Folgend meine bisherige Transkription sowie die Übersetzung des „Notabene“:
Eva Filia legitima Joannis Georgiij Stibers & Catharinae
uxoris eius, sac(ro) baptismate initiat__, Die 25. Junij,
levante matrina ursula Holsingerin coniuge Georgij
Holfsingers. NB: hic infans fuit ab obstetrice baptizatus ob
graviss.(imum) imminens pe(ricu)lum mortis, adhuc in utero matris exi-
stens, et Caput solum p(ro)tendens, imponente super
caput infantis duos digitos hac eadem matrina,
atque se diligent__ examinata et nullo defectu de-
prehenso quoad mo’am(?) et fo’am(?), hinc infantem iuxta p......m agendae o(?) amplius, neque’m(?) sub condi(ti)o(n)e re-
baptizavi, sed solummodo ceremonias reliquas supplevi.
NB: hic infans fuit ab obstetrice baptizatus --- Notabene: Dieses Kind wurde durch die Hebamme (not)getauft
ob graviss.(imum) imminens pe(ricu)lum mortis, --- wegen einer schwersten, drohenden Todesgefahr
adhuc in utero matris existens, --- noch im Mutterleib steckend,
et Caput solum p(ro)tendens, --- und nur den Kopf hervorstreckend
imponente super caput infantis duos digitos hac eadem matrina, --- während über den Kopf des Kindes zwei Finger durch diese selbe Taufpatin hineingelegt/-steckt wurde
atque se diligent__ examinata --- und nachdem sie sorgfältig untersucht
et nullo defectu deprehenso --- und (dabei) keinen Defekt ertastet/ergriffen hatte ...
... Dazwischen fehlen mir zuviele Vokabeln
...
neque’m(?) sub condi(ti)o(n)e rebaptizavi, --- dass ich entweder „unter Bedingung“* erneut taufen
sed solummodo ceremonias reliquas supplevi --- oder nur allein die restlichen Zeremonien ergänzen möge.
Dann hier noch die Übersetzung des Standard-Anfangs, falls für das Verständnis erforderlich.
Eva Filia legitima Joannis Georgiij Stibers & Catharinae uxoris eius, --- Eva, rechtmäßige/eheliche Tochter des J.G.S. und dessen Ehefrau C.
sac(ro) baptismate initiata(?) Die 25. Junij, --- wurde durch die heilige Taufe geweiht/initiiert am 25. Tag des Junis
levante matrina ursula Holsingerin coniuge Georgij Holfsingers. --- während heraushebend war (aus dem Taufbecken) die Taufpatin U.H., Gattin des G.H.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
hs35 am 17.11.22 um 7:49 Uhr, überarbeitet am 17.11.22 um 12:48 Uhr (Zitieren)
levante matrina ursula Holsingerin coniuge Georgij
Holfsingers.
Dabei half die Taufpatin U.H., die Gattin des G.H. mit.
NB: hic infans fuit ab obstetrice baptizatus ob
graviss.(imum) imminens pe(ricu)lum mortis, adhuc in utero matris exi-
stens,
Wohl gemerkt: dieses Kind wurde von der Hebamme getauft
wegen der sehr starken, drohenden Todesgefahr, noch im Mutterleib befindlich
et Caput solum p(ro)tendens, imponente super
caput infantis duos digitos hac eadem matrina,
und nur den Kopf herausstreckte, wobei
eben dieselbe Hebamme zwei Finger auf den Kopf des Kindes legte,
atque se diligenter examinata et nullo defectu de-
prehenso
und nachdem es genau untersucht und kein Makel entdeckt worden war.
quoad mo’am(?) et fov``m(?), hinc infantem iuxta
p agendae o(?) amplius, neque’m(?) sub condi(ti)o(n)e re-
baptizavi, sed solummodo ceremonias reliquas supplevi.
bis ... ???
habe ich dieses (hunc?) Kind, ... ???
nicht unter diesen Umständen nochmal getauft, sondern nur die
noch fehlenden Zeremonien ergänzend hinzugefügt.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Vielen Dank für die Ergänzungen und neuen Ideen. Damit kann ich gut arbeiten.
