Latein Wörterbuch - Forum
Hesperus als Abendstern? — 1381 Aufrufe
Rain am 1.12.17 um 20:42 Uhr (Zitieren)
Salvete!
Da ich sowieso mal wieder grad dabei bin, Fragen zu stellen: Die Erwähnung des Hesperus hier in dem Gedichtteil aus Vergils Bucolica bezieht sich nur auf seine Funktion als Abendstern, oder?

Mopse, novas incide faces: tibi ducitur uxor;

sparge, marite, nuces: tibi deserit Hesperus Oetam.

Oder gibt es einen anderen Grund, warum er hier in dem Kontext erwähnt wird.

Rain
Re: Hesperus als Abendstern?
Klaus am 1.12.17 um 23:20 Uhr (Zitieren)
Hesperus wurde auch als Liebesgöttin angesehen
https://de.wikipedia.org/wiki/Hesperos
Re: Hesperus als Abendstern?
Kuli am 3.12.17 um 15:34 Uhr (Zitieren) IV
Das Bild von Hesperos, der die Geliebte bringt (und Phosphoros, der sie wieder entführt) war wohl bereits ein Topos der hellenistischen Dichtung. Meleagros variiert es mehrfach (Anth. Gr. 5, 172. 173; 12, 114). Auch in Catulls Hochzeitscarmen 62 (vv. 1-7) steht der Abendstern als Eingangsmotiv. Und wie die bittere Parodie auf ein Hochzeitslied klingen ja auch die Verse 29/30 der vorliegenden Ekloge.

In bemerkenswerter Ignoranz gegen die astronomischen Gegebenheiten verstehen übrigens von Albrecht und Holzberg im Kommentar ihrer Ausgaben der Bucolica (Stuttgart 2001; Berlin-Boston 2016) jenes tibi deserit Hesperus Oetam als ein Aufgehen des Abendsterns über dem Oite-Gebirge (ebenso Fordyce zu Catull c. 62, 7). Der Abendstern geht nun aber am Abend nicht auf, sondern unter. Er wird dadurch sichtbar, dass ihn das Licht der Sonne nicht mehr überstrahlt. Wir halten uns hier also besser an den Servius-Kommentar, wo es heißt: de hoc monte stellae videntur occidere. Ähnlich wie der Olymp war wohl auch die Oite in der mythologisch-poetischen Vorstellung zu einer von ihrer geografischen Heimat losgelösten „Himmelswohnung“ geworden.

Zitat von Klaus am 1.12.17, 23:20Hesperus wurde auch als Liebesgöttin angesehen

Der Punkt, inwieweit innerhalb der griechisch-römischen Mythologie die Planeten mit den Göttern, deren Namen sie heute tragen, identifiziert wurden, scheint mir gar nicht so leicht zu klären. Einer direkten Gleichsetzung von Venus-Aphrodite mit Hesperos steht ja schon deren unterschiedliches Geschlecht entgegen.

Zu vermuten steht, dass die Planetengötter mit der Übernahme der Astrologie aus dem babylonischen Kulturraum eingeführt wurden, wo der Planet Venus als Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar verehrt wurde. Bei Eratosthenes (kat. 43) ist in Bezug auf die Planeten jeweils vom Planeten der Aphrodite, vom Planeten des Ares usw. die Rede, nicht aber davon, dass ein Planet mit Aphrodite oder Ares identisch sei. Die Namen der Planeten, die Eratosthenes nennt (Phainon, Phaeton, Pyroeides, Phosphoros/Hesperos, Stilbon), geben noch keinen Hinweis auf die ihnen zugeordneten Götter. Erst in Ciceros Somnium Scipionis (rep. 6, 17, 17) und später bei Manilius wird auch der Planet selbst Venus genannt.
Re: Hesperus als Abendstern?
filix am 5.12.17 um 14:17 Uhr, überarbeitet am 5.12.17 um 14:21 Uhr (Zitieren) I
In bemerkenswerter Ignoranz gegen die astronomischen Gegebenheiten verstehen übrigens von Albrecht und Holzberg im Kommentar ihrer Ausgaben der Bucolica (Stuttgart 2001; Berlin-Boston 2016) jenes tibi deserit Hesperus Oetam als ein Aufgehen des Abendsterns über dem Oite-Gebirge (ebenso Fordyce zu Catull c. 62, 7). Der Abendstern geht nun aber am Abend nicht auf, sondern unter.


