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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Marc Aurel über den Tod (212 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 03.01.2025 um 00:05 Uhr (Zitieren)
Marc Aurel, Τά εἰς ἑαυτόν XII, 31-36:
31. Was suchst du für das Leben? Zu wachsen, wieder aufzuhören? Vielmehr wahrzunehmen, Triebe zu haben? Die Sprache zu gebrauchen, zu denken? Was davon scheint dir begehrenswert? Wenn aber ein jedes nicht der Rede wert ist, wende dich zuletzt dahin, der Vernunft [λόγος] und Gott [θεός] zu folgen. Aber mit deren Ehrung streitet der Unwillen, daß man des Genannten durch den Tod beraubt sein wird.

32. Welch geringer Teil der unendlichen und gähnenden Ewigkeit ist jedem zugeteilt! Denn schnell verschwindet er im Ewigen. Welch geringer Teil der ganzen Substanz [οὐσία]! Welch geringer Teil der ganzen Seele [ψυχή]! Auf welch geringer Scholle der ganzen Erde gehst du! All dies bedenke und stell dir nichts als wichtig vor als zu handeln, wie deine eigene Natur [ἡ σὴ φύσις] es weist und zu leiden, wie die allgemeine Natur [ἡ κοινὴ φύσις] es bringt.

33. Welchen Gebrauch das Leitvermögen [τὸ ἡγεμονικόν] von sich macht. Denn an ihm liegt alles. Das übrige ist entweder von Willen abhängig oder, wenn nicht vom Willen abhängig, tot und Rauch.

34. Zur Verachtung des Todes weckt am meisten der Gedanke auf, daß auch diejenigen, die die Lust [ἡδονή] für ein Gut und den Schmerz für ein Übel hielten, ihn trotzdem verachteten (1).

35. Wenn das Rechtzeitige [εὔκαιρον] allein gut ist, und wem nach der rechten Vernunft mehr Taten oder weniger zu vollführen auf dasselbe herauskommt, und wem es gleichgültig ist, ob er die Welt längere oder kürzere Zeit betrachtet, dem ist auch der Tod nicht schreckhaft.

36. Mensch, du betätigtest dich als Bürger in dieser großen Stadt [πόλις - auch: ‚Staat‘]. Was macht es dir aus, ob fünf Jahre oder drei? Denn die Betätigung nach den Gesetzen [νόμοι] ist für jeden gleich. Was Schlimmes ist es also, wenn dich aus der Stadt wegschickt nicht ein Tyrann und nicht ein ungerechter Richter, sondern die Natur, die dich hineingeführt hat? Wie wenn einen Schauspieler der Prätor entläßt, der ihn in Dienst genommen hat. „Aber ich spielte nicht die fünf Akte, sondern die drei.“ Richtig, aber im Leben sind die drei das ganze Drama. Denn, was fertig ist, be-stimmt jener, der einmal für die Mischung [σύγκρισις], jetzt für die Auflösung [διάλυσις] verantwortlich ist. Du bist für beides nicht verantwortlich. Geh also heiter [ἵλεως] weg, denn auch der, der dich entläßt, ist heiter.

(Marc Aurel: Wege zu sich selbst. Herausgegeben und übertragen von Willy Theiler. Zürich 1951, S. 291-293)

(1) Anspielung auf die Philosophenschulen der Epikureer und Kyniker

Re: Marc Aurel über den Tod
βροχή schrieb am 03.01.2025 um 09:26 Uhr (Zitieren)
36
Das Leben als Bühne, eine unsterbliche Metapher :)
Re: Marc Aurel über den Tod
Γραικύλος schrieb am 03.01.2025 um 12:06 Uhr (Zitieren)
Ja, von Palladas und Shakespeare dankbar aufgenommen.
Re: Marc Aurel über den Tod
Patroklos schrieb am 03.01.2025 um 13:18 Uhr (Zitieren)
Hat das wirkliche Leben ebenfalls eine „vierte Wand“? Und wer wären die Zuschauer? Sie greifen nicht ein.
Re: Marc Aurel über den Tod
βροχή schrieb am 03.01.2025 um 14:53 Uhr (Zitieren)
Meine SF sagt dazu, wir bewohnen ein Terrarium im Kinderzimmer Gottes. Er bekam es von seinen Eltern zum Geburtstag geschenkt.








