „Alemanicus“ zu tun hat, kann man sich m.E. durchaus durch den Kopf gehen lassen, ebenso den Gedanken, dass es sich dabei um eine Botschaft handelt, die nicht durch den Lauf der Geschichte einfach verschüttet wurde, weil uns der intellektuelle Bezugsrahmen gelehrter Anspielungen verloren gegangen ist, sondern weil sie in voller Absicht als Geheimnis konzipiert war und es auch bleiben sollte.


----------------------------------------------------------------------------------
(1) Antonius Urceus: Orationes, Epistolae, Silvae, Satyrae ,1506, p. I
bzw. ebendort p. LXIII -- - http://tinyurl.com/3n857mv
(2) Giorgio Vasari: Le vite de' piú eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani...,1550 -- http://tinyurl.com/3u2vyfy
(3) Aus einem Brief Scheurls an Georg Leimpach vom 11.Februar 1510: „dedi operam litteris Bononiae annis novem, donec 23. Decembris 1506 doctoratus sum“- „Neun Jahre widmete ich mich in Bologna mit Eifer den Wissenschaften, bis ich endlich am 23.Dez.1506 zum Doktor promovierte.“
Chr.Scheurl/Soden&Knaake (Hrsg.), Scheurl’s Chr. Briefbuch: ein Beitrag zur Geschichte der Reformation, 1867, S.59 -- http://tinyurl.com/3uurk4y
Auch: Gustav C. Knod:Deutsche Studenten in Bologna (1289-1562),1899 -- http://tinyurl.com/3ukdasb
(4) Antonius Urceus: Orationes, Epistolae, Silvae, Satyrae ,1506, p.XLVI -- http://tinyurl.com/3n857mv
(5) Antonius Urceus: Orationes, Epistolae, Silvae, Satyrae ,1506, p. XLVI -- http://tinyurl.com/3n857mv
„Distichon ab eodem (Anmerkung: Vergilius Portus Mutinensis) repente conflatum super Codri imagine: Pallia sic steterunt: venerandus imagine macra / sic fuit: adde iocos, denique Codrus erit.“
"Distichon, von demselben (d.h. Vergilius Portus aus Modena) spontan zusammengeschmiedet
über dem Bildnis des Codrus: Die Philosophen in ihrer Kluft standen (wörtlich: die Mäntel cf. Georges: pallium - > der Mantel, den auch Römer unter Griechen, sowie griech. u. röm. Hetären (amicae) trugen, bestehend aus einem Stücke Zeug von viereckiger od. länglich viereckiger Form, Plaut., Cic., Ov. u.a.: Tracht der griech. Philosophen, Gell. u. Apul.:) so unbeweglich da,
dergestalt fand sich der Verehrungswürdige in einer kargen Szene/einem dürftigen Bildnis; füge die Scherze hinzu, so wird es endlich (der) Codrus sein." (Übersetzung mit Vorbehalt)
(6)Scheurl, Christoph: Oratio doctoris Scheurli attingens..., 1509, 4.Bl - http://tinyurl.com/3fx2gk5
(7) Es handelt sich um folgenden Abschnitt der „Oratio Scheurli attigens...“,1509, p. 23 - http://tinyurl.com/43wnf8u: „Auditis ne unquam versiculos illos rhytmicos...“. Dieser wurde
entnommen aus: Antonius Urceus: Orationes, Epistolae, Silvae, Satyrae ,1506, p. XIX -- http://tinyurl.com/3n857mv - Urceus/Codrus Text mit einschlägigem Titelt schließt an die antike, im Mittelalter
zu neuer Blüte gelangte Erörterung des Topos „an uxor (sapienti) sit ducenda“ an. Ein
Schauplatz für „Misogynia“ aller Epochen, in der Passage dreht es sich um die (sexuelle) Unersättlichkeit der Frauen, die mit der Unersättlichkeit der Priester verglichen wird.
Zu Scheurls Bibliothek: http://www.vifabbi.de/fabian?Scheurl-Bibliothek_(Nuernberg)
(8) cf. Michael Baxandall & E. H. Gombrich: Beroaldus on Francia, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, Vol. 25, 1962 - http://www.jstor.org/pss/750544
(9) http://tinyurl.com/3hw8z7u
(10) Scheurl, Christoph: Ad Lucam Chronum..., 1509, p.1l - http://tinyurl.com/3fx2gk5
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 7.9.11 um 15:06 Uhr (Zitieren)
@filix: Danke für Ihre sensationellen Entdeckungen! (Wenn Sie ihr Pseudonym auflösen, könnte man besser zitieren).
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 7.9.11 um 15:55 Uhr (Zitieren)
@filix: Dem kann ich mit Bewunderung nur zustimmen!
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 7.9.11 um 18:28 Uhr (Zitieren)
Gerne - für die Flüchtigkeitsfehler in meinem umfangreichen Posting ersuche ich um Nachsicht. Sollte die Entdeckung unter Umständen in eine Publikation eingehen, gebe ich dafür gerne auch
den Klarnamen an, hier allerdings ziehe ich aus bestimmten Gründen vor, „filix“ zu bleiben.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Alinor am 8.9.11 um 15:30 Uhr (Zitieren)
Ihr habt mich inspiriert!
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 17.9.11 um 12:20 Uhr (Zitieren)
Es würde mich freuen, wenn filix mich bezüglich Zitierfähigkeit einmal „emailieren“ würde...
info@cranach-research.de
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 19.9.11 um 21:12 Uhr (Zitieren)
Plagiat oder Freundesgruss? Nochmals zurück zum Verspaar „Si Schewrlus tibi notus est, viator. Quis Schewrlus magis est: an hic an ille“. Da ist mir bei der metrischen Analyse ein Fehler unterlaufen, der einem Renaissancedichter nicht passiert wäre: Es sind keine sapphischen Hendekasyllaben, sondern Phalaeceen, wie sie der römische Dichter Catull besonders liebte, zwar auch Hendekasyllaben, aber anders rhythmisierte. Die sapphischen weisen eine Doppelkürze nach der dritten Hebung auf, die catullischen nach der zweiten: Ille mi par esse deo videtur (sapphisch, in der bekannten Sappho-Übersetzung Catulls), Passer deliciae meae puellae (catullisch). Ausserdem werden die sapphischen ausschliesslich im strophischen Vierzeiler mitsamt einer Schlussklausel verwendet, die Phalaeceen hingegen in beliebig langen Reihen, und so waren sie auch bei den Dichtern der Renaissance geläufig, wie gerade die Werkausgabe des Antonius Urceus Codrus zeigt. Damit sind wir beim eigentlichen Autor des Verspaars, der „improvisierend“ (ein Topos der Renaissancepoetik) vor dem Fresko des Francesco Francia im Schlafzimmer des Antonio Galeazzo Bentivoglio ausgerufen haben soll: „Si Codrus tibi notus est, viator. Quis Codrus magis est: an hic an ille“. Scheinbar, wie „filix“ nachgewiesen hat, ein Plagiat. Aber ist es das?
Wir kennen den Ausspruch nicht wie im Fall Cranachs von einem Gemälde, sondern aus der Vita, die Filippo Beroaldo (der Jüngere, 1472-1518) der Werkausgabe seines 1500 verstorbenen Freundes Codrus 1502 (gedruckt in Bologna) vorangestellt hat, wovon ein Nachdruck 1506 in Venedig erschien. Da Scheurl dem Freundeskreis um die Herrscherfamilie Bentivoglio eng verbunden war, besonders Antonio Galeazzo Bentivoglio, dem Sohn des Podestà Giovanni II., kannte er die Beteiligten, an die im Grunde die Ausgabe gerichtet war, durch sein jahrelanges Studium in Bologna (1498-1506) alle persönlich.
Der antike, von der Renaissance aufgegriffene Topos „Kunst versucht die Natur zu übertreffen“ dient hier als Lob auf das Gemälde, das, wie wiederum „filix“ nachgewiesen hat, identisch mit dem Fresko sein dürfte, wenn nicht gar muss, das Vasari in der Biographie des Francesco Francia beschreibt. Es handelte sich um ein Gruppenbildnis diskutierender Philosophen, in deren Mitte Codrus ein Bonmot von sich gab. Damit kommen wir zum Schicksalsjahr 1506: Die päpstlichen Truppen Giulios II. Medici eroberten im November 1506 mit Unterstützung des französischen Königs Ludwig XII. Bologna, um es dem Kirchenstaat einzuverleiben, worauf der Papst am 10. November feierlich in die Stadt einzog. Die während ihrer langen Herrschaft zunehmend verhassten Bentivogli ergriffen die Flucht, womit auch das von ihnen betriebene Mäzenat ein plötzliches Ende nahm. Scheurl doktorierte am 23. Dezember dieses Jahres noch, verliess aber kurz darauf die Stadt, kaum zufällig, da der Freundeskreis auseinandergefallen war. Wenig später, zu Beginn des Jahres 1507, wurde der Palazzo Bentivoglio verwüstet und niedergebrannt und damit wurde auch das Fresko Francesco Francias zerstört.
Wie bekannt, gab Scheurl Cranach den Auftrag, „sein“ Verspaar auf seinem Porträt anzubringen. Das zielte darauf ab, das besondere Talent Cranachs in der Kunst, die Natur zu übertreffen, hervorzuheben. Dass er ihn gleichzeitig gegen Francia auszuspielen versucht, zeigt die Anspielung in der Widmungsepistel an Cranach (auf den 1. Oktober.1509 datiert) zu der von ihm veröffentlichten, 1508 in Wittenberg gehaltenen Rede (Druck: Martin von Würzburg, Dezember 1509): „Celebrat praeceptor meus co[n]terraneum suum Franciam Bononiensem: Sed non vidit opera tua.“ (Mein Lehrer verherrlicht seinen Bologneser Landsmann Francia: aber er hat deine Werke nicht gesehen.“ Die als Lesehilfe gedruckte Randnote zeigt, wer mit dem Lehrer gemeint ist: der rund zehn Jahre ältere Beroaldus (der Jüngere), der eben die Werkausgabe des Codrus besorgt hatte. Damit wird klar, dass Scheurl nach wie vor dem Bologneser Freundeskreis verbunden bleibt und sich dazu bekennt. Wenn dann etwas später der Hinweis folgt, er habe die Scheurl-Verse auf sein Porträt malen lassen, brauchen wir sie nicht als (reichlich plumpes oder allzu plumpes) Plagiat aufzufassen, sondern können sie als Freundschaftsgruss verstehen, der an die Adresse der Bologneser Freunde gerichtet ist und unweigerlich sowohl den verehrten Dichter Codrus wie das inzwischen zerstörte Gemälde aufleben lässt.

Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 19.9.11 um 22:26 Uhr (Zitieren)
Ich denke nicht, dass mit „praeceptor meus“ Beroaldus iunior gemeint ist, sondern Beroaldus senior (1453-1505), der bis zu seinem Tode Professor in Bologna war (der B. iunior meines Wissens nie), in dessen Apuleius-Kommentar sich schließlich auch das in dem Aufsatz von Baxandall&Gombrich diskutierte Lob auf Francia, das von einer Stelle der Metamorphoses seinen Ausgang nimmt, findet.
Ich kann verstehen, dass man aufgrund gegenwärtiger Debatten über Urheberrechte sensibilisiert ist in puncto den Ruf schädigende Konsequenzen nicht ausgewiesener Zitate, finde jedoch, dass man sich von dem Menetekel
„Bologna/Wittenberg = ein Bayreuth um 1500“ lösen, vielmehr die Zitierpraxis historisch betrachten und die Frage aufwerfen sollte , warum ausgerechnet an dieser Stelle der Hinweis auf den eigentlich Urheber unterbleibt, wo man doch sonst mit Referenzen nicht geizt. Dass es nicht gut kommt, wenn man in einem noch auf der Ebene des Wettstreits der Kunst geborgenen „Protonationalismus“ (der sicher weit entfernt ist von den Scheußlichkeiten des 19.Jhdts ff.) die deutschen Maler über die italienischen triumphieren lässt und sich aufs eigene Porträt, angefertigt vom mit Ausnahme Dürers zum bedeutendsten unter diesen ausgerufenen Cranach, ein geklautes Distichon, das von einem Italiener stammt und ursprünglich einem Italiener gegolten hat, anbringen lässt, hat man, denke ich, vor 500 Jahren nicht anders gesehen als heute. Ob das nun eine verkorkste Grußadresse an die Helden der Lehr- und Wanderjahre ist, sei dahingestellt (mich überzeugt es nicht), aber ein offenes Bekenntnis ist es in meinen Augen keinesfalls.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 20.9.11 um 22:20 Uhr (Zitieren)
„filix“ weist überzeugend auf den knappen Aufsatz von Baxandall und Gombrich hin, der es nahelegt, dass mit Scheurls Lehrer Beroaldus senior gemeint ist, der Francesco Francia rühmt als „den grössten Goldschmied unter den Malern, den hervorragendsten Maler unter den Goldschmieden“ (das erinnert an das zwiespältige Lob, das über Leonard Bernstein im Umlauf war – der beste Dirigent unter den Komponisten, der beste Komponist unter den Pianisten, der beste Pianist unter den Dirigenten). In anderen Punkten komme ich zu anderen Schlüssen:
1. Es ging nicht darum, Scheurl vom Vorwurf des Plagiats reinzuwaschen; es kann uns ja gleichgültig sein, ob Scheurl in gutem oder schlechtem Licht dasteht. Die Frage, die für den Historiker zu beantworten ist, ist die, ob ein Plagiat vorliegt, wenn das Kopieren offensichtlich, bzw. deklariert ist. Der Brief an Cranach, der den Hinweis auf Francia enthält, hätte ja vom Autor nicht publiziert werden müssen, wenn er die Aufdeckung eines Plagiats hätte befürchten müssen. Ein „offenes Bekenntnis“ zu verlangen, ginge zu weit: Sapienti sat.
2. Die heutige (Über-) Empfindlichkeit gegenüber urheberrechtlichen Fragen in Koexistenz mit der ungeniertesten Kopiersucht lässt sich kaum vergleichen mit der nonchalanten Nachahmungspraxis früherer Zeiten. Quellen mit Stellenangabe zitieren stellt in rhetorischen und literarischen Texten, und darum handelt es sich hier (im Gegensatz zu philologischen oder theologischen Kommentaren), eher die Ausnahme dar. Allerdings liess man sich Plagiate in wissenschaftlichen Fragen nicht gefallen, auch wenn es keine rechtliche Handhabe gab (Streit Domizio Calderinis mit Angelo Sani 1474/75: vgl. Ovid, Ibis, ed. Häuptli, 357f).
3. Scheurl lobt Cranach nicht als deutschen Künstler gegenüber dem italienischen Francia, sondern Cranach aufgrund seines künstlerischen Vorrangs („Kunst als Rivalin der Natur“) auf Kosten Francias, mit dem Vorbehalt von Dürers Primat (was wir heute noch beides gut nachvollziehen können). Ich vermag keine Spur von nationalistischem Denkansatz zu entdecken (also keinen „Protonationalismus“)..
Ich würde es daher nach wie vor vorziehen, nicht von verkorkster, sondern von verkappter Grussadresse zu sprechen.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 21.9.11 um 17:41 Uhr (Zitieren)
Das ufert ja regelrecht aus. Ich hoffe, wir sprengen den Rahmen dieses Forums nicht, deshalb nur ein paar Anmerkungen:
Ad 3) Man kann m.E. nicht ignorieren, dass dieser Topos der mit der Natur rivalisierenden Kunst hier in einen „frühnationalistischen“ Kontext eingebettet ist, was keineswegs bedeuten soll, dass der Startvorteil die „natio“ per se ist (im Gegenteil). Wie gesagt: wir befinden uns nicht im 19.Jhdt. Aber Dürer anno 1509 ist eben nicht nur „alter“ oder „novus Apelles“ sondern schon „Germanus Apelles“. Das ist nicht bloß geographisches Attribut. Cranach „besiegt“ nicht nur Francia als Francia, sondern gleich alle Italiener (die pauschal und nicht als einzelne, namentlich als ruhmsüchtig charakterisiert werden) - i.e. diese Triumphe werden auch in einem Wettstreit der Nationen und nicht bloß der Individuen oder Metiers verbucht.
Überhaupt wohnt man bei der Lektüre dieser Texte ja insgesamt einem umfassenden Kulturtransfer bei, auch in Verknüpfung mit der Frage, welche Rolle dabei die eigene Nation für die Kulturelite spielt, und kann nachverfolgen, wie die in Oberitalien ausgebildeten Deutschen (die in Bologna z.B. auch nach Nationen in Landsmannschaften organisiert waren, deren deutscher offensichtlich Scheurl zeitweilig vorstand) nach ihrer Rückkehr beim Aufbau der deutschen Spielart humanistischer Gelehrsamkeit unter anderen politischen, religiösen und gesamtkulturellen Bedingungen verfahren und mit diesem „Erbe“, in unserem Fall an der nur wenige Jahre zuvor gegründeten Wittenberger Universität, umgehen. Noch in Bologna hat Scheurl vor den hier debattierten Texten eine Schrift verfasst, die von diesem Aneignungsprozess aus der Defensive einer „natio“, die gemessen an norditalienischer, urbaner Kultur und Intellektualität als relatives Wasteland erscheint, zeugt und in ihrer Art keineswegs die einzige ist (cf. Celtis, Bebel): „Libellus de laudibus Germaniae et ducum Saxoniae“ - nur nebenbei bemerkt: seit der zweiten Auflage findet sich darin ein recht ausführliches Lob Dürers samt obligatorischem Apelles-Vergleich ,trompe-l'œil-Anekdote und eingesprengten Distichen. Der „libellus“ fährt auf, was diese schwierige Unternehmung der Bestimmung des Eigenen in dieser Epoche bewegt : man stellt kulturgeographische Betrachtungen an, treibt mitunter wüste Geschichtsforschung, trägt das Lob der klassischen Autoren zusammen , macht sich mit den philologischen Methoden der italienischen Renaissance ausgestattet an eine enthistorisierende Lektüre von Tacitus' Germania, den man als „testis“ von außen für die eigene Größe anführt, feiert die eigene Frömmigkeit und Sittenstrenge nicht zuletzt der dt. Ehefrauen. Es gibt moralisierende Aufwertung zunächst ausgemachter Schwächen (Rohheit, Barbarentum, die zu Stärke, Strenge und Unverfälschtheit werden) , man deutet das (vermeintliche) Fehlen von äußeren Einflüssen bzw. Fremdherrschaft als Auszeichnung („immo soli pene Germani sumus ex omnibus terrarum nationibus qui sine externarum mixtura regnavimus....