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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Das Scheitern von Kommunikation (206 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 17.02.2024 um 01:50 Uhr (Zitieren)
Es gibt ein Problem, das die Philosophie und Literatur, zum Teil sogar die Malerei des 20. Jahrhunderts beschäftigt: das Scheitern der menschlichen Kommunikation.
Aus der Antike ist mir eine Auseinandersetzung mit diesem Problem nicht bekannt. Hatte sie es gar nicht, oder war es ihr nur nicht bewußt?
Hier sind jedenfalls Gedanken von mir dazu, angeregt durch ein Lied:

Den folgenden Textabschnitt habe ich dem Lied „Highlands“ von Bob Dylan aus dem Album „Time Out of Mind“ (1998) entnommen. Schon der Titel, aber auch der Inhalt beziehen sich auf das Gedicht „My Heart’s in the Highlands“ des schottischen Dichters Robert Burns. Für Dylan gewinnt der Name dieser von ihm geliebten schottischen Landschaft eine zusätzliche Bedeutung als Chiffre für das, was nach dem Leben kommt und was auch „Himmel“ genannt werden könnte. Darauf freut er sich, weil er das Leben als unzulänglich und unbefriedigend ansieht. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Scheitern von Kommunikation.

I‘m in Boston town
In some restaurant
I got no idea
What I want
Or maybe I do but
I’m just really not sure
Waitress comes over
Nobody in the place but me and her

Well, it must be a holiday
There’s nobody around
She studies me closely
As I sit down
She got a pretty face
And long white shiny legs
I said, tell me what I want
She said, you probably want hard boiled eggs

I said, that‘s right
Bring me some
She says, we ain’t got any
You picked the wrong time to come
Then she says, I know you’re an artist
Draw a picture of me
I said, I would if I could but
I don’t do sketches from memory

Well, she’s near, she says, I‘m right here in front of you
Or haven’t you looked?
I say, alright, I know but I
Don’t have my drawing book
She gives me a napkin
She says, you can do it on that
I say, yes, I could but
I don’t know where my pencil is at

She pulls one out
From behind her ear
She says, alright, now go ahead
Draw me, I’m stayin‘ right here
I make a few lines
And I show it for her to see
Well, she takes the napkin and throws it back and says
That don’t look a thing like me

I said, o kind Miss,
It most certainly does
She said, you must be joking
I said, I wish I was
And she says, you don’t read women authors, do you?
At least that’s what I think I hear her say
Well, I say, how would you know
And what would it matter anyway?

Now she says, you just don’t seem like you do
I said, you’re way wrong
She says, which ones have you read then?
I said, read Erica Jong
She goes away for a minute
And I slide out - out of my chair
I step outside back to the busy street
But nobody’s goin‘ anywhere

Hier treten alle mir bekannten Arten des Scheiterns der Kommunikation zwischen zwei Menschen auf. Daß es sich im vorliegenden Fall um Mann und Frau handelt, ist sicher kein Zufall, denn diese Art von Beziehung ist ja von besonderer Bedeutung.

Der Sprecher kennt das Restaurant offenbar nicht, in das er hineingeraten ist, und dementsprechend auch nicht die Kellnerin, die dort arbeitet. Eine hübsche Kellnerin übrigens, die ihn auch noch genau mustert, mithin Interesse zeigt. Dennoch ... Es begegnen sich zwei einander Unbekannte, und sie begegnen sich zunächst auf beruflicher Ebene. Ungewöhnlich ist, daß der Erzähler nicht weiß, was er dort will. Etwas essen, das liegt in einem Restaurant nahe, aber was?

Ich weiß nicht, was ich eigentlich will, das ist der erste Punkt; er weiß, genau genommen, nicht einmal, ob er es nicht weiß. Wir wissen vieles nicht über uns selbst.

Also verlagert er die Aufgabe an einen anderen, an die Frau. „Was können Sie mir empfehlen?“ wäre in diesem Fall eine zu erwartende Frage. Aber nein, er sagt: „Sagen Sie mir, was ich will!“ Da spricht offenbar die vollkommene Hilflosigkeit.

