Γραικύλος schrieb am 30.05.2025 um 02:40 Uhr (Zitieren)
Martin Buber und Franz Rosenzweig haben eine verdienstvolle Arbeit geleistet, nämlich die gesamte Heilige Schrift der Juden, den Tanach, ins Deutsche übertragen, und zwar auf dem Boden des jüdischen Denkens.
So folgt bei ihnen die Reihenfolge der Bücher der jüdischen Tradition, nicht der christlichen ("Altes Testament"), welche die Propheten an das Ende stellt, weil sie angeblich auf Jesus als den Messias verweisen und so an das Neue Testament anschließen. Ferner haben Buber und Rosenzweig die christliche Tendenz zu latent judenfeindlichen Formulierungen vermieden (etwa das berüchtigte "Auge um Auge, Zahn um Zahn").
Die Sprache entspricht nicht dem Umgangsdeutsch, sondern ist eine eigens geschaffene, künstliche.
Hierfür ein Beispiel: Wenn sie von den Philistern sprechen und ausdrücken wollen, daß diese unbeschnitten sind, dann schreiben sie "die vorhäutigen Philister".
Re: Die vorhäutigen Philister
Aurora schrieb am 30.05.2025 um 07:13 Uhr (Zitieren)
Die Übersetzung ist auch philologisch sehr interessant, weil sehr eng am hebräischen Text bleibend.
Ein Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille (1985),
der Exeget Franz Mußner, hat ein Buch verfasst mit dem Titel: Traktat über die Juden
βροχή schrieb am 30.05.2025 um 08:36 Uhr (Zitieren)
Eine neuere Neuorientierung gibt es seit 2023.
Die bisherige Woche der Brüderlichkeit, welche die Buber#Rosenzweigmedallie verleiht, wurde heruntergestuft auf Woche christlich-jüdischer Zusammenarbeit.
Kennt jmd. die Hintergründe dafür?
mögliche Gründe ableiten:
Sprachliche Modernisierung: Der Begriff "Brüderlichkeit" wird heute oft als nicht mehr zeitgemäß empfunden, da er sprachlich nur die männliche Form verwendet und damit nicht geschlechtergerecht ist.
Klarere Fokussierung: Die neue Bezeichnung "Christlich-Jüdische Zusammenarbeit" beschreibt direkter und konkreter, worum es bei der Veranstaltung geht - nämlich um die praktische Zusammenarbeit zwischen den beiden Religionsgemeinschaften.
Inklusivere Sprache: Moderne Organisationen bemühen sich um eine inklusivere Sprache, die alle Menschen anspricht, unabhängig vom Geschlecht.
Re: Die vorhäutigen Philister
βροχή schrieb am 30.05.2025 um 11:53 Uhr (Zitieren)
... danke für die Info.
Zusammenarbeit ist ein allgemeiner Begriff. Jeder kann das, dafür braucht es keine bes. Ge mit einsamkeiten.
Das inkludierende Äquivalent für Brüderlichkeit wäre Geschwisterlichkeit.
Offensichtlich, wird der gemeinsame Ursprung bewusst ignoriert. Bloß keine Verwandschaft mit den jeweils anderen ...
Re: Die vorhäutigen Philister
βροχή schrieb am 30.05.2025 um 12:03 Uhr (Zitieren)
... sorry tippo
Gemeinsamkeiten
Re: Die vorhäutigen Philister
filix schrieb am 30.05.2025 um 13:02 Uhr (Zitieren)
Inwiefern ist unbeschnitten, dessen Gebrauch bis zum Mhd. zurückreicht (unbesniten), deutsche Umgangssprache? Welchen Gewinn vom kuriosen neologistischen Zauber abgesehen, der zudem gelitten hat durch den Abstieg der Kennzeichnung von Menschen über ihre Häute, auch wenn es hier um eine spezielle und nicht um Farbe geht, kann die Bildung verbuchen? Der unvermeidliche Fokus der etymologisch verengten Perspektive auf das Anatomische wird dem hebräischen Ausdruck nicht unbedingt gerechter, er kann dessen rituelle-symbolische Bedeutung nicht besser wiedergeben und wirkt in übertragener Bedeutung, wenn z.B. Ex 6,30 von unbeschnittenen Lippen für den ungeschickten Redner die Rede ist, schlicht deplatziert.
