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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Über den Wert klassischer Bildung (233 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 30.06.2025 um 16:56 Uhr (Zitieren)
William Makepeace Thackeray, Barry Lyndon:
[...] Das Studium der langweiligen Grammatik und Griechisch und Latein und ähnliches Zeug haßte ich von Kindesbeinen an und erklärte auch stets unumwunden, daß ich nichts davon wissen wolle.
[...]

Beim Murmelspiel, beim Barlauf und Boxen war ich der Beste in der Schule, aber es war unmöglich, mich dazu zu bewegen, irgend etwas in den klassischen Fächern zu vollbringen. Nachdem ich siebenmal durchgeprügelt worden war, ohne daß sich dadurch mein Latein auch nur im geringsten gebessert hatte, weigerte ich mich (da es vollkommen sinnlos war), mich einer achten Züchtigung zu unterziehen. „Es hat wirklich keinen Zweck, Sir“, sagte ich, als mich der Doktor wieder einmal vornahm. Da er aber nicht auf mich hören wollte und sich anschickte, zur Züchtigung zu schreiten, schleuderte ich in Notwehr eine Schiefertafel nach ihm und schlug den schottischen Hilfslehrer mit einem bleiernen Tintenfaß nieder. Meine Mitschüler jubelten, einige Diener wollten mich aufhalten, aber nachdem ich mein großes Klappmesser, das mir meine Cousine Nora geschenkt hatte, herausgezogen hatte und schwor, es dem erstbesten, der mir in die Quere kam, in den Wanst zu stoßen – wahrlich!, da ließen sie mich gehen.
[...]

Auf diese Weise habe ich also in meinem ganzen Leben nur einen sechswöchigen Schulunterricht genossen. Ich erzähle das alles, damit Eltern den Nutzen daraus ziehen. Denn obwohl mir im Leben eine Reihe von gelehrten Bücherwürmern über den Weg gelaufen sind, ich denke da hauptsächlich an diesen einen großen, ungeschlachten, plumpen, triefäugigen alten Doktor, den sie Johnson nannten (1), der in London in der Fleet Street wohnte und den ich ganz schön rasch in einer Debatte (es war in Button’s Kaffeehaus) mundtot machte; und überhaupt bei allem, in der Dichtkunst, in dem, was ich mit Naturphilosophie bezeichne, oder in der Kenntnis des Lebens, im Reiten, in der Musik, im Springen, im Degenfechten, im Umgang mit Pferden, der Erfahrung beim Hahnenkampf oder den Manieren eines vollendeten Gentlemans und eines Mannes von Welt – das darf ich behaupten – fand Redmond Barry kaum seinesgleichen.

„Sir“, sagte ich zu Mr. Johnson bei der Gelegenheit, auf die ich oben anspielte – er befand sich in Gesellschaft von einem gewissen Mr. Buswell aus Schottland und wurde im Club eingeführt von einem gewissen Mr. Goldsmith, der mein Landsmann war (2) -, „Sir“, sagte ich also, in Erwiderung auf das großartige donnernde griechische Zitat des Schulmeisters, „Sie bilden sich wohl ein, eine ganze Menge mehr zu wissen als andere Leute, wenn Sie da Ihren Aristuttel und Pluto anführen; aber können Sie mir vielleicht sagen, welches Pferd nächste Woche in Epsom gewinnen wird? Können Sie sechs Meilen laufen, ohne nach Luft zu japsen? Treffen Sie ohne Fehlschuß zehnmal hintereinander das Pik-As? Wenn dem so ist, so reden Sie mit mir über Aristuttel und Pluto.“

„Wissen sie überhaupt, mit wem Sie sprechen?“ brüllte darauf der schottische Gentleman, Mr. Buswell.

„Halten Sie Ihre Zunge im Zaum, Mr. Buswell“, sagte darauf der alte Schulmeister. „Ich habe kein Recht, mich dem Gentleman gegenüber mit meinem Griechisch zu brüsten. Er hat mir die rechte Antwort erteilt.“

(William Makepeace Thackeray: Barry Lyndon. Frankfurt/Main 1989, S. 20-22)

(1) Samuel Johnson (1709-1784), Journalist, Kritiker und Biograph, berühmt vor allem durch sein „Dictionary of the English language“
(2) d.h. Ire
Re: Über den Wert klassischer Bildung
Patroklos schrieb am 30.06.2025 um 17:07 Uhr (Zitieren)
Köstlich frech!
Buswell=James Boswell, der Lebensgefährte, Reisebegleiter und Biograph von Dr. Johnson bzw Dictionary Johnson.
Re: Über den Wert klassischer Bildung
Γραικύλος schrieb am 30.06.2025 um 18:40 Uhr (Zitieren)
Danke für den Hinweis auf James Boswell; im Roman (zitierte Ausgabe) wird er mal Buswell, mal Boswell geschrieben.
Re: Über den Wert klassischer Bildung
filix schrieb am 30.06.2025 um 19:23 Uhr (Zitieren)
In der Szene gehört Buswell ja zu Aristuttel (Aristuttle), das er von Fielding übernommen hat, und Pluto, schon damals ein Hundename (nachzulesen u.a. bei William Barker Daniel Rural Sports), Unbildung und Respektlosigkeit signalisierende Entstellungen, an die sich Johnson dann anbiedert, um seinen Eckermann zum Schweigen zu bringen. Johnson hat nebenbei in schlaflosen Nächten nicht nur ein paar dutzend Epigramme aus der Anthologia Graeca ins Lateinische übersetzt, sondern auch eigene griechische und lateinische Gedichte verfasst.
Re: Über den Wert klassischer Bildung
Patroklos schrieb am 30.06.2025 um 21:00 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος,
Wer spricht nochmal diese bildungsferne Sätze, die der Thackeraysche Leser unmittelbar als solche zu erkennen hatte?
Re: Über den Wert klassischer Bildung
filix schrieb am 30.06.2025 um 21:35 Uhr (Zitieren)
Tatsächlich findet sich das im Original nicht so, den Aristuttel (dort Aristotle) hat sich der Übersetzer ausgedacht und Johnson spricht seinen Schatten korrekt als Boswell an, nur Pluto ist Pluto.
Re: Über den Wert klassischer Bildung
Γραικύλος schrieb am 30.06.2025 um 22:00 Uhr (Zitieren)
Der Roman trägt im Original den Titel: "The Memoirs of Barry Lyndon, Esq., Written by Himself."
Das beantwortet, Patroklos, die Frage, wer die Sätze spricht.

