Γραικύλος schrieb am 08.06.2025 um 00:15 Uhr (Zitieren)
[Philippos; Anthologia Graeca XI 36]
Re: Vergangene Schönheit
filix schrieb am 08.06.2025 um 13:32 Uhr (Zitieren)
Was immer das klirrend da soll, wie wäre der Schluss wörtlich zu übersetzen? … ziehst du den Freund an dich (φίλον ἕλκων) <ihm> den Strohhalm/die Stoppeln - τὴν καλάμην), den anderen den Sommer (ἑτέροις τὸ θέρος) als Geschenk gegeben habend (δωρῇ δοὺς)?
Re: Vergangene Schönheit
Patroklos schrieb am 08.06.2025 um 14:45 Uhr (Zitieren)
Eher doch θερος=Ernte=Ähren?
Θερος bedeutet wohl Sommer wie auch Ernte(zeit).
Frz. Übersetzung lautet épis.
Re: Vergangene Schönheit
Γραικύλος schrieb am 08.06.2025 um 15:13 Uhr (Zitieren)
Das "klirrend" hat in der Vorlage keine Entsprechung; verstanden habe ich es als Gegensatz zum (heißen) Sommer: dem klirrenden Winter.
KI:
"Beutst" ist eine veraltete, archaistische Form des Verbs "bieten".
Herkunft:
"Bieten" geht auf das althochdeutsche "biotan" (anbieten, entgegenstrecken) zurück. Im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen gab es verschiedene Konjugationsformen, darunter auch solche, die zu "beutst" führten. Es ist eng verwandt mit englisch "bid" (bieten, befehlen).
Ist das korrekt?
Von wem stammt die Übersetzung?
Re: Vergangene Schönheit
filix schrieb am 08.06.2025 um 16:01 Uhr (Zitieren)
Diese Jahreszeitenallegorie geht für mich nicht wirklich auf, denn hier ist nicht vom klirrenden Winter des Lebens die Rede, sondern dem Abschied von rosigen, unbehaarten Wangen, unbeschwerter Jugend, auf die der strohige oder im Kontext (bart)stoppelige Herbst des Erwachsenenalters folgt. Ich vermute eher, dass hier bewusst oder nicht, sich der Sound von Hölderlins thematisch entfernt verwandtem Hälfte des Lebens einschleicht.
Die Neigung zum Pendant legt über τὴν καλάμην im metonymischen Spektrum des Sommers gewiss Ähren und Ernte nahe.
Re: Vergangene Schönheit
Γραικύλος schrieb am 08.06.2025 um 16:03 Uhr (Zitieren)
Ich benutze die Ausgabe von Hermann Beckby in der Tusculum-Reihe; er dichtet nach.
Die Übersetzung in der Loeb Classical Library ist wohl wörtlicher, aber die habe ich nicht.
Re: Vergangene Schönheit
Werner (interessierter Mitleser) schrieb am 08.06.2025 um 16:56 Uhr (Zitieren)
Hier ist sie:
When you were pretty, Archestratus, and the hearts of the young men were burnt for your wine-red cheeks, there was no talk of friendship with me, but sporting with others you spoilt your prime like a rose. Now, however, when you begin to blacken with horrid hair, you would force me to be your friend, offering me the straw after giving the harvest to others.
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 08.06.2025 um 17:16 Uhr (Zitieren)
Kann nicht δωρῇ auch 2. Sg. Präs. Akt. (von δωρέω) sein ?
Also: Nun, ..., gibst/bietest du den Halm, den Freund [an dich] ziehend, nachdem du anderen die [volle] Ähre gegeben hast.
Re: Vergangene Schönheit
Andreas schrieb am 08.06.2025 um 17:42 Uhr (Zitieren)
Es könnte nur Präsens sein und zwar Konjunktiv:
δωρῶ
δωρῇς δωρῇ
δωρῶμεν
δωρῆτε
δωρῶσι(ν)
Der macht aber keinen Sinn, weil 3. Person.
Es kann daher nur der Dativ von δωρά ("Geschenk")
sein und entspricht dem lateinischen dono dare
(dat. finalis).
Re: Vergangene Schönheit
Bukolos schrieb am 09.06.2025 um 06:36 Uhr (Zitieren)
Dass δωρῇ hier etwas anderes als eine Verbform in der 2. Sg. Med. Ind. Prs. ist, lässt sich, glaube ich, kaum annehmen.
