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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Ein ethischer Konflikt und die Strafe (1090 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 20.07.2010 um 12:29 Uhr (Zitieren)
Krachend zerbarst auf dem Meere ein Schiff. Da rangen der Männer
zwei um ein Brett; nur eins bot sich den Streitenden dar.
Und Antagoras schlug den Peisistratos. Will man es tadeln?
Lief nicht sein Leben Gefahr? Dennoch, die Strafe war wach:
νῆχε δ' ὁ μὲν, τὸν δ' εἷλε κύων ἁλός. ἦ παναλάστωρ
Κηρῶν οὐδ' ὑργῷ παύεται ἐν πελάγει.

(Anthologia Graeca IX 269; Antipatros von Thessalonike)
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Ὑληβάτης schrieb am 20.07.2010 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Es schwamm dieser, jenen aber ergriff die Salzwoge. Wahrlich, die Allrächerin der Keren (Todesdämonen) endet nicht einmal auf dem feuchten Meer.
Bei dem παναλάστωρ Κηρῶν bin ich mir noch ganz unsicher.

Zu den Keren ist folgende Seite interessant:
http://www.theoi.com/Daimon/Keres.html

Daraus folgender Satz:
The Keres had no absolute power over the life of men, but in their hunger for blood would seek accomplish death beyond the bounds of fate.
(Übrigens findet sich dort auch eine Verbindung zu Pandora!)

Wie Du schon angedeutet hast, Γραικίσκος, ist es doch merkwürdig, dass der ethische Konflikt, der die möglichen Ausgänge (Leben vs. Tod) für jeden der Beteiligten auf genau eine Möglichkeit beschränkt, keine Rettung bietet, weil eine moralische Instanz eben den Sieger bestraft.
Oder liegt der Teufel im Detail? "Und Antagoras schlug den Peisistratos."
Oder wäre die "moralischere" Wahl auf die heldenhafte Überlassung des Bretts hinausgelaufen?

Die Ker "bestraft" hier den Sieger des "Wettbewerbs", d.h. sie wird so dargestellt, dass sie das, was das Schicksal eingefädelt hat, (könnte man meinen, aber ich bin mir noch nicht so ganz sicher) durchkreuzt.
Da bleibt ein Fragezeichen, oder?
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 21.07.2010 um 10:29 Uhr (Zitieren)
παναλάστωρ : im Englischen gut auszudrücken:
all-avenging, Anth. (Middle Liddell)
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Γραικίσκος schrieb am 21.07.2010 um 11:13 Uhr (Zitieren)
Heißt "κύων ἁλός" nicht: Seehund?
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Γραικίσκος schrieb am 21.07.2010 um 11:30 Uhr (Zitieren)
Salzhund ...
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 21.07.2010 um 11:42 Uhr (Zitieren)
Ich glaube Ὑληβάτης hat´s mit κῦμα verwechselt
;-)
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 21.07.2010 um 11:45 Uhr (Zitieren)
κύων ἁλός könnte auch ein im Salzmeer lebender Seefisch, z.B. Schwertfisch sein...
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 21.07.2010 um 11:46 Uhr (Zitieren)
....oder sonstige Meeresungeheuer (siehe PAPE unter κύων)
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Ὑληβάτης schrieb am 22.07.2010 um 20:21 Uhr (Zitieren)
Hups. Velwechsert. Ich habe aber auch gar nicht an ein Tier gedacht; "Welle" passte so gut.
Sind Seehunde eigentlich gefährlich? ;)
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 22.07.2010 um 21:25 Uhr (Zitieren)
Der "Salzhund" gefällt mir gut, erinnert irgendwie an Salzhering ... B-)