Davon, also von der fiktiven Autobiographie ist übrigens Stanley Kubrick in seiner berühmten Verfilmung abgewichen.
Re: Über den Wert klassischer Bildung
Patroklos schrieb am 01.07.2025 um 09:43 Uhr (Zitieren)
Eine Köstlichkeit des Dr. Johnson:
I never desire to converse with a man who has written more than he has read.
Re: Über den Wert klassischer Bildung
Aurora schrieb am 02.07.2025 um 06:57 Uhr (Zitieren)
Nebenbei:
Übersicht mit KI
Der aktuelle Stand der altsprachlichen Bildung in Deutschland ist geprägt von einem Rückgang der Schülerzahlen in Latein und Griechisch, insbesondere an Gymnasien, aber auch von einem anhaltenden Interesse an diesen Sprachen als Grundlage für das Verständnis der europäischen Kultur und Sprache. Während der Unterricht in alten Sprachen an Gymnasien weiterhin angeboten wird und in einigen Bundesländern sogar einen festen Bestandteil des Curriculums darstellt, ist ein Rückgang der Schülerzahlen in diesen Fächern zu verzeichnen.
Rückgang der Schülerzahlen:

Es gibt einen allgemeinen Trend, dass weniger Schülerinnen und Schüler Latein und Griechisch als Fremdsprachen wählen, obwohl diese Sprachen weiterhin an vielen Gymnasien unterrichtet werden.

Der Rückgang ist nicht in allen Bundesländern gleich stark ausgeprägt, aber insgesamt ist eine Abnahme der Lernenden in den alten Sprachen zu beobachten.
Ein Grund dafür könnte die zunehmende Bedeutung anderer Fremdsprachen, wie Englisch und Französisch, sein, die oft bereits in der Grundschule beginnen.
Auch die veränderten Anforderungen der modernen Arbeitswelt könnten eine Rolle spielen, wobei verstärkt auf digitale Kompetenzen und andere Fremdsprachen gesetzt wird.

Bedeutung der alten Sprachen:

Trotz des Rückgangs der Schülerzahlen haben die alten Sprachen immer noch eine wichtige Rolle in der Bildung, insbesondere für das Verständnis der europäischen Kultur, Geschichte und Sprache.

Latein und Griechisch sind die Grundlage vieler moderner Sprachen, und das Erlernen dieser Sprachen kann das Sprachbewusstsein und die Ausdrucksfähigkeit im Deutschen schärfen.
Humanistische Gymnasien betonen die Bedeutung der alten Sprachen als Grundlage für eine umfassende Bildung und legen Wert auf die Vermittlung von historischen und kulturellen Kontexten.
Der Unterricht in alten Sprachen kann auch dazu beitragen, das Verständnis für grammatikalische Strukturen und sprachliche Feinheiten zu verbessern.

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen:

Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat Richtlinien für den Fremdsprachenunterricht in Deutschland erlassen, die auch die alten Sprachen betreffen.

Es gibt Diskussionen über die Notwendigkeit, den altsprachlichen Unterricht zu reformieren und an die aktuellen Bedürfnisse anzupassen, ohne seine Bedeutung für die kulturelle Bildung zu vernachlässigen.
Die Ausbildung von Lehrkräften für alte Sprachen ist ein weiterer wichtiger Punkt, um sicherzustellen, dass qualifizierte Lehrkräfte zur Verfügung stehen.
Die Digitalisierung des Unterrichts und die Nutzung neuer Medien im altsprachlichen Unterricht sind ebenfalls Themen, die diskutiert werden.

Fazit:
Der altsprachliche Unterricht in Deutschland steht vor Herausforderungen, aber er hat immer noch eine wichtige Bedeutung für die Bildung und die kulturelle Identität Europas. Es ist wichtig, die alten Sprachen zu erhalten und gleichzeitig den Unterricht an die aktuellen Bedürfnisse anzupassen, um sicherzustellen, dass sie auch in Zukunft eine Rolle in der Bildung spielen

vgl:
https://www.zdfheute.de/politik/deutschland/nationaler-bildungsbericht-probleme-schule-deutschland-100.html

https://www.sueddeutsche.de/bayern/humanistische-bildung-warum-alte-sprachen-bis-heute-aktuell-sind-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-250428-930-471989
 
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