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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Odysseus an Telemach (1177 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 14.08.2010 um 16:17 Uhr (Zitieren)
Mein Telemach, der Trojanische Krieg
ist zu Ende. Wer gesiegt hat, weiß ich nicht mehr.
Sicher die Griechen: so viele Leichen
aus den Häusern werfen können nur Griechen ...
Und doch erwies sich der nach Hause führende Weg als zu lang,
wie wenn Poseidon, solange wir dort
unsere Zeit verloren, den Raum auseinandergezogen hätte.
Mir ist nicht bekannt, wo ich mich befinde,
was vor mir liegt. Eine schmutzige Insel,
Büsche, Bauten, das Grunzen von Schweinen,
ein verwilderter Garten, irgendeine Herrscherin,
Gras und Steine ... Lieber Telemach,
alle Inseln sind einander gleich,
wenn man so lange unterwegs ist und das Gehirn
beim Zählen der Wellen nicht mehr mitkommt,
wenn das Auge, vom Horizonte trüb geworden, weint,
und das wäßrige Fleisch dir das Gehör verschließt.
Ich erinnere mich nicht, wie der Krieg geendet hat,
und wie alt du jetzt bist, erinnere ich mich auch nicht.

Werde groß, mein Telemach, wachse.
Nur die Götter wissen, ob wir uns von neuem sehen.
Du bist jetzt auch nicht mehr jenes kleine Kind,
vor dem ich die Stiere zurückhielt.
Wenn Palamedes nicht gewesen wäre, würden wir zusammenleben.
Aber vielleicht hat er auch recht: ohne mich
bist du befreit von des Ödipus Leidenschaften,
und deine Träume, mein Telemach, sind ohne Sünde.

(Joseph Brodsky)

[Quelle: Kay Borowsky / Ludolf Müller (Hrsg.), Russische Lyrik. Stuttgart 1983, S. 643-645]
Re: Odysseus an Telemach
Alexander schrieb am 14.08.2010 um 18:19 Uhr (Zitieren)
Ein schönes Gedicht, eine interessante Sichtweise.

Eine kleine Anmerkung nur zur Übersetzung. Sie folgt äußerst genau dem Wortlaut des Originals, nur an einer Stelle nicht. Ob das Absicht war, vermag ich nicht zu entscheiden (wenn allerdings Absicht, erschließt sich mir der Grund nicht).

Statt:

Sicher die Griechen: so viele Leichen
aus den Häusern werfen können nur Griechen ...

müsste es heißen:

Sicher die Griechen: so viele Leichen
fern der Heimat zurücklassen können nur Griechen...

(wörtl.: "außerhalb des Hauses", wobei mit "Haus" "Heimat"gemeint ist)

Hier das Original:
http://www.litera.ru/stixiya/authors/brodskij/moj-telemak-troyanskaya.html
Re: Odysseus an Telemach
Γραικίσκος schrieb am 14.08.2010 um 18:38 Uhr (Zitieren)
Nun, die genannte Ausgabe übersetzt es so; meine eigenen Russisch-Kenntnisse lassen eine Überprüfung nicht zu. Wenn Du Russisch kannst und es so sagst ...
Der russische Wortlaut meiner Ausgabe ist jedenfalls derselbe wie der an der angegebenen Internet-Stelle.
Re: Odysseus an Telemach
Γραικίσκος schrieb am 14.08.2010 um 18:42 Uhr (Zitieren)
Intuitiv möchte ich Dir aber recht geben - der Stil dieser Zeile paßt in 'meiner' Übersetzung nicht recht.
Re: Odysseus an Telemach
Ὑλβάτης schrieb am 15.08.2010 um 16:20 Uhr (Zitieren)
Das Gedicht stammt laut der russischen Seite von 1972, aus dem also, in dem Brodsky laut Wikipedia ins Exil geschickt wurde.
Exilliteratur war in Baden-Württemberg mal ein Abiturthema, aber dass man Odysseus auch darunter fassen kann - das hätte ich nicht gedacht. Er war ja zwar immer ein Dulder, aber häufig steht sein Abenteurertum im Vordergrund.
Moment - jetzt muss ich mich korrigieren: Ovid vergleicht sein Schicksal im Exil mit dem von Odysseus.

Zusätzlich zur Exilthematik ist bei Brodsky, und da finde ich noch keinen richtigen Interpretationsansatz, Telemach und Ödipus. Wieso Ödipus?
Telemach ist vaterlos aufgewachsen und kann deshalb keinen - aber das ist ein Thema für Psychologen - Hass oder kein Konkurrenzdenken zu seinem Vater aufbauen. Aber das ist nicht alles, oder?
Re: Odysseus an Telemach
Γραικίσκος schrieb am 15.08.2010 um 16:34 Uhr (Zitieren)
So habe ich es jedenfalls verstanden: Ohne Vater keinen Ödipus-Komplex, und ohne Ödipus-Komplex keine 'sündhaften Träume' über den Vater.
Re: Odysseus an Telemach
Ὑλβάτης schrieb am 15.08.2010 um 17:12 Uhr (Zitieren)
Wenn sich Brodsky in einer Exilsituation befindet und aus ihr heraus schreibt, wie Odysseus aus seiner schreiben könnte ... wie kann man dann Telemach und seine Träume "deuten"? Oder sollte man das nicht?

Es gibt eine Andeutung an Kirke ("das Grunzen von Schweinen") - an eine Frau, die Männer in Schweine verwandelt. Neben der Ödipus-Komplex-Thematik, die das schwierige Verhältnis zwischen Männern enthält, erscheint so noch eine Männerthematik: Der Mann, das Schwein. :-)

Aus Wikipedia kann ich nichts Tiefgründiges über Brodsky erfahren - gibt es da mehr?
Re: Odysseus an Telemach
Γραικίσκος schrieb am 15.08.2010 um 17:22 Uhr (Zitieren)
Hat Brodsky einen Sohn in der UdSSR zurückgelassen? Ich weiß es nicht. - Nun werde ich mich den Vorbereitungen einer Reise zuwenden.
Re: Odysseus an Telemach
Ὑλβάτης schrieb am 15.08.2010 um 18:12 Uhr (Zitieren)
Oh, eine Reise. Ich komme gerade aus Bayern (Freunde und Verwandte). In zehn Tagen bin ich in Frankreich.
Gute Reise, Γραικίσκος.

Ach, wir haben noch Poseidon - denjenigen, der für das Exil verantwortlich ist, vielleicht. Bei Ovid erscheint Augustus als Iuppiter.

Ich hatte zwar biographisch gedacht, aber nicht so eng. Telemach, der Sohn, der bewahrt wurde, der zurückblieb - könnte der "das russische Volk" sein, wenn der Dichter ins Exil geht? Die Leserschaft, die ihren Dichter nicht hassen wird, weil er nicht mit ihm aufwächst?
Für manche Deutungen müsste man aber mehr über biographische Dinge und vor allem über das dichterische Selbstverständnis wissen. Bei der biographischen Deutung muss man vor allem vorsichtig sein.

Nochmals, gute Reise. (Ich hoffe, kein Exil! :))
Re: Odysseus an Telemach
Γραικίσκος schrieb am 15.08.2010 um 18:22 Uhr (Zitieren)
Nein, kein Exil, soweit ist es noch nicht. Vielleicht erleben wir aber auch das noch eines Tages, wenn die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die sich in Frankreich ankündigen (Grenoble!), sich ausweiten sollten.
"Hier wo das Schwein König ist / Hass über die Kinder von Jeanne d'Arc / hoch und kurz werden wir sie aufhängen."
 
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