Latein Wörterbuch - Forum
AMOR VINCIT OMNIA — 1310 Aufrufe
Graeculus am 17.7.09 um 14:23 Uhr (Zitieren) III
Der pazifistische Politiker, Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell hat zu dem Motto
AMOR VINCIT OMNIA
noch zu Lebzeiten Stalins die folgende Geschichte geschrieben, die vielleicht den einen oder anderen erheitern mag:
Stalins Alptraum

Nachdem er reichlich Wodka, mit rotem Pfeffer vermischt, zu sich genommen hatte, war Stalin in seinem Stuhl eingeschlafen. Molotow, Malenkow und Berija wimmelten mit Fingern auf den Lippen aufdringliche Domestiken ab, die des großen Mannes Ruhe hätten stören können. Während sie über ihn wachten, hatte er einen Traum, und was er träumte, war dies:

Der Dritte Weltkrieg war ausgefochten und verloren. Er war Gefangener in den Händen der westlichen Alliierten. Diese aber hatten erkannt, daß der Nürnberger Prozeß nur Mitleid für die Nazis erweckt hatte, und sie beschlossen, diesmal einer anderen Strategie zu folgen: Stalin wurde einer Abordnung hochangesehener Quäker überantwortet, die behaupteten, daß selbst er, durch die Macht der Liebe, einem bußfertigen und bürgerlich anständigen Leben zugeführt werden könne.
Solange allerdings dieser Vergeistigungsprozeß noch nicht abgeschlossen war, mußten, wie man wohl einsah, die Fenster in seinem Zimmer vergittert bleiben, damit er sich nicht einer unbedachten Handlung schuldig mache, und man konnte ihn auch nicht an irgendwelche Messer heranlassen, damit er sich nicht in einem Wutanfall damit auf seine spirituellen Wohltäter stürze. Er war in zwei Zimmern eines alten Landhauses bequem untergebracht, aber die Türen waren verriegelt, außer für eine Stunde am Tag, während der er, umgeben von vier muskulösen Quäkern, in flotter Gangart sich im Freien ergehen durfte, wobei er dazu ermuntert wurde, die Schönheiten der Natur zu bewundern und den Gesang der Lerche zu genießen. Für den Rest der Tages erlaubte man ihm zu lesen und zu schreiben, aber man ließ ihn nicht an Bücher heran, die irgend aufreizend auf ihn wirken könnten. Man gab ihm die Bibel, Pilgrims Progress und Onkel Toms Hütte. Und manchmal, als besondere Vergünstigung, erlaubte man ihm die Erbauungsromane der Charlotte M. Yonge. Tabak, Alkohol und roter Pfeffer wurden ihm nicht zugestanden. Kakao hätte er zu jeder Tages- und Nachtzeit haben können, da die angesehensten seiner Hüter als Lieferanten dieses unschuldigen Getränks firmierten. Tee und Kaffee waren in begrenzter Menge zugelassen, aber nie im Unmaß oder zur Unzeit, so daß die gesunde Nachtruhe nicht beeinträchtigt würde.
Jeden Morgen und jeden Abend setzten ihm die ernsten Männer, deren Obhut er anvertraut war, eine Stunde lang die Grundsätze christlicher Nächstenliebe auseinander und wiesen auf das innere Glück hin, dessen er trotz allem noch teilhaftig werden könne, wenn er nur ihre Weisheit in sich aufnehmen würde. Die Aufgabe, ihm gut zuzureden, fiel besonders drei Männern anheim, die als die weisesten galten unter denen, die hofften, ihm ein Licht aufzustecken. Es handelte sich hierbei um die Herren Tobias Toogood, Samuel Swete, und Wilbraham Weldon. Er war mit diesen Männern auf der Höhe seiner Macht bekannt geworden. Nicht lang vor Ausbruch des Dritten Weltkriegs waren sie nach Moskau gereist, um ihn mit inständigem Nachdruck von seinem Irrweg abzubringen. Sie hatten mit ihm über allgütige Güte und christliche Liebe gesprochen. Sie hatten mit glühenden Worten die Freuden des Sanftmut gepriesen und hatten ihn davon zu überzeugen versucht, daß geliebt zu werden glücklicher macht als gefürchtet zu werden. Eine kleine Weile hatte er ihnen geduldig zugehört – so erstaunt war er. Dann aber entlud sich ein Gewitter über ihnen: „Was wißt ihr Herren denn von den Freuden des Lebens?“ tobte er. „Ihr kapiert ja nie, was für ein berauschendes Vergnügen es ist, ein ganzes Volk durch Terror zu beherrschen, und zu wissen, daß fast alle dir den Tod an den Hals wünschen, aber keiner bringt es zuwege, und zu wissen, daß deine Feinde in der ganzen Welt vergebens deine geheimen Gedanken zu erraten suchen, und zu wissen, daß deine Macht die Ausmerzung nicht nur deiner Feinde, sondern auch deine Freunde überleben wird. Nein, meine Herren, das Leben, das ihr mir aufreden wollt, reizt mich nicht. Geht nur heim zu euren pussligen Profitgeschäften, die ihr mit eurem frommen Mäntelchen behängt, und überlaßt mich meinem heroischen Lebenswandel!“