Die Geschichte über Antagoras und Peisistratos ist wirklich hart. Ich habe mir überlegt, dass die Ker den Sieger bestraft, weil es bei ethischen Konflikten keinen wirklichen Sieger geben kann oder darf.
Stellen wir uns vor, Antagoras hätte überlebt: Hätte er sich nicht sein ganzes Leben lang schuldig gefühlt? Wie hätte er mit dieser Schuld weitergelebt?
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Γραικίσκος schrieb am 22.07.2010 um 21:39 Uhr (Zitieren)
Aus der Sicht des Schuldgefühls ist das tatsächlich die optimale Lösung: Der Sieger stirbt, der Besiegte überlebt.
Aber man wird ja daraus nicht die Norm ableiten können: Verzichte auf dein Leben, dann wirst du es behalten.
Ein antiker Mensch konnte immerhin in dem Resultat noch das Wirken göttlicher Kräfte sehen; aber seit man im 19. Jhdt. einmal gezählt hat, ob betende Menschen im Vergleich zu nicht-betenden bei Schiffsunglücken bessere Überlebensaussichten haben (Befund: negativ), geht das doch nicht mehr so durch. Oder?
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 26.07.2010 um 10:54 Uhr (Zitieren)
Oh, so hatte ich das nicht gemeint. Der Besiegte hat ja eben nicht überlebt, und das - so meine ich - ist doch das Problem des Siegers: Wäre das Brett groß genug für beide gewesen, hätte es (wahrscheinlich) keinen Kampf gegeben.
Für mich ging es nicht darum, eine Norm abzuleiten, sondern ich habe die Ker lediglich als Sinnbild verstanden: Über einem solchen Sieg liegt immer der Schatten des Todes eines anderen Menschen; für mich symbolisiert die Ker diesen Schatten (oder auch das Schuldgefühl).
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Γραικίσκος schrieb am 26.07.2010 um 11:47 Uhr (Zitieren)
Aber der im Kampf um das Brett Besiegte hat überlebt - er schwamm; der Sieger fiel den 'Salzhunden' zum Opfer. Der moralische Sinn dieser Geschichte scheint ein etwas anderer zu sein.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 26.07.2010 um 12:19 Uhr (Zitieren)
Äh, moment, "der im Kampf um das Brett Besiegte hat überlebt"? Ich dachte er sei von A. erschlagen worden. - Da steht "schlug" - A. hat den S. demnach "nur verprügelt" bis er das Brett hatte, er hat ihn nicht umgebracht? Dann geht die Geschichte ganz anders, als von mir angenommen...
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 26.07.2010 um 12:21 Uhr (Zitieren)
"... Antagoras schlug den Peisistratos. ..."
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 26.07.2010 um 12:25 Uhr (Zitieren)
... muss es natürlich heißen.

Meine Internetverbindung ist heute total instabil, das macht mich ganz madig :-(
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Γραικίσκος schrieb am 26.07.2010 um 12:33 Uhr (Zitieren)
Ja, der Besiegte hat überlebt: νῆχε δ' ὁ μὲν. Er war nur geschlagen, nicht erschlagen worden.
Darauf beruhte dann meine Interpretation: Der Sieger stirbt, der Besiegte überlebt usw.
Das macht die moralische Situation sehr kompliziert, denn der Sieger hat zwar den Tod des anderen in Kauf genommen, aber letztlich seine Rettung bewirkt.
Ich weiß nicht, ob ich's übertreibe, wenn ich sage, daß, so wie Ödipus schuldlos schuldig wurde, dieser Mann hier schuldhaft unschuldig war.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 26.07.2010 um 12:44 Uhr (Zitieren)
Das hatte ich völlig überlesen: "es schwamm dieser" - das ergibt natürlich einen ganz anderen Sinn! Das muss ich erstmal verdauen!

"schuldhaft unschuldig" klingt zwar paradox, aber gut möglich ist das schon: wenn ich jemand Übles antue, fällt es auf mich selbst zurück (in Form der Salzhunde ;-) ) und rettet jenen.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Ὑληβάτης schrieb am 26.07.2010 um 17:23 Uhr (Zitieren)
Das könnte unser Richterspruch sein: "schuldhaft unschuldig". ;-)
Vergeht moralische Schuld eigentlich, wenn der andere, an dem man schuldig geworden ist, trotzdem überlebt? (Oder ist der Knackpunkt, dass er evtl. gerade deswegen überlebt?)

Ich möchte noch auf Droste-Hülshoffs Ballade "Die Vergeltung" hinweisen.
Ein Überlebender sorgt für den Tod eines anderen, um den rettenden Balken zu bekommen, muss dann aber letztlich am selben Balken sterben. Da geht es mehr um eine "kosmische Gerechtigkeit", die das begangene Unrecht ausgleicht.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Γραικίσκος schrieb am 26.07.2010 um 19:22 Uhr (Zitieren)
Mich persönlich interessiert, ob es eine Art Karma in der Welt gibt - einen Zusammenhang zwischen dem, was wir tun, und dem, was uns widerfährt. "δράσαντι παθεῖν", zitiere ich aus dem Gedächtnis Aischylos, um das Gefühl zu entschärfen, es ginge hier bloß um einen indischen Gedanken.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
ανδρέας schrieb am 26.07.2010 um 20:04 Uhr (Zitieren)
Ja und nein, denke ich.
Damit sollte man vorsichtig sein. So kann man Leuten natürlich auch einen Schuldkomplex einreden. Es gibt eine Menge Leute, die schlimme Dinge getan haben und dann friedlich und glücklich ein lange Leben geführt haben, um dann ebenso friedlich und umsorgt im Bett zu sterben. Ich kann da keinen Zusammenhang sehen. Auch Leute, die gut waren, lebten und starben auf übelste Weise. Da hilft nur die Jenseitsvertröstung. Ich denke, derjenige, der sich konsequent nach seinen Bedürfnissen zweckorientiert verhält, hat wohl die tendenziell besten Chancen, das gewollte zu bekommen - ohne Garantie (deswegen hat die Ethik auch selten Anhänger, wenn es um die Wurst geht). Aber, ob das Karma ist?
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 27.07.2010 um 11:12 Uhr (Zitieren)
In extremen Situationen mit Bedrohung für Leib und Leben wird der Mensch zum Tier – nein, das wäre zu platt ...
Eine mögliche Erklärung haben die Neurobiologen parat: wenn der Mensch sich bedroht fühlt, setzt das „normale“ Denkvermögen aus, d.h. die Fähigkeit rationaler Überlegungen schwindet zugunsten eines „mandelkerngesteuerten“ Flucht- oder Kampfreflexes – es sei den jemand trainiert derlei Situationen, wie z.B. Polizisten. (oder man heißt James Bond ;-))
Folgt man dieser Argumentation, erscheint das „dumme“ Verhalten zwei Männer auf der Mondstation fast zwangsläufig. (Weil sie zu wenig auf alle Eventualitäten vorbereitet waren?)