“ - eine von Scheurl von Bebel ohne Hinweis auf diesen entlehnte Passage aus dessen „Oratio henrici bebelii iustingensis suevi ad Augustissimum atque sacratiss. Ro. regem. Maximilianum, de eius atque Ger. laudibus“, der sich in seiner „epitome“ in Betrachtung über die indigene Kontinuität der Germanen in Sätzen wie „sumus illorum sanguis, illorum effigies expressima, in nobis relucet....“ ergeht ) et cetera. Das ist nicht einseitig und Scheurl weiß wohl, was er seiner alma mater und der italienischen Renaissancekultur verdankt, gibt ihm auch Ausdruck, zollt Respekt. Aber es ist klar, dass der Austragungsort dieser Debatten ein Wettstreit unter Nationen und die Frage nach dem, was das „Deutsche“ ausmacht, ist.
Kurz: ein Ausblenden der frühnationalistischen Komponente der Entwicklung des dt. Humanismus, in diesem Zusammenhang sei z.B: auf die einschlägigen, rezenten Forschungen von Caspar Hirschi (u.a.: Wettkampf der Nationen: Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Wallenstein 2005)
verwiesen, ist, will man den diskursiven Horizont umfassend verstehen, in meinen Augen nicht von Erkenntnisvorteil - auch nicht in dem speziellen Fall der Abgrenzungen auf dem Feld der bildenden Kunst. Selbstverständlich muss diese Betrachtung ihrerseits mit einer Theorie des Nationalismus und seiner kulturellen und sozialen Funktionen verbunden werden, um sich aus einer diffusen genetischen Diffamierungslogik befreien und die Widersprüchlichkeiten und teilweise abenteuerlichen Wendungen, die nichtsdestotrotz Anfangsgründe mancher nationalistischer Topoi
darstellen, erfassen zu können. Sollte dies missverstanden worden sein, noch einmal in aller Klarheit: ich hatte nicht die Absicht, einfach mit dem Finger auf eine „Ursuppe der Deutschtümelei“ zu zeigen.Die Punkte 1) und 2) rennen bei mir offene Türen ein:
Auf die historische Betrachtung der Zitationpraxis und der, nennen wir es doch: „Collagetechnik“ der humanistischen „Nachahmungspraxis“, wollte ich ja gerade hinaus, frage mich aber nach wie vor, welches Reglement dabei gilt und steuert, was eindeutig als aus der Quelle geschöpft, weil es u.a. den Schöpfenden zusätzlich adelt (wie der jeweilige Kanon der antiken Autoren), gekennzeichnet wird, was nicht und wo es sich, auch in nicht-wissenschaftlichen Genres, verbietet, ohne jeden Hinweis und nur in allfälliger Erwartung der Kenntnisse des Auditoriums oder der Leserschaft zu borgen. An ein absolutes laissez-faire glaube ich nicht. M.E. kann man sich erst in Rücksicht darauf mit einem einem als definitiv ausgemachten Bruch des Reglements zugrundeliegenden Motiv befassen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass gar kein solcher stattgefunden hat: gerade bei Versen scheint es mir in den diskutierten Texten jedoch so, dass man ihren Verfasser nicht einfach unter den Tisch fallen lässt.
Bleiben wir also bei der Theorie der „verkappten Grußadresse“, ich will nur einige meiner Zweifel an dieser Deutung umreißen:
Zunächst zur psychologischen Einschätzung des Verhältnisses: „...und unweigerlich sowohl den verehrten Dichter Codrus wie das inzwischen zerstörte Gemälde aufleben lässt.“ Woher wissen wir
dass Scheurl den Codrus so „verehrt“? Tatsache ist, dass dieser schon 1500 stirbt, und obwohl als schillernde Figur beschrieben als Fixstern in Scheurls vita eigentlich nicht auftaucht, in dessen sonstigem Werk nicht gerade als großer Dichter hervortritt, sondern gerade in der Universitätsrede, der der Widmungsbrief angefügt ist, als namentlich genannter Gewährsmann für diese misogynen, vulgären Abschnitte aus dessen „sermo quartus“ herhalten muss, um einen billigen, antiklerikalen Scherz zu machen. Für den er sich dann auch gleich entschuldigt. Vergleich man darüber hinaus die Häufigkeit mit der Beroaldus senior in Scheurls Schriften in verehrender Anrede als „praeceptor meus“ auftaucht, kann auch nach dieser Seite nicht von einem ausgezeichneten Verhältnis Scheurls zu Codrus die Rede sein.
Mir erschließt sich einfach nicht, wie diese Anspielung auf tote oder abwesende Heroen der Studienzeit auf einem Porträt, das dieses wohl kaum zu Gesicht bekommen werden haben, funktionieren soll, wenn nicht als ein von den Eingeweihten vor Ort (Wittenberg) verstandenes, sentimentales (ich meine dies nicht unbedingte abwertend) Souvenir in Versform. Wenn die
„Grußadresse“ mehr als eine quasi exklavische, esoterische Reminszenz an die Lehr- und Wanderjahre und wirklich von den Italienern verstanden werden soll, weil etwa der Widmungsbrief seinen Weg dorthin findet, liest doch, sagen wir, Beroaldus iunior (B. senior ist schon 4 Jahre tot) folgendes: der Deutsche schreibt, dass es dort einen gibt, der besser malen soll als Francia, und der Porträtierte lässt zu allem Überfluss ein Distichon anbringen , das eigentlich von Codrus stammt und mit der Kunst Francias assoziiert ist: quae est haec fabula? Das wirkt mindestens irritierend. Nimmt man den Vorgang also ganz in die Sphäre einer sehr persönlichen und nicht unbedingt für andere bestimmten Anspielung zurück (lässt die Skepsis über die Bedeutsamkeit des Verhältnisses weg), soll man es als gemalten Kenotaph für Codrus ansehen? Eine Deutung, die zieht man noch die Interpretation des „A*A*A*“ qua „ave amice abi“ hinzu, zweifelsohne einen gewissen Reiz besitzt, andererseits verstiegen wirkt.
Dass das Distichon im Kontext der Abbildungsähnlichkeit für Betrachter, die Latein können und ein wenig Ahnung haben, in welchen Entgegensetzungen die Kunsttheorie dieser Epoche sich bewegt, seit 500 Jahren anstandslos funktioniert und alle bisher der Selbstauskunft Scheurls Glauben geschenkt haben , dass es sich um seine eigenen Verse handelt, kann doch nur bedeuten, dass entweder diese zusätzliche Information über die Herkunft desselben aus der Feder Codrus' entweder banal ist, d.h. dass es unabhängig von der Bewertung als Plagiat nichts weiter heißt, als dass Scheurl die ihm trefflich erscheinenden, ihn und sein Bildnis, das sicher ein Statussymbol (das mindestens ein Meisterwerk sein muss...) darstellt , mit der ihm geläufigen Täuschungsillusion als Merkmal gelungener Kunst in Verbindung bringenden Verse einfach zu diesem Zweck gebraucht hat. Oder aber dass unter dieser primären, leicht erschließbaren und die meisten irreführenden Funktion sich tatsächlich eine Art camouflierter Anspielung verbirgt, die mit dem tatsächlichen Urheber nicht nur exemplarisch sondern als Person in Verbindung steht. Dafür ist mir allerdings „Grußadresse“ zu unspezifisch, was aus dieser impliziten Geisterbeschwörung aufsteigt, müsste doch mehr sein als ein sentimentales Gefühl erzeugt durch das „Aufleben“ früherer Zeiten und Gefährten durch mit diesen in Verbindungen stehender Worte. Nicht die Aufdeckung des Plagiats als Vergehen gegen den Ehrenkodex intellektueller Redlichkeit sondern der in ihm enthaltene Kontext seiner Entstehung/Überlieferung wäre also von Scheurl zu „fürchten“.
