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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Antike erklärt: Polytheismus #1 (229 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 14.04.2025 um 00:02 Uhr (Zitieren)
Die Personen:

Graf T.: Lew N. Tolstoi
Die Fürstin: Fürstin Tarakanowa, die sich – als historische Person - im 18. Jhdt. als Enkelin Peters des Großen ausgegeben und Anspruch auf den Zarenthron erhoben hat. Zarin Katharina II. ließ die Tarakanowa bis zu deren Tod in der Peter-und-Paul-Festung inhaftieren.

Das fiktive Gespräch findet während eines Fischessens statt.

[...] „Mir ist klar, dass mein Lebensstil merkwürdig anmuten mag. Wie eine Parodie auf die Antike. Eine Gutsbesitzerin, die über die Stränge schlägt. Aber in all dem, das versichere ich Ihnen, liegt eine tiefe spirituelle Bedeutung. Denken Sie an den Knoten, den man ins Taschentuch macht, um etwas Wichtiges nicht zu vergessen. Das Prinzip ist das Gleiche. Es war der letzte Wille des verstorbenen Fürsten. Mein Leben ist so eingerichtet, dass alles rings um mich daran gemahnt, das Wesentliche nicht zu vergessen.“
„Und was ist das?“, fragte T. mit ungeheucheltem Interesse.
„Dreimal dürfen Sie raten, Graf, versuchen Sie es.“
„Das wird mir kaum gelingen.“
„Ich will Ihnen helfen. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an die Antike denken?“
„Nun ...“ T. stockte.
„Das können Sie gleich vergessen“, lachte die Fürstin. „Sie kleiner Schelm ... Was noch?“
T. musterte die Gladiatorenausrüstung an der Wand.
„Zirkuskämpfe?“
Die Fürstin schüttelte den Kopf.
T. blickte zu Artemis mit dem Hirschen, dann zu Apoll, der einen imaginären Bogen spannte.
„Vielgötterei?“
Die Fürstin sah T. mit großen Augen an.
„Gratuliere, Sie haben es erraten! Stimmt genau, Graf. Der verstorbene Fürst war ein profunder Kenner der Antike und hat mich in ihre geheimen Lehren eingeweiht. Allerdings hatte er kein Vertrauen in meine spirituellen Fähigkeiten, und deshalb hat er es so eingerichtet, dass jedes Detail im Alltag mich an diese erhabene Lehre erinnern sollte. Der Fürst hat verfügt, nach seinem Tode dürfe hier nichts geändert werden.“
„Ich hoffe, meine Frage kränkt sie nicht, aber was ist an der Vielgötterei erhaben?“
„Die Menschen verstehen heutzutage nicht mehr, was sie eigentlich bedeutet. Sogar in der Antike erschloss sich das Wesen der Vielgötterei nur Eingeweihten. Aber der verstorbene Fürst besaß ein altes Buch, das dieses Geheimnis enthüllte – es war nur in einer einzigen Abschrift erhalten und er hat es in einem italienischen Kloster erworben. Der Überlieferung nach hat Apollonios von Tyana (1) es selbst geschrieben.“

(Viktor Pelewin: Tolstois Albtraum. München 2013, S. 31-39)

(1) griechischer Philosoph, Wanderlehrer und Wundertäter des 1. Jhdts. u.Z.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 11:48 Uhr (Zitieren)
Ist die Welt des Zarenreichs nicht mindestens so fremdartig wie die Antike?

Worin sie sich bei allen Götterdifferenzen doch ähneln, ist die Ausbeutung von Sklaven/Leibeigenen.

Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Patroklos schrieb am 14.04.2025 um 13:02 Uhr (Zitieren)
Dass ein Volk sich viele Götter aussucht, kommt ja nicht so selten vor.
Erstaunlich ist doch, dass ein G‘tt sich nur ein einziges Volk auserwählt. Und dann gerade dieses.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Udo schrieb am 14.04.2025 um 13:05 Uhr (Zitieren)
Allerdings hatte er kein Vertrauen in meine spirituellen Fähigkeiten,

Welche könnten gemeint sein?

KI nennt dazu:
Die Fähigkeit zur geistigen Durchdringung der Welt (Intuition, Erkenntnis)

Spirituelle Selbstdisziplin und rituelle Lebensführung

Was kommt noch infrage?