Was die fehlenden Lesungen betrifft, bin ich leider noch nicht weiter gekommen.
Noch einige Fragen:
1. Das „levante“ bekomme ich in dieser Situation nicht unter. Standard ist „levans ex sacro fonte“ - „der Heraushebende aus der hl. Quelle“ (=dem Taufbecken) ... aber das passt in solch einer Notsituation in der Häuslichkeit nun gar nicht. Wird hier „levans“ nur im übertragenen Sinne gebraucht? (ähnlich wie „suscipiens“ oder „adsistens“, die häufiger als Synonyme vorkommen)
2. „hac eadem matrina“ = „eben dieselbe Taufpatin“, oder?
3. Wie wäre es so? „Was anbetrifft ........, so habe ich dieses Kind gemäß den Vorgaben der ..........., nicht nochmals ‚sub conditione‘ getauft, sondern nur die noch fehlenden Zeremonien ergänzend hinzugefügt.“
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
quoad ist hier Präposition, bedeutet also hinsichtlich. Ich lese am Schluss: … nullo defectu deprehenso quoad materiam et formam hunc infantem iuxta prohibitionem agendae non amplius neque minus(?) sub conditione rebaptizavi, sed solummodo ceremonias reliquas supplevi.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
… nullo defectu deprehenso quoad materiam et formam hunc infantem iuxta prohibitionem agendae non amplius neque minus(?) sub conditione rebaptizavi, sed solummodo ceremonias reliquas supplevi.
ohne dass man im Blick auf die körperliche Verfassung und die Gestalt irgendeinen Makel gefunden hätte
habe ich dieses Kind gemäß des Verbots nicht weiter zu handeln (agendi??) auch nicht weniger unter diesen Umständen erneut getauft, sondern nur die Restzeremonie vollzogen.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Im Kirchenlatein steht agenda,-ae u.a. für verschiedene sakramentale oder rituelle Handlungen und die diese regelnde (kanonische) Vorschrift(en). Mit der Einmaligkeit des Taufsakraments nahm es die katholische Kirche sehr ernst, selbst die (erneute) Spendung sub conditione durfte nur unter bestimmten Voraussetzungen bei begründetem Zweifel, ob überhaupt schon eine Taufe erfolgte, vorgenommen werden - gab es glaubwürdige Zeugen, was die Darstellung nahelegt, galt diese als ausgeschlossen.
Das Problem der genauen Übersetzung liegt also in non amplius neque minus?. Der Sinn scheint angesichts des einen Gegensatz aufbauenden sedindes klar, die von den Vorschriften verbotene Wiedertaufe ist nicht erfolgt.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Oh, wow! Ihr seid schon ein richtiges Stück weiter gekommen ... und habt sogar die fehlenden Abkürzungen aufgelöst! Respekt und Anerkennung. Hätte ich einen Hut auf, würde ich ihn ziehen. (Mache ich hiermit virtuell! :D)
agendæ ist eindeutig zu lesen; ein -arum kann man ausschließen. Somit sind „die Vorschriften“ wohl als „die Agenda“ zu verstehen.
Vielen, vielen Dank!!! Auf diese Lösungen wäre ich nie gekommen.
Ich betrachte das Thema als gelöst, was allerdings nicht von weiterführenden Diskussionen um ein letztes Wort, eine letzte Endung oder einen letzten Buchstaben abhalten soll. ;D
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Die Erklärung ist nicht so einfach. Meines Erachtens hat die lateinische Sprache des Mittelalters einen mit dem Neutrum Plural des Gerundivums (agenda,-orum) konkurrierenden Wortbildungstyp hervorgebracht, der -(a/e)nda als Suffix zur Bildung femininer Substantiva nutzt. Darum heißt es beispielsweise auch praebenda,-ae - die Pfründe. Der für romanische Sprachen typische morphologische Abschied vom Neutrum könnte dabei die Genusvergabe motiviert haben.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Ältere Wörterbücher neigen in so einem Fall gelegentlich zur Ergänzung, um den klassichen verbaladjektivischen Charakter zu bewahren, schreiben also etwa praebenda, -ae sc. pecunia, das ist aber in wortbildungstypengeschichtlicher Hinsicht, denke ich, ein Missverständnis.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Danke für diese tolle Erklärung und deine ergänzende und korrigierende Mithilfe.