Re: Die vorhäutigen Philister
Bukolos schrieb am 30.05.2025 um 14:44 Uhr (Zitieren)
In meinen Ohren klingt das ein im Schambereich lokalisiertes, anatomisches Merkmal aufrufende vorhautig deutlich eher pejorativ als das nur den operativen Eingriff in den Blick nehmende unbeschnitten. Zugegeben, vorhautig an Lippen klingt fremd, aber nicht weniger ja die Vorhaut des Herzens (Dtn 10, 16), deren Bildlichkeit auch Lutherbibel und Einheitsübersetzung nicht einebnen. Im Übrigen hat die Buber-Rosenzweigsche Übersetzung der Schrift die Vorhautigen ja auch gar nicht in den deutschen Wortschatz eingeführt. Man findet sie mindestens seit Georg Witzel.
Re: Die vorhäutigen Philister
Bukolos schrieb am 30.05.2025 um 14:53 Uhr (Zitieren)
Vor den Reformatoren wird man das Adjektiv wohl nicht finden können, da die Vorhaut selbst wohl eine Prägung Luthers ist.
Re: Die vorhäutigen Philister
Γραικύλος schrieb am 30.05.2025 um 15:29 Uhr (Zitieren)
Das wußte ich nicht, daß "Vorhautige" schon älter ist als Buber & Rosenzweig.
Grundsätzlich ändert das aber wohl nichts daran, daß ihre Sprache innovativ ist, oder?
Wie hat man denn vor Luther "praeputium" übersetzt?
Re: Die vorhäutigen Philister
Γραικύλος schrieb am 30.05.2025 um 15:37 Uhr (Zitieren)
Das sind ja ziemlich viele Wörter - mit einer Übersetzung: Vorhaut.
Re: Die vorhäutigen Philister
Bukolos schrieb am 30.05.2025 um 17:27 Uhr (Zitieren)
Nun ja, der Einschätzung, dass sie eher ein neuromantisch "archaisierende[s] Edeldeutsch", wie Siegfried Kracauer in seiner Rezension von 1926 konstatiert, als modernen Sprachduktus angestrebt haben, kann man angesichts vom Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser (Gen 1, 2) oder Sätzen wie Amram nahm Jochebed seine Muhme sich zum Weib (Ex 6, 20) sich nicht völlig entziehen.
Lt. Grimm u. a. als überwachsung (averwassunge, overwassinghe), zageldecklin, viselhawpt, haupthutelin, zumpenhöpt, vorderhäutlein, schwantzhylsz oder auch umschreibend.
Re: Die vorhäutigen Philister
Patroklos schrieb am 30.05.2025 um 18:00 Uhr (Zitieren)
Diesen Hinweis gab es schon im Forum. Eine Charakterisierung im „Ulysses“:
„Collector of prepuces“.
Re: Die vorhäutigen Philister
Γραικύλος schrieb am 30.05.2025 um 18:00 Uhr (Zitieren)
So kann man es sagen, ja.
Danke für die Auskunft zu den Vorformen von Vorhaut. schwantzhylsz resp. Schwanzhülse gefällt mir.
Re: Die vorhäutigen Philister
filix schrieb am 30.05.2025 um 19:24 Uhr (Zitieren)
In der Wenzelsbibel (Ende des 14. Jhdts) heißt es Besneidet dorv̆mme die vorhout der schame ewers herczens (Dtn 10,16 - Vulgata: circumcidite igitur praeputium cordis vestri …) - durchgesetzt scheint sich das aber vor Luther, der unabhängig darauf gekommen sein könnte, und Co nicht zu haben. Woher aber kommt die Haut eigentlich? Denn nach meinem Verständnis enthalten weder das hebräische עָרְלָה (‘orlah) noch das griechische ἀκροβυστία et al., noch das lateinische praeputium eine direkte Bedeutung von „Haut“ im anatomisch-physiologischen Sinn.
