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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Eine Geschichte von Religion und Krieg #1 (140 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 06.01.2025 um 00:05 Uhr (Zitieren)
Wie der Krieg ist die Religion allein dann zu verstehen, wenn sie als kumulatives Produkt der biologischen und kulturellen Evolution verstanden wird – und zwar jener Entwicklungen, die in diesem Buch beschrieben wurden. Infolgedessen handelt es sich auch hier um einen Komplex, der aus verschiedenen Komponenten unterschiedlichen Alters und Ursprungs besteht. Herrschaft und Krieg spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie führen zu einer besonderen Spielart von Religion. Diese gibt sich bis heute als die einzig wahre aus und ist auf das Engste mit der Evolution der Gewalt verbunden.

Den idealen Ausgangspunkt liefert eine Studie der Anthropologen Hervey Peoples, Pavel Duda und Frank Marlowe (1). Sie haben bei 33 Jäger und Sammler-Gesellschaften rund um die Erde deren religiöse Eigenarten untersucht. Dafür benutzten sie phylogenetische Methoden, wie sie in der Linguistik und Genetik verwendet werden, um Entwicklungslinien zu rekonstruieren. Je verbreiteter ein Element, umso älter ist es in aller Regel.

Animistische Vorstellungen, also die Annahme einer allseits belebten Natur, waren in 100 Prozent der untersuchten Jäger und Sammler-Gesellschaften nachzuweisen. Schamanische Experten kannten 79 Prozent. Die Verehrung aktiver Ahnen fand sich bei 45 Prozent. Der Glaube an Götter dagegen ist nur bei 39 Prozent nachweisbar. Und Götter, die in das menschliche Leben eingreifen, sind sogar nur 15 Prozent bekannt. Diese Ergebnisse korrespondieren in eindrucksvoller Weise mit der Evolution der Religion – und jener der Gewalt.

Animismus ist für die Studienautoren „der Glaube, dass alle ‚natürlichen‘ Dinge wie Pflanzen, Tiere und sogar Phänomene wie Donner eine Intentionalität (oder eine vitale Kraft) haben und das menschliche Leben beeinflussen können“. Der Animismus stelle „keine Religion oder Philosophie“ dar, sondern sei „ein Grundzug menschlichen Denkens“ und deshalb universal verbreitet.

Es handelt sich um jenes evolutionäre Substrat, aus dem die verschiedensten Formen von Religion erwachsen. Der Animismus führt dazu, dass, egal was in der Welt geschieht, Menschen zunächst intuitiv eine soziale und keine physikalische Ursache vermuten: Da steckt ein Akteur dahinter und dieser verfolgt bestimmte Intentionen. Die kognitive Religionswissenschaft hat folglich bei Menschen ein „Hyperactive Agency Detection Device“ identifiziert. Dieses hypersensible Sensorium zum Aufspüren möglicher Akteure sicherte das Überleben; es ist höchst adaptiv und wurzelt im Tierreich. Da unsere Vorfahren einerseits Gefahr liefen, Raubtieren zum Opfer zu fallen, andererseits darauf angewiesen waren, selbst Beute zu machen, war es überlebensnotwendig, äußerst aufmerksam zu sein und jeden Hinweis in der Umwelt als potenzielle Aktivität zu deuten. „In beiden Fällen ist es weit vorteilhafter, in unserer Umwelt zu viel Aktivität zu erkennen als zu wenig“, bringt es der Psychologe Pascal Boyer auf den Punkt. Deshalb deuten wir eine Bewegung im Gras spontan als die eines Tieres und nicht des Windes. Irren wir uns, haben wir nichts verloren. Liegen wir richtig, entkommen wir der Schlange.

(Harald Meller / Kai Michel / Carel van Schaik: Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte. München 2024, S. 296-311)

(1) Peoples, H. C., Duda, P. & Marlowe, F. W.: Hunter-Gatherers and the Origins of Religion; in: Human Nature 27 (2016) pp. 261-282
Re: Eine Geschichte von Religion und Krieg #1
filix schrieb am 06.01.2025 um 20:43 Uhr (Zitieren)
Diese Ergebnisse korrespondieren in eindrucksvoller Weise mit der Evolution der Religion – und jener der Gewalt.


Zu sagen, dass die Ergebnisse mit der Evolution der Religion "korrespondierten", als ob diese bereits feststünde, ergibt in meinen Augen wenig Sinn. Die Studie versucht vielmehr, durch besagte Methode mögliche Entwicklungslinien erst einmal zu rekonstruieren und Hypothesen über die Ursprünge und Evolution religiöser Vorstellungen aufzustellen. Zweitens ist darin* nirgendwo von Gewalt die Rede, die Autoren müssten diese eindrucksvolle Korrespondenz also erst einmal selbst herstellen und begründen, statt es so aussehen zu lassen, als hätte die Studie das ergeben. Drittens fragt man sich, ob die Rede von Korrespondenz nicht nur mehr ein rhetorischer Trick ist, um mehr als Korrelation nahezulegen, ohne sich auf Kausalität festlegen zu müssen.


