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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Der elende Matho (232 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 14.04.2024 um 10:54 Uhr (Zitieren)
241 v.u.Z. endete der 1. Punische Krieg. Die Karthager hatten es anschließend mit einem Aufstand ihrer Söldner zu tun, deren Sold sie nicht bezahlen konnten. Dieser Krieg wurde mit größter Grausamkeit geführt und letztlich von den Karthagern gewonnen. Mit ihm verband sich ein Krieg der libyschen Städte im Umkreis Karthagos gegen dessen Herrschaft. Einer der Aufständischen war der Libyer Matho.
Matho wurde gefangen, Ityke [Utica] und Hipu [Hippo] ergaben sich nach kurzer Belagerung – der Libysche Krieg ging zu Ende, nach drei Jahren und vier Monden; nicht der längste, aber der furchtbarste, gnadenloseste und grauenhafteste Krieg, der bis dahin je ausgefochten worden war.

Matho und seine wichtigsten Offiziere starben auf der Agora von Qart Hadasht; das punische Volk nahm gründlich Rache. Die Barkiden (1) beteiligten sich nicht an dem grausamen Schauspiel; Matho hatte die Götter beleidigt, die Menschen geschändet, zahl- und namenlose Greuel auf sich geladen – aber die Schuldigen des Libyschen Krieges hingen nicht an den Kreuzen auf der Agora, sondern saßen im Rat der Stadt.

Junge Punier warfen Lanzen auf einige der Gekreuzigten, andere schossen Pfeile auf sie ab. Man brach ihnen die Beine, verstümmelte sie, wie sie es mit Gefangenen und Gesandten getan hatten, verbrannte sie, löschte das Feuer wieder, ehe die Aufrührer starben, folterte sie mit weniger Kunst als Einfallsreichtum.

Matho blieb den geschickten Händen und Werkzeugen der Henker vorbehalten; er starb drei Tage lang. Ihm wurden lange Splitter unter die Nägel der Finger und Zehen getrieben; zwei Tage spielte der Henker daran herum, ehe er sie anzündete. Man zwang den Libyer, Hundekot zu essen und Schweinejauche zu trinken. Er wurde vom Kreuz genommen, man streute ihm Salz auf die Unterseite der Füße und ließ Ziegen daran lecken; danach zog man ihm die Haut von den Sohlen. Die erste Nacht verbrachte er gefesselt auf Nägeln und Glasscherben.

Am zweiten Tag durchtrennte der Henker ihm mit einer stumpfen Säge die Sehnen der Kniekehlen und schnitt mit einem Holzmesser Streifen aus der Kopfhaut, von den Schulterblättern, vom Bauch und der Innenseite der Oberschenkel. In die Wunden goß er Essig; dann legte er den Libyer in die pralle Sonne. Abends wurde Matho kastriert; man hielt ihm die Nase zu, bis er den Mund aufsperrte, und stopfte ihm das Abgeschnittene hinein. Große Stücke der Gesäßhaut wurden entfernt.

Die zweite Nacht saß er, an einen Pfahl gefesselt, auf Sand und Salz. Am dritten Tag schälten sie sein Glied und die Lippen; mit einem kleinen Hammer und einem scharfen Meißel öffnet der oberste Henker ihm die Backen- und Schneidezähne und füllte ihm den Mund abwechselnd mit kaltem und heißem Wasser. Sie trieben Nägel durch die empfindlichsten Stellen der Handgelenke, ohne die Adern zu verletzen, rissen ihm in berechneten Abständen die Nägel von Zehen und Fingern, zogen breite Streifen Haut von seinem Bauch, streuten Körner darüber, ließen sie von Hühner[n] aufpicken, zerschlitzten seine Brustwarzen und schnitten Fransen aus sei-ner Zunge.

Bei Sonnenuntergang und in Anwesenheit von Hanno dem Großen öffnete der Henker die Bauchdecke des Libyers, der längst nur noch kreischendes Fleisch war, zündete die Splitter an, durchtrennte der Darm, trieb die schartige Spitze eines Holzpflocks hinein und wickelte auf.
Matho starb vor Mitternacht. Die römische Gesandtschaft beobachtete alles.