Re: Die vorhäutigen Philister
Patroklos schrieb am 30.05.2025 um 19:39 Uhr (Zitieren)
Heißt „praeputium“ nicht wörtlich lediglich „das, was vor dem Penis ist“?
Re: Die vorhäutigen Philister
Γραικύλος schrieb am 30.05.2025 um 22:36 Uhr (Zitieren)
Der Walde/Hofmann vermutet ein pūtos = Penis.
Re: Die vorhäutigen Philister
Bukolos schrieb am 30.05.2025 um 23:45 Uhr (Zitieren)
Die Vorhaut Christi übrigens bot ein zeitweilig nicht unerhebliches theologisches Problem: Blieb sie bei der Himmelfahrt Christi auf Erden oder ist sie mit emporgefahren? Die englischen Freidenker George William Foote und Joseph Mazzini Wheeler hatten Ende des 19. Jhs. einen originellen Einfall hierzu, den sie dem griechisch-italienischen Gelehrten des 17. Jhs. Leon Allatios (Leone Allacci) unterschoben:
Zwar plante Allatios tatsächlich eine Schrift mit dem Titel De Preputio Domini nostri Iesu Christi Diatriba im 8. Band seiner Symmikta zu veröffentlichen, nur ist es nicht mehr dazu gekommen. Erschienen sind lediglich die Bände 1 und 2 sowie eine Ankündigung des Inhalts der übrigen Bände.** Footes und Wheelers Kuckucksei fand dennoch solchen Anklang, dass es nicht nur in der Wikipedia und diversen journalistischen Arbeiten, sondern auch in mancher wissenschaftlichen Veröffentlichung zitiert wurde.
Γραικύλος schrieb am 30.05.2025 um 23:54 Uhr (Zitieren)
Kurios. Wenn alles, was jemals zu seinem Körper gehört hatte, mit ihm emporfahren sollte, dann käme da ja noch einiges andere in Betracht, wobei seine abgeschnittenen Fingernägel noch harmlos wären.
Oder kommt der Vorhaut eine besondere Bedeutung zu?
Eine Bekannte hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Jesus immer mit langen Haaren und Bart dargestellt wurde, weil das Schneiden seiner Haare - wie bei Samson - den Verlust göttlicher Gunst und Kraft bedeutet hätte.
Re: Die vorhäutigen Philister
filix schrieb am 31.05.2025 um 00:47 Uhr (Zitieren)
Zellbiologisch ist der Mensch ja ein Spezialfall des Schiff-des-Theseus-Paradoxons.
In der frühchristlichen Kunst ist diese Darstellung zunächst eher unüblich, sie kommt im 3. Jahrhundert auf und wird erst im 6. Jahrhundert kanonisch.
Re: Die vorhäutigen Philister
Γραικύλος schrieb am 31.05.2025 um 01:11 Uhr (Zitieren)
Ich erinnere mich, einst in der Wiener Hofburg unter all den Reliquien die Milch der Jungfrau Maria gesehen zu haben. Immer hatte ich die Hoffnung, auch der Vorhaut Jesu zu begegnen. Aber wenn die mit ihm in den Himmel aufgestiegen ist, kann ich danach lange suchen.
Re: Die vorhäutigen Philister
βροχή schrieb am 31.05.2025 um 06:29 Uhr (Zitieren)
ehrlich?
Viell. gibt es ja noch Lenins Mumie zu bestaunen,
zugegeben, nicht ganz so antik...
Re: Die vorhäutigen Philister
Aurora schrieb am 31.05.2025 um 07:17 Uhr (Zitieren)
Zur Auferstehung Jesu:
Gerd Lüdemann, Der große Betrug
Patroklos schrieb am 31.05.2025 um 08:31 Uhr (Zitieren)
Kennt jemand dies Werk?
