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Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten? — 1781 Aufrufe
Graeculus am 9.11.08 um 14:14 Uhr (Zitieren) I
Die Übersetzung, die Bibulus gestern dem „non occides“ der Vulgata gegeben hat, veranlasst mich zu dem Hinweis, dass „Du sollst nicht töten!“ eine zwar verbreitete, aber falsche Übersetzung ist. Und zwar falsch nicht an der Stelle Vulgata -> Bibulus, auch nicht an der Stelle Septuaginta -> Vulgata, sondern bei der am hebräischen Urtext ansetzenden Übersetzung.
Dafür zwei Argumente:
1. Schon in Exodus selbst (21, 12-17) aber auch in Leviticus und Deuternomium wird serienweise die Todesstrafe vorgeschrieben. Die bekanntesten, weil folgeträchtigsten Fälle sind die für Zauberer (Hexer) und für Homosexuelle.
Es kann also nicht sein, dass im 5. Gebot das Töten von Menschen generell verboten wird.
Notabene: Die Juden haben im Auftrage Gottes Kriege geführt!
2. Jüdische Übersetzungen dieses „Wortes“ (Dekalog = Deka logoi = Zehn Worte) übersetzen durchgängig „Du sollst nicht morden“ (Moses Mendelssohn) bzw. „Morde nicht“ (Martin Buber/Franz Rosenzweig).

Fazit: Es gibt nach Auffassung der Tora durchaus Fälle, in denen gerechtfertigterweise getötet werden darf bzw. soll. „Nur“ das Morden, das soll es nicht geben.

Nebenbei: Einem ähnlichen Fehler erliegt anscheinend das bekannte „Auge um Auge, Zahn um Zahn!“, das Buber/Rosenzweig als „Auge um Augeersatz, Zahn um Zahnersatz“ ausdrücken, also im Sinne einer Wiedergutmachung, nicht einer Vergeltung.

Wie Pinchas Lapide („Ist die Bibel richtig übersetzt?“ Gütersloh 1986) es darstellt, sind die christlichen Übersetzungen der heiligen Schrift der Juden oft tendenziös falsch.
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
Graeculus am 9.11.08 um 14:28 Uhr (Zitieren) I
Ich habe abgesehen von dem richtigen Plebeius-Hinweis auf die wörtliche Bedeutung „Du wirst nicht töten“ und seine Ausführungen zum religiösen Sinn von Geboten bzw. Worten (Gottes) bei Juden.
Mir kommt es nur auf den Unterschied zwischen Töten und Morden an, weil das 5. Gebot oft zur Verteidigung von etwas (z.B. Pazifismus, Abschaffung der Todesstrafe usw.) benutzt wird, was an sich ein gutes Ziel ist, sich aber nicht auf dieses Gebot stützen kann.
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
Plebeius am 9.11.08 um 14:34 Uhr (Zitieren) I
Fazit: Es gibt nach Auffassung der Tora durchaus Fälle, in denen gerechtfertigterweise getötet werden darf bzw. soll. „Nur“ das Morden, das soll es nicht geben.


Ist diese Rechtfertigung nicht auch im Christentum unter bestimmten Voraussetzungen geben?
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
Graeculus am 9.11.08 um 14:43 Uhr (Zitieren)
Historisch war es so, natürlich. Mit der Rechtfertigung aus dem NT wird es allerdings etwas schwierig (vgl. Bergpredigt: Gebot der Feindesliebe usw.). Das seltsame Jesus-Wort „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“ steht einsam und ein wenig unklar im Raum.
Historisch gerechtfertigt hat man christlicherseits die Gewalt ja meist mit dem AT.

Interessant und „irgendwie“ doch wieder christlich finde ich Luthers Gedanken von der „scharfen Barmherzigkeit“ (z.B. gegenüber den Bauern): dass nämlich die Tötung durch die Staatsgewalt eine Mahnung zur Reue sein solle. Besser auf Erden getötet als im Jenseits verdammt. Oder so ähnlich.
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
andreas am 9.11.08 um 14:50 Uhr (Zitieren) I
vielleicht hilft Matth. 7,12 weiter:
„Alles nun, was ihr wollt, dass es euch die Menschen tun, das sollt ihr auch ihnen tun;denn darin besteht das Gesetz und die Propheten.“
Genereller Grundsatz, der im Christentum gilt.
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
Plebeius am 9.11.08 um 14:54 Uhr (Zitieren)
Matthäus 5, 38-41: rechte Wange,...

Das bedeutet jedoch nicht, dass wir Unrecht passiv und wehrlos erdulden müssen, oder?
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
Graeculus am 9.11.08 um 15:03 Uhr (Zitieren) I
Doch, in der Bergpredigt schon! Jesus sagt es ja dreimal, in drei Versionen: Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt ... Wenn dir jemand deinen Mantel nimmt ... Wenn dich jemand nötigt, eine Meile mit ihm zu gehen ...
Und: Widersteht dem Bösen nicht!
Entweder denkt er hier psychologisch: Der Verzicht auf Widerstand entwaffnet den Gegner (was aber oft nicht funktioniert, also naive Psychologie ist), oder er verweist auf die Belohung im Jenseits (vgl. die Seligpreisungen der Bergpredigt).
Am Pazifismus Jesu kommt man nicht leicht vorbei, und Luther muß da ja schon einen gehörigen Scharfsinn aufbieten, wenn er die Fürsten auffordert, wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern das Schwert zu zücken.

Etwas anders schaut es bei Paulus in Röm 13 aus.

Wie passend: als Spamschutz werde ich aufgefordert, auf das SCHWERT zu klicken.
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
Plebeius am 9.11.08 um 15:11 Uhr (Zitieren)
Jesus zu Petrus: „Stecke dein schwert in die Scheide, denn wer zum Schwerte greift, wird durch das Schqwert umkommen!“

Offenbar war Petrus bewaffnet und sicher nicht nur an diesem Abend der Gefangennahme. (und die anderen Apostel?)
Hat Jesus dies geduldet? Gutgeheißen hat er es sicher nicht, wenn man die anderen Aussagen zum Thema betrachtet.
Re: Du sollst nicht töten! - Sollst du nicht töten?
Graeculus am 9.11.08 um 15:33 Uhr (Zitieren) I
Nein, hat er wohl nicht.
Bei Paulus schon und später dann seit Konstantin weht ein anderer Geist durch das Christentum, bis hin zur ecclesia militans.

Das war ein interessantes Gespräch. Danke.
Jetzt muß ich mich (leider) an meiner Unterrichtsvorbereitung machen.
 
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