Gelangt man durch den Austausch des Namens „in cubiculum Bentivoli“? Ohne den homoerotischen Kontext dieser ganzen Lehrer/Schüler/Freundesbeziehungen übermäßig betonen zu wollen, scheint es mir doch nicht an den Haaren herbeigezogen, sich ihr wenigstens spekulativ zu widmen - dass spätestens die Platolektüren der Renaissance der Homoerotik , zumindest solange sie unkörperlich bleibt, ehrenvolle und förderliche Funktion in der Welt der großen Geister zuerkannt hat, ist hinlänglich bekannt, dass es über Codrus heißt, „er führt den Haushalt selbst und hat den Homer beim Kochen auf den Knien“ ist wohl nicht nur Zeugnis eines unermüdlichen Geisteslebens in Askese, dass „Albertus meus“ Dürer in wissenschaftlichen Werken mehrfach „geoutet“ wurde, kein Geheimnis, Graeculus' sehr weit oben in diesem Thread lancierte unschuldige Bemerkung über die feminine Erscheinung des Porträtierten „Wenn’s nicht anders dabei stünde, hätte ich diesen Doktor der Rechte ja glatt für eine Frau gehalten“ mag man als das nehmen, was sie ist. Das hat sicher mit Vorurteilen zu tun, aber die sind ja bekanntlich erst ein Fehler, wenn sie ihrer hermeneutischen Funktion, eine terra incognita vorläufig zu erschließen, beraubt und zu endgültigen Wahrheiten erklärt werden, anstatt von ihnen ausgehend, eines besseren sich belehren zu lassen.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 21.9.11 um 17:42 Uhr (Zitieren)
Hier noch der Link zu Scheurls „libellus“: nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00005024-2
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 21.9.11 um 18:46 Uhr (Zitieren)
Sic itur ad astra!
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 29.9.11 um 23:52 Uhr (Zitieren)
„Die Sterne stehn zu ho-och“ (Wilhelm Müller/Franz Schubert). Die nun vorliegende bunte Mischung von neuen und alten Erkenntnissen, Spekulationen, Mißverständnissen und Irrtümern sollte zu denken geben - das Web behandelt alles ungefiltert gleichartig. Hier nochmals ein Versuch nachzuhaken und die Sicherheit gewisser Behauptungen in Frage zu stellen.
Die unendlich geschwätzige Gelehrsamkeit (vergleichbar ihren heutigen Nachfahren), die Scheurl in seiner Magisterrede (wenn ich recht bei ihm gelesen habe) De laudibus Germanie (Druck: Martin Lantzperg, Leipzig, Juni 1508) entfaltet, bietet außer biographischen Informationen auch sonst aufschlußreiches, auf den ersten Blick irritierendes Material zur Frage der „protonationalen“ Deutung. Wenige Beispiele sollen genügen.
Zunächst findet sich darin die eindeutige Bestätigung, die über reine Vermutung hinausgeht, dass Scheurl mit preceptor meus jeweils den älteren, 1505 verstorbenen Philippus Beroaldus meint (nicht den jüngeren, der die Codrus-Ausgabe besorgte; richtiggestellt von filix). Bei ihm erlernte Scheurl eloquentia.(Rhetorik). Ein Gedicht (in Hendekasyllaben), das er von Beroaldus abdruckt, wird mit dem Zusatz vorgestellt: reliquit (d.h. aus dem Nachlass). Überraschend ist dessen Inhalt, die Verherrlichung der Germanen, an denen er u.a. die blauen Augen, die blonden Haare, die große Statur, den wilden Geist zu preisen weiß:
(Germani) qui glaucis oculis comaque flava
Grandes corpore, spiritu feroces
http://tinyurl.com/3o59q6z
Der vermutete „Protonationalismus“ erklingt also von der falschen Seite: Entpuppt sich damit der italienische Autor als Philogermane? Gewiss nicht. Rhetorische und literarische Texte sind keine Glaubensbekenntnisse, sondern eben Rhetorik, Fiktion, intellektuelle Spielwiese.
Umgekehrt preist Scheurl die Universität von Bologna als die beste der Welt, besser als alle in Deutschland, so überragend wie in der Antike Alexandria vor Athen, Tharsos, Marseille (sic)::
Nostra quoque etate plures et Germanie et Italie civitates Atheniensium Alexandrinorum Tharsiensium Massiliensium exempla imitantes gymnasia litteratoria erexerunt inter que studium hoc Bononiensium facile proncipatum obtinet et cum quovis illorum, que iam a me dicta sunt, claritudine contendit, nulli cedit, quod tanto reliquis clarius est tantoque prestat, quanto olim Alexandria ceteris antecellebat.
http://tinyurl.com/3lw6ljl
Auch hier wäre es verfehlt, von protonationalistischer Italophilie zu reden, da der Beifall ja von der „falschen“ Seite kommt.
Und noch ein weiteres Warnzeichen: Dürer reist 1505/06 nach Italien, wo er Scheurl nach dessen Zeugnis begegnet und ihn in den Künstlerkreisen von Bologna und Venedig als Dolmetscher beizieht. „Albertus meus“ nennt ihn Scheurl kurz nach dem Bericht über diese Begegnung beiläufig, was völlig unverbindlich und nicht intim gemeint ist, wie der Zusammenhang mit den dann folgenden bekannten Künstleranekdoten von Zeuxis und Parrhasios zeigt: Dürers Hund leckt dessen noch nasses Selbstbildnis – mira res, heißt es am Rand. Und: „ich Kann es bezeugen“, sagt Scheurl, „man kann die Spuren noch sehen“: http://tinyurl.com/3ghb534. Im übrigen verehrt Scheurl Dürer über alles, vor Cranach und erst recht vor Francia, und seinem Urteil, bzw. seiner Begeisterung schließt sich der am Hof Maximilians I. tätige italienische Humanist Richard Sbrullius an. Von ihm druckt Scheurl mehrere Epigramme ab, die Dürer mit Apelles vergleichen, kein Wunder, hatte ihn doch Dürer porträtiert, und auch dies ist ja wohl nicht als germanophiler Protonationalismus zu verstehen. Scheurl spricht übrigens in einem Brief an Eck (24-11-1518) von „Sbrullius meus“, womit sich der Freundeskreis unverdächtig schließt: http://tinyurl.com/6j8twoh
Viele dieser Fragen sind gewiss schon in der älteren Cranach- und Dürer-Literatur behandelt. Auf eine wichtige, eben erschienene Publikation zu Bildnisepigrammen weist mich verdankenswerterweise Dieter Koepplin hin: Franz Matsche, Bildnislob und Bildniskritik: rhetorische Topoi in Bildnisepigrammen des frühen 16. Jahrhunderts, in: Andreas Tacke u. Stefan Heinz, Menschenbilder: Beiträge zur altdeutschen Kunst, Petersberg 2011, 213-230, bes. 218f.