SF=Schwurbelfantasie
Re: Marc Aurel über den Tod
Γραικύλος schrieb am 03.01.2025 um 18:25 Uhr (Zitieren)
Abends kommt Gott-Mama und sagt: "Genug gespielt. Ab ins Bett!"
Re: Marc Aurel über den Tod
filix schrieb am 06.01.2025 um 21:50 Uhr (Zitieren)
Shakespeare hat es wahrscheinlich von Palladas und Marc Aurel die Metapher nicht erfunden, schon Pythagoras vergleicht das Leben mit der Teilnahme an Spielen und Seneca sagt Quomodo fabula (hier: Schauspiel), sic vita: non quam diu, sed quam bene acta sit, refert (ep. 77, 20). Wurzelt das Begriffspaar σύγκρισις/διάλυσις im Atomismus, als Konzepte der Rhetorik oder der Dramentheorie bringe ich sie nicht wirklich in der Passage unter?
Re: Marc Aurel über den Tod
Γραικύλος schrieb am 06.01.2025 um 22:42 Uhr (Zitieren)
Beschließt doch auch Augustus (Sueton 99) sein Leben mit dieser Metapher - sogar in Form einer Komödie und auf griechisch.
Re: Marc Aurel über den Tod
Bukolos schrieb am 07.01.2025 um 11:30 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 6.1.25, 21:50Wurzelt das Begriffspaar σύγκρισις/διάλυσις im Atomismus, als Konzepte der Rhetorik oder der Dramentheorie bringe ich sie nicht wirklich in der Passage unter?

Weshalb nicht eine Verschränkung beider Bildebenen annehmen? Es mag sein, dass Mark Aurel den Begriff σύγκρισις sonst (4, 5; 12, 24, 2) für die Verbindung von Elementarteilchen gebraucht und Aristoteles für die Zusammenstellung eines Dramenplots zunächst den Begriff σύστασις verwendet. Aber einerseits scheint die Rezeption seiner Poetik in der Antike so gering gewesen zu sein, dass von deren Terminologie damals wohl nicht die normative Wirkung ausging, die sie seit ihrer Wiederentdeckung in der Renaissance entwickelt hat; andererseits gibt es im Hinblick auf die διάλυσις durchaus engere Berührung mit der Poetik, wo es heißt:
ἔστι δὲ πάσης τραγῳδίας τὸ μὲν δέσις τὸ δὲ λύσις, τὰ μὲν ἔξωθεν καὶ ἔνια τῶν ἔσωθεν πολλάκις ἡ δέσις, τὸ δὲ λοιπὸν ἡ λύσις· λέγω δὲ δέσιν μὲν εἶναι τὴν ἀπ᾽ ἀρχῆς μέχρι τούτου τοῦ μέρους ὃ ἔσχατόν ἐστιν ἐξ οὗ μεταβαίνει εἰς εὐτυχίαν ἢ εἰς ἀτυχίαν, λύσιν δὲ τὴν ἀπὸ τῆς ἀρχῆς τῆς μεταβάσεως μέχρι τέλους· ὥσπερ ἐν τῷ Λυγκεῖ τῷ Θεοδέκτου δέσις μὲν τά τε προπεπραγμένα καὶ ἡ τοῦ παιδίου λῆψις καὶ πάλιν ἡ αὐτῶν <αἰτίασις>, λύσις δ᾽ ἡ ἀπὸ τῆς αἰτιάσεως τοῦ θανάτου μέχρι τοῦ τέλους.

Bestandteile jeder Tragödie sind Schürzung des Knotens und dessen Auflösung. Außerhalb des Stückes liegende Begebenheiten und manches, was im Stück liegt, bilden die Schürzung, das Übrige die Auflösung. Ich bezeichne als Schürzung das, was vom Anfang bis zu dem Teil geschieht, der die Grenze bildet, aus dem heraus der Umschlag ins Glück oder ins Unglück erfolgt, als Auflösung das, was vom Beginn des Umschlags bis zum Ende erfolgt. So ist im Lynkeus des Theodektes Schürzung das vor dem Stück Geschehene und die Ergreifung des Kindchens und wiederum ihre Anklage, die Auflösung das von der Anklage auf den Tod bis zum Schluss. (1455b 25-31; Übers. Hose)
Re: Marc Aurel über den Tod
filix schrieb am 07.01.2025 um 12:39 Uhr (Zitieren)
Das hat (von den rezeptionsgeschichtlichen Einwänden abgesehen) einiges für sich, mir scheint der Atomismus allerdings dabei das universale Konzept einer Komposition, das es ermöglicht, sozusagen jedem Leben unverfügbare dramaturgische Vollständigkeit zuzubilligen unabhängig von der in Akten gemessenen Länge, während Aristoteles vermutlich Schwierigkeiten gehabt hätte, in noch der unbedeutendsten Existenz (und ihren Konflikten) eine δέσις/λύσις anzusetzen, die sie als anderen gleichgestelltes weltbühnenwürdiges Schauspiel qualifizierte.
Re: Marc Aurel über den Tod
Bukolos schrieb am 07.01.2025 um 13:04 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 7.1.25, 12:39während Aristoteles vermutlich Schwierigkeiten gehabt hätte, in noch der unbedeutendsten Existenz (und ihren Konflikten) eine δέσις/λύσις anzusetzen, die sie als anderen gleichgestelltes weltbühnenwürdiges Schauspiel qualifizierte

Auf jeden Fall: Die Tragödie ist ja bei ihm dadurch charakterisiert, dass in ihr bessere Menschen als οἱ νῦν vorkommen (und in der Komödie schlechtere).
 
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