*https://www.researchgate.net/publication/302065024_Hunter-Gatherers_and_the_Origins_of_Religion/link/5fc1f0ab92851c933f6a4379/download

This idea, that humans are hyperactive agency detectors because assuming agents where there are none is less costly than not detecting agents where there are some, is beautiful. It’s elegant and charming in its simplicity and explanatory power. It makes intuitive sense, and it’s just so damn logical! There is just one tiny problem: there is no empirical evidence that the hyperactive agency detection device exists


https://www.skeptic.org.uk/2024/11/hadd-its-day-theres-no-evidence-for-an-inherited-hyperactive-agency-detection-device/



Re: Eine Geschichte von Religion und Krieg #1
filix schrieb am 06.01.2025 um 20:44 Uhr (Zitieren)
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Re: Eine Geschichte von Religion und Krieg #1
βροχή schrieb am 06.01.2025 um 20:55 Uhr (Zitieren)
Das Gefühl beobachtet zu werden hat man ja auch heutzutage manchmal.
Das der Ursprung davon das Auflauern von Raubtieren sein könnte wäre mgl.
Der Mensch musste seine Umgebung permanent im Auge behalten? Wenn ein Grashalm sich bewegte konnte das ein anschleichendes Raubtier sein, oder der Wind, oder eine Maus. Die Idee von etwas nicht direkt sichtbarem beobachtet zu werden, konnte leicht auf ein überirdisches Wesen übertragen werden? Das wäre mgl.
Aber gab es jemals so viele Raubtiere, dass es von denen wimmelte? Die erschrecken meistens selber, wenn sie auf Menschen stossen.
Re: Eine Geschichte von Religion und Krieg #1
Γραικύλος schrieb am 06.01.2025 um 22:35 Uhr (Zitieren)
Diese Ergebnisse korrespondieren in eindrucksvoller Weise mit der Evolution der Religion – und jener der Gewalt.

Dieser Satz stellt eine These von Meller & Co. dar, die sich nicht aus der von ihnen zitierten Studie ergibt, aber im weiteren Verlauf dieses Kapitels nachvollziehbar wird.
Das Kapitel ist recht lang, und ich werde es nach und nach hier vorstellen.

Eine evolutionäre Erklärung des Animismus, das empfinde ich als interessant, wenngleich ich ahne, daß man sie nicht wird beweisen können.
Gibt es eine andere möglicher Erklärung dafür, daß 100 % der untersuchten Stammeskulturen die Natur für belebt halten?

Wie dann aus diesem Glauben nach und nach entstand, was wir als Religion kennen, das, βροχή, steht dann in den folgenden Passagen.
Re: Eine Geschichte von Religion und Krieg #1
Γραικύλος schrieb am 06.01.2025 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Nachtrag zu Boyer:
Boyer, P.: Und Mensch schuf Gott. Stuttgart 2004
Re: Eine Geschichte von Religion und Krieg #1
filix schrieb am 07.01.2025 um 11:37 Uhr (Zitieren)
Dass der Satz durch die Lektüre sich als Vorgriff einordnen lässt, mag sein, aber in dem Abschnitt ist er mindestens missverständlich platziert. Man sieht dem Text seine Fabrikation, die einfach zur These passende Studien und Theorien montiert, allzu deutlich an. Eine kritische Abwägung findet offensichtlich nicht statt, die "phylogenetische Methoden, wie sie in der Linguistik und Genetik verwendet werden, um Entwicklungslinien zu rekonstruieren" sind ja nicht ganz trivial, es wird einfach mit der Conclusio operiert.

Die zitierte Studie macht es sich zudem recht einfach und nutzt mehr oder minder Edward Burnett Tylors Definition von Animismus aus 1871 - dass der Begriff wie viele vom Abendland ersonnene Konzepte zur Beschreibung des Anderen oder Primitiven einer kritischen Prüfung unterzogen wurde in den letzten Jahrzehnten, überrascht also nicht.

Das betrifft nicht nur das wertende Progressionsmodell, wonach sich aus der einfachen/primitiven die komplexe/höhere Vorstellung als Entwicklungsprozess ergeben soll ( "Es handelt sich um jenes evolutionäre Substrat, aus dem die verschiedensten Formen von Religion erwachsen"), sondern auch die kulturellen und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen der Charkterisierung des Explanandums - siehe dazu die Abschnitte Postmodern anthropology und Ethical and ecological understanding in https://en.wikipedia.org/wiki/Animism?wprov=sfti1#

Von diesen Problemen der Exposition der Fragestellung unterschieden ist die Debatte, was es mit der als universale Erklärung angebotenen Hyperactive Agency Detection Device-Theorie auf sich hat, die zum Sensorium stilisiert wird.

Nach dem Artikel in The Skeptic fehlen nicht nur die empirischen Nachweise, in ihrer suggestiven, aber letztlich anekdotischen Argumentation unterbietet sie auch die Komplexität des Problems.
Re: Eine Geschichte von Religion und Krieg #1
βροχή schrieb am 07.01.2025 um 11:46 Uhr (Zitieren)
( "Es handelt sich um jenes evolutionäre Substrat, aus dem die verschiedensten Formen von Religion erwachsen")


Ist das nicht eine seltsame Metapher? Als ob Relogionen im Blumentopf gezüchtet wurden.
 
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