Re: A * A * A * Ave, amice, abi
michael bibl am 14.9.15 um 12:16 Uhr (Zitieren)
(zur einordnung meines beitrags nur dies im voraus :
ich bin weder lateiner noch kunsthistoriker ; im gymnasium war ich auf dem humanistischen zweig : dann war schluss mit latein ; nach dem studium auf der akademie in münchen war ich 36 jahre kunstlehrer in bayern - laie also im lateinischen wie der kunstgeschichte)

wäre es denkbar , dass cranach auf geheiß scheurls als dem dem monogramm nächsten schriftzug die initialen AAA als küchenlatein-kürzel für apelles artis alemanicae , also (der) apelles der deutschen kunst (Lukas cranach) verstanden werden könnte ?
dieser gedanke ist nicht (sehr) originell von mir , sondern folgt der anregung von filix vom 4.9.11 :
„Ob die ursprünglich gesuchte Entschlüsselung eventuell etwa mit „Apelles“ „Ars“ und „Alemanicus“ zu tun hat, kann man sich m.E. durchaus durch den Kopf gehen lassen.....“

dagegen allerdings spricht der beitrag von bruno häuptl vom 29.9.11 , dass scheurl wohl dürer (und also nicht cranach) als (neuen) apelles ansah :

„Von ihm druckt Scheurl mehrere Epigramme ab, die Dürer mit Apelles vergleichen, kein Wunder, hatte ihn doch Dürer porträtiert ......“
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 14.9.15 um 12:45 Uhr, überarbeitet am 14.9.15 um 12:49 Uhr (Zitieren)
Ich habe das Thema einige Zeit über diesen Thread hinaus verfolgt und bin mittlerweile der Auffassung, dass es sich hierbei (wie auch andere Details des Bildes nahelegen) um den Ausdruck von Marienfrömmigkeit handelt, die zur Entstehungszeit am Hof des Kurfürsten (dem role model für Scheurls Bildnis) sowie in dt. Humanistenkreisen eine größere Rolle spielte und auch in diversen Bruderschaften organisiert war. Zeugnisse dafür finden sich in theologischen Abhandlungen, Frömmigkeitstraktaten, Gedichten, Briefen und nicht zuletzt der bildenden Kunst.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Kuli am 14.9.15 um 16:11 Uhr (Zitieren)
Welche Auflösung der drei A hältst du demzufolge für möglich?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 14.9.15 um 20:03 Uhr, überarbeitet am 14.9.15 um 23:36 Uhr (Zitieren)
Ich denke, es bezieht sich als dreifaches Ave auf das marianische Grundgebet bzw. die Anrufung in Marienhymnen (Ave Maria, gratia plena ...; Ave maris stella ...; Ave Regina caelorum ...).

Für die Marienfrömmigkeit am Fürstenhof bzw. im humanistischen Umfeld der Wittenberger Universität gibt es zahlreiche Belege. Dazu zählen, beschränkt auf die unmittelbare Deutung des Buchstabentripels u.a.

- das 1491 von dem seit den 1480er-Jahren in Beziehung zum Hof stehenden Augustinereremiten Johannes von Paltz veröffentlichte Werk „De septem foribus seu festis beatae virginis“/„Die siben porten oder feste der Muter gottes: wie man sie auf iglich fest solle sunderlich eren, grussen und anruffen“, das „hern Fiderichen, des Heiligen Römischen Reiches erzmarschalch und Curfursten, und hern Johan, gebrüder,herzogen zuSachsen ... au￿ir christenlich andechtig begir durch etlichen iren andechtigen“ gewidmet ist.

Darin wird Maria in einer esoterischen Andachtstheologie zur Gnadenmittlerin und Schutzherrin stilisiert, der man im täglichen Gebet sich versichern kann: „aber wen du wilt aufwachen zu den porten der muter gotes, so mustu dich demutigen und nach der lere sant Bonaventura, der do spricht über das Ave Maria also: Mit aler ererbietung und andachte sol man die junkfrauen grußen, wan wer sie ersamlich und andechtiglichen grüset, den sucht sie, den hat sie lieb, den nert si, den nimet sie auf zu irem kinde“.

- die Einrichtung einer Stiftung von den heiligen Festen der Jungfrau Maria durch den Kurfürsten 1506 mit täglichen Sing- und Lesemessen in der Allerheiligenkirche. 1510/11 wurde der Westchor der Wittenberger Stiftskirche errichtet. In den Quellen wird er der kleine beziehungsweise der Marienchor genannt.

- die 1506 von Hermann vom Busche, der die Rede bei der Einweihung der Leucorea (Universität Wittenberg) hielt und 1502/03 dort lehrte, gedichteten drei ‚Hundertzeiler‘ als lat. Meditationen über den Rosenkranz: „In augustissime Virginis Marie sertum rosaceum Hermani Buschii Monasteriensis meditationes in tres hecatosticas partite“. In der Textgestalt orientiert er sich dabei an der Abfolge der Gebete beim Rosenkranz, wobei ein „Ave“ abgerückt am Ende jeder zweiten Gedichtzeile steht und auf je zehn so beschlossene Zweizeiler ein „Pater noster“ folgt.

- die Darstellung des Kurfürsten 1507/08 durch Cranach als Reichserzmarschall und kaiserlicher Generalstatthalter am Betpult kniend mit einem Rosenkranz aus vergoldeten Perlen in Händen, 1510/11 auf dem Titelkupfer des von ihm illustrierten „Witenberger Heiltumsbuches“, wobei sich mit ziemlicher Sicherheit sagen lässt, dass er den Regeln der „Gesätze“ folgend gerade dabei ist, ein „Ave Maria“ zu beten. Unter den eingekauften Reliquien, die im „Heiltumsbuch“ aufgeführt werden, finden sich auch welche, die deren gesamtes irdisches Leben begleiten - Partikel von der Geburtsstadt, der Muttermilch, des Haars, des blutgetränkten Schleiers, den sie bei der Kreuzigung getragen haben soll, bis zu Steinen ihres Grabes. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Darstellungen Friedrichs bei der Anbetung Mariens - e.g. Fürstenaltar 1507/08, Friedrich der Weise in Verehrung der apokalyptischen Muttergottes, 1516, und Schaumünzen desselben mit auf Maria bezogenen Devisen „I H S Maria“ (1507) usf.

- das „Sumat per te preces“ in der Kopfzeile der Druckausgabe über dem Beginn von Scheurls Widmungsbrief „Ad Lucam Chronu[m] DucalemSaxonie pictore[m] ingeniosum celerem absolutu[m]q[ue] Doctoris Schewrli Epistola“ Dabei handelt es sich um ein Zitat aus dem Hymnus Ave maris stella, das die Mittlerfunktion der Gottesmutter betont. Die mit dem Widmungsbrief erschienene Universitätsrede Scheurls beginnt mit Inanspruchnahme des Beistands auch der Himmelskönigin („Christi optimi maximi Mari(a)e regin(a)e To=tius celestis curi(a)e auxilio suppliciter implorato“ „Mit der demütig erbetenen Hilfe Christus, des Höchsten und Besten, der Himmelskönigin Maria und des gesamten himmlischen Hofes“ ), um dann in einem Abschnitt der Rede darauf hinzuweisen, dass ihr in Wittenberg, i.e. in der Stiftskirche, deren Ausstattung Scheurl in seiner Rede rühmt, die gebührende Verehrung zuteil werde: man habe, heißt es dort, „i(m)macuat(a)e virgini Mari(a)e proprium Sacellum“ - „der unbefeckten Jungfrau Maria ein eigenes Heiligtum“ eingerichtet.

Das „MMM“ im goldenen Brustlatz, dessen Perlenbesatz, florale Symbolik u.a. im Stoffmuster der Schaube lassen sich ebenfalls auf Maria beziehen - weitreichendere marianische Bezüge der Epoche bleiben davon unberührt.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Kuli am 14.9.15 um 20:39 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank für die ausführliche Antwort! (Der ganze Thread - ich habe ihn bis jetzt nur auszugsweise gelesen - ist wirklich beeindruckend.)
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 15.9.15 um 0:01 Uhr (Zitieren)
Erfreulich, dass filix den Faden nach langen Jahren wieder aufgreift und mit neuer Argumentation für dreifaches Ave plädiert.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 15.9.15 um 18:08 Uhr (Zitieren)
Dreifaches Ave hatte ich schon einmal vorgeschlagen. Die Hinweise von filix bringen aber neue Aspekte ins Spiel: die verbreitete Marienfrömmigkeit unter den Humanisten. Dazu braucht man nicht unbedingt drei verschiedene Marientexte zu bemühen (Ave Maria, Ave maris stella, Ave Regina [statt Salve]). Verbreitet war dreifaches Ave Maria in Zeremonien von Marien-Bruderschaften, zB neu eingeführt 1509 in der Bruderschaft, der Hieronymus Bosch angehörte. Könnte AAA ein Hinweis auf Scheurls Zugehörigkeit zu einer solchen Bruderschaft sein?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 15.9.15 um 21:40 Uhr, überarbeitet am 15.9.15 um 21:42 Uhr (Zitieren) I
Könnte AAA ein Hinweis auf Scheurls Zugehörigkeit zu einer solchen Bruderschaft sein?