Die Kellnerin äußert eine Vermutung, was er will, und er stimmt ihr zu. Doch sieh an, genau das ist gerade nicht im Angebot. Da befinden wir uns schon (Punkt 2) in einer kommunikativen Sackgasse: Der Wunsch entspricht nicht den gegebenen Möglichkeiten.

Die Kellnerin sucht und findet scheinbar einen Ausweg aus dieser Sackgasse, indem sie eine Vermutung über die Person ihres Gegenübers anstellt, also vom Essen absieht und sich auf eine andere, persönliche Ebene begibt. „Ich nehme an, Sie sind ein Künstler.“ Da liegt sie, wenn wir an Bob Dylan denken, nicht ganz falsch. Ein so bekannter Künstler, daß es auch möglich gewesen wäre, sie hätte ihn erkannt; hat sie jedoch offenbar nicht. Aber sie geht in ihrer Vermutung weiter und schätzt ihn als Maler oder Zeichner ein. Nun hat Bob Dylan auch gemalt und schon einige Kunstausstellungen bestückt (Letzteres 1998 wohl noch nicht), aber der Angesprochene ist zumindest mit dem aus dieser Zuordnung resultierenden Wunsch, nämlich daß er sie zeichnen soll, alles andere als glücklich. Damit sind wir bei Punkt 3: Interesse ist vorhanden, aber das, was uns dieses Interesse ansinnt, ist uns unbehaglich. Nicht unmöglich, wie in Punkt 2, sondern unangenehm. Mögen wir die Herausforderung nicht, die Bewährungsprobe? Dabei will sie doch nur wissen, wie er sie sieht - ein verständliches Anliegen.

Ab jetzt sucht der Erzähler Ausflüchte – Ausflüchte, die ans Absurde grenzen. Ich zeichne nicht aus dem Gedächtnis. – Aber ich stehe doch direkt vor Ihnen! Dann: kein Zeichenblock, kein Stift, es hilft alles nichts, er muß zeichnen. Um die Bewährungsprobe kommt er nicht herum. Aber Punkt 4: das Ergebnis der Bemühung gefällt ihr nicht.

Und nun wird die Stimmung merklich gereizt, vorwurfsvoll. Damit betreten wir (Punkt 5) endgültig die hochkritische Phase der Kommunikation. Er widerspricht, sie insistiert ... und wechselt das Thema. „Sie lesen keine weiblichen Autoren“, das soll wohl heißen: Sie verstehen nichts von Frauen, haben kein tieferes Interesse an ihnen! Er widerspricht seinerseits und weist schon die Frage als Zumutung zurück. Sie unterstellt ein Ausweichen und stellt beharrlich eine Prüfungsfrage.

Diejenige Autorin, die er dann nennt, Erica Jong, ist bekannt für erotische Romane und damit vermutlich nicht das, was die Kellnerin sich unter Frauenliteratur vorstellt. Punkt 6: Prüfung nicht bestanden, Interesse erloschen. Sie geht weg, er verläßt das Restaurant, betritt die geschäftige Straße, auf der aber niemand irgendwohin geht. Er ist einsamer als zuvor. Sie vermutlich ebenfalls.

Würde auf den Bildern von Edward Hopper gesprochen, dann hätten wir dieses Gespräch vernehmen können. Geradezu eine Orgie des Aneinander-Vorbeiredens.

Die Konsequenz aus all dem zieht Dylan an späterer Stelle der Ballade:

The party is over
And there’s less and less to say
I got new eyes
Everythin’ looks far away

Es gibt angesichts dieses Scheiterns von Kommunikation immer weniger zu sagen, und die Welt schaut – mit gleichsam neuen Augen – aus wie durch ein umgedrehtes Opernglas gesehen. Deswegen sehnen wir uns, sehnt jedenfalls er sich nach den Highlands:

Well, my heart‘s in the Highlands
At the break of day
Over the hills and
Far away
There’s a way to get there
And I’ll figure it out somehow
But I‘m already there in my mind
And that’s good enough for now

In gewisser Weise ist er nicht völlig unzufrieden oder gar verzweifelt; aber das liegt nicht an der menschlichen Kommunikation, sondern an der Ahnung der Highlands, dem Vertrauen auf eine künftige, bessere Welt. Wie Willy DeVille einmal sagte: „Es muß eine bessere Welt geben, sonst wäre es hier unerträglich.“
 
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