(Gisbert Haefs: Hannibal. Der Roman Karthagos. Zürich 1989, S. 254 f.)

(1) Hamilkar Barkas und seine Verwandten

Ich kenne nur einen einzigen historischen Text, der diesem an exzessiver Grausamkeit gleichkommt: Der geistig gestörte Robert-François Damiens hatte am 15. Januar 1757 auf den französischen König Ludwig XV. (1710-1774) ein Attentat verübt, bei dem der König mit einem Messer leicht verletzt worden war. Der Bericht über seine geradezu rituelle Hinrichtunmg stammt aus dem Tagebuch der Henkerfamilie Sanson.
Dieser Fall ist eindeutig historisch; von dem, den Haefs beschreibt, weiß ich es nicht.
Re: Der elende Matho
filix schrieb am 14.04.2024 um 13:16 Uhr (Zitieren)
Das ist ein matter Aufguss von Flauberts Theater der Grausamkeit, wenn du mich fragst.
Re: Der elende Matho
Γραικύλος schrieb am 14.04.2024 um 13:53 Uhr (Zitieren)
Hat er das aus dem "Salambo"?
Re: Der elende Matho
filix schrieb am 14.04.2024 um 19:41 Uhr (Zitieren)
Woher soll er die Idee zu diesem Fest der Grausamkeit, in das er mit der Verve eines exaltierten Buchhalters ein paar eigene Funde aus dem Thesaurus der Torturen einarbeitet, denn haben, wenn nicht aus dem Schlusskapitel aus Salammbô Matho?

Beim nüchternen Polybios - τὸ γὰρ πέρας, ἀγαγόντες οἱ νέοι τὸν θρίαμβον διὰ τῆς πόλεως πᾶσαν αἰκίαν ἐναπεδείξαντο τοῖς περὶ τὸν Μάθω (1,88) - blitzt nur auf, was Flaubert in ein Delirium einer zur Hochzeitsfeier mordenden Stadt und ein erotisches Spiel von Berührungen und Blicken im Zeichen des Todes verwandelt. Wie er dabei gearbeitet hat, war schon einmal Thema hier: https://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=5535

Bei Haefs bleibt alles handwerklich grob und arbeitsteilig, hier wird kein Herz herausgerissen, um es der Sonne darzubieten. Niemand berührt am Ende den Mantel der Tanit. Den Schlusspunkt bildet folgerichtig der kalte Blick der Beobachter aus den Reihen einer Großmacht.

Unabhängig vom schriftstellerischen Talent könnte man fragen, was das mit dem literarischen Möglichkeitsraum für einen deutschen Nachkriegsschriftsteller zu tun hat.
Re: Der elende Matho
Γραικύλος schrieb am 14.04.2024 um 23:20 Uhr (Zitieren)
Ich hätte bei Flaubert nachschauen sollen/können.

Und auch wenn Haefs den Vergleich mit Flaubert nicht aushält, habe ich doch nicht den Eindruck, mit der Lektüre des Romans meine Zeit zu verschwenden. Historisch ist das kenntnisreich geschrieben, aus einer mit den Barkiden sympathisierenden Sicht, während die Römer schlecht wegkommen.

Die Polybios-Stelle nehme ich mir nochmal vor.
Re: Der elende Matho
Γραικύλος schrieb am 17.04.2024 um 14:00 Uhr (Zitieren)
Nun habe ich mir Flauberts Roman noch einmal angesehen. Mein Eindruck ist der folgende:

Abgesehen davon, daß beide Romane ein unterschiedliches Thema haben (der libyische Aufstand einerseits, Hannibal andererseits), unterscheiden sie sich dadurch, daß
- Haefs auf die sentimentale und fingierte Liebesbeziehung zwischen Salammbô und Matho (oh, diese französischen Romane des 19. Jhdts.!) komplett verzichtet, und
- daß Haefs die Rolle der Religion im damaligen Kathago stark herabsetzt: Den Kinderopfer fordernden Baal stellt er als Erinnerung aus früheren Zeiten dar, während die zur Zeit der Romanhandlung agierenden Personen entweder profitorientierte Händler oder politisch denkende Strategen sind, insbesondere die Barkiden, die aus der klaren Einsicht heraus handeln, daß Rom auf längere Sicht keine zweite Macht im Mittelmeer dulden wird. Im Rahmen der Kategorie des Götterglaubens agiert weder die eine noch die andere Gruppe.

