Latein Wörterbuch - Forum
Kant als Lateiner — 1216 Aufrufe
Graeculus am 9.11.08 um 14:55 Uhr (Zitieren)
Mit folgendem Satz des Philosophen Kant komme ich grammatisch nicht klar, obwohl er ihn selber auch übersetzt:

"desine! fata deum flecti sperarere precando.
Laß ab, das Göttliche Geschik geht durch dein bitten nicht zurück."
(keinerlei Schreibfehler meinerseits in dem „...“-Zitat!)
„fata deum“ = das göttliche Geschick?
„flecti“?
„sperarere“? (sperare?)

Laß ab zu hoffen, daß durch dein Bitten das Schicksal/Gott gebeugt (gewendet) werden könne?
Aber wie funktioniert das grammatisch?
Daß ein AcI vorliegt, scheint mir klar.
Re: Kant als Lateiner
Plebeius am 9.11.08 um 14:59 Uhr (Zitieren)
deum = deorum
fata= Geschick, Wille, Plan
Re: Kant als Lateiner
Graeculus am 9.11.08 um 15:05 Uhr (Zitieren)
„deum“ = „deorum“, ah! Das hilft mir. Danke.
Und „sperarere“ = „sperare“?
Re: Kant als Lateiner
Plebeius am 9.11.08 um 15:13 Uhr (Zitieren)
quid fles? quid optas? perdis operam. desine fata deum flecti sperare precando. rata et fixa sunt et magna atque aeterna necessitate ducuntur: eo ibis quo omnia eunt.
Zitiert von Seneca
Re: Kant als Lateiner
Graeculus am 9.11.08 um 15:28 Uhr (Zitieren)
Ein Zitat ist das! Danke.
Und bei dem „sperarere“ hat Kant sich dann vermutlich verschrieben. (Die Stelle findet sich in seinem handschriftlichen Nachlaß, da kommt sowas vor.)
Re: Kant als Lateiner
Elisabeth am 9.11.08 um 17:51 Uhr (Zitieren)
Ich halte es für praktisch ausgemacht, dass da eine Silbe zuviel ist, denn es handelt sich um einen lupenreinen Hexameter. Ich schreibe hier mal alle betonten Vokale groß:

dEsine! fAta deUm flectI sperAre precAndo.

Laß ab, das Göttliche Geschik geht durch dein bitten nicht zurück."

Was mich stört, ist die Übersetzung Kants und das Ausrufezeichen nach desine. Ohne wär’s nämlich ganz einfach:

desine sperare
höre auf zu hoffen

fata deum flecti
dass das Schicksal der Götter gebeugt werden kann

precando
durch Bitten
Re: Kant als Lateiner
Graeculus am 9.11.08 um 18:09 Uhr (Zitieren) I
Das ist eine ganz späte Notiz Kants, so um 1800. Da litt er an Arteriosklerose oder Demenz, und - es ist traurig zu lesen - er weiß manchmal am Ende eines Satzes nicht mehr, wie er ihn angefangen hat.
Ich weiß nicht, ob das den Textbefund erklärt; jedenfalls leuchtet mir ein, dass er mit „sperarere“ den Hexameter zerstört.
Das „!“ könnte einfach den Imperativ betonen. Manche klassische (deutsche) Autoren setzen das gelegentlich mitten in den Satz. „In die Heimat zurück!, war sein sehnlichster Wunsch.“ (Dieses Beispiel habe ich jetzt mal erfunden.)

Vielleicht weißt Du etwas anderes? Laut Plebeius ist das ja ein Seneca-Zitat, und da es sich, wie ich von Dir belehrt worden bin, um einen Hexameter handelt, stammt es sicherlich aus einem der Dramen Senecas. Kennst Du zufällig die Stelle?
Re: Kant als Lateiner
Elisabeth am 9.11.08 um 18:16 Uhr (Zitieren)
Nee, ich nicht, aber Onkel Gugel:

Aeneis, 6. Buch:
'unde haec, o Palinure, tibi tam dira cupido?
tu Stygias inhumatus aquas amnemque seuerum
Eumenidum aspicies, ripamue iniussus adibis? 375
desine fata deum flecti sperare precando,
sed cape dicta memor, duri solacia casus.
nam tua finitimi, longe lateque per urbes
prodigiis acti caelestibus, ossa piabunt
et statuent tumulum et tumulo sollemnia mittent, 380
aeternumque locus Palinuri nomen habebit.'
Re: Kant als Lateiner
andreas am 9.11.08 um 18:25 Uhr (Zitieren)
Das Zitat findet sich bei Seneca:
epistulae morales, Liber IX, LXXVII (10)
Re: Kant als Lateiner
Graeculus am 9.11.08 um 18:25 Uhr (Zitieren)
Ah, Vergil, nicht Seneca.
Plebeius, mir graut vor Dir!

Nein, nicht wirklich. Er hat ja auch einen richtigen Kontext dazu zitiert, der freilich nicht in Hexametern ist. Also meine Vermutung: Seneca zitiert (in einem seiner Briefe) Vergil.
Re: Kant als Lateiner
Graeculus am 9.11.08 um 18:28 Uhr (Zitieren)
Danke, Andreas, jetzt ist alles klar.

Wie mögen die Menschen vor der Erfindung von Suchmaschinen solche Fragen beantwortet haben, als man noch alles im Kopf haben musste?
 
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