Gut möglich. Vielleicht war er in der von Dürer 1506 verewigten Rosenkranzbruderschaft („Das Rosenkranzfest“), deren von Sprenger 1475 in Köln gestifteter Ableger nicht nur Friedrich III. und Maximilian I. als Mitglieder hatte, sondern auch in Scheurls Heimatstadt Nürnberg stark vertreten war, wovon u.a. das dort erschienene, mit über tausend Holzschnitten versehene zweibändige Andachtsbuch „Der beschlossen gart des rosencrantz marie“ (um 1505) zeugt:

http://daten.digitale-sammlungen.de/~db/0002/bsb00022494/images/index.html?id=00022494&groesser=&fip=193.174.98.30&no=&seite=29

Siehe auch Hans Baldung Griens Darstellung Scheurls mit dem Rosenkranz:

http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Baldung+Grien,+Hans%3A+Schmerzensmann+und+Stifter
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 15.9.15 um 23:11 Uhr (Zitieren)
Es sieht fast so aus, als ob wider Erwarten eine Lösung der AAA-Frage greifbar wäre: Ave-Ave-Ave wäre Hinweis auf den für Scheurl gut belegten Marienkult. Das würde passen zum dreifachen M auf der Gewandbordüre und wäre dann mottoartiges Gegenstück zum säkularen FFF-Motto (For/For/For). Der neuste Beitrag von filix liefert die missing links, besonders überraschend der Holzschnitt Baldungs mit dem den Rosenkranz betenden Scheurl.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Bruno Häuptli am 15.9.15 um 23:17 Uhr (Zitieren) I
Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass die AAA nicht von Sternchen, sondern von Blümchen begleitet sind. Weist das auf den Rosenkranz hin?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 16.9.15 um 0:57 Uhr, überarbeitet am 16.9.15 um 13:55 Uhr (Zitieren) III
Es ist auch auf besseren Abbildungen - http://tinyurl.com/p94fybg - wenigstens für mich nicht so klar auszumachen, welche „Blüte“ auf dem Bild als Trennzeichen zwischen den A abgebildet ist. Sie erinnert an die fünfteilige mit dem zentralen Kreis auf der Schaube im Bereich des linken Oberarms Scheurls. Eventuell spielt die Fünfzahl auf die Gesätze (5 x 10 Ave Maria) an.

An eindeutiger Mariensymbolik finden sich jedenfalls auf dem Bild

- die Hecken-/Hundsrose auf dem goldenen Brustlatz, der mit
- Perlen, Symbol der Reinheit/Jungfrauengeburt, bestickt ist
- eine Lilienkrone im Stoffmuster der Schaube im Bereich des rechten Oberarms, wobei
über die Lilie im erwähnten „beschlossen gart des rosencrantz marie“, das zahlreiche Mariensymbole (von Sonne, Mond, Morgenröte, Rose, Feld, Brunnen über Platane, Feigenbaum bis hin zu Turm und Apotheke) abhandelt, zu lesen ist:

„Maria ein gilg. Maria wirt auch genenet lilium, ein gilg. Can. II. Sicut lilium (= sicut lilium inter spinas sic amica mea inter filias; Hohelied 2,2). Als der gilg under der dornen also ist mein freunde under den töchteren. Die lilie umb ir schöne klarheit bedeut uns die freiheit, klarheit und unschuld marie von allen sunden."

- eventuell eine angeschnittene Mondsichel (rechts über der Lilienkrone)

Dass sich ein Bekenntnis zu Maria im Porträt förmlich auf den Leib zu schreiben in Scheurls Umgebung nicht ungewöhnlich war und auch vom Adel , i.e. der für den Aufsteiger interessanten Schicht, gepflogen wurde, kann ein sogenannter Breiter Guldengroschen mit der Darstellung Friedrich III., des Weisen illustrieren, dessen numismatische Beschreibung folgendermaßen lautet:

„Breiter Guldengroschen o. J. (nach 1507), mit Titel Maximilians I., auf die Generalstatthalterwürde. Stempel von Ulrich Ursenthaler d. Ä. FRID DVX SAX (Wappenschild) ELECT IMPER (Wappenschild) QVE LOCVM TEN (Wappenschild) ES GENERA (Wappenschild) Geharnischtes Brustbild r. mit Drahthaube, auf dem Harnisch IHS MARIA//(Verzierung) MAXIMILIANVS (Verzierung) ROMANORVM (Verzierung) REX SEMPER AVGVST Reichsadler, den Kopf nach l. gewandt, auf der Brust zweifeldiger Wappenschild.“

Wo die Beschreibung im Katalog zwischen den Majuskeln „(Verzierung)“ vermerkt, erkennt man umseitig links und rechts von „SEMPER“ die fünfteilige Blütenform der Hecken-/Hundsrose, die auch auf Scheurls Brustlatz zu sehen ist. Abb.: https://www.kuenker.de/de/archiv/stueck/66113


Re: A * A * A * Ave, amice, abi
esox am 16.9.15 um 10:38 Uhr (Zitieren) I
Solch eine Demonstration unglaublicher Gelehrsamkeit macht große Freude!
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
michael bibl am 17.9.15 um 9:49 Uhr (Zitieren)
noch eine frage zur fünfteiligen hecken-/hundsrose (filix am 6.9.15) :
ist nicht im wappen der scheurls (zwischen schimmel und helm/harnisch) ein kron-reif zu sehen , der aus 3/5tel teilen von hecken-/hundsrosen gebildet ist ?
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 17.9.15 um 10:53 Uhr, überarbeitet am 17.9.15 um 11:11 Uhr (Zitieren)
Ich nehme an, du beziehst dich auf die Wiedergabe des Wappens im Si(e)bmacherschen Wappenbuch, das mehr als 50 Jahre nach Scheurls Tod erstmals erschien. Die dort abgebildete Blätter-/Helmkrone - https://de.wikipedia.org/wiki/Helmkrone - hat meiner Ansicht nach keine genuin auf Maria bezogene symbolische Funktion, sie ist ein heraldischer „Standard“ und fehlt z.B. auch in der zeitlich unserem Porträt nahestehenden Darstellung des Wappens der Scheurl und Tucher durch Dürer 1512:

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4a/Albrecht_D%C3%BCrer_Wappen_der_Scheurl_und_Tucher.jpg

bzw. Cranach:

https://www.artsy.net/artwork/lucas-cranach-the-elder-bookplate-of-scheurl-and-tucher

Das heraldische Fabelwesen der Scheurl ist übrigens kein Schimmel, sondern ein „Panther“ (Pant[h]ier ~ All-tier) , der mit dem schwarzen Leoparden/Jaguar nichts gemein hat, vielmehr ein Mischwesen ist, hier aus Löwe, Ziegenbock und Adler gebildet.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
michael bibl am 13.10.15 um 10:25 Uhr (Zitieren)
zu filix am 17.9.15 : jetzt könnt´ich mich wieder auf meinen laienstatus herausreden : zu dem zeitpunkt , als ich das weisse tier nahe der 3/5-blätterkrone als schimmel bezeichnete , kannte ich weder dürers noch cranachs wappen der scheurl , lediglich das si(e)bmacherschen wappen ;
in den beiden wappen der scheurl von dürer und cranach sind die kennzeichen für das weisse mischwesen , die ziegenbockhörner und die adlerklauen , überdeutlich erkennbar .
aber das ist eben nur ein teil der wahrheit : hätt´ich im si(e)bmacherschen wappen genau genug hingeschaut , hätt´ich die hörner auf dem kopf des weissen tieres und seine adlerklauen durchaus auch erkennen können .

apropos (filix am 17.9.15) zu „....genuin auf Maria bezogene symbolische Funktion(en)....“ :
und apropos heraldik/emblemkunde und lateinische bildüberschriften :
ich hätt´ gern ein problem zur diskussion gestellt , das mit allen drei „apropos“ zu tun hat , aber nichts mit dem tippel-AAA in scheurls cranachportrait , sondern mit dem sechsteiligen marienzyklus des j.a.gumpp aus den 1710er jahren in der münchner bürgersaalkirche .
da ich nicht weiss , ob dies in diesem forum hier überhaupt statthaft ist , beende ich hiermit diesen beitrag zu AAA und mache gleich anschließend einen neuen eintrag mit einem kurzen anriss des problems .
sollte dies an diesem ort nicht statthaft sein , bitte ich den veranstalter dieses forums , den folgenden eintrag zu löschen und mir womöglich aber eine möglichkeit aufzeigen , wie und wo ich dieses problem zur diskussion stellen kann .
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
michael bibl am 13.10.15 um 10:58 Uhr (Zitieren)
in der münchner bürgersaalkirche gibt es einen sechsteiligen bilderzyklus mit szenen aus dem marienleben ; und dies in folgender reihenfolge : 1) mondsichelmadonna , 2) mariae geburt , 3) tempelgang mariens , 4) heimsuchung , 5) mariae reinigung und 6) schmerzensmutter .
in 5 der sechs bilder wird maria in der jeweiligen bildinschrift im singular apostrophiert :
1) una , 2) filia , 3) dilecta .... 5) virgo und 6) nigra . selbst also in den zwei letzten szenen des zyklus zusammen mit ihrem sohn wird dieser nicht mitgenannt oder -bezeichnet .
lediglich in der heimsuchung gibt es (seit der modernen rekonstruktion nach der zerstörung in 1945) als bildüberschrift den plural 4) filiae .
sowohl der kunsthistoriker , der massgeblich an den beiden kirchenführern beteiligt war , dr. altmann , als auch der philologe , prof.dr.dietmar peil (, der u.a. folgende schrift verfasst hat :
"Dietmar Peil
Ausgewählte Beiträge zur Emblematik

