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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die Verzeihung (259 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 18.01.2024 um 13:38 Uhr (Zitieren)
Publilius Syrus, Sententiae M 71:
Multo turpius damnatur, cui in delicto ignoscitur.

Schlimmer wird ein Mann verurteilt, dem man seinen Fehl verzeiht.

(Publilius Syrus, Sprüche. Hrsg. v. Hermann Beckby. München 1969, S. 42 f.)

Psychologisch interessant. Da werden ihm nicht viele zustimmen. Aber es hat was.

Re: Die Verzeihung
Andreas schrieb am 18.01.2024 um 17:23 Uhr (Zitieren)
Aber es hat was

Was z. B.?

Die Bibel spricht von 7mal 77 (= immer) verzeihen.
Ohne Verzeihung ist Zusammenleben nicht möglich.
Verzeihung kann auch Besserung bewirken.
Re: Die Verzeihung
Γραικύλος schrieb am 18.01.2024 um 18:10 Uhr (Zitieren)
Ich denke, daß man die Erklärung dafür bei Nietzsche findet: Einem anderen zu verzeihen, ist eine sublime Art, sich über ihn zu stellen, ihn zu beschämen.
Re: Die Verzeihung
Andreas schrieb am 18.01.2024 um 19:40 Uhr (Zitieren)
Das meint Nietzsche. Man kann es auch anders sehen.
Die Frage ist: Was heißt verzeihen eigentlich?
Wird damit wirklich alles gelöscht? Bleibt nicht immer irgendetwas zurück?
Wie fühlt sich das für beide Seiten an?
Für viele sind es leicht dahergesagte Worte, Formalismen, die nicht in die Tiefe gehen.
Kann eine Mutter dem Mörder ihres Kinder wirklich verzeihen o.ä.?
Oft glaubt auch der, dem verziehen wurde, nicht wirklich an die Verzeihung.

Hast du persönlich so etwas schon mal erlebt?
Wie gehst du mit solchen Erlebnissen um?
Re: Die Verzeihung
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 18.01.2024 um 21:17 Uhr (Zitieren)
Was für ein blöder Quatsch, den Herr Nietzsche (mal wieder) da von sich gibt.
Der Vater, vom verlorenen Sohn kniefällig um Verzeihung gebeten, stellt sich nicht über ihn, sondern hebt ihn auf, zu sich herauf. Er stand vielleicht über ihm, aber im Akt der Vergebung gleicht er diesen Unterschied aus, macht ihn so nichtig wie die Schuld.

Und wenn Herr Nietzsche an seiner Stelle sich davon beschämt fühlte, ist das sein, und nur sein Problem, wie so vieles, was er aus seiner Sucht, nur ja dem liebevollen Vatergott am Zeuge zu flicken, abgesondert hat. Aber wahrscheinlich kein Wunder, wenn man mit 3 bigotten Damen des 19. Jhs. aufgewachsen ist.

Sorry for the rant ...
Re: Die Verzeihung
Γραικύλος schrieb am 18.01.2024 um 22:22 Uhr (Zitieren)
Das Kontraintuitive des Spruchs besteht ja darin, daß wohl jeder, unter Anklage stehend, die Verzeihung der Verurteilung vorziehen wird.
Was also kann Publilius Syrus gemeint haben? Ein anderer Verständnisansatz als der von Nietzsche fällt mir nicht ein: daß es demütigend ist, auf Verzeihung angewiesen zu sein.
Daß selbst der verzeihende Vater 'von oben herab' verzeiht, ergibt sich ja schon daraus, daß er - und nicht der Sohn - die Entscheidung trifft.
Re: Die Verzeihung
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 18.01.2024 um 22:52 Uhr (Zitieren)
Notabene: der Vater läuft dem Sohn entgegen, ist das auch von oben herab? Er weiß noch gar nichts von dem, was sein Sohn ihm gleich sagen wird. Und woraus ersiehst Du, daß der verzeihende Vater sich dazu herabließe? Etwa, indem er seinen Sohn küßt?!