Verständnis esoterischer, symbolischer oder „geheimer“ Lehren

Offenheit für das vielschichtige, nicht-rationale Wissen
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 13:25 Uhr (Zitieren)
Patr'kl's, warum schreibst du G'tt, meinst du er mag das o nicht?
Erstaunlich, bisschen schon, er hatte ja wirklich die Wahl. .. zb. verschmähte er Echnat'n
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Patroklos schrieb am 14.04.2025 um 13:44 Uhr (Zitieren)
Ein Quantum Ehrfurcht gegenüber Menschen, denen auch schon sein Name heilig war oder ist.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Γραικύλος schrieb am 14.04.2025 um 14:12 Uhr (Zitieren)
Das Kapitel in Pelewins Roman enthält eine originelle Deutung des Polytheismus, wie die folgenden Abschnitte hoffentlich zeigen werden - wie überhaupt Pelewin ein origineller Autor ist.

Eine zeitliche Einordnung der Handlung ist mir nicht möglich, da Tolstoi und die Tarakanowa nicht zeitgleich gelebt haben.
Pelewin schreibt nicht realistisch, sondern eher magisch.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Andreas schrieb am 14.04.2025 um 14:21 Uhr (Zitieren)
Auch der Gott Israels, aus ehemaligen Stammesgottheiten entstanden, ist ein sozialpsychologisches, anthropomorphes Gedankenkonstrukt wie alle anderen Götte auch.
vgl:
E. Topitsch, Erkenntnis und Illusion

Ob Gott sich jenes Volk ausgesucht hat, ist mehr als fraglich. Es war wohl eher umgekehrt.

Ein Quantum Ehrfurcht gegenüber Menschen, denen auch schon sein Name heilig war oder ist.

Worin soll diese Ehrfurcht bestehen?
Will sie Gott überhaupt? Wenn ja, in welcher Form?
Namen sind Schall und Rauch; wenn man sie nicht mit konkreten Inhalten füllt.

Ehrfurcht entspringt Urängsten und Beschwichtigungversuchen um sich zu sagen
Anbiederung um sich die überlegene Gottheit gefügig zu machen bzw. es sich mit ihr nicht zu verderben.
(Metus facit deos + Durchsetzung von Macht- und Herrschaftsansprüchen per diviner Legitimation).
Stichwort: Herrscher von Gottes Gnaden.
Wenn Argumente ausgehen, ist die Metaphysik an der Reihe.
Würde man Liebe für Gott einsetzen, wäre es interessanter und diskutabel.
(Vgl. 1 Joh 8)
Seltsam, dass man immer noch lieber vom abstrakten Gott spricht als konkret von Liebe
oder von Lieblosigkeit, wo von Sünde gesprochen wird.

Will Gott Verehrung? In welcher Form?
Ist nicht gelebte Nächstenliebe der einzige und wahre Gottesdienst?
Fragen über Fragen!
O ihr glücklichen Atheisten und Agnostiker,
denen sie sich nicht stellen - und Heiden, die hätte ich fast vergessen! Sorry, Graeculus.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 14:31 Uhr (Zitieren)
... die Götter sind ja auch irgendwie magisch, dann passt es.

Dass es mehrere Götter wirklich gibt, in diese Gedannkenwelt kann ich mich nicht so leicht hineinversetzen. Trotzdem ich jene Welten auch.


Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 14:35 Uhr (Zitieren)
Worin soll diese Ehrfurcht bestehen?
@Andreas

Dass Menschen über Zeit und Raum an Ihm festhalten, Ihm die Treue halten, davor habe auch ich Ehrfurcht, also ich verstehe Patro, wenn es ihm so geht.



Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Patroklos schrieb am 14.04.2025 um 14:50 Uhr (Zitieren)
Gut, ich ersetze „Ehrfurcht“ besser durch „Achtsamkeit“, obwohl „Ehrfurcht“ erlaubt ist;)!
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Patroklos schrieb am 14.04.2025 um 15:08 Uhr (Zitieren)
Ich möchte dafürhalten, dass in einem, nämlich diesem, Altgriechisch-Forum der altgriechischen Götterwelt thematisch der Vorrang gegeben werden sollte. Konkurrenzierende religiöse Vorstellungen dürfen mMn selbstverständlich nachrangig, auch hilfreich herangezogen werden.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 15:21 Uhr (Zitieren)
Ja, es geht um die Vielgötterei. Diese als solche zu beleuchten, macht nur Sinn, wenn man andere Vorstellungswelten berücksichtigt.
Hier wird die Vielgötterrei gleich von 3 Seiten aus betrachtet, Tolstoi, Tarakanowa u. Pelewin.

Die Fürstin behauptet als einzige Geheimwissen darüber zu besitzen.

Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 15:30 Uhr (Zitieren)
Die griechischen Götter wurden wieder belebt, ca. 50 000 Helenisten glauben an sie, ca 150 in Dtl. Eine neuheidnische Religion.

Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Γραικύλος schrieb am 14.04.2025 um 15:54 Uhr (Zitieren)
Die Fürstin behauptet als einzige Geheimwissen darüber zu besitzen.

Das erläutert sie dann noch. Ich wollte kein komplettes Romankapitel auf einen Schlag einstellen ... und empfehle, mit dem Urteil noch zu warten.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Udo schrieb am 14.04.2025 um 17:00 Uhr (Zitieren)
Die Fürstin behauptet als einzige Geheimwissen darüber zu besitzen.

Wo hat sie das her und worin besteht es?
Wozu und wann benutzt sie es?
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 17:02 Uhr (Zitieren)
... das wird doch im startbeitrag erläutert
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Patroklos schrieb am 14.04.2025 um 17:12 Uhr (Zitieren)
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an die Antike denken?“
„Nun ...“ T. stockte.
„Das können Sie gleich vergessen“, lachte die Fürstin. „Sie kleiner Schelm…

Das ist die spannendste Stelle, denke ich. Sie sagt „Schelm“, weil sie glaubt, T. denkt an… Caesar oder Achill kann es nicht sein. Bei „Schelm“ tippe ich auf Kleopatra oder Helena. Ein Spiel nur des Lesers.Sehr witzig vom Autor eingefädelt.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 14.04.2025 um 17:48 Uhr (Zitieren)
... Messalina?
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
filix schrieb am 14.04.2025 um 22:27 Uhr (Zitieren)
Warum hat der deutsche Literaturmarkt den Autor eigentlich vor zehn Jahren fallenlassen?
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Γραικύλος schrieb am 14.04.2025 um 23:40 Uhr (Zitieren)
Pelewin hat nach 2015 nur noch einen Roman veröffentlicht, und der ist in der Tat nicht auf Deutsch erschienen.
Ich weiß nicht, wie sich die bisherigen verkauft haben.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Patroklos schrieb am 15.04.2025 um 08:18 Uhr (Zitieren)
Das engl. WP bietet einiges.
In 2017, the novel "iPhuck 10" was published, which won the Andrew White Prize. In 2018, the novel "Secret Views of Mount Fuji" was released. "The Art of Light Touches" was released in August 2019. In August 2020, the novel "The Invincible Sun" was published.

For the past nine years, the author has been releasing one book a year, it can be a novel or a collection of stories united by a common theme. In the fall of 2021 the book "Transhumanism Inc." was published, which is a collection of stories united by the theme of the concept of transhumanism.

In September 2022, the novel “KGBT+” was published, which is a sequel to the previous novel “Transhumanism Inc.”.

In November 2022, the documentary film Pelevin directed by Rodion Chepel was released. The author studied archives and early works of Pelevin, interviewed the writer's acquaintances, his childhood friends, colleagues and researchers of the writer's work.

In 2023, the novel “Journey to Eleusin” was published. It also became the sequel to two previous novels, “KGBT+” and “Transhumanism Inc.”.

In September 2024, it was revealed that Victor Pelevin will release a new novel "Krut'". Sales of the new book started on October 3, 2024.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
βροχή schrieb am 15.04.2025 um 08:39 Uhr (Zitieren)
... ist der dt. Markt inzw. so geschrumpft, dass Übersetzungen nicht lohnen?

Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
filix schrieb am 15.04.2025 um 09:33 Uhr (Zitieren)
Danke für die hinter meiner Frage stehende Auflistung von Romanen, es sind tatsächlich noch mehr, denn das letzte auf Deutsch, nicht mehr bei Luchterhand erschienene Werk wurde schon 2011 im Original veröffentlicht.


Vom dem für allzu kühne narrative Experimente und dystopische Satiren beschränkten Markt abgesehen, mag eine Rolle spielen, dass neben Sorokin, der weniger ambivalent ist, leichter zu dechiffrieren und anders als der abwesende Star auch die direkte Konfrontation als öffentliche Person mit der Macht nicht scheut, weniger Platz ist in der gegenwärtigen Lage, die sich nach eindeutigen Positionen sehnt.
Re: Antike erklärt: Polytheismus #1
Γραικύλος schrieb am 15.04.2025 um 16:26 Uhr (Zitieren)
Wenn er tatsächlich - was ich gar nicht wußte - laufend publiziert, ist es in der Tat auffällig, daß er nicht mehr ins Deutsche übersetzt wird.
Der Grund könnte in Absatzzahlen, also gesunkenem Leserinteresse liegen.
Schade.
 
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