es geht um den zweiten Satz (ab ‚et vitia..‘) aus einem Papstschreiben (12. Jahrundert):
Decet pastoralis sollicitudinem dignitatis pravas et enormes iniquitates evellere, et vitia que periculum pariunt animarum radicitus amputare.
Ich bin hier nur soweit gekommen:
‚vitia‘ ist fest ‚verbunden‘ durch ‚que‘ mit ‚periculum animarum‘ => ‚die Sünden und der Seelen Gefahr‘
‚radicitus‘ sollte ein Adverb zu ‚amputare‘ sein => ‚völlig/ ganz‘
‚pariunt‘ => Verb => ‚wir verschaffen/ bewirken‘?
‚amputare‘ ist infinitiv oder Gerundium im Nominativ (aber ohne ‚esse‘)
Sehe ich das richtig, dass es ein AcI ist und dann in etwa so übersetzt werden muß:
‚... und wir bewirken, dass die Sünden und der Seelen Gefahr völlig vermindern‘
Das ergibt für mich keinen Sinn!!!
Danke schonmal!
Re: gerundium oder AcI?
filix am 17.1.20 um 21:29 Uhr, überarbeitet am 17.1.20 um 21:32 Uhr (Zitieren)
Von „decet“ hängt ein AcI mit zwei Inf. ab, dessen Subjektsakkusativ „sollicitudinem pastoralis dignitatis“ ist, „pravas et enormes iniquitates“ ist Akkusativobjekt zu „evellere“ (erster I. des AcI), „et vitia“, die durch den Relativsatz „qu(a)e ...“ näher charakterisiert werden, das Akkusativobjekt zu „amputare“ (zweiter I. des AcI). Also:
„Es ist angebracht (decet), dass “pastoralis sollicitudinem dignitatis„-> 1. “pravas et enormes iniquitates evellere„ und (et) 2. “vitia„, die (que) ..., “radicitus amputare".
Verstanden! Dann wäre diese Übersetzung gramatikalisch korrekt:
‚Es gehört sich, dass die Sorge des pastoralischen Amtes die verdorbenen und ungeheueren Sünden vertilgt und die Verfehlungen, die der Seelen Gefahr bewirken, von Grund auf beseitigt.‘
Für ‚die der Seelen Gefahr bewirken‘ geht wohl auch ‚die Seelengefahr bewirken‘.
Wie kann man im Mittellatein ‚que‘ und ‚quae‘ unterscheiden? Nur intuitiv aus dem Kontext oder wurden im Mittelalter ‚que‘ für ‚und‘ nicht mehr benutzt?
Re: gerundium oder AcI?
filix am 17.1.20 um 23:36 Uhr, überarbeitet am 17.1.20 um 23:38 Uhr (Zitieren)
Im Wesentlich ja, die Übersetzung lässt sich sicher mit der nötigen Freiheit sprachlich noch verbessern („Es gehört zu den Obliegenheiten des pastoralen Amtes, schlimme und ungeheure Sünden/...“ „die eine Gefahr für die Seele(n) nach sich ziehen ...“ usf.)
Auch im Mlat. ist die Konjunktion „-que“ eine enklitische Partikel, also immer einem Wort angehängt. Allerdings taucht sie nicht mehr so oft auf und hat ihre Bedeutung teilweise verändert, nachzulesen bei Stotz: https://books.google.de/books?id=-cMAurDgc0MC&pg=PA470
filix am 18.1.20 um 11:58 Uhr, überarbeitet am 20.1.20 um 13:10 Uhr (Zitieren)
Die Bedeutung scheint dem Leser zeitgenössischer Papstschreiben, die nicht fertig werden, Ungerechtigkeiten und Missstände in der Welt und insbesondere den eigenen Reihen anzuprangern, angemessen, im Mittelalter jedoch ist diese Ungerechtigkeit oft als eine wider Gott verstanden und quasi der systemische Inbegriff der Sünde. Vgl. zum Sprachgebrauch schon der Vulgata etwa