Alphons Victor Müller,
Die hochheilige Vorhaut Christi im Kult und in der Theologie der Papstkirche. Schwetschke, Berlin 1907,
Re: Die vorhäutigen Philister
βροχή schrieb am 31.05.2025 um 09:02 Uhr (Zitieren)
Wenn jmd. mit Klauen und Zähnen Glaubensinhalte bekämpft, mit dem Argument, dass sie keine Wissensinhalte sind, dann ist er nicht fähig, den Unterschied zw. Wissen und Glauben zu erkennen.
Er verficht ein Dogma.
Re: Die vorhäutigen Philister
Bukolos schrieb am 31.05.2025 um 09:10 Uhr (Zitieren)
Bis 1983 hättest du sie in Poitiers bewundern können.
Wie meinst du das?
Warum soll jemand etwas glauben, was Unsinn ist
bzw. nur Metapher oder literarisches Mittel?
Wasser in Wein zu verwandeln ging damals genauso wenig wie heute.
Oder über Wasser zu gehen.
Die Gravitation und Chemie gilt ab dem Urknall überall im Kosmos.
Hier wird m.E. nichts bekämpft, sondern klar gestellt.
Re: Die vorhäutigen Philister
Patroklos schrieb am 31.05.2025 um 11:12 Uhr (Zitieren)
Im Zitat von Willy Marxen (gegen Ende des Textes) steckt ein Druckfehler.
Statt „Widerfahrnis des Sehens“ recte
„Widerfahrnis des Gehens“.
Re: Die vorhäutigen Philister
βροχή schrieb am 31.05.2025 um 11:19 Uhr (Zitieren)
von "soll glauben" schrieb ich doch gar nicht,
WIE kommst du denn darauf?
Jmd. wünscht sich Jesus Vorhaut zu sehen. Dieser Wunsch ist an sich schon ein bisschen seltsam, erst recht, wenn man nicht an Jesus glaubt. Warum wünscht er sich nicht, die Vorhaut von Lenin zu sehen, die Chancen, dass der Wunsch erfüllt werden könnte, stehen wesentlich besser.
Warum sollte jemand das wollen?
Das hat für mich "perverse" Züge.
Was heißt "an Jesus glauben"?
Re: Die vorhäutigen Philister
βροχή schrieb am 31.05.2025 um 12:51 Uhr (Zitieren)
Lies hier im thread. Sowas denke ich mir nicht aus, ich käme nie im Leben auf so eine Idee.
Ald ich das Wort Glaubensinhalte benutzte, war das lediglich eine Reaktion auf vorherige posts.
Das Thema Religion stosse ich meinerseits nicht an.
Re: Die vorhäutigen Philister
filix schrieb am 31.05.2025 um 12:51 Uhr (Zitieren)
Wem, sie sehen zu wollen, nicht genügt, der mag auf den Spuren der Agnes Blannkine zur Kommunion fortschreiten, die auch Einlass in Alphons Victor Müllers erwähnte Schrift gefunden hat:
Patroklos schrieb am 31.05.2025 um 13:07 Uhr (Zitieren)
Eine lässliche Sünde im Geiste?
Re: Die vorhäutigen Philister
βροχή schrieb am 31.05.2025 um 13:10 Uhr (Zitieren)
... die Strafe für das ganze Süsszeug ist Karies
Re: Die vorhäutigen Philister
filix schrieb am 31.05.2025 um 13:31 Uhr (Zitieren)
Zur Mystik der Fellatio hat man als zeitgenössischer Leser schon preiswürdig Schlechteres vorgesetzt bekommen, zumeist vom herabblickenden Part der Angelegenheit.
Re: Die vorhäutigen Philister
Patroklos schrieb am 31.05.2025 um 14:19 Uhr (Zitieren)
Ein Tip an Haribo oder Emser Pastillen könnte einträglich sein. Blannbekiner.
(Sie hieß Blannbekin, Wiener Maderl. Ca. 1250-1315)
Re: Die vorhäutigen Philister
Patroklos schrieb am 31.05.2025 um 14:54 Uhr (Zitieren)