Nein, das ist eine der üblichen Nietzsche-Sottisen
Re: Die Verzeihung
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 18.01.2024 um 23:24 Uhr (Zitieren)
Der einzige in dem Gleichnis von der Vergebung / Verzeihung, der Grund zur Beschämung haben könnte, ist der Bruder das Heimgekehrten. Jener gönnt diesem nicht das Geschenk der Tilgung seiner Verfehlungen.
Vielleicht ist in den Augen Publilius' der Neid der Übrigen auf den, der Vergebung an Stelle seiner "gerechten" Strafe erlangt hat, ist der allgemeine Groll über die "Aushebelung" der strafenden Gesetze der schändlichere Schuldspruch.

Der Standpunkt Nietzsches kommt mir so vor wie der Mann, der seinem Scheidungsanwalt auf dessen begütigende Vorhaltung: "Bedenken Sie, Ihre Frau hat Ihnen vier Söhne geschenkt!" entgegnet: "Ich lasse mir nichts schenken!"

Re: Die Verzeihung
Aurora schrieb am 19.01.2024 um 08:33 Uhr (Zitieren)
Wer, wenn nicht der Verzeihende, muss denn die Entscheidung treffen?
Man kann niemanden zum Verzeihen zwingen.
Also geht es ohne "Herablassung", besser Entgegenkommen gar nicht.

Nietzsche war mehrfach geschädigt.
Seine Eltern waren der lutherische Pfarrer Carl Ludwig Nietzsche und dessen Frau Franziska, Tochter des Pfarrers David Ernst Oehler von Pobles


N. war ein sensibles, hochbegabtes, melancho- lisches Kind, dessen basale Mutterbeziehung früh gestört wurde


Ich kann mir gut vorstellen, wie er in dem religiösen Mief fast erstickt ist.

Nietzsche litt seit seiner Kindheit unter gesundheitlichen Problemen, u.a. Migräne, Depressionen, Schlafstörungen und Kurzsichtigkeit.
Re: Die Verzeihung
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 19.01.2024 um 11:22 Uhr (Zitieren)
daß es demütigend ist, auf Verzeihung angewiesen zu sein
Wieso angewiesen sein?

Die Grundlage dieses verqueren Ansatzes: Dieser Hochmut, Stolz, diese Selbstüberschätzung und -vergötterung kann es nicht zulassen, beschenkt zu werden, es kränkt ihn, etwas wie Vergebung annehmen zu müssen. Denn er selbst müßte sich vorher dazu bringen, einen Fehler, ein Vergehen, Verbrechen zuzugeben, müßte sich und dem Richter oder Opfer seiner Tat eingestehen, daß er - unmöglich und horribile dictu - eben nicht der Übermensch ist.
Und das kann nur im Irrsinn, in der Umnachtung enden ...
Re: Die Verzeihung
Γραικύλος schrieb am 19.01.2024 um 12:03 Uhr (Zitieren)
Ein Angeklagter - und wir reden ja immer noch über eine Situation vor Gericht - ist nun einmal auf Verzeihung (Gnade) angewiesen.

Eben fällt mir noch eine andere Bemerkung Nietzsches ein zum jetzigen Thema ein, die ich für nachdenkenswert halte: Das Christentum begehe den psychologischen Fehler, daß man seinen Richter nicht zugleich lieben könne.
(Das erfordert in der Tat schon eine gehörige Portion Masochismus.)
Re: Die Verzeihung
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 19.01.2024 um 13:17 Uhr (Zitieren)
Auch hier irrt der Dichter ... (N.)
Masochismus ist allerdings ein recht ausgeprägter Wesenszug des Menschen N., sehr im Widerspruch zu seinen Allmachtsphantasien ...

