Ich habe starke Zweifel, ob die Römer die Vorstellung, jemandes Gedanken lesen zu können, kannten. Denn der Hellseher/Weissager/Seher (divinator) schaut ja in die Zukunft, was etwas anderes ist.
Daß Gedanken im „Inneren“ eines Menschen ablaufen und ein anderer sie dennoch „sehen“ kann, ist ein Konzept, das alles andere als naturgegeben ist. Schon die Begriffe „Inneres“ und „sehen“ werden hier rein metaphorisch verwendet, denn die Gedanken sind nicht „im“ Kopf wie die Suppe im Topf, wo man den Deckel abheben und hineinsehen kann.
Zweifellos gibt es hier Leute, die Dir den Begriff ‚übersetzen‘ werden ... allerdings so, daß kein Römer es verstanden hätte.
Wenn man einen spätantiken Kirchenvater als Kronzeugen aufbieten will für die Behauptung, „die Antike“ habe ein Konzept der Innerlichkeit gehabt, dann sollte man 1. sich besser auf die Soliloquia (Selbstgespräche) des Augustinus beziehen und 2. hervorheben, daß das seinerzeit etwas sensationell Neues war: die Gewissenserforschung gegenüber Gott.
Ich nehme nicht an, daß Cicero verstanden hätte, worum es da geht.
(Hanspeter Müller in seiner Einführung zu den Soliloquia, München/Zürich 1986, S. 244 f.)
Von dort bis zum Gedankenlesen ist dann immer noch ein sehr weiter Weg.
Vielen Dank für euere Ideen. Ich dachte mir schon, dass das gar nicht so einfach sein würde, moderne Begriffe zu übersetzen. Dennoch halte ich euere Vorschläge für gut gelungen.
In diesem Sinn wünsche ich euch weiter frohes Schaffen bzw. Übersetzen. :)