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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Dialog zwischen Herakles und Atlas #1 (363 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 13.10.2024 um 00:06 Uhr (Zitieren)
Giacomo Leopardi:
HERKULES: Vater Atlas, Jupiter schickt mich zu dir; ich soll dir seine Grüße bringen und dir, falls du müde bist, deine Last für ein paar Stunden abnehmen, wie ich es schon einmal vor ich weiß nicht wie vielen Jahrhunderten getan habe, damit du Atem schöpfen und dich ein wenig ausruhen kannst.

ATLAS: Ich danke dir, lieber kleiner Herkules, und bin auch Jupiters Majestät sehr verbunden. Doch ist die Welt so leicht geworden, daß mich dieser Mantel, den ich zum Schutze gegen den Schnee trage, mehr drückt als sie, und wenn es nicht Jupiters Wille wäre, daß ich hier stehe und diese Kugel auf dem Rücken trage, so würde ich sie unter den Arm nehmen oder in die Tasche stecken oder an einem Haar meines Bartes aufhängen und meiner Wege gehen.

HERKULES: Wie kommt es, daß sie soviel leichter geworden ist? Ich sehe schon, daß sie ihre Form verändert hat und wie ein Brotlaib aussieht und nicht mehr so rund ist wie damals, als ich die Kosmographie studierte, um die große Seefahrt mit den Argonauten zu unternehmen; ich sehe aber nicht ein, warum sie jetzt leichter sein soll als früher.

ATLAS: Den Grund weiß ich nicht. Aber von ihrer Leichtigkeit kannst du dich gleich jetzt überzeugen, du brauchst sie nur einen Augenblick in die Hand zu nehmen und ihr Gewicht zu prüfen.

HERKULES: Beim Herkules, ohne diesen Versuch hätte ich es nie geglaubt. Aber was ist das für eine andere Neuheit? Das letzte Mal, als ich sie trug, klopfte sie mir so stark auf den Rücken wie das Herz eines Tieres und summte wie ein Wespennest. Und jetzt klopft sie so wenig wie eine Uhr, deren Feder gebrochen ist, und auch vom Summen vernehme ich nichts mehr.

ATLAS: Auch dazu kann ich dir nicht mehr sagen, als daß es schon sehr lange her ist, seit die Welt keine Bewegung und keine wahrnehmbaren Geräusch mehr macht: ich hegte den dringenden Verdacht, sie sei gestorben, und erwartete täg-lich, daß sie mich mit ihrem Gestank verpesten würde; ich überlegte, wie und an welchem Ort ich sie begraben und was für eine Grabinschrift ich ihr setzen könnte. Als ich dann aber feststellte, daß sie nicht verweste, kam ich zum Schluß, sie müsse sich aus dem Tier, das sie früher war, in eine Pflanze verwandelt haben wie Daphne und viele andere, und daher komme es, daß sie sich nicht mehr bewegt und atmet: und ich fürchte, daß sie mir bald ihre Wurzeln in die Schultern schlagen wird.

HERKULES: Ich glaube eher, sie schläft wie Epimenides, der ein halbes Jahrhundert und länger schlummerte, oder wie Hermotimos, von dem man erzählt, seine Seele habe, sooft er es wollte, seinen Körper verlassen und sei viele Jahre draußen geblieben, sie habe sich in verschiedenen Ländern zum Vergnügen aufgehalten und sei dann zurückgekehrt, bis seine Freunde, um dem Spiel ein Ende zu machen, den Körper verbrannten, so daß der Geist, als er zurückkehrte, sein Haus zerstört fand und, wenn er unter einem Dach hätte wohnen wollen, gezwungen gewesen wäre, ein anderes zu suchen oder ins Wirtshaus zu gehen. Damit aber die Welt nicht ewig schläft und nicht einer ihrer Freunde und Wohltäter sie anzündet in der Meinung, sie sei tot, wollen wir sehen, ob es uns nicht gelingt, sie aufzuwecken.

(Leopardi: Gesänge, Dialoge und andere Lehrstücke. Hrsg. v. Hanno Helbling und Alice Vollenweider. München 1978, S. 283-287)
Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
Γραικύλος schrieb am 13.10.2024 um 00:20 Uhr (Zitieren)
Dieser Dialog erinnert mich dermaßen stark an Lukian, daß ich vermute, auch Leopardi hatte ihn als Vorbild vor Augen.
Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
Udo schrieb am 13.10.2024 um 12:58 Uhr (Zitieren)
Netz-Auskunft:
Leopardis Verwendung des lukianischen Stils in den "Operette morali" ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie klassische literarische Traditionen in der modernen Literatur fortleben und transformiert werden. Er nutzte Lukians Techniken, um seine eigenen, oft pessimistischen Ansichten über die moderne Welt und die menschliche Existenz zu artikulieren.

Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
filix schrieb am 13.10.2024 um 13:02 Uhr (Zitieren)
Ist, dass die Freunde den Körper des Hermotimos von Klazomenai, während seine Seele auf Vergnügungsreise geht, verbrennen, eine Erfindung Leopardis? Bei Plinius Nat. Hist. 7,174 sind es inimici, quae cantharidae vocabantur.