Und der Angeklagte ist Empfänger eines Urteils, das kann auf Strafe, aber auch auf Freispruch lauten. Da ist keine Verzeihung im Spiel.
Re: Die Verzeihung
Andreas schrieb am 19.01.2024 um 13:26 Uhr (Zitieren)
Vor Gericht gibt es keine Gnade. Es zählen die Gesetze und deren Anwendung.
Der Richter kann nur in deren Rahmen entscheiden und muss sein Urteil begründen.
"Gnädige" Richter nutzen Ermessensspielräume aufgrund von persönlichen Einschätzungen oder Gutachten.
Als Menschen kann man jeden Richter lieben, wenn er als solcher liebenwert ist.
Zudem macht auch er nur seinen Job wie Polizisten
u.a., auch die Unangenehmes tun müssen.
Re: Die Verzeihung
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 19.01.2024 um 13:48 Uhr (Zitieren)
Danke, Andreas.
Re: Die Verzeihung
Γραικύλος schrieb am 19.01.2024 um 14:06 Uhr (Zitieren)
Als Menschen kann man jeden Richter lieben, wenn er als solcher liebenwert ist.

Entschuldigung, aber das psychische Problem ist: Kann ein Mensch seinen Richter lieben?
Das ist es ja, was in christlicher Auffassung von uns erwartet wird, daß wir unseren Richter lieben.
Diese Erwartung hält Nietzsche für einen psychologischen Fehler; und in der Tat ist mir nie ein Mensch begegnet, dem das gelungen wäre. Heute ist es Standard, die Liebe/den Vater zu betonen und den Richter auszublenden.

Nein, jemanden zu lieben, dem man unterworfen ist, das erfordert schon Masochismus.

P.S.: Daß wir einem Menschen nur schwer verzeihen, daß er uns verzeihen mußte, habe ich kürzlich bei Gore Vidal gelesen ... der des Nietzscheanismus unverdächtig ist. Man braucht nur ein wenig Stolz.
Re: Die Verzeihung
Bukolos schrieb am 19.01.2024 um 14:17 Uhr (Zitieren)
Einer tiefgreifenden Persönlichkeitsanalyse Nietzsches auf der Grundlage der oben ihm zugeschriebenen Ansicht sollte vielleicht die Bemerkung vorangestellt werden, dass es sich dabei nicht um ein Zitat handelt.
Re: Die Verzeihung
Andreas schrieb am 19.01.2024 um 14:52 Uhr (Zitieren)
Nein, jemanden zu lieben, dem man unterworfen ist, das erfordert schon Masochismus.

Auch das gilt nicht generell. Es kommt auf die Art an, wie die Unterwerfung zu leisten ist.

In der Antike gab es Sklaven, die ihren Herrn liebten.
Natürlich solche, die "human" waren.

vgl: Philemon-Brief:
https://de.wikipedia.org/wiki/Brief_des_Paulus_an_Philemon

In den Pastoralbriefen ist immer die Liebe gefordert, auch im Umgang mit Untergebenen.
Oder hier:

"Bleibt niemand etwas schuldig; nur die Liebe schuldet ihr einander immer." (Röm, 13)
Re: Die Verzeihung
Γραικύλος schrieb am 19.01.2024 um 14:53 Uhr (Zitieren)
Das stimmt, es handelt sich um ein Extrakt aus meiner Nietzsche-Lektüre. Ein Zitat müßte ich noch suchen.
Ich wollte einen Gedanken einbringen, der die Sentenz des Publilus Syrus verständlicher macht.
Re: Die Verzeihung
Γραικύλος schrieb am 19.01.2024 um 14:55 Uhr (Zitieren)
In der Antike gab es Sklaven, die ihren Herrn liebten.

Sklaven, ja. Kannst Du Dir einen griechischen Bürger vorstellen, der diesen Standpunkt vertritt?
Re: Die Verzeihung
Andreas schrieb am 19.01.2024 um 17:01 Uhr (Zitieren)
Schwerlich, aber warum nicht?
Liebevolle Beziehungen sind immer und überall möglich. Die Liebe kennt keine Grenzen.
Aber "Angst essen Seele auf" und wohl auch die Liebesfähigkeit."

Neulich las ich in einem Forum diesen Satz:
"Liebesfähig zu werden ist das Ziel des Lebens."


 
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