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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Platon, Lernen als Wiedererinnerung: Menon #2 (157 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 23.02.2025 um 12:16 Uhr (Zitieren)
Platon, Menon 80d-86c:
Da nun die Seele unsterblich und öfters geboren worden ist und die Dinge hienieden und im Hades und überhaupt alle geschaut hat, so gibt es auch nichts, wovon sie nicht eine Kenntnis erlangt hätte, so daß es gar kein Wunder ist, wenn sie auch hinsichtlich der Tugend (2) und anderer Gegenstände an das sich zu erinnern imstande ist, was sie früher davon gewußt hat. Denn da die ganze Natur in verwandtschaftlichem Zusammenhang steht und die Seele von allem Kenntnis bekommen hat, so steht nichts im Wege, daß einer, der sich nur erst an eines erinnert hat, was die Leute dann Lernen heißen, alles übrige selbst auffinde, wenn er sich dabei nur mannhaft hält und des Untersuchens nicht müde wird; denn das Untersuchen und Lernen ist durchaus nichts als Wiedererinnerung [ἀνάμνησις]. Man darf daher jenem Streitsatze kein Gehör geben. Denn er würde uns nur träge machen und ist für die weichlichen Leute angenehm zu hören, wogegen diese Ansicht rührige und untersuchungsbegierige Leute macht. Auf ihre Wahrheit vertrauend will ich nun mit dir untersuchen, was die Tugend sei.

Menon: Ja, Sokrates? Aber behauptest du es so ganz unbedingt, daß wir nicht lernen, sondern daß das, was wir Lernen nennen, Wiedererinnerung sei? Kannst du mich darüber belehren, daß es sich wirklich so verhalte?

Sokrates: Ich habe es ja vorhin gesagt, Menon, daß du ein abgefeimter Mensch bist! Jetzt fragst du mich da, ob ich dich belehren könne, da ich doch behaupte, es gebe kein Lehren, sondern nur Wiedererinnerung, nur damit ich mich ja gleich mit meiner Ansicht im Widerspruch mit mir selbst zeigen möchte!

Menon: Beim Zeus, gewiß nicht, Sokrates; daran habe ich nicht gedacht, sondern es nur so aus Gewohnheit gesagt. Aber wenn du mir wirklich zu beweisen vermagst, daß es sich so verhält, wie du behauptest, so beweise es nun!

Sokrates: Nun, leicht ist es zwar nicht, doch ich will dir zuliebe mir alle Mühe geben. Rufe mir einmal von den vielen Leuten da in deinem Gefolge einen, welchen du willst, herbei, damit ich es dir an ihm beweise!

Menon: Sehr gern! - Du dort, komm herbei!

Sokrates: Ist er ein Hellene und spricht er hellenisch?

Menon: Ganz gut; er ist im Hause aufgezogen worden.

Sokrates: So gib nur recht Achtung, welches von beiden dir richtig zu sein scheint, daß er sich wieder erinnert oder daß er von mir lernt.

Menon: Ich werde Achtung geben.

(2) Die Frage, ob Tugend lehrbar sei, macht das eigentliche Thema des Dialogs aus.
Re: Platon, Lernen als Wiedererinnerung: Menon #2
Andreas schrieb am 23.02.2025 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Mir fällt dazu Erich Auerbachs MIMESIS ein.

Und KI sagt dazu:
Platon vertritt in seinem Dialog Menon die Theorie der Anamnesis, wonach Lernen eigentlich das Wiedererinnern von bereits in der Seele vorhandenen, vorgeburtlichen Kenntnissen ist. Die moderne Lernpsychologie sieht das etwas anders:

Vorwissen als Basis:
Moderne Ansätze betonen, dass Vorwissen eine entscheidende Rolle spielt – neues Wissen wird auf bereits vorhandenen kognitiven Strukturen aufgebaut. Dies erinnert an Platons Idee, dass etwas Vorhandenes aktiviert wird. Allerdings wird in der modernen Forschung davon ausgegangen, dass dieses Vorwissen im Laufe der frühen Entwicklung durch Erfahrungen erworben wird und nicht angeboren im Sinne einer vorgeburtlichen Speicherung existiert.

Konstruktivistische Perspektiven:
Ansätze von Piaget, Vygotsky und anderen betonen, dass Lernende aktiv ihr Wissen konstruieren, indem sie neue Informationen mit ihren bestehenden Schemata verknüpfen. Hier wird Lernen als ein aktiver, konstruktiver Prozess gesehen, nicht als bloßes „Wiedererinnern“ eines bereits vorliegenden Wissens.

Neuronale Grundlagen:
Neurowissenschaftliche Forschungen belegen, dass Lernen durch synaptische Plastizität und neuronale Vernetzungen stattfindet – Prozesse, die durch Umwelteinflüsse und Erfahrungen geprägt werden. Es gibt also keine Hinweise darauf, dass das Gehirn über ein vollständiges, vorgeburtlich angelegtes Wissensarchiv verfügt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass moderne Lernpsychologie zwar anerkennt, dass Vorwissen zentral für den Lernprozess ist, sie Platons Theorie der Anamnesis jedoch nicht in wörtlicher Weise übernimmt. Vielmehr wird Wissen als Ergebnis kontinuierlicher Interaktion zwischen dem Individuum und seiner Umwelt verstanden, wobei vorhandene kognitive Strukturen durch neue Erfahrungen modifiziert und erweitert werden.
Re: Platon, Lernen als Wiedererinnerung: Menon #2
Γραικύλος schrieb am 23.02.2025 um 14:24 Uhr (Zitieren)
Vielleicht sollte man den Beweis, den Sokrates jetzt zu führen im Begriff ist, abwarten, ehe man sich von KI schon die Interpretation vorgeben läßt ... und dadurch mit einem Vorwissen ganz eigener Art imprägniert wird.
Allerdings wird in der modernen Forschung davon ausgegangen, dass dieses Vorwissen im Laufe der frühen Entwicklung durch Erfahrungen erworben wird und nicht angeboren im Sinne einer vorgeburtlichen Speicherung existiert.

Kant hat die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungen gestellt, also nach etwas, das nicht selbst aus Erfahrung stammen kann, auch nicht aus einer früheren, sondern die Voraussetzung dafür ist, daß man überhaupt Erfahrungen machen kann.
Ob Sokrates alias Platon das entdeckt hat?
 
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