Die momentan verdutzten Quäker trollten sich und warteten auf bessere Gelegenheit. Und nun hofften sie, daß ein Stalin in ihren Händen und nach seinem Sturz sich anstelliger erweisen möchte. Merkwürdigerweise gab er sich noch immer hartköpfig. Die drei Weisen hatten ja nun viel Erfahrung mit jugendlichen Straftätern: sie verstanden es, deren Komplexe aufzuknoten und sie unter sachtem Zureden zu dem Glauben hinzuführen, daß ehrlich noch immer am längsten währt.
„Mr. Stalin“, sagte Tobias Toogood also, „wir hoffen, daß Sie nun einsehen, wie unweise der Lebenswandel, dem Sie bisher angehangen haben, gewesen ist. Und ich spreche noch nicht einmal von dem Ruin, den Sie über die Welt gebracht haben, denn das, so werden Sie mir versichern, läßt Sie kalt. Aber bedenken Sie doch, was Sie über sich selbst gebracht haben. Sie sind aus der Höhe Ihrer Macht in die Erniedrigung des Gefangenendaseins gefallen, und was Ihnen noch an Komfort geblieben ist, verdanken Sie nur der Tatsache, daß Ihre Wärter sich nicht an Ihre Maximen halten. Die grimmigen Freuden, von denen Sie bei unserem Besuch in den Tagen Ihrer Machtvollkommenheit sprachen, halten nicht länger vor. Aber wenn Sie Ihren Stolz besiegen könnten, Reue zeigen könnten, lernen könnten, das Glück im Glück anderer Menschen zu finden, könnte Ihnen für den Rest Ihrer Tage noch immer ein Lebenszweck und leidliche Zufriedenheit ermöglicht werden.“
In diesem Augenblick sprang Stalin auf und schrie: „Zur Hölle mit Dir, Du weinerlicher Heuchler! Ich verstehe nichts von dem, was Du sagst, außer daß Du über mir sitzt und ich Dir ausgeliefert bin, und daß Du eine Art und Weise gefunden hast, mich in meinem Mißgeschick zu beleidigen, die unausstehlicher und erniedrigender ist als alles, was ich je für meine Schau-prozesse erfunden habe.“
„Aber, aber, Mr. Stalin“, sagte Mr. Swete, „wie können Sie nur so ungerecht und unfreundlich mit uns sein? Können Sie nicht sehen, daß wir es nur gut mit Ihnen meinen? Können sie nicht sehen, daß wir Ihre Seele retten wollen, und daß wir die Gewalttätigkeit und den Haß, den Sie gleichermaßen unter Freund und Feind gesät haben, nur bedauern können? Wir haben nicht die Absicht, Sie zu demütigen; und könnten Sie nur die irdische Größe als das erkennen, was sie wert ist, dann würden Sie selbst sehen, daß es ein Ausweg aus aller Demütigung ist, den wir Ihnen offenhalten.“
„Das wird mir aber jetzt wirklich zu bunt“, brüllte da Stalin. „Als ich ein kleiner Junge war, im Priesterseminar im Georgien, da hab ich mit solchem Geschwätz vorlieb nehmen müssen, aber ein erwachsener Mann kann sich doch dieses Geplapper nicht mit Geduld anhören. Ich wollte, ich könnte an die Hölle glauben, daß ich mich darauf freuen könnte, Eure faden Visagen im Flammenmeer untergehen zu sehen.“
„Aber pfui, lieber Mr. Stalin!“, sagte Mr. Weldon, „regen Sie sich doch nicht so auf, nur durch Gelassenheit werden sie ja die Weisheit dessen, was wir Ihnen zu zeigen versuchen, einsehen lernen.“
Bevor Stalin antworten konnte, griff Mr. Toogood noch einmal ein: „Sicherlich“, sagte er, „kann doch ein Mann von Ihrer bedeutenden Intelligenz, Mr. Stalin, für die Wahrheit nicht ewig blind bleiben; augenblicklich aber sind Sie überanstrengt, und ich schlage vor, daß eine beruhigende Tasse Kakao besser für Sie sein möchte, als der übermäßig aufputschende Tee, den Sie die ganze Zeit trinken.“
Daraufhin konnte sich Stalin nicht mehr beherrschen. Er nahm die Teekanne und schleuderte sie Mr. Toogood an den Kopf. Die brühheiße Flüssigkeit strömte an dessen Gesicht hinab, aber er sagte nur: „Aber, aber, Mr. Stalin, das ist doch kein Argument.“
Rasend vor Wut wachte Stalin auf. Seine Wut hielt noch eine Weile an, und er ließ sie an Molotow, Malenkow und Berija aus, die zitternd erbleichten. Aber dann, mit den Wolken des Schlafs, verdampfte auch seine Wut, und er beruhigte sich, herzhafte Schlucke nehmend, bei Wodka und rotem Pfeffer.


[Quelle: Stanislaw Lem (Hrsg.), Ist Gott ein Taoist? Ein phantastisches Lesebuch. Frankfurt/Main 1988, S. 23-26]
Re: AMOR VINCIT OMNIA
Equestra am 17.7.09 um 15:35 Uhr (Zitieren) III
viel zu lang ;)
Re: AMOR VINCIT OMNIA
Graeculus am 17.7.09 um 15:57 Uhr (Zitieren) III
„Aber, aber, Mrs. Equestra, das ist doch kein Argument.“

kurz genug?
Re: AMOR VINCIT OMNIA
Graeculus am 17.7.09 um 16:16 Uhr (Zitieren) III
Außerdem habe ich ja nicht darum gebeten, den Text zu übersetzen.
Obwohl ... fallen jemandem passende lateinische Gegenstücke zu den sprechenden Namen der drei wackeren Quäker ein?
die Herren Tobias Toogood, Samuel Swete, und Wilbraham Weldon
 
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