Re: Vergangene Schönheit
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 09.06.2025 um 15:16 Uhr (Zitieren)
Danke, aber welchen Sinn soll hier "sich" machen?
Er schenkt doch Stroh.
Medium drückt m.W. aus, dass man etwas für sich tut.
Oder missverstehe ich hier etwas?
Re: Vergangene Schönheit
Γραικύλος schrieb am 09.06.2025 um 18:29 Uhr (Zitieren)
Er schenkt sich (obwohl er nur noch Stroh ist, also keinen Wert mehr hat). Wenn Du so willst: Er tut das für sich.
Weder schenkt er jemand anderen, noch wird er von jemand anderem geschenkt.
So verstehe ich es; ob da von klügerer Seite noch Besseres kommt: abwarten.
Re: Vergangene Schönheit
Bukolos schrieb am 09.06.2025 um 18:33 Uhr (Zitieren)
Die Verwendung von δωρέομαι als mediales Deponens wird vom LSJ als die (gegenüber δωρέω) more frequently vorkommende vermerkt, eine mediale Semantik muss also nicht angenommen werden.
Ein Substantiv mit der Bedeutung "Geschenk" sollte δωρεά (bzw. δωρεή) oder δῶρον heißen.
Γραικύλος schrieb am 09.06.2025 um 22:48 Uhr (Zitieren)
Das kommt dabei heraus, wenn man versucht, logisch zu denken, wo es einfach um den Sprachgebrauch geht.
Re: Vergangene Schönheit
βροχή schrieb am 10.06.2025 um 06:12 Uhr (Zitieren)
Da es sich bei Archestratos um einen Mann handelt, war sein Gesicht nur im Vorfrühling unbehaart. Da wollte Philippos also ernten. Wie sah sein eigenes Gesicht zu dieser Zeit aus, schon stoppelig?
Re: Vergangene Schönheit
Bukolos schrieb am 10.06.2025 um 08:44 Uhr (Zitieren)
Der Sprecher sollte - als Erastes - vollbärtig gewesen sein. Das im Gedicht aufgerufene Schema der an der (fehlenden oder vorhandenen) Gesichtsbehaarung ablesbaren sexuellen Rolle funktioniert nur in einer Gesellschaft, in der die Rasur verpönt ist (wie im Athen der klassischen Zeit). Für den kulturellen Kontext, in dem Philipp von Thessaloniki lebte, trifft das wahrscheinlich nicht zu. Vgl. hierzu Athenaios, Deipn. 13, 18 (564 G ff.).
Re: Vergangene Schönheit
βροχή schrieb am 10.06.2025 um 09:03 Uhr (Zitieren)
... du meinst, Philipp schrieb nicht als er selbst, sondern als lyr. ich?
Dennoch, ein Vollbärtiger fordert junges Blut ein und ist pikiert, wenn er das nicht bekommt.
Nach dieser Logik stünden Archestratos seinerseits in seiner Stoppelzeit stoppellose Gespielen zu?
Re: Vergangene Schönheit
Patroklos schrieb am 10.06.2025 um 09:45 Uhr (Zitieren)
Bei Dover, Homos., S. 82, findet sich folgender Hinweis:
Man vergleiche die witzigen Bemerkungen von Bion, die von Plutarch (Dial.770bc) wiedergegeben werden: der Bart, der dem eromenos wächst, „befreit den erastes von der Tyrannei des eros“.
Re: Vergangene Schönheit
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 10.06.2025 um 19:26 Uhr (Zitieren)
Zum einen ist (natürlich!) Bukolos' Hinweis auf den deponentialen Charakter von Bedeutung, ich sehe zum anderen aber auch in der Angabe: "Das Medium wird ferner dafür benutzt, eine Absicht im Interesse oder zum Nutzen des Subjekts auszudrücken" (wikipedia s. v., Kursive meine) eine semantische Nuance, die hier von Belang sein dürfte.
Man wird also die mediale Form (wenn nicht der Dichter hier nicht sowieso das aktive Verb im Sinn gehabt hat) im vorliegenden Fall nicht mit dem (als reflexiv mißverständlichen) 'schenkt sich' wiedergeben müssen, sondern sie mit etwas wie 'ist dir daran gelegen' andeuten, oder sich genügen lassen, sie im Hinterkopf haben.
Mich beeindruckt bei diesem Gedicht wieder einmal, wie unglaublich nuanciert das Altgriechische sich auszudrücken vermag, und wie einseitig eine Übersetzung demgegenüber bleiben muß.