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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die griechische Sprache (145 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 04.02.2024 um 00:36 Uhr (Zitieren)
Humphrey Davy Findley Kitto: Die Griechen:
[...] Zunächst verfügt die griechische Sprache wie ihre lateinische Verwandte über ein hochentwickeltes Flexionssystem und eine ausführliche und verfeinerte Syntax, und je weiter man in ihrer Geschichte zurückgeht, um so weiter ist die Flexion ausgebaut, um so feiner (in mancherlei Hinsicht) ist die Syntax. Die griechische Syntax ist vielfältiger und sehr viel weniger streng als die lateinische, wie der Anfänger in den klassischen Sprache – je nach Temperament – zu seiner Freude oder seinem Kummer bald herausfindet. So entspricht es dem Wesen der griechischen Sprache, nicht nur die Beziehung zwischen den einzelnen Gedanken mit äußerster Genauigkeit auszudrücken, sondern auch den rationalen und gefühlsmäßigen Inhalt aufs feinste zu nuancieren.

Eine Folge von alledem geht unsere augenblickliche Untersuchung noch mehr an – es sei denn, daß es gar keine Folge, sondern selbst eine Ursache ist -, nämlich der periodische Stil. Wenn eine komplexe Aussage zu machen ist, die aus einem oder mehreren Hauptgedanken und einer beliebigen Menge erklärender und ausführender Gedanken besteht, dann kann (und wird normalerweise) das Ganze sowohl im Griechischen wie im Lateinischen mit vollständiger Klarheit in einem einzigen Satz ausgedrückt, d.h. beide Sprachen haben eine ausgesprochen architektonische Eigenschaft. Die Römer scheinen den periodischen Stil durch schiere Entschlossenheit zustande gebracht zu haben; die Griechen waren damit geboren.

Die griechische Sprache hat nicht nur sehr viel mehr Möglichkeiten, eine untergeordnete Konstruktion einzufügen – so hat das regelmäßige griechische Verbum zehn Partizipien (wenn ich recht gezählt habe), das lateinische nur drei -, sondern sie ist auch mit kleinen Wörtern, Partikeln und Konjunktionen wohl versehen, die in Paaren oder Rudeln daherkommen und deren einzige Aufgabe es ist, die Struktur zu verdeutlichen. Sie dienen sozusagen als Straßenschilder. –

Der Leser wird selbst oft in die folgende Verlegenheit geraten sein: Beim lauten Vorlesen eines englischen Satzes läßt er seine Stimme abfallen unter dem Eindruck, daß der Satz nun zu Ende geht; aber an der kritischen Stelle findet er nicht einen Punkt, sondern ein Komma oder bestenfalls ein Semikolon, so daß er seinen Satz einige Worte vorher noch einmal aufnehmen und seine Stimme von neuem erheben muß, um weiterzulesen. Das könnte ihm im Griechischen nicht passieren, denn der griechische Autor würde an den Anfang das Wörtchen te gesetzt haben, das bedeutet: „Dieser Satz (oder dieser Teil meiner Konstruktion) wird wenigstens zwei koordinierte Glieder haben, und das zweite (oder die eventuell folgenden) wird als einfacher Zusatz erscheinen“; oder er schreibt das Wort men mit genau der gleichen Bedeutung, nur daß diesmal das zweite Glied und alle weiteren nicht eine Fortsetzung, sondern einen Gegensatz darstellen. Unsere Sprachen können das natürlich auch ausdrücken; wir können einen Satz beginnen: „Während einerseits ...“, aber das Griechische tut es mit größter Leichtigkeit instinktiv und immer.

Wir haben zwar keine direkten Niederschriften von Gesprächen der alten Griechen, aber es gibt Stellen bei den Dramatikern und Platon, in denen der Autor versucht, die Wirkung der unreflektierten täglichen Rede wiederzugeben, und in diesen ist ein recht ausführlicher periodischer Satzbau nicht ungewöhnlich. Und selbst wenn wir ihn nicht antreffen, so ist doch die Anordnung des griechischen Satzes immer vollkommen durchsichtig und unzweideutig, als ob der Grundriß des Gedankens und daher auch der des Satzes dem Sprecher aufgeleuchtet wäre, noch bevor er ihn überhaupt in Worte umzusetzen begann.

Es liegt im Wesen der griechischen Sprache, exakt, feinsinnig und klar zu sein. Der Mangel an Präzision und unmittelbarer Durchschaubarkeit, in die das Englische (1) manchmal abirrt und aus denen das Deutsche gelegentlich auftaucht, ist dem Griechischen völlig fremd. Ich behaupte nicht, daß es unmöglich sei, im Griechischen Unfug zu reden – das ist sehr wohl möglich -, aber die Tatsache, daß es Unfug ist, wird sofort offenbar. Das eigentliche Laster der griechischen Sprache ist nicht Unbestimmtheit und Verfilzung, sondern eine Art erschwindelter Klarheit, in der mit bestimmender Sicherheit Unterscheidungen gemacht werden, die es gar nicht gibt.

Der Geist eines Volkes drückt sich wahrscheinlich unmittelbarer in der Struktur seiner Sprache aus als in irgendeiner anderen seiner Schöpfungen; dieses feste Anpacken des Gedankens und seine saubere und sparsame Artikulierung aber finden wir in allen Werken der Griechen wieder. Mit dieser ernsten Klarheit und konstruktiven Kraft sind Empfindsamkeit, Geschmeidigkeit und nie versagende Anmut verbunden. [...]

(H. D. F. Kitto: Die Griechen. Berlin/Darmstadt/Wien 1967, S. 38-40)

(1) Wenn ich „Englisch“ sage, dann meine ich nicht das Englisch der Beamten, Politiker und wichtigen Leute, die Briefe an die Times schreiben. Mangel an Präzision wäre die Haupteigenschaft dieser Sprache, allein schon wegen ihres schwerfälligen Pomps und ihres kindlichen Vergnügens an törichten Metaphern. [Anm. Kitto]
Re: Die griechische Sprache
Γραικύλος schrieb am 04.02.2024 um 13:59 Uhr (Zitieren)
Der Mangel an Präzision und unmittelbarer Durchschaubarkeit, in die das Englische manchmal abirrt und aus denen das Deutsche gelegentlich auftaucht, ist dem Griechischen völlig fremd.

Ich bin nicht sicher, ob ich diesen Satz richtig verstehe. "in die" und "aus denen", nicht "in den" und "aus dem" steht da. Das Englische irrt manchmal in Präzision und unmittelbare Durchschaubarkeit ab?
Re: Die griechische Sprache
Γραικύλος schrieb am 04.02.2024 um 16:35 Uhr (Zitieren)
Hier die englische Originalversion, die ich als eindeutig empfinde:

The imprecision and the lack of immediate perspicuity into which English occasionally deviates and from which German occasionally emerges …
Re: Die griechische Sprache
Γραικύλος schrieb am 04.02.2024 um 16:37 Uhr (Zitieren)
Der Übersetzer - Harmut von Hentig - hätte den Nebensatz auf "Mangel" beziehen müssen.
 
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