Eine (zu?) einfache Erklärung; aber sie zeigt immerhin, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
ανδρέας schrieb am 27.07.2010 um 19:07 Uhr (Zitieren)

aber sie zeigt immerhin, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist.


Ja, das Gehirn arbeitet unter Stress nach dem Schema:
Freund oder Feind? (im Zweifel erstmal Feind)
Wenn Feind - Kämpfen oder Flucht?
Wenn Flucht unmöglich - Kämpfen.

Aber die Apollo 13 - Mission hat gezeigt, dass der Mensch durchaus auch unter Stress in der Lage ist, Probleme zu bewältigen. Dies ist aber auch eine Frage der Bildung, Erziehung und Ausbildung. Daher wird das richtige Personal ja auch ausgewählt, damit es für extreme Situationen vorbereitet werden kann. Eines kann ich aus Erfahrung sagen: wenn Leute in Panik handeln ist auch gutes Zureden nicht hilfreich - vor allem, wenn die Zeit knapp bemessen ist. Da gilt dann der Überlebensinstinkt.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 27.07.2010 um 20:54 Uhr (Zitieren)
Hoppla, ich sehe gerade, dass ich meinen Beitrag von heute morgen in den falschen Thread kopiert habe. Das sollte eigentlich bei "Mondnacht" stehen!

@ανδρέας: Was passiert, wenn Leute in Panik geraten, haben wir ganz aktuell in Duisburg gesehen...
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Γραικίσκος schrieb am 27.07.2010 um 21:53 Uhr (Zitieren)
Die Neurobiologie erweckt hier - wie andernorts - den Eindruck, daß es eine Verantwortung für Verhalten gar nicht mehr gibt, weil jedes Verhalten neurobiologisch zu erklären ist ... erklären in dem Sinne, daß es da neurophysiologische Ursachen gibt, welche ein bestimmtes Verhalten in bestimmten Situationen als zwangsläufige Wirkung mit sich führen.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
ανδρέας schrieb am 27.07.2010 um 21:59 Uhr (Zitieren)

Den deterministischen Ansatz der Neurobiologie kann ich nicht unterstützen und nicht akzeptieren.
Zwillinge entwickeln sich auch bei gleicher Umgebung nicht gleich. Trotz identischer biologischer Ausstattung entwickeln sie oft unterschiedliche Vorlieben, Hobbies und Denkweisen. Ein System ist mehr als die Summe seiner Teile. Der Mensch hat m.E. eine große Entscheidungsfreiheit. Wenn er sie nicht nutzt, sollte er sich nicht auf seine "Natur" berufen.
Da werden Staatsanwälte arbeitslos und der Biologe erklärt Verbrecher zu Opfern ...
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Πέγασος schrieb am 01.08.2010 um 08:26 Uhr (Zitieren)
Auch ich teile keineswegs den biologischen Determinismus. Neurobiologische Ansätze sind aber nicht zwangsläufig deterministisch. Darüber gibt es auch innerhalb des Faches große Kontroversen.

Ich meine: Entscheidungsfreiheit habe ich dann, wenn mehrere Handlungsalternativen zur Verfügung stehen, d.h. wenn ich diese - wie auch immer - gelernt habe. So kann ich die Neurobiologie und die Willensfreiheit gut unter einen Hut bekommen.

In Extremsituationen macht der Mensch dass, was er am besten kann: Dann ist die Willensfreiheit eingeschränkt (nicht alle Handlungsoptionen sind unter Stress verfügbar). Deshalb erhalten doch z.B. Astronauten eine so harte Ausbildung: Um in Extremsituationen einen klaren Kopf zu bewahren, also auf alle Handlungsoptionen zurückgreifen zu können.
Re: Ein ethischer Konflikt und die Strafe
Λυκόμαχος schrieb am 05.08.2010 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Das Gute, dieser Satz steht fest,
ist stets das Böse, das man läßt.
Wilhelm Busch

nicht was uns antreibt, sondern wem wir widerstehen...
soviel zum Determinismus
 
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