Wer also einen farbigen, phantasievollen Roman sucht, der ist bei Flaubert gut bedient; wer hingegen die Machtverhältnisse der damaligen Zeit verstehen will, dem kann ich Haefs' Roman empfehlen. Damit spricht er Leser an, denen eine fachwissenschaftliche Monographie zu trocken wäre.
Re: Der elende Matho
Γραικύλος schrieb am 17.04.2024 um 14:30 Uhr (Zitieren)
Die Folterung des Matho, von der hier die Rede ist, besteht im einen Falle (Flaubert) in einem Spießrutenlauf durch die haßerfüllte karthagische Bevölkerung, im anderen Falle (Haefs) in einer förmlichen Hinrichtung durch die Obrigkeit, gemäß der "Kunst der verzögerten Humanschlachtung".

Der kargen Angabe bei Polybios entspricht wohl eher Flaubert.
Re: Der elende Matho
filix schrieb am 17.04.2024 um 20:08 Uhr (Zitieren)
Einen historisch kenntnisreichenRoman, der Polybios als Quelle ignoriert und, um nur zwei Beispiele zu nennen aus der verarbeiteten Kunst der verzögerten Humanschlachtung (ach, diese herrlich unmöglichen Titel des verflossenen 20. Jhdts), das Aufwickeln der Gedärme, dem man in mittelalterlichen Legenden um das Martyrium von Erasmus von Antiochia begegnet, und die um Ziegen vermehrte Kitzelfolter, die sich, wenn ich nicht irre, bei Grimmelshausen findet, würde ich jetzt nicht als weniger phantasievoll bezeichnen. Ohne dass dies den qualitativen Abstand zu Flaubert verkürzte.
Re: Der elende Matho
filix schrieb am 17.04.2024 um 20:12 Uhr (Zitieren)
Einen historisch kenntnisreichen Roman, der Polybios als Quelle ignoriert und, um nur zwei Beispiele zu nennen aus der verarbeiteten Kunst der verzögerten Humanschlachtung (ach, diese herrlich unmöglichen Titel des verflossenen 20. Jhdts), das Aufwickeln der Gedärme, dem man in mittelalterlichen Legenden um das Martyrium von Erasmus von Antiochia begegnet, und die um Ziegen vermehrte Kitzelfolter, die sich, wenn ich nicht irre, bei Grimmelshausen findet, hineinmontiert, würde ich jetzt nicht als weniger phantasievoll bezeichnen. Ohne dass dies den qualitativen Abstand zu Flaubert verkürzte.
Re: Der elende Matho
Γραικύλος schrieb am 18.04.2024 um 00:12 Uhr (Zitieren)
Hast Du den Roman von Haefs einmal gelesen oder urteilst Du jetzt nur auf der Basis des Kapitels über die Matho-Folterung?
Ich bin nämlich dazu übergegangen, den Wert des Romans insgesamt zu beurteilen.
Re: Der elende Matho
filix schrieb am 18.04.2024 um 00:39 Uhr (Zitieren)
Ich urteile natürlich über die beiden Szenen im Vergleich und, was du an Argumenten im Austausch darüber aufgebracht hast. Es wird dich nicht wundern, dass mich historischer Kenntnisreichtum literarisch nicht besonders beeindruckt, das diskutierte Exempel genügt aber ganz offensichtlich nicht diesem Anspruch. Ich glaube auch nach wie vor, dass Haefs in Kenntnis Flauberts versucht hat, hier mit einem eigenen Festspiel der Grausamkeit aufzutrumpfen, ganz unabhängig davon, welche Rolle die Szene sonst spielt in der Anlage des Ganzen.
 
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