Schriften zur Kunst­geschichte, Band 45

Hamburg 2014, 270 Seiten
ISBN 978-3-8300-7626-1"
und der auch einen beitrag zur emblematik in der münchner bürgersaalkirche verfasst hat (in : architektur als ort für embleme" , ingrid höpel (hrsg.) ),
behelfen sich beide damit , dass in dieser heimsuchungsszene maria UND elisabeth im plural apostrophiert werden .
an dieser stelle breche ich das (schon weitergehend erörterte) problem einfach `mal ab und warte auf reaktionen des betreibers und/oder der diskutanten des AAA-forums mit der bitte um nachsicht , falls ich mit diesem problem hier nichts zu suchen habe
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
filix am 13.10.15 um 13:53 Uhr, überarbeitet am 13.10.15 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Nun, da wir hier u.a. von A wie Arschgeweihsubscriptio bis Z wie Zimelienentzifferung so ziemlich alles abhandeln, was mit Latein zu tun hat, sehe ich nicht das geringste Problem in deiner Anfrage.
Dennoch wäre es von Vorteil, du eröffnetest wirklich einen neuen Thread - http://www.albertmartin.de/latein/forum/#new - mit der Diskussion zu den Fresken in der Bürgersaalkirche, der Scheurls Porträt gewidmete ist nämlich schon für sich allein ein nahezu unlesbares Ungetüm.
Re: A * A * A * Ave, amice, abi
Michael Hofbauer am 9.2.19 um 12:33 Uhr (Zitieren)
Um die Marienthese zu stützen, die mich (mehr als 7 Jahre nach meiner ersten Anfrage in diesem Forum) zunehmend überzeugt hat: Bei den drei Blüten zwischen den Versalien A kann es sich aufgrund der aufgefiederten Blütenblätter und dem runden Fruchstand nur um Nelken handeln. Die Nelke ist ein vielschichtiges Symbol unsterblicher marianischer Mutterliebe und Passio und ist auf zahlreichen Madonnenbildnissen nachzuweisen. (Vgl. Behling, Lottlisa: Die Pflanzenwelt der Mittelalterlichen Kathedralen
Köln 1964 S. 110)
 
Um einen Text zu verfassen, müssen Sie zunächst über eine Plattform der Wahl Ihre Identität mit einem Klick bestätigen. Leider wurde durch das erhöhte Aufkommen von anonymen Spam und Beleidigungen diese Zusatzfunktion notwendig. Auf der Seite werden keine Informationen der sozialen Netzwerke für andere sichtbar oder weitergegeben. Bestätigung über Google Bestätigung über Facebook Bestätigung über AmazonBei dem Verfahren wird lediglich sichergestellt, dass wir eine eindeutige nicht zuordnebare Identität erhalten, um Forenmissbrauch vorzubeugen zu können.
Bearbeiten
Zum Bearbeiten des Eintrags muss unterhalb der Nutzername wieder mit dem richtigem Kennwort versehen sein, als auch Betreff- und Nachrichtfeld ausgefüllt sein. Abbrechen

Das ufert ja regelrecht aus. Ich hoffe, wir sprengen den Rahmen dieses Forums nicht, deshalb nur ein paar Anmerkungen:
Ad 3) Man kann m.E. nicht ignorieren, dass dieser Topos der mit der Natur rivalisierenden Kunst hier in einen „frühnationalistischen“ Kontext eingebettet ist, was keineswegs bedeuten soll, dass der Startvorteil die „natio“ per se ist (im Gegenteil). Wie gesagt: wir befinden uns nicht im 19.Jhdt. Aber Dürer anno 1509 ist eben nicht nur „alter“ oder „novus Apelles“ sondern schon „Germanus Apelles“. Das ist nicht bloß geographisches Attribut. Cranach „besiegt“ nicht nur Francia als Francia, sondern gleich alle Italiener (die pauschal und nicht als einzelne, namentlich als ruhmsüchtig charakterisiert werden) - i.e. diese Triumphe werden auch in einem Wettstreit der Nationen und nicht bloß der Individuen oder Metiers verbucht.
Überhaupt wohnt man bei der Lektüre dieser Texte ja insgesamt einem umfassenden Kulturtransfer bei, auch in Verknüpfung mit der Frage, welche Rolle dabei die eigene Nation für die Kulturelite spielt, und kann nachverfolgen, wie die in Oberitalien ausgebildeten Deutschen (die in Bologna z.B. auch nach Nationen in Landsmannschaften organisiert waren, deren deutscher offensichtlich Scheurl zeitweilig vorstand) nach ihrer Rückkehr beim Aufbau der deutschen Spielart humanistischer Gelehrsamkeit unter anderen politischen, religiösen und gesamtkulturellen Bedingungen verfahren und mit diesem „Erbe“, in unserem Fall an der nur wenige Jahre zuvor gegründeten Wittenberger Universität, umgehen. Noch in Bologna hat Scheurl vor den hier debattierten Texten eine Schrift verfasst, die von diesem Aneignungsprozess aus der Defensive einer „natio“, die gemessen an norditalienischer, urbaner Kultur und Intellektualität als relatives Wasteland erscheint, zeugt und in ihrer Art keineswegs die einzige ist (cf. Celtis, Bebel): „Libellus de laudibus Germaniae et ducum Saxoniae“ - nur nebenbei bemerkt: seit der zweiten Auflage findet sich darin ein recht ausführliches Lob Dürers samt obligatorischem Apelles-Vergleich ,trompe-l'œil-Anekdote und eingesprengten Distichen. Der „libellus“ fährt auf, was diese schwierige Unternehmung der Bestimmung des Eigenen in dieser Epoche bewegt : man stellt kulturgeographische Betrachtungen an, treibt mitunter wüste Geschichtsforschung, trägt das Lob der klassischen Autoren zusammen , macht sich mit den philologischen Methoden der italienischen Renaissance ausgestattet an eine enthistorisierende Lektüre von Tacitus' Germania, den man als „testis“ von außen für die eigene Größe anführt, feiert die eigene Frömmigkeit und Sittenstrenge nicht zuletzt der dt. Ehefrauen. Es gibt moralisierende Aufwertung zunächst ausgemachter Schwächen (Rohheit, Barbarentum, die zu Stärke, Strenge und Unverfälschtheit werden) , man deutet das (vermeintliche) Fehlen von äußeren Einflüssen bzw. Fremdherrschaft als Auszeichnung („immo soli pene Germani sumus ex omnibus terrarum nationibus qui sine externarum mixtura regnavimus....“ - eine von Scheurl von Bebel ohne Hinweis auf diesen entlehnte Passage aus dessen „Oratio henrici bebelii iustingensis suevi ad Augustissimum atque sacratiss. Ro. regem. Maximilianum, de eius atque Ger. laudibus“, der sich in seiner „epitome“ in Betrachtung über die indigene Kontinuität der Germanen in Sätzen wie „sumus illorum sanguis, illorum effigies expressima, in nobis relucet....“ ergeht ) et cetera. Das ist nicht einseitig und Scheurl weiß wohl, was er seiner alma mater und der italienischen Renaissancekultur verdankt, gibt ihm auch Ausdruck, zollt Respekt. Aber es ist klar, dass der Austragungsort dieser Debatten ein Wettstreit unter Nationen und die Frage nach dem, was das „Deutsche“ ausmacht, ist.
Kurz: ein Ausblenden der frühnationalistischen Komponente der Entwicklung des dt. Humanismus, in diesem Zusammenhang sei z.B: auf die einschlägigen, rezenten Forschungen von Caspar Hirschi (u.a.: Wettkampf der Nationen: Konstruktionen einer deutschen Ehrgemeinschaft an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Wallenstein 2005)
verwiesen, ist, will man den diskursiven Horizont umfassend verstehen, in meinen Augen nicht von Erkenntnisvorteil - auch nicht in dem speziellen Fall der Abgrenzungen auf dem Feld der bildenden Kunst. Selbstverständlich muss diese Betrachtung ihrerseits mit einer Theorie des Nationalismus und seiner kulturellen und sozialen Funktionen verbunden werden, um sich aus einer diffusen genetischen Diffamierungslogik befreien und die Widersprüchlichkeiten und teilweise abenteuerlichen Wendungen, die nichtsdestotrotz Anfangsgründe mancher nationalistischer Topoi
darstellen, erfassen zu können. Sollte dies missverstanden worden sein, noch einmal in aller Klarheit: ich hatte nicht die Absicht, einfach mit dem Finger auf eine „Ursuppe der Deutschtümelei“ zu zeigen.Die Punkte 1) und 2) rennen bei mir offene Türen ein:
Auf die historische Betrachtung der Zitationpraxis und der, nennen wir es doch: „Collagetechnik“ der humanistischen „Nachahmungspraxis“, wollte ich ja gerade hinaus, frage mich aber nach wie vor, welches Reglement dabei gilt und steuert, was eindeutig als aus der Quelle geschöpft, weil es u.a. den Schöpfenden zusätzlich adelt (wie der jeweilige Kanon der antiken Autoren), gekennzeichnet wird, was nicht und wo es sich, auch in nicht-wissenschaftlichen Genres, verbietet, ohne jeden Hinweis und nur in allfälliger Erwartung der Kenntnisse des Auditoriums oder der Leserschaft zu borgen. An ein absolutes laissez-faire glaube ich nicht. M.E. kann man sich erst in Rücksicht darauf mit einem einem als definitiv ausgemachten Bruch des Reglements zugrundeliegenden Motiv befassen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass gar kein solcher stattgefunden hat: gerade bei Versen scheint es mir in den diskutierten Texten jedoch so, dass man ihren Verfasser nicht einfach unter den Tisch fallen lässt.
Bleiben wir also bei der Theorie der „verkappten Grußadresse“, ich will nur einige meiner Zweifel an dieser Deutung umreißen:
Zunächst zur psychologischen Einschätzung des Verhältnisses: „...und unweigerlich sowohl den verehrten Dichter Codrus wie das inzwischen zerstörte Gemälde aufleben lässt.“ Woher wissen wir
dass Scheurl den Codrus so „verehrt“? Tatsache ist, dass dieser schon 1500 stirbt, und obwohl als schillernde Figur beschrieben als Fixstern in Scheurls vita eigentlich nicht auftaucht, in dessen sonstigem Werk nicht gerade als großer Dichter hervortritt, sondern gerade in der Universitätsrede, der der Widmungsbrief angefügt ist, als namentlich genannter Gewährsmann für diese misogynen, vulgären Abschnitte aus dessen „sermo quartus“ herhalten muss, um einen billigen, antiklerikalen Scherz zu machen. Für den er sich dann auch gleich entschuldigt. Vergleich man darüber hinaus die Häufigkeit mit der Beroaldus senior in Scheurls Schriften in verehrender Anrede als „praeceptor meus“ auftaucht, kann auch nach dieser Seite nicht von einem ausgezeichneten Verhältnis Scheurls zu Codrus die Rede sein.
Mir erschließt sich einfach nicht, wie diese Anspielung auf tote oder abwesende Heroen der Studienzeit auf einem Porträt, das dieses wohl kaum zu Gesicht bekommen werden haben, funktionieren soll, wenn nicht als ein von den Eingeweihten vor Ort (Wittenberg) verstandenes, sentimentales (ich meine dies nicht unbedingte abwertend) Souvenir in Versform. Wenn die
„Grußadresse“ mehr als eine quasi exklavische, esoterische Reminszenz an die Lehr- und Wanderjahre und wirklich von den Italienern verstanden werden soll, weil etwa der Widmungsbrief seinen Weg dorthin findet, liest doch, sagen wir, Beroaldus iunior (B. senior ist schon 4 Jahre tot) folgendes: der Deutsche schreibt, dass es dort einen gibt, der besser malen soll als Francia, und der Porträtierte lässt zu allem Überfluss ein Distichon anbringen , das eigentlich von Codrus stammt und mit der Kunst Francias assoziiert ist: quae est haec fabula? Das wirkt mindestens irritierend. Nimmt man den Vorgang also ganz in die Sphäre einer sehr persönlichen und nicht unbedingt für andere bestimmten Anspielung zurück (lässt die Skepsis über die Bedeutsamkeit des Verhältnisses weg), soll man es als gemalten Kenotaph für Codrus ansehen? Eine Deutung, die zieht man noch die Interpretation des „A*A*A*“ qua „ave amice abi“ hinzu, zweifelsohne einen gewissen Reiz besitzt, andererseits verstiegen wirkt.
Dass das Distichon im Kontext der Abbildungsähnlichkeit für Betrachter, die Latein können und ein wenig Ahnung haben, in welchen Entgegensetzungen die Kunsttheorie dieser Epoche sich bewegt, seit 500 Jahren anstandslos funktioniert und alle bisher der Selbstauskunft Scheurls Glauben geschenkt haben , dass es sich um seine eigenen Verse handelt, kann doch nur bedeuten, dass entweder diese zusätzliche Information über die Herkunft desselben aus der Feder Codrus' entweder banal ist, d.h. dass es unabhängig von der Bewertung als Plagiat nichts weiter heißt, als dass Scheurl die ihm trefflich erscheinenden, ihn und sein Bildnis, das sicher ein Statussymbol (das mindestens ein Meisterwerk sein muss...) darstellt , mit der ihm geläufigen Täuschungsillusion als Merkmal gelungener Kunst in Verbindung bringenden Verse einfach zu diesem Zweck gebraucht hat. Oder aber dass unter dieser primären, leicht erschließbaren und die meisten irreführenden Funktion sich tatsächlich eine Art camouflierter Anspielung verbirgt, die mit dem tatsächlichen Urheber nicht nur exemplarisch sondern als Person in Verbindung steht. Dafür ist mir allerdings „Grußadresse“ zu unspezifisch, was aus dieser impliziten Geisterbeschwörung aufsteigt, müsste doch mehr sein als ein sentimentales Gefühl erzeugt durch das „Aufleben“ früherer Zeiten und Gefährten durch mit diesen in Verbindungen stehender Worte. Nicht die Aufdeckung des Plagiats als Vergehen gegen den Ehrenkodex intellektueller Redlichkeit sondern der in ihm enthaltene Kontext seiner Entstehung/Überlieferung wäre also von Scheurl zu „fürchten“.
Gelangt man durch den Austausch des Namens „in cubiculum Bentivoli“? Ohne den homoerotischen Kontext dieser ganzen Lehrer/Schüler/Freundesbeziehungen übermäßig betonen zu wollen, scheint es mir doch nicht an den Haaren herbeigezogen, sich ihr wenigstens spekulativ zu widmen - dass spätestens die Platolektüren der Renaissance der Homoerotik , zumindest solange sie unkörperlich bleibt, ehrenvolle und förderliche Funktion in der Welt der großen Geister zuerkannt hat, ist hinlänglich bekannt, dass es über Codrus heißt, „er führt den Haushalt selbst und hat den Homer beim Kochen auf den Knien“ ist wohl nicht nur Zeugnis eines unermüdlichen Geisteslebens in Askese, dass „Albertus meus“ Dürer in wissenschaftlichen Werken mehrfach „geoutet“ wurde, kein Geheimnis, Graeculus' sehr weit oben in diesem Thread lancierte unschuldige Bemerkung über die feminine Erscheinung des Porträtierten „Wenn’s nicht anders dabei stünde, hätte ich diesen Doktor der Rechte ja glatt für eine Frau gehalten“ mag man als das nehmen, was sie ist. Das hat sicher mit Vorurteilen zu tun, aber die sind ja bekanntlich erst ein Fehler, wenn sie ihrer hermeneutischen Funktion, eine terra incognita vorläufig zu erschließen, beraubt und zu endgültigen Wahrheiten erklärt werden, anstatt von ihnen ausgehend, eines besseren sich belehren zu lassen.
  • Titel:
  • Name:
  • E-Mail:
  • Bei freiwilliger Angabe der E-Mail-Adresse werden Sie über Antworten auf Ihren Beitrag informiert. Dies kann jederzeit beendet werden. Kontrollieren Sie ggf. den Spam-Ordner.
  • Eintrag:
  • Grundsätzliches: Wir sind ein freies Forum, d.h. jeder Beteiligte arbeitet hier unentgeltlich. Uns eint das Interesse an der Antike und der lateinischen Sprache. Wir gehen freundlich und höflich miteinander um.

    Hinweise an die Fragesteller:

    1. Bitte für jedes Anliegen einen neuen Beitrag erstellen!
    2. Bei Latein-Deutsch-Übersetzungen einen eigenen Übersetzungsversuch mit angeben. Das gilt vor allem dann, wenn es sich um Hausaufgaben oder Vergleichbares handelt.
      Eine übersichtliche Gliederung erleichtert den Helfern die Arbeit.
      Je kürzer die Anfrage ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass schnell geantwortet wird.
    3. Bei Deutsch-Latein-Übersetzungen bitte kurz fassen. Für die Übersetzung eines Sinnspruchs wird sich immer ein Helfer finden.