Diese angesichts der Bewegung auf absteigender Bahn zum Horizont befremdlich wirkende Rede vom Aufgang des Abendsterns findet sich allerdings schon in der Antike


"... nec tibi vespero/surgente decedunt amores
nec rapidum fugiente solem" (Horaz: Carm. 2, 9, 10ff.)

„aut qualis surgit redeuntibus Hesperus astris“ (Seneca: Apocol. 4, 26)


Im Dt. ist sie auch nicht auf sternblinde klassische Philologen beschränkt, Walter Benjamin beispielsweise verfährt noch großzügiger und lässt Venus nicht nur aufgehen, sondern gleich die ganze Nacht lang stehen:

„Jene paradoxeste, flüchtigste Hoffnung taucht zuletzt aus dem Schein der Versöhnung, wie im Maß, da die Sonne verlischt, im Dämmer der Abendstern aufgeht, der die Nacht überdauert. Dessen Schimmer gibt freilich die Venus.“ (Goethes Wahlverwandtschaften - Kapitel 4)

Es liegt also offensichtlich in „surgere“ wie im dt. „aufgehen“ die Bedeutung des Erscheinens bzw. Sichtbarwerdens überhaupt, auch wenn das der vom bezeichneten Objekt eingeschlagenen, abwärtsführenden Bahn widerspricht.
Re: Hesperus als Abendstern?
Rain am 6.12.17 um 23:13 Uhr (Zitieren)
Wow, danke, das wurde ja noch echt ausführlich.
Hilft mir weiter, danke nochmal.
 
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Das Bild von Hesperos, der die Geliebte bringt (und Phosphoros, der sie wieder entführt) war wohl bereits ein Topos der hellenistischen Dichtung. Meleagros variiert es mehrfach (Anth. Gr. 5, 172. 173; 12, 114). Auch in Catulls Hochzeitscarmen 62 (vv. 1-7) steht der Abendstern als Eingangsmotiv. Und wie die bittere Parodie auf ein Hochzeitslied klingen ja auch die Verse 29/30 der vorliegenden Ekloge.

In bemerkenswerter Ignoranz gegen die astronomischen Gegebenheiten verstehen übrigens von Albrecht und Holzberg im Kommentar ihrer Ausgaben der Bucolica (Stuttgart 2001; Berlin-Boston 2016) jenes tibi deserit Hesperus Oetam als ein Aufgehen des Abendsterns über dem Oite-Gebirge (ebenso Fordyce zu Catull c. 62, 7). Der Abendstern geht nun aber am Abend nicht auf, sondern unter. Er wird dadurch sichtbar, dass ihn das Licht der Sonne nicht mehr überstrahlt. Wir halten uns hier also besser an den Servius-Kommentar, wo es heißt: de hoc monte stellae videntur occidere. Ähnlich wie der Olymp war wohl auch die Oite in der mythologisch-poetischen Vorstellung zu einer von ihrer geografischen Heimat losgelösten „Himmelswohnung“ geworden.

Zitat von Klaus am 1.12.17, 23:20Hesperus wurde auch als Liebesgöttin angesehen

Der Punkt, inwieweit innerhalb der griechisch-römischen Mythologie die Planeten mit den Göttern, deren Namen sie heute tragen, identifiziert wurden, scheint mir gar nicht so leicht zu klären. Einer direkten Gleichsetzung von Venus-Aphrodite mit Hesperos steht ja schon deren unterschiedliches Geschlecht entgegen.

Zu vermuten steht, dass die Planetengötter mit der Übernahme der Astrologie aus dem babylonischen Kulturraum eingeführt wurden, wo der Planet Venus als Liebes- und Kriegsgöttin Ischtar verehrt wurde. Bei Eratosthenes (kat. 43) ist in Bezug auf die Planeten jeweils vom Planeten der Aphrodite, vom Planeten des Ares usw. die Rede, nicht aber davon, dass ein Planet mit Aphrodite oder Ares identisch sei. Die Namen der Planeten, die Eratosthenes nennt (Phainon, Phaeton, Pyroeides, Phosphoros/Hesperos, Stilbon), geben noch keinen Hinweis auf die ihnen zugeordneten Götter. Erst in Ciceros Somnium Scipionis (rep. 6, 17, 17) und später bei Manilius wird auch der Planet selbst Venus genannt.
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