Demnächst soll übrigens der erste Band des Zibaldone als Teil einer vollständigen Übertragung bei Matthes & Seitz erscheinen:

https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/zibaldone.html
Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
Γραικύλος schrieb am 13.10.2024 um 16:16 Uhr (Zitieren)
Plutarch gen. Socr. (Moralia 592 CD) bringt die Attacke - in etwas unklarer Weise - mit der Frau des Hermotimos in Verbindung und erst danach mit Feinden.
Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
filix schrieb am 13.10.2024 um 20:44 Uhr (Zitieren)
Nach Tertullian De anima 44 hat die Frau seinen Feinden verraten, dass Hermotimos' Seele nachts ohne ihren Körper unterwegs ist, worauf sie diesen verbrennen (als handle es sich um einen Leichnam). Der perfekte Mord sozusagen, für den sich die verspätet heimkehrende Seele auch noch selbst verantwortlich macht.

Ceterum de Hermotimo. Anima, ut aiunt, in somno carebat, quasi per occasionem uacaturi hominis proficiscente de corpore. Vxor hoc prodidit. Inimici dormientem nacti pro defuncto cremauerunt. Regressa anima tardius, credo, homicidium sibi imputauit. Ciues Clazomenii Hermotimum templo consolantur. Mulier non adit ob notam uxoris.


Sonst konnte ich keine Stellen entdecken, wonach es wie bei Leopardi seine Freunde gewesen wären.

Bei den heimtückischen cantharidae, die Plinius nennt, handelt es sich übrigens eher nicht um einen tierischen Schimpfnamen:

The Greek word κάνθαρος (kantharos) means "cup", and so the Cantharidae may have been members of a rival Dionysiac club (Bremmer, The Early Greek Concept of the Soul, 1983, 42); but it also signifies the scarab, which had strong associations with the soul in Egypt and so may refer to an Egyptian cult.
(Pliny the Elder, Tyler T. Travillian (ed.): The Natural History Book VII (with Book VIII 1-34), Bloomsbury Academic 2015, S. 207)




Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
Γραικύλος schrieb am 13.10.2024 um 23:44 Uhr (Zitieren)
Mir fällt auf, daß Leopardi an dieser Stelle etwas ironisch wird ("oder ins Wirtshaus zu gehen"); möglicherweise ist auch das mit den "Freunden" so zu verstehen.
Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
Bukolos schrieb am 14.10.2024 um 16:40 Uhr (Zitieren)
Leopardi selbst gibt als seine erste Quelle den Paradoxographen Apollonios an.* Der spricht zwar auch nicht ausdrücklich von Freunden, aber doch neutral von "irgendwelchen Leuten, die ins Haus kamen und dem Frauchen mit Bitten zusetzten."** Leopardi mag geschlossen haben, dass, wenn jemand in Abwesenheit des Hausherrn ein griechisches Haus betreten und mit der Frau sprechen durfte, dies höchstens ein Freund desselben sein konnte.

* Operette morali, 2. Aufl., Florenz 1834, S. 282 oben
https://books.google.de/books?id=Q0nxrS5Y41YC&pg=PA282

** τοῦτο δὲ αὐτοῦ πολλάκις ποιοῦντος καὶ τῆς γυναικὸς ἐντολὰς ὑπ᾽ αὐτοῦ ἐχούσης, ὅτε μέλλοι χωρίζεσθαι, μηδένα θίγειν τοῦ σωματίου μηδέ τινα τῶν πολιτῶν μηδ' ἄλλον ἀνθρώπων, εἰσελθόντες τινὲς εἰς τὴν οἰκίαν καὶ ἐκλιπαρήσαντες τὸ γύναιον ἐθεώρησαν χαμαὶ κείμενον γυμνὸν τὸν Ἑρμότιμον ἀκίνητον.
https://books.google.de/books?id=ors-AAAAcAAJ&pg=PA104[/sub]
Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
Γραικύλος schrieb am 14.10.2024 um 18:57 Uhr (Zitieren)
Das beantwortet filix' Frage. Danke.
Re: Dialog zwischen Herakles und Atlas #1
filix schrieb am 14.10.2024 um 23:02 Uhr (Zitieren)
Danke auch von mir. Die Ironie ist mir nicht entgangen, motivisch betrachtet bleibt die Sache jedoch merkwürdig - per finire questa canzone legt für mich nahe, dass sie - wie Feinde - über die Vorgänge Bescheid wissen, also wissentlich seinen der Rückkehr der Seele harrenden Körper vernichten, während in che qualche amico o benefattore, pensando che egli sia morto non gli dia fuoco angedeutet wird, die Einäscherung (nunmehr der Welt) beruhe auf der irrtümlichen Annahme des schon eingetretenen Todes. Das berührt ja die Ironisierung eigentlich nicht, dass das schöne "Freunde" und "Wohltäter" sind, die so handeln.
 
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