Du bist der einzig noch aktive Profi.
Schön, dass du immer wieder reinschaust.
Fidem nobis serva tuam! Quam servare ne desinas! :))
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Womöglich heißt es: …. non amplius ([re]baptizavi) neque magis sub conditione … rebaptizavi = … habe ich dieses Kind gemäß dem Verbot der Agenda nicht weiter und ebensowenig ein zweites Mal sub conditione getauft …
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Wenn ich mir das so durchlese, so ist es gut möglich, dass die Hebamme den Tod des Neugeborenen verschuldet hat, denn hätte sie das Kind aus dem Mutterleib gezogen, als es schon der Kopf geboren war, und nicht erst irgendwelche Taufzeremonien durchgeführt, so hätte sie es vielleicht retten können.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Der vom Threadersteller gepostete Eintrag stammt aus einem Taufbuch. Offensichtlich ist er der Suggestion von ob gravissimum imminens periculum mortis erlegen und hat daraus gefolgert, dass Eva bei der Geburt im Juni 1681 auch wirklich umgekommen ist. Der vorletzte Eintrag auf der verlinkten Seite des Sterbebuchs anno 1682 lautet aber: Eva, filia Johannis Georgii Stiebers & Catharinae […] moritur die 3. Aprilii &. 4ta sepelitur […]. Sie wurde also nicht einmal ein Jahr alt.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Der vom Threadersteller gepostete Eintrag stammt aus einem Taufbuch. Offensichtlich ist er der Suggestion von ob gravissimum imminens periculum mortis erlegen und hat daraus gefolgert, dass Eva bei der Geburt im Juni 1681 auch wirklich umgekommen ist. Der vorletzte Eintrag auf der verlinkten Seite des Sterbebuchs anno 1682 lautet aber: Eva, filia Johannis Georgii Stiebers & Catharinae […] moritur die 3. Aprilii &. 4ta sepelitur […]. Sie wurde also nicht einmal ein Jahr alt.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
Ad 1 ) Klar weiß ich, dass es sich um einen Taufeintrag handelt. Ich bin keiner Suggestion erlegen; es war nur ein Versehen.
Ad 2) Da solch zusätzliche Erläuterungen ziemlich selten vorkommen, und dazu offenbar ein Geburtshindernis als medizinischer Grund vorliegt, fand ich den Fall interessant.
Daher nochmal zum Faktischen:
Hat nicht eher die Geburtshelferin mit ihren Fingern im Geburtskanal versucht, das Hindernis zu beseitigen (z.B. Woods-Manöver bei Schulterdystokie) --- imponere = hineingeben/-legen/-stecken, --- wohin? super caput - oberhalb des Kopfes ? Wenn die Hebamme zur Nottaufe schreitet, stand sie wohl mit dem Rücken zur Wand, oder? Was sollen die Finger auf dem Kopf bewirkt haben, wenn das Problem wohl im Geburtskanal liegt?
Dass der Geburtsakt letztlich erfolgreich verlaufen ist, war mit ebenso bewusst. Nicht nur das Anliegen der Wiedertaufe als auch das nachträglich hinzugefügte Sterbedatum aus dem Folgejahr haben darauf hingewiesen.
Re: Medizinisch interessanter Sterbeeintrag aus einem Kirchenbuch
hs35 am 20.11.22 um 8:21 Uhr, überarbeitet am 20.11.22 um 8:49 Uhr (Zitieren)
Sie kann mit den Fingern die Taufe vollzogen haben, indem sie damit
das Kreuzzeichen